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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22j Sgr. s^ Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man prZnumerirt auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Rr. 72); in der Provinz s» wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 3. Mürz 1841. Schweden. Ueber Strafen. Von dem Kronprinzen von Schweden.') Die Gesetze eines Volkes kann man mit Recht als den Maß stab der Bildung und des sittlichen Zustandes betrachten, den eS er reichte. Dies gilt besonders von den Straf-Gesetzen, die sich weit leichter den steigenden Anforderungen der Menschlichkeit und RcchtSlehre anpaffen lassen, als die Civtl-Ge setze, welche in ge wisser Beziehung mehr durch Landessitte und Nalionalgebrauch be dingt werden, so wie auch oft von besonderen Lokal-Verhältnissen abhängen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß eine auf billigen und natürlichen Grundlagen ruhende Civil-Gesetzgebnng eines der wirksamsten Mittel zur Ausgleichung veralteter Mißbräuche uud eingewurzelter Vorurtheile ist, und daß sie eine wichtige Bedingung zur Entwickelung eines gebildeten Nationalgeistes und einer echt vaterländischen Gesinnung auSmacht. Damit der Staat fähig sep, auf dem Wege zu seinem großen Ziele, dem sittlicher und geistiger Bildung bei allgemeinem Wohl stände, unbehindert sortzuschreiten, muß er auf einer vernünftigen Grundlage ruhen und so eingerichtet sepn, daß er Schutz gegen Alles gewähre, was die Sicherheit des Ganzen oder des Einzelnen in Gefahr bringen könnte. Die äußere Selbständigkeit und der innere gesetzliche Zustand des Staates müssen gegen verrätherische Anschläge, — Leben und Wohlfahrt des Einzelnen gegen Gewalt und Verfolgung, — das Eigenthum gegen unerlaubte Eingriffe ge schützt werden. Aus diesen für das Bestehen und die Entwickelung eines StaateS unerläßlichen Bedingungen, die nichts Anderes als Gottes in dem inneren Antriebe und dem äußeren Bedürfniß der Menschen sich offenbarender Wille sind, entsteht ganz besonders das eigentliche Straf-Reebt des StaateS, welches sich daher gänzlich auf Vernunft und Gerechtigkeit gründet. Aber die Ausführung einer anerkannten Rechts-Idee muß mit dieser Idee vollkommen übereinstimmen, damit sie ihre Eigen schaft der Rechtmäßigkeit beibehalte. Die Form, worein sie sich kleidet, muß der als richtig erkannten Grund-Idee entsprechen und eben so gewissenhaft als folgerecht ihre Anforderungen erfüllen; denn sonst verleugnet sie ihr eigenes Urbild und geht in dessen Gegen satz über. Hieraus folgt, daß die Wahl der Strafen selbst unter der religiösen Anerkennung einer höheren Weltordnung und einer er leuchteten Berücksichtigung des Menschenwerthes geschehen muß; auch müssen die Strafen vollkommen gerecht sepn, und zwar sowohl in Bezug auf ihre Qualität oder Beschaffenheit, als auch auf ihre Quantität oder daS der Große deS Vergehens entsprechende Maß. Eben so müssen sie auch vernünftig, d. h. in psychologischer Hin sicht so beschaffen sepn, daß sie die Besserung des Bestraften bewir ken und aus diese Weise dahin abzwecken, einer neuen Störung des zum Gedeihen des Staates nöthigen RcchtSzustandcs vorzu- heugen. So zeigt sich also in dem Wesen einer vollkommenen Strafe das Ziel, nach welchem man beim Bestimmen derselben zu streben hat. Daß man in der Wirklichkeit nicht im Stande ist, dies Ziel vollständig zu erreichen, davon muß man die Ursachen theils in der Unvollkommenheit, die unzertrennlich von allem Menschenwcrk ist, theils in äußeren Umständen suchen, welche oft einen so mächtigen Einfluß üben, daß sie selbst eine Art von relativen« Rechtszustand bilden. Dies liefert eine Erklärung — und vielleicht eine Entschul digung — der Abwege, auf welche die Kriminal-Gesetzgebung sich so oft verirrte und sich zum großen Theil noch befindet; doch darf es das Streben nach einer für die Fortschritte der Bildung und die Anforderungen der Menschheit besser paffenden Straf-Theorie nicht verhindern; denn das Streben danach, daß Alles sich mehr und mehr der Bollkoinmenheit nähere, ist ein Kennzeichen deS gött lichen Ursprungs der Menschen. Vorurtheilsfrci auf die oft theuer erkauften Erfahrungen der Vorzeit lauschen und daraus Lehre und Anleitung entnehmen, wie man die gegenwärtige Anforderung zu beurtheilen und zu erfüllen habe, und besonders die Möglichkeit zu einer vernünftigen Auffassung des Problems vorbereiten, welches die Zukunft ihrerseits auch zu lösen bekommen wird: dies macht die der von Königl. Hob. verfaßten «rosch>iee „u«h„ Strafen und «eraf Anstalten." Siehe Nr. ri de« Magazin«. wahre Kontinuität in der wachsenden Bildung des Menschen geschlechts aus. Der eigentliche Werth einer jeden Grundlage, im Reiche der Ideen sowohl als in dem der Wirklichkeit, hängt von dem Gebäude ab, welches man darauf errichten kann; denn eS ist gleich unbestritten, daß daS letztere sich ohne jenen nicht zu erhalten vermag, wie der Grund allein an und für sich nichts Ganzes, nichts Vollendetes ausmacht. Das Heidenthum hatte seine Rechts-Ansichten, welche den Lehren des Christenthums, den Lehren der himmlischen Liebe und Gerechtig keit, weichen mußten. Unwissenheit und Dunkel verhüllten lange dies ewige, Alles belebende Licht; aber sein milder Geist siegte über jegliches Hinderniß und allen weltlichen Widerstand und lehrte die Menschen, den Versuch zu machen, selbst in der Bestrafung ihrer gefallenen Brüder die Anforderungen der christlichen Liebe zu erfüllen. Die Straf-Gesetze sowohl als auch die Straf-Anstalten die ser Denkungsart anzupaffcn, ist eine würdige Aufgabe für die Be wohner Europa's. Unter den mannigfaltigen und wichtigen Gegenständen, die zur Kriminal-Gesetzgebung gehören, ist die Beschaffenheit der Strafen ohne Zweifel derjenige, welcher die meiste Aufmerksamkeit erfordert. Nach den Straf-Arten, welche die Gesetze vorschreiben, kann man auf die größere oder geringere Achtung des Gesetzgebers vor der Menschenwürde schließen. Die Strafen zerfallen in zwei Hauptartcn, nämlich: s) In solche, welche eine Pein oder Marter des physischen Theils am Menschen bezwecken und die man im Allgemeinen Leibesstrafen nennt. b) In psychische oder sogenannte Seelenstrafen. Jene, die Leibesstrafen, sind uralt. Sie haben ihren Grund in dem Rachegefühl, welches in der Vorzeit bei der Ausübung deS Strafrechts überwiegend war, so wie in dem damals herrschenden Mangel an Bildung. Es bedarf in der That eines nicht geringen Grades von Bildung, uin die Wichtigkeit der Scelenstrafen richtig zu beurtheilen und sie als eine vollkommene Sühne für begangene Verbrechen zu betrachten. Der Haß der Einzelnen oder das gekränkte Rechtsgefühl trieben lange das menschliche Erfindungs-Vermögen an, den Grausamkeiten der LeibeSstrafcn tausenderlei Gestalten zu geben. Sic wurden nicht nur zur Bestrafung des wirklichen Ver brechers, sondern auch dazu angewendet, um denjenigen ein Bekennt- niß abzupreffen, die man schuldig finden wollte. Das Christenthum mußte Jahrhunderte hindurch gegen die Gewalt der Leidenschaften und Vorurtheile kämpfen, bevor es deren Barbarei zu mildern oder mindestens die Ucbcrrcste heidnischer Rohheit mit rcchtsähnlicheren Formen zu umkleiden vermochte. Nachdem die immer mehr fortschreitende Bildung aus unserer Kriminal-Gesetzgebung die barbarischsten LeibeSstrafcn, als Stäupen, Brandmarken u. dgl.°) verbannt hat, sind nur noch Ruthcnhiebe und Stockschläge als die letzten Spuren von Rechts-Ansichten einer vergangenen Zeit übrig geblieben- Ruthenhiebe, welche den Bestraften mit unauslöschlicher Schande bedecken, sind vielleicht fernerhin eben so vernunftwidrig als die Todesstrafe; iin letzten Falle wird die physische Existenz des Verbrechers, durch Ruthenstreiche aber fast die Möglichkeit seiner künftigen Besserung vernichtet. Das Strafrecht des StaateS, dessen einziger Zweck «st, durch verhängte Strafen den gestörten Rechtszustand wiederhcrzustcllen, so wie zu warnen und zu bessern, hat sich demnach so himmelweit von seiner Grund-Idee entfernt, daß eS verunehrt, die Umkehr auf der Bahn des Verbrechens fast unmöglich macht und nur die Wahl zwischen Elend und Schaffott übrig läßt. Wie viele Beispiele dieser Art, die für die Menschheit eben so betrübt als für die allgemeine Sicherheit gefährlich sind, hat nicht unser Vaterland aufzuwciscn! Aber, wendet man ein, die Lclbesstrasen sind verwachsen mit unseren Gewohnheiten, unseren Sitten und National-Gebräuchen! Diese Behauptung beruht, nach meiner Ueberzeugung, auf einem Mißverständnis», — sic geht aus dem Zusammcnwcrfen der Ansichten verflossener Zeiten mit denen der unsrigen hervor. Körperliche Züch tigung war mit der allgemeinen Denkweise verwachsen, so lange sie mit den herrschenden RcligionSbegriffen übcrcinstimmte. Die Kirche selbst wies den Sünder daraus hin, als auf ein seligmachendes Mittel, und der Bußfertige glaubte durch Geißelung, körperliche Schmerzen ') Zur Ehre unsere« Vaterlande- kann angeführt werden, daß sie In Schweden nie angewendet worden. IAnmerk. d. Vers.)