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Wöchentlich erscheinen drei Nllmmeen. Prinumeralion«, Preis 22; Sgr. Thlr.) niceleiiwllich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man rränumerirl aus diese« Liecratnr-Blatt in Berlin in her Expedition dcr Mg. Pr. Tlaats-Zeimng (Friedrich«!». Nr. 72); in der Propin; so wie im Anslaudc bei den Wohilöbl. Post - stottern. Literatur des Auslandes. 12. Berlin, Montag den 27. Januar 1840 Frankreich. Das Phantastische Drama. Von George Sand.") . ' I. Gocthc's Faust. Der rechte Name für jene seltsamen nnd kühnen Werke, die in einem Jahrhundert philosophischer Forschungen entstanden, und wel chen nichts in der vergangenen Zeit sich vergleichen laßt, wäre cigcn- .llch metaphysische Dramen. Unter verschiedenen, mehr oder weniger bcachtungSwcrihcn Versuchen nehmen drei derselben den ersten Rang ein: Faust, den Goethe eine Tragödie, Manfred, den Byron ein dramatisches Gedicht benennt, und endlich dcr dritte Theil der Dziady, den Mickiewicz schlechtweg mit dem Namen „Akt" bezeichnet. Dic'e drei Werke sind, wie ich zu behaupten wage, in Frankreich nur sehr wenig bekannt. Faust wird nur von denen recht begriffen, welche man als die Aristokratie des Geistes bezeichnen möchte: Man fred hat selbst nicht einmal in England Byron's Rubin erhöht, ob- glctib er vielleicht der hcrrlichsie Aufschwung seines Genius ist. Zur Vervollständigung der Sammlung seiner Werke bcigefügt, wurde er, wenn man es ja noch dcr Mühe wcrth hielt, ihn zu lesen, für unbc- dcurendcr als der „Korsar", als dcr „Giaur", als „Childe-Harold" erklärt, die doch nichts weiter als Betrachtungen, kür die Fassungs kraft gewöhnlicherer h'escr zugcschnittrn, nichts als unreife Versuche im Hirn des Dichters sind. Was nun den Akt dcr Dziady von Adam Mickiewicz betrifft, so glaube ich mit Sicherheit bezeugen zu können, daß er nicht hundert Leser in Frankreich gefunden, und ich kenn? dar unter Geister ersten Ranges, die ihn nicht verstanden oder nicht ver stehen wollten. Ist Frankreich gegen die ernsten Ideen, welche diesen Werken zum Grunde liegen, gleichgültig oder wohl gar ihnen abhold k Nein, gewiß nicht. Behüte Goth daß ich dieses philosophische Uebergewicht Deutschland zugcstche» sollte, welches durch den geringsten unserer politischen Fortschritte so glänzend Lügen gestraft wird, denn ich ver stehe nichts von einer Weisheit, die nicht weise, von einer Kraft, die nicht stark, von eincr Freiheit, die nicht frei macht"); doch fürchte ich, daß Frankreich viel zu klassisch ist, um die Dinge nach ihrem wabren Wcrth zu schätzen, wenn ihre Form ihm fremd ist. Als Faust erschien, entsetzte sich der damals herrschende akademische Gcist über die Verwirrung, die Sonderbarkeit, das Unzusammcnhängende und dic Dunkelheit dieses Meisterwerks, und zwar nur deswegen, weil die Form cine Neuerung war, w.-il der freie und' kühne Plän sich in keine der für uns zur Horm gewordenen Gewohnheiten schickte, weil Faust nicht aufgenibn werden konnte, und was weiß ich mehr, weil dic Akademie noch an Boileau'S poetischer Kunst festhiclt, dcr freilich zu seiner Zeit, und zwar aus gutem Grunde, dieses Gemisch von metapbyfischem und wirklichem heben nicht verstanden hätte, welches die Neuheit und die Größe in der Form des Faust auSmacht. Nur einem einzigen Zeitgenossen Goethe's war cs vielleicht ge geben, dcn Wcrtb unv die Schönheit dieser Form ganz zu fassen, und das war der größte Dichter jener Epoche, Hord Byron °"). Auch zöger» pp nicht, sich derselben zu bemächtigen, denn sobald cine Form ans pich, getreten, so wird sic allgemeines, Eigenthum, das jeder Dichter seinen Gedanken anpaffcn kann; und doch ist dies noch die Quelle manches schweren ZrrthumS, in welchen Vie Kritik dieser letzten Zeiten verfallen ist. Sie hat sich's in dcn Kopf gesetzt, über Nachahmung und Plagiat schreien zu müssen, wenn sic sah, daß , neue Dichter das neue Kleid versuchten, welches der Meister ihnen 'i Vsh Ne. Maa-niuS (Mannigfaltiges, we wir be ¬ reit« aiik Vieic geistreiche, wenn auch nicht immer erschöpfende Kritik Goerhc ö, Bnren'S und Mickiewicz« bingewtcien haben. ", Die Weisheit anbeiangcnd, io wollen wir darüber mit der Versagerin dieses Artikels nickt reckten: die Freiheit aber, die wahre Freiheit, wer möchte sie wohl bei der Nation suchen, dic von einem politischen System zum ande ren schwankt und nimmer den Schwerpunkt siir eine sickere freie Bewegung zu nuden vermag? Ein Engländer, der, mit eint», Hinblick aus die Franz»-, itn, von der Freiheit spräche, die nicht ,'rei macht, hatte dazu gewiß mehr Nicht, als George Sand, die dabcr den vbttochphlschcn, also mind.ften« M der Welt des Keifte« frei gewordenen Deutschen im Auge hat. Hier könnte man auch Goethe da« Wort leihen, da« dcr Win einem derühmtcn Philosophen in den Mund legt: „Ach der Einzige, der mich ver stand, der hat mich leider mißverstanden " Boron hat bekanntlich nie dcn Faust ,m original gelesen: schon deshalb allein ist k« nicht glaublich, daß er den Werts, und die Schönheit der Form diese« Gedickt« in ihrer Totali tät aufgefaßt. Dock wir wollen sehen, wie die geistreiche Kritikerin ihren AuSspruch z» erweisen sucht. zugeschnittcn hatte, unv welches ihnen mit demselben Rechte gehörte, wie dcr Erste Beste sich nach der neueste» Mode kleiden kann, wie diejenigen, welche sich in unseren Tagen Bewahrer der Kunst nennen, dic Form Corncille's oder Racine's nachahmen dürfen, ohne daß iknen Jemand das Recht dazu streitig macht. Klagte doch Niemand über Plagiat, als Möllere und Racine fast buchstäblich ganze Stücke des Aristophanes und der Griechischen Tragiker übersetzten. Das Jahrbnnrcrt unserer wahren Klassiker war aber auch duldsamer und naiver als das unsrigc, und eben deswegen war cs ein großes Zahrbnudcrt. Boron bemächtigic sich also der Form des Faust, wahrscheinlich seiner selbst unbewußt, aus Instinkt, aus dunkler Erinnerung; denn obgleich er selbst die wahre Quelle scincr Eingebung verleugnete, um sie aus dcn Prometheus des AeschyluS zurückzuführen sdcr, im Borübcrgehcn kcy's gesagt, ihn zu dem schwächeren Theile dcs Man fred begeistert hatte), so ist cS doch darum nicht weniger gewiß, daß diBe Form einzig und allein Gocthc angchört; die Form und weiter nichts. Um aber den Unterschied verständlicher zu machen, den ich spärer zwischen diesen Dichtungen aufstcllcn werde, so muß ich meine befer zuvörderst mit Gocthc's Unheil über Manfred und mit Byron's eigenem Urtbeile über sich selbst bekannt machen. Goethe's Urtbeil, aus den Blättern für Kunst und Altcrthum entnommen, lautet wie folgt: „Eine wunderbare mich nabberührende Erscheinung war mir das Trauerspiel Manfred, von Byron. Dieser seltsame geistreiche Dichter hat meinen Faust in sich ausgenommen und, hypochondrisch, die seltsamste Nahrung daraus gesogen. Er bat die seinen Zwecken zusagenden Motive auf eigene Wesse benutzt, so daß keines mehr dasselbige ist, und gerade deshalb kann ich seincn Geist nicht genug sam bewundern. Diese Umbildung ist' so aus dem Ganzen, daß man darüber und über die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit mit dem Vor- biid höchst interessante Vorlesungen halten konnte; wobei ich freilich nicht leugne, daß unS die düstere Gluth einer gränzenloscn reichen Verzweiflung am Ende lästig wird. Doch ist dcr Verdruß, dcn man empfindet, immer mit Bewunderung und Hochachtung erfüllt." In einem Briese an seincn Verleger im Juni EO sagt Lord Byron: „Ich habe seinen Faust nicmals gelesen, denn ich verstehe kein Deutsch; aber Matthew Lewis übersetzte ihn mir I8I6 zu Coligny größtentbeils laut vor, und ich wurde natürlicherweise davon lebhaft ergriffen, doch haben mich dcr Steinbach, dic Jungsrau und andere Berge mchr als dcr Faust zu meinem Manfred begeistert. Die erste Scene jedoch ist zufällig dcr im Faust sehr ähnlich." lieber seine Vorliebe für die Griechischen Tragiker lvrach sich Byron I8I7 in einem anderen Briefe folgendermaßen aus: „Ich liebte leidenschaftlich dcn Prometheus des AeschyluS. Als ich noch Knabe war, lasen wir ihn wenigstens dreimal in einem Jahre zu Harrow. Dcr Prometheus, Mcdca und die Sieben vor Theben sind dic einzigen Tragödien, dic mir je gefallen haben. Der Prometheus war meinem Gedächtuiß immer so gegenwärtig, daß mir sein Einfluß aus alle meine Dichtungen sehr natürlich erscheint; doch verwerfe ich Marlow und seine Sippschaft, Sic könncn niir cS auf mein Wort glauben." Ich begreife cbcn so wenig Gocthc's Behauptung, daß er nach- geahml worden, wie Dyron'S Leugnen, als er sich dcr Nachahmung beschuldigt fürchtete. Zuerst scheint mir, was die Form betrifft, die Achnlichkcit zwischen beiden Dramen gar nicht so auffallend, wie cS Goethe behauptet. Diese Form ist im Faust nur ein Versuch, ein köstlicher, cS ist wahr, den man -aber in Manfred ausgedehnter und vollständiger erblickt. Was dic Neuheit und Originalität dieser Form auSmacht, ist dir Verschmelzung dcr mctaphystschcn und der wirk lichen Welt. Diese beiden Welten streben um Faust und um Man fred wic um eine Achse herum. Es sind zwei verschiedene flüssige Massen, und doch eng vereint und geschickt verbunden, in welchen sich bald der Gedanke, bald dic Leidenschaft des Faust-Typus oder des Manfred-Typus bewegen. Um mich dcr phtlosophischcn Rede weise zu bedienen, könnte ich auch sagen, daß Faust und Manfred das Ich oder das Subjekt verstellen; Margarethe und Astarte und alle die anderen wirklichen Personen dcr beiden Dramen sind das Objekt, Mephistopheles endlich, Nemesis, die Walpurgisnacht, der Geist des Manfred und die ganze phantastische Welt in ihrem Gefolge sind das Vcrhältniß des Ich'ö zum Nicht-Jch, dcr Gedanke, dic Leiden schaft, die Rcflerion, die Verzweiflung, dic GcwissenSbissc, das ganze Leben des Ichs, das ganze Leben der Seele, mit poetischer Liccnz