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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönumeraticnS- PreiS 22b Sgr. (j LHIr.) vicnellShrllch, 3 Thlr. für dar ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man »rönumerirt aus diese« Beiblatt «er Allg. Pr. Slaatt- Zeitung in Berlin in der Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post -Acnttern. Literatur des Auslandes. 1^6. Bertin, Mittwoch den 5. Dezember 1838. England. Milton's Persönlichkeit in ihrer sittlichen und geistigen Bedeutung für die Nachwelt. Als man im Jahre 1823 das verloren gegangene Werk Mil- ton's „Von der christlichen Lehre" wieder auffand, wurde man plötzlich auf den Namen des Dichters aufmerksam; die literari schen Journale waren voll von Diskussionen über seinen Genius, es erschienen neue Ausgaben seiner Werke, neue Darstellungen seines Lebens. Zwar fand man, daß das neu entdeckte Buch den übrigen Werken Milton's an Werth bei weitem nachstehc, und so legte sich der Enthusiasmus bald; indeß ist cs nichtsdestoweniger wahr, daß der bleibende Ruf Mlion's für alle Zeiten in unseren Tagen uni ein Bedeutendes gestiegen ist. Der Klang und Ruf eines großen Namens ist nicht so steinern und unwandelbar, wie seine Büste; vielmehr wechselt er mit der Zeit, ja, er tritt erst mit ihr in das gehörige Licht, und es war daher leicht zu be merken, wie verschieden von jeder früheren Milton's Bcurthcilung vor fünfzehn Jahren war, da er als Autor die Aufmerksamkeit aufs neue auf sich zog. Schon lange, ehe sich die moderne Ansicht über ihn bildete, Hal Milton's Ruf eine oder zwei Revolutionen erfahren. Bei seinen Lebzeiten war er als Dichter wenig oder gar nicht be kannt, desto mehr als Gelehrter und Mcinungsverfechtcr. Seine Poesie blieb von seinen Landsleuten unbeachtet, während man seine Prosa-Schriften, besonders die „Verlhcidigung des Eng lischen Volks", mit Begierde gelesen zu haben scheint. Aber so ernst, geistvoll und reich an Anspielungen und mannigfachem Schmuck diese Abhandlungen sind, so fehlt cs ihnen doch an aller praktischen Wirksamkeit. Milton würdigt selten die Hindernisse, die zu überwinden sind, ehe sich sein Vorschlag ausführen läßt. Er macht keinen Versuch, zu versöhnen, giebl kein vorbereiten des, vermittelndes Verfahren an, sondern entschieden und durch greifend verlangt er auf der Stelle ein Ideal von Gerechtigkeit. Auch in rhetorischer Hinsicht sind jene Schriften nicht so vollendet; man merkt, daß der Verfasser noch erhitzt schreib,, und wiewohl man darin die Wahrheit, Gelehrsamkeit, Schärfe und Fülle der Sprache bewundern muß, so ist doch das Ganze dem Einzelnen geopfert. Nur zwei Stücke sind hiervon auszunehmen, das eine seiner Feh ler, das andere seiner Trefflichkeit wegen. Die „Verlhcidigung des Volkes von England", die ihn bei seinen Zeilgenoffen be rühmt machte, ist, wenn man von ihrer reinen Latinitäl absieht, sein schlechtestes Werk. Nur seine allgemeine Tendenz und einige erhabene Stellen können cs renen; sonst würden wir's leicht ver schmerzet!, wenn cs von den Flammen, denen man es in Paris, Toulouse und London weihte, gänzlich vernichtet worden wäre. ES ist i» dieser gemeinen Schmähfchrift wenig Poesie und Schwungs und es wird darin nicht sowohl England gerechtfer tigt, als Salmasius mit Schmähungen überhäuft. Was in aller Well hat Madam« de Saumaise, oder die Lebensweise Sau- maisc's, oder Salmasius selbst, oder seine grammatischen Schnitzer und gesuchten Ausdrücke mit der hochwichtigen Frage zu chun, ob man Karl Stuari mit Rech« gelöst« habet Obwohl sie von Gelehrsamkeit und Kritik zöugt, kann sie doch als historisch-poli tische Streitschrift den Vergleich mit ähnlichen Untersuchungen von RobensoN, Hallam und selbst weniger berühmten Gelehrten nicht aushalicn. Nur wenn er von der Vernünftigkeit der Sache selbst sprich,, da ist er in seinem wahren Element, und auch der Schluß, ,vy er seine Landsleute bincl, ihren Gegner durch große Thal«! zu widerlegen, ist seiner würdig. DÜS andere Stück tst seine „Areopagiiika", eine Rede an das Parlament für Auf hebung der Ccnsur, seine glänzendste und beliebteste Profaschrisl, in der die Tiefe der Gedanke» mit der Lebendigkeit des Aus drucks wetteifert und die eben so viel Erheiterung als Beleh rung biciet. Indeß hat Millon als der Repräsentant und-Vcnhcidiger einer, bestimmten Partei alles Jntcrcfse für uns verloren; als solcher kann er nur seiner Zei^ und ihren Kämpfen angehören. Desto wichtiger und verständlicher ist uns das, rein Ewige und Ursprüngliche an ihm als Dichter und Mensch überhaupt. Abge sehen von den derartigen Ansprüchen der Zcugenossen, deren Ein- stuß immer ein unberechenbarer ist, kennen wir Keinen, der in der geistigen Bildung England'« und Amcrika'S noch jetzt ein so mächtiges Moment bildet, als Milton. Shakspeare freilich als Dichter steht viel höher und ist besonders beliebter und verehrter im Auslande; aber Shakspeare ist nur eine Stimme; ihn, den Menschen, kennen wir viel zu wenig. Millon dagegen steht uns näher, d. h. wir kennen ihn, er geht nicht unter in seinen Wer ken, wir sehen in ihm immer eine edle, befreundete Gestalt, einen Lehrer und Meister, zu dem unsere ganze Achtung und Sympathie,hinneigt, ein ehrwürdiges Ideal von Tugend und Menschenwürde. Er gehört zu den wenigen auscrwählten Geistern, welche die höchste Idee von der Vollendung des Menschen in sich tragen und so viel wie möglich auch darstellcn, und was die Aufgabe aller großen Männer ist, den Menschen als solchen vor den Zeitgenossen und der Nachwelt zu erheben und in ihrem eigenen Leben ein solches Gesammibild von Anmulh, Kraft und Tugend abzuspiegeln, wie kein Dichter gemalt und kein Heros verwirklicht Hal, diese Aufgabe hat Milton in den neueren Zeilen bester als jeder Andere gelöst, so daß die Menschheit ihm eines ihrer besten Portraits zu verdanke» Hal. Gar viele Philo sophen in England, Frankreich und Deulschland haben diese Auf gabe zu ihrem Lebensstudium gemachl, aber es scheint uns un möglich, an Einen in diesen Ländern zu erinnern, dessen Namen uns mit einem gleichen Schauer von Hoffnung, Pietät und Schönheileentzücken durchbcbt, wie der Milton's. Lord Bacon, der hierüber viel und mit großem Talent geschrieben, schrumpft doch zusammen vor dem ernsten, absoluten Puritaner. Bacon's Versuche geben das Bild eines tiefbcrechnetcn Ehrgeizigen — einer großen Mannes von der gewöhnlichen Sorte; von der höheren Well des menschlichen Scyns sprechen sic nur Weniges und Unbedeutendes. Locke's Mensch ist bloß tugendhaft ohne Enthusiasmus und Philosoph ohne Poesie. Addison, Pope, Hume, Johnson, die alle mit sehr ungleichem Temperament und Erfolg dasselbe Ziel erstreben, können sich doch nimmer zu Milton's Höhe empvrschwingen. Lord Chesterfield'« Mann von Gefühl verdient nicht, den Saum seines Kleides zu berühren. Franklin's Mensch ist ein mäßiger, friedsamcr, haushällerischer Bürger, hat aber nichts Heroisches an sich. Frankreichs Genius Hai cs selbst in seinen besten Tagen in keinem seiner Kinder, weder in Rousseau, noch in,Pascal, noch in Fenelon, zu einer so hohen Idee von Menschen würde gebracht, um hier erwähnt zu werden. In Deutschland sind die größten Schriftsteller noch zu neu, um sich zu einem Vergleich zu eignen, doch glauben wir beinahe, daß es auch ihnen mehr um die Kunst, als um das Leben zu lhun ist. Aber der Gedanke, ein reineres und schöneres Dascyn, als er um sich herum sah, in dem Leben und Verkehr der Menschen zu verwirklichen, der ist es, der jede Handlung und Schrift John Milton's durch drang. Es sey, meinte er, der Zweck aller Erziehung, „den Menschen so zu bilden, daß er sämmttiche Geschäfte des öffent lichen wie des Privatlebens, im Frieden wie im Äricgc, mit Geschick, Gerechtigkeit und edler Gesinnung erfüllen könne." Er erklärte, „Jeder, dem es darum zu chun sey, über schöne Dinge gut zu schreibe;;, müsse selbst ein Gedicht seyn, d. h. ein Bild und Muster der besten und ehrenhaftesten Dinge, und Keiner sollte cs wagen, das Lob von Helden oder berühmten Stadien zu singen, wenn er nichi in sich selbst die Erfahrung und Praxis alles Preiswürdigen habe." , Auch gicbt cs in der Likeraiur keinen edleren Plan einer weisen äußeren Erziehung, als den, welchen er, im 3üsten Jahre, in einem Briefe an Samuel Harilib ent warf. Die Muskeln, die Nerven, das Fleisch für diese Umrisse sind in seinen Werken zu suchen. Um diesen heroischen Typus an sich zu verwirklichen, halte Millon besondere Vorzüge. Seine Biographen sprechen von leib lichen und geistigen VoÜkommenhcüen, die, wenn uns die Be richte aus entfernteren Zeilen überliefert oder nicht von politischen Feinden Milion's bestätigt wären, uns berechtigen könnten, zu glauben, die Darstellungen seyen idealisch, wie Tenophon's Cyrus, Fenclon's Telcmach oder Lie Volkssagen von Alfred dem Großen. Sprüchwönlich schön, wie cr war, hieß er die Dame seines Kollegs. Aubrey sag« „Diese harmonische, cdle Seele wohnte in einem schöncn, wohlgebauten Körper." Seine Haltung und Manieren sprachen schon zu seinen Gunsten. Wood, sein poli tischer Gegner, erzählt, daß „sein Aeußeres freundlich, sein Gang gerade und männlich war und von Muth und Unerschrockenheit zeugte." Aubrey fügt cincn besonderen Zug hinzu, er habe