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Zweites Blatt. Mtckütt für MlsSnifs Warandt, Aossm, Siebenlehn und die Hlmgegenden. Amtsblatt für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den ^»tadtrath zu Milsdruff, sowie für das Rgl. Lorstrentamt zu Tharandt. Lokalblatt für Wilsdruff, Älttanneberg, Birkenhain, Blankenstein, Braunsdorf, Burkhardtswalde, Groitzsch, Grumbach, Grund bei Mohorn, Helbigsdorf, Herzosgwalde mit Landberg, Hühndors, Kaufbach, Kesfelsdorf, Kleinschönberg, Klipphausen, Lampersdorf, Limbach, Lotzen, Mohorn, Munzig, Neukirchen, Neu» tanneberg, Niederwartha, Oberhermsdorf, Pohrsdorf, Rshrsdvrf bei Wilsdruff, Roitzsch, Rothschönberg mit Perne, Sachsdorf Schmiedewalde, Sora, Steinbach bei Kesselsdorf, Steinbach b. Mohorn, Seeligstadt, Spechtshausen, Taubenheim, Unkersdorf, Weistropp, Wildberg. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro viergespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich sür die Redaktion Martin Berger daselbst. No. 147. Donnerstag, den 13. Dezember 1SV0. S8. Jahrg. Heldenseelen. (6) Roman von B. Riedel-Arens. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Während dieser Wortwechsel am Ufer stattfand, hatte Ulrich, mit einem Fernglas versehen, sich ebenfalls dem Strande genähert. Dieser Nachmittag war für ihn unter wachsenver Aufregung vergangen, weit er aus Graf Hottens Verhalten schließen zu oürfen glaubte, daß Leah ihn trotz seiner Warnungen zu kühnerem Vorgehen er- mnthigte. Gequält von brennender Eifersucht, hatte er stumm den Beiden zugesehen und die Zähne zusanimen gepreßt, um die kaum noch beherrschende Pein zu ver bergen. Oben auf der Düne gewahrte er Leah und stieg zu ihr hinauf; ein Blick nach dem Platze, wo das zum Schlosse gehörige Boot angekettet zu liegen pflegte, bewies ihm, daß Everhard jedenfalls, obgleich er es ihm streng verboten, auf eigene Faust hinausgcfahren war, wobei eine Katastrophe ihn ereilt haben mußte. In diesem Augenblick fuhr heulend ein pfeifender Windstoß vom Meere durch die dunkle Luft herüber, der heftig au Leahs Kleidern zerrte und ihr Haar, das sie zu einem lose gewundenen Knoten ihm Nacken trug, löste. „Herr v. Birken, denken Sie, daß dem Knaben ein Unglück zugestoßen ist?" „Leider ja, Fräulein Leah." „Sie meinen ... auf dem Wasser?" „Allerdings; das fehlende Boot bestätigt meine Ver- muthuug." Sie sah auf das Meer hinaus, dessen sprühende Wellen jetzt unter den fahldämmernben Wolken in me tallenem Glanze leuchteten, eine langsam aufkochende, schwatzweiße Masse, während Ulrich sein Fernrohr richtete. Da war es ihm, als sehe er in einiger Entfernung einen auf dem Wasser treibenden Gegenstand, bald gehoben, bald niedergleilend, kein Zweifel, es war das gekenterte Boot. „Bemerken Sie etwas?" „Ein Boot; es wird das unsere sein. Ich muß mich überzeugen." Er reichte ihr das Fernrohr und machte Miene, sich seines leichten Rockes zu entledigen, um, da er ein geübter Schwimmer war, in die See hinauszuschwimmcn, als Leah, auf's Aeußerste bestürzt von dem gefahrvollen Vor haben, unwillkürlich die Hand auf seinen Arm legte. „Um Gottes Willen, wagen Sie bei dem Unwetter sich nicht auf die See hinaus — das Boot dort ist herren los und keine Rettung Eberhard's mehr möglich!" „Aber es würde uns die Bestätigung seines Todes bringen," entgegnete er tonlos. „Zu dieser Bestätigung braucht nur ein Boot vom Dorfe hcrbeigeschafft werden, sie ist zu lheuer mit Ihrem eigenen Leben bezahlt!" Unverkennbar spricht die Angst aus ihren Zügen, im wilden Ausruhr der Natur und dem seelifLen Tumult ist die scheue Zurückhaltung gewichen — Ulrich steht es — furchtet sic ihn? Es faßt ihn übermenschlich, die empörten Elemente haben auch in seinem Innern den Sturm entfacht, die Begeisterung des Entzückens, den Todesmnlh, die Todesverachtung. Er beugt sich zu ihr und sagt leise: „Liegt Ihnen denn an meinem Leben, das ich selbu so gering schätzen gelernt? Mich treibt es, ich muß hinaus und mit den Wellen auf Tod und Leben ringen, um den Orkan in in meiner Brust zu betäuben." Ans seinen Augen lodert eine düstere Flamme — sein flacker der Blick sucht tief bis auf deu Grund ihrer Seele zu dringeu — Leah wandte sich ab — die Gegenwart versank; ein kurzes, weltvergessenes Hiuabtauchen in das Gehcimniß seligen Entzückens. Sekundenlang war es Leah, als schwebe sie über einem Lichtgefilde, dann trat die Wirklichkeit in ihre Rechte; der herbe Zug mädchenhaften Stolzes wurde wieder auf ihrem Antlitz sichtbar, und mit einer Stimme, aus der sie jedes wärmere Einklingeu auszuscheiden bemüht war, er widerte sie: „Es gieot Menschen, die ein Anrecht auf Ihr Leben haben, Herr v. Birken, und fordern dürfen, daß Sie sich schonen: Ihre Fran, Elvira, Ihre Mutter." „Sie haben recht; ich befinde mich in jener Stimmung, wo der Sterbliche im Kampf mit den Naturgewalten den Sieg davouzutragcn pflegt. Ihre Geister schleudern den Unseligen zurück, er ist verurtheilt, weiter zu leben und weiter zu ringen! Leben Sie wohl, Leah, auf Wieder sehen hier oder in einer anderen Welt." Er eilte den Dünenwall hinab, warf sich ins Wasser und theilte bald mir kräftigen Armen die schäumend ihn umiprudelndcn Fluthcn. Wie versteinert sah Leah dem Verschwindenden nach; eine Zeit lang konnte sie noch den Bewegungen folgen, dann hatten die tanzenden Wellen ihr seinen Anblick ent zogen; war er schon zur Tiefe hinabgerissen? Einen Herz schlag lang war es ihr, als müsse sie ihm nachfolgen in das tobende brausende Meer, dann verlor das fiebernde Gehirn sich in vagen Vorstellungen der Scham, der Em pörung gegen sich selbst und Wünsche, dort in den brodelnden Fluthen zn versinken, um nie mehr das Licht der Sonne zu sehen. War das, was sie in seinen Blicken gelesen, nicht der verräterische Funke einer verborgenen Leidenschaft, und er, hatte er durch ihre zur Schau getragene Angst nm ihn nicht auf Erwiderung schließen müssen? Wenn doch ein Blitzstrahl sie treffen und vernichten möchte, dann wären diese demütigenden Minuten, die sie vor ihm und vor sich selbst erniedrigten, ausgelöscht. Nein, nein, er konnte nichts errathen haben, und be saß sie denn überhaupt ein Geheimniß, bestanden ihre Ge fühle für ihn nicht lediglich nur in Freundschaft und Sympathie? Nein, er wußte nichts. Aber die Scham und der empörte, verletzte Stolz brannten weiter in ihrem Innern und waren nicht mehr zu bannen. Schlag auf Schlag krachte jetzt der Donner, züngelnd fuhren die Blitze von allen Seiten nieder, vereinzelt fielen große Tropfen. Uebermannt von Furcht und Entsetzen war Erna längst dem Hause zu geflüchtet, gefolgt von dem Baron, der seine Gegenwart ebenfalls für überflüssig hielt. Nur Ruth blieb und näherte sich der Schwester. Kein Wort wurde gewechselt, immer nur den Blick auf das finster grollende Meer gerichtet, erwarteten sie die Rückkehr Ulrichs, der nach einer qualvollen halben Stunde endlich am Ufer erschien. „Sie sahen das Boot?" rief ihm Ruth entgegen. „Ja, es ist das unsere; es treibt kielhoben auf dem Wasser, und in seiner Nähe fand ich dieses." Er zog nach diesen Worten von seiner Brust, wo er ihn verbarg, um die Hände beim Schwimmen frei zu be halten, einen weißen Strohhut mit braunem Band. Ruth schrie herzzerreißend ans — sie erkannte ihn als Eberhards Eigenthum. „Tot! O, mein armer, armer Junge! Seine Hilfe rufe find aus dem Wasser ungehört verhallt; er hat mich gerufen in seiner Todesnoth, und ich bin nicht gekommen." Lautlos sank sie auf ihre Kniee und preßte die Stirn in den feuchten Sand, während einkonvulsivisches Schluchzen ihren ganzen Körper erschütterte. Leah eilte nach Hause, um die Nachricht schonend zu verkünden. Ruth lag noch immer regungslos, Ulrichs sanftes Zureden kaum vernehmend. Heulend umraste sie der Stuuu; gepeitscht von seinem brausenden Athem, fiel der Regen, hin und wieder zuckte noch ein Blitz, begleitet von prasselndem Donner. Sie sah und hörte es nicht, sie spürte nichts als den tobenden Aufruhr in der eigenen Seele: — das ihr anvertraute geliebte Kind war eines elenden Todes gestorben, und sie sollte Rechenschaft darüber ab» legen vor dem Vater. Aus Friedensheim war ein Haus der Bestürzung und tiefer Trauer geworden; gramgebeugt rüstete derGe- heimrath sich schon am nässten Tage, die Stätte zu ver» lassen, wo der Tod ihm to jäh seinen hoffnungsvollsten Sohn geraubt; Erna aber folgte gern einer bereits früher ergangenen Einladung ihrer Schwiegereltern nach deren Besitzung bei Wiesbaden, um sich von den erlittenen Auf regungen zu erholen. 3. Kapitel. Etwa vier Wochen waren nach diesen Ereignissen verflossen, als Ruth sich eines Nachmittags in der kleinen Jasminlaube des kleinen, zwischen hohen Nachbarsmauern gelegenen Gartens der Ferdinandftraße befand, den der Geheimrath und seine Familie benutzen durfte; sie besserte Wäsche aus und wollte dabei, weil sie selten ins Freie kain, den Blumeuduft und das Stückchen blauen Himmels hoch über sich genießen. Es war ein stilles Stündchen; Willy und Hans be fanden sich in der Schule, Vicky in dem Kolleg; Erna weilte noch bei den Schwiegereltern, wo sie bis zur Hoch zeit bleiben wollte. In Ruth ist noch alles zerrissen; so schmerzlich wie sie hat nur der Vater den Verlust des Sohnes, dem sie Mutter gewesen ist, empfunden. Jetzt tritt der Geheimrath aus dem Hinterhause, durchschreitet die mit Buärsbaum eingefaßten Beete und nähert sich der Laube. Ruch hat gerade ein paar Unter höschen Willys in Angriff genommen — was führte ihn zu dieser ungewohnten Zeit hierher — sollte er sie suchen? „Es ist eigentlich recht hübsch hier im Garten," be gann er, ihr gegenüber am Tisch Platz nehmend, „man sollte das mehr benutzen." Nach diesem nicht sehr bedeutenden Ausspruch blieb- Ruth noch wie vor über den Zweck feines Kommens im Dunkeln; um seine Augen nicht zu beleidigen, hatte sie das Höschen unbemerkt versteckt und ein Küchenhandtuch ergriffen, an dem sie nun auf Tod und Leben stopfte. „Herr Geheimrath suchte mich wohl?" „So ist es, Ruth, ich suchte Sie. Das geht nicht, was Sie da von Fortgehen zu mir sprachen, Sie dürfen uns nicht verlassen!" Ruth ließ die Arbeit in den Schoß sinken. „Gott weiß, wie schwer es mir geworden ist, Ihnen den Entschluß mitzutheilen, Herr Geheimrath, unendlich schwer; aber ich kann nicht anders, nachdem, was zwischen mir und Fräulein Erna vorgefallen ist, muß ich gehen." „Eben deswegen komme ich," erwiderte der alte Herr, indem er um die Bank herum Ruth etwas näher rückte; Vicky hat mir eingehend darüber berichtet, und leider be finde ich mich in der unangenehmen Lage, gestehen zu müssen, daß Erna sich unverantwortlich betragen hat, un verantwortlich! Aber sie ist fort, wir sind von ihrer zu weilen recht unliebsamen Gegenwart dauernd befreit, und darum möchte ich Sie bitten, Ruth, Alles beim Alten zu lassen." „Es handelt sich um einen Ehrenpunkt, Herr Ge heimrath; mein Bleiben würde von Neuem die gehässigste Beurtheilnng bei ihr finden, ich darf mich dem, so schwer es mir auch wird, nicht wieder aussetzen." „Das ist richtig; es waren ebenso maßlose als un gerechte Beschimpfungen, die man über Sie ergoß; woher das Mädchen den abnormen Charakter hat, ist mir ein Räthsel! Vicky und ich stimmen denn auch darin voll kommen überein, daß wir Ihnen eine besondere Genug- thuung schulden, und deshalb will ich ohne weitere Um schweife mit meinem Vorschlag Herausrücken, Ruth, Sie