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Dienstag. Nr. 221 —— 22. September L8S7 Leipzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Sonntag« täglich Nachmü- - tag« für den folgenden Tag. Prei- für da« Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. DtilW Allgtinkiiit Ztitnng. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter de« In- uno Auslandes, sowie durch die Hrpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebuhr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. Preußen. Die officielle «Zeit« vom 20. Sept, bringt folgenden wichtigen Artikel: „Das Verfahren, welches der holsteinische Landtag gegenüber dem ihm von der dänischen Negierung vorgclegtcn Verfassungs- cnlwurf eingeschlagen, hat in ganz Deutschland bei den verschiedensten Par teien eine ungetheilte Anerkennung gefunden. Es ist gewiß von Wichtigkeit, diese erfreuliche Thatsache zu constalircn, welche beweist, wie tief gewurzelt und unerschütterlich in der dculschcn Natipn die Ucberzeugung von der Rechts kräftigkeit der Federungen ist, welche die Hcrzogthümer an die dänische Ne- gicrunA.erheben. Leider ist, ganz abgesehen von der öffentlichen Meinung in Dänemark selbst, von der man eine unbefangene Auffassung der Frage nicht erwarten kann, !m Auslande immer noch vielfach die Ansicht verbrei tet, als erhöben die Herzogthümer unbillige und ungerechtfertigte Ansprüche, als wiesen sie absichtlich die ihnen dargebotcne Hand der Verständigung zu rück, weil sic gegen die Existenz der dänischen Monarchie selbst in factiöscr Opposition, ständen. Von diesem vorurthcilsvollen Standpunkt aus hat man auch an verschiedenen Stellen das Verfahren des holsteinischen Landtags bcurthcilt und ihn hart getadelt, weil er den Verfassungsenlwurf zurückge- wiesen und vor allem die Selbständigkeit und Gleichberechtigung des Her- zogthums innerhalb der Gesammtmvnarchie gefodert habe. Es genügt, einen kurzen Blick auf den Inhalt der seit Jahren erhobenen ständischen Beschwer den zu werfen, um die völlige Ungerechtigkeit solcher Vorwürfe darzulegen. Die Landtage der Herzogthümer beschwerten sich, daß im Widerspruch mit den Versprechungen, welche ihnen selbst und den deutschen Großmächten durch die dänische Regierung ertheilt worden, dieselbe ohne ihre Zustimmung nach einseitiger Verständigung mit dem dänischen Reichstage die Ecsamml- staatsvcrfassung vom 2. Oct. 1855 erlassen habe, daß die Bestimmungen dieser Verfassung Angelegenheiten, welche nach altem Recht und Herkom men der Verwaltung und Gesetzgebung den einzelnen Landestheilcn angc- hörten, für der ganzen Monarchie gemeinschaftliche erklärten, daß die Zu- sammensetzung des Rcichsraths eine solche sei, um die deutsche Nationalität, die gegenüber der dänischen im Vcrhältniß wie 2 zu 3 daraus vertreten, dem guten Willen dieser lchtern aus Gnade und Ungnade zu überliefern. Die Stände beschwerten sich endlich, und der Ausschußbcricht des eben gc- schlossenen Landtags hat es bis zur Evidenz erwiesen, daß die Linie, welche die Negierung selbst in der Gesammtstaatsvcrsassung zwischen der Compc- lenz dieser und der der Provinzialvcrfassung gezogen, nach Belieben zum Nachtheil der Herzogthümer verrückt worden, und daß mit Uebcrtrelung der kleinsten Bestimmungen auf dem Gebiet der Gesetzgebung wie der Finanzen den Rechten und Interessen der deutschen Lande schwerer Nachthcil zuge- fugt worden sei. Diese Beschwerden sind in ihren wesentlichsten Punkten von den deutschen Großmächten anerkannt und in dem betreffenden Noten wechsel mit dem Cabinet von Kopenhagen geltend gemacht worden. Gab nun eine noch so genaue und eingehende Erörterung des vorgelegten Vcr- fassungscnlwurfs für das Herzogthum Holstein dem Landtage die Gelegen heit, den Kränkungen, welche die Hcrzogthümer durch die Entstehung, den Inhalt und die Praxis der Gesammtstaatsverfassung erlitten und fortwäh rend erleiden, irgendwie abzuhelfen? Enthielten die Bestimmungen des Ent wurfs irgendetwas, das jene Beschwerden abstellte, oder wäre es dem Land tage möglich gewesen, Bestimmungen hincinzubringen, die eine solche Wir kung gehabt hätten? Gewiß wird Jedermann, der nur eine flüchtige Kennt- niß der Verhältnisse besitzt, diese Frage verneinend beantworten müssen. Man hat viel Aufhebens von den freisinnigen Bestimmungen des Entwurfs und von den Vortheilcn, die sie dem Herzogthum gewährten, gemacht. Aber selbst zugegeben, daß dem so wäre, welchen Werth haben diese Bestimmun gen, solange die Grenzen zwischen der Provinzial- und dcrGesammtstaals- Verfassung nach Belieben hin- und hergeschoben werden können? Der hol steinische Landtag ist nach den von ihm gemachten Erfahrungen der Ansicht geworden, daß der Schwerpunkt der politischen Situation im Reichsrath liegt, und daß, solange dessen Zusammensetzung der deutschen Nationalität nicht die Bürgschaft bietet, ihre Foderungcn beachtet, ihre Beschwerden ab- gcstellt zu sehen, alle Acnderungen der Provinzialverfassung als irrelevant betrachtet werden müssen. Er hat deshalb rücksichllich des Entwurfs dersel ben sich aller Anträge und Aenderungsvorschläge enthalten, die den Hcrzog- thümcrn niemals zu ihrem Recht verhelfen und höchstens die irrige Ansicht verbreiten konnten, die dänische Negierung habe einen Weg eingeschlagcn, auf dem eine Verständigung zu erzielen möglich sei. Einem solchen Jrrthum hat der Landtag angesichts Deutschlands wie ganz Europas Vorbeugen wollen, und er hat dcshälb vorgczogcn, ebenso aufrichtig als ehrfurchtsvoll dem Souverän des Hcrzogthums seine Ansicht über den einzig möglichen Weg, auf dem die gekränkten Rechte desselben wiedcrhcrgcstellt werden kön nen, darzulegen. Dieser Weg ist die Revision der einseitig erlassenen Gc- sammtstaatövcrfassung unter Mitbetheiligung der Stände der Herzogthümeb und die gesicherte und mit den dänischen Landestheilcn gleichberechtigte Stel lung der lctztern in den für die ganze Monarchie zu schaffenden Institu tionen. Das Cabinet von Kopenhagen ist jetzt unterrichtet von Dem, was die holsteinischen Stände fast einstimmig als die unabweislichc Bedingung einer Verständigung betrachten; cs ist jetzt an ihm, von dieser Kenntniß- nahmc Nutzen zu ziehen und endlich die Bahn zu betreten, die allein zu einer befriedigenden Lösung dieser so langwierigen, so verwickelten und für alle dabei betheiligten Faktoren so peinlichen Frage führen kann." t Berlin, 19. Sept. Der von dem lauenburgischen Landtag ge faßte Beschluß, sich mit ihrer Beschwerde an die Bundesversammlung zu wenden, dürste das Vorschrciten der beiden deutschen Großmächte wesent lich fördern. Hier war von mancher Seile die Hoffnung gehegt worden, daß auch die holsteinische Ständcvcrsammlung den Beschluß fassen werde, Schritte bei der dculschcn Bundesversammlung zu thun, indem dies den deutschen Großmächten über manche noch vorhandene Anstände hinaus ver helfen haben würde. Die Gründe, welche diese Ständeversammlung abgc- haltcn hat, diesen Weg zu beschreiten, werden übrigens hier anerkannt. Durch den Beschluß des lauenburgischen Landtags wird nun die Streit frage vor das Forum des Bundes gebracht, und cs wird die Competenz des Bundes nicht anzufcchten sein, da cs sich offenbar um eine innere An gelegenheit desselben handelt, welche alle Einmischung des Auslandes aus schließt. Eine Behandlung der lauenburgischen Angelegenheit durch den Bund zieht nothwendigerwcisc auch eine Erwägung der Dinge in Holstein nach sich, da eine abgesonderte Erledigung der einen oder dcr andern Sache eben keine Erledigung sein würde. — Der Cabinelsrath v. Niebuhr soll, wie man andcutcn hört, zur Stärkung seiner angegriffenen Gesundheit einen länger« Urlaub nachgcsuchl und denselben auch erhalten haben. — Dcr Weser-Zeitung wird aus Berlin vom 17. Sept, geschrieben: „Zur Ausführung des Erlasses des Oberkirchenralhs vom 15. Juni d. I., betreffend die Wicdertrauung Geschiedener, haben jetzt die Consisto- rien von Brandenburg, Sachsen und Pommern Instructionen für die Geist lichen erlassen. Es wird dadurch der bestehende oder vielmehr eingerissene Zustand allerdings insofern gebessert, als die Trauung oder Versagung der selben nicht mehr in das Belieben der einzelnen Geistlichen gestellt sein soll, indem allemal die Berichterstattung an die Consistoricn gefodert wird; aber die letztcrn sind an keine feste gesetzliche Regel gebunden, sondern handeln nach ihrem Ermessen und ihrer Ansicht von dcr vermeintlichen Schriftlehrc. So kann es kommen, daß in der einen Provinz sich eine Praxis nach an dern Grundsätzen herstellt als in der andern, und auf jeden Fall wird die bürgerliche Gesetzgebung in ihrem Rechte beeinträchtigt. Man hört nichts davon, daß eine neue Regierungsvorlage zur Regelung dieser Angelegenheit vor die nächsten Kammern gebracht werden solle; die letzter» werden sich also von selbst rühren müssen, wenn sie ihrc Competcnz zur Gesetzgebung aufrcchthalten wollen." Baiern. L! München, 18. Sept. Diesen Abend wogte der Fried hof von einer außerordentlichen Menschenmenge. Die Unglücklichen, welche bei dcr Explosion am 15. Scpl. Nachts ihr Lebcn verloren haben, wur- den beerdigt. Dcr Tobten sind glücklicherweise nur fünf. Die Braut des Malers Carstens aus Schleswig, Ida Graf, befindet sich im Krankenhause und auf dem Wege der Besserung; wenigstens ist seit heule Morgen die Besinnung bei ihr zurückgckchrt. Noch weiß sie nichts von dem Tode Car stens', ihrer Muttcr und ihrer Schwester. Kaufmann Nosenlchner soll Sprache und Gehör, welche er infolge des Schreckens verloren, noch nicht wieder- erlangt haben; doch soll Hoffnung vorhanden sein, daß er geheilt werde. Darüber, wie die Explosion entstanden, steht zur Zeit noch nichts fest; an abenteuerlichen Gerüchten fehlt es natürlich nicht, und soviel ist gewiß, daß Rosenlehner verbotswidrig eine Masse Pulver in seinem Haus« verwahrte. 5 Clr. fanden sich noch in einem Nebengebäude vor, welches die Explosion verschont hatte. Daraus ist zu entnehmen, welch großes Unglück einem be deutenden Theile Münchens durch den Geiz eines Mannes drohte, indem er die geringe Ausgabe scheute, welche die Unterbringung des Pulvers in dem angeordneten Pulvermagazin veranlaßt hätte. Auf Regicruugsanordnung wurden am 16. Sept, strenge Visitationen bei den Pulverhändlern vorge- nommcn; man will aber wissen, daß einige derselben infolge der Explosion schon am 16. Sept, in aller Frühe das Pulver, welches mehr als die er laubte Quantität betrug, in das Pulvermagazin geschafft halten. Obwol eine Commission von Technikern erklärt hat, daß die Explosion dcm Thurme am Karlsthorc keine Beschädigung zugefügt habe, so behaupten doch andere Techniker das Gcgentheil, und Letzter» pflichtet die Mehrheit des Publi kums bei, zumal am Thorgcwölbe und an den Außenseiten dcs Thurms bedeutende Risse sichtbar sind. Die Passage unter diesem Thurme hindurÄ wurde schon am 16. Sept, wieder gestattet. Gegen den Kaufmann Nosen- lehncr ist dem Vernehmen nach eine Untersuchung wegen Tödtung aus Fahrlässigkeit im Gange, und mehre Entschädigungsklagen werden gegen ihn erhoben werden.