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1876. Schandau, Sonnabend, den 30. December 105. Di- „Sachs. Elb-Zeit»„g" erscheint Mittwoch und Sonnabend und. ist durch all- Postanstalten, sotvk durch di- Expedition dies. Vl. für t »b Inserate siir das Mittwochsblatt werden bis Dienstag früh 0 Uhr, fiir das SonnabendSblatt spätestens bis Frc.tag früh » spalten- Corpnszeilc oder deren Naum I» Pf., Inserate unter ü Zeilen werden mit 50 Pf. berechnet, (tabellarische oder complicirte nach Ucbereimunf.) Hb I , Moss., an in Hohnstein Herr Blirgermstr. Hesse, in Dresden und Leipzig die Annonccn-Bürcaus bon Haasenstein <L Bögler, W. Saalbach, ^nva c en— , Zäch stsche Glcheitung. Amts-und Anzeigeblatt für das König!. Gcrichtsamt nnd den Stadtrath zu Schandau und den StadtgcmeinderaH zn Hohnstein. Ks muß geschieden sein ES riß dir anö dcn Armen ein licbcö Kind dcr Tod, Die Freude deiner Tage, dcr Hoffnung Morgenroth — Da schluchzte auf dein Jammer: magst du mir, Golt, vcrzcchu, Zu schwer wird cs dem Herzen, cS muß geschieden sein." Noch klingt das Lied vom Scheiden ans jenem Windbergschacht, Darin viel rüstig Leben so grausig Schicht gemacht; Ium Abcndscgcn heute beim matten Lampcnschcm Weint dort wohl manches Ange: „eö mnß geschieden sein." Doch über allem Scheiden, vom Wechsel nicht umkreist, Nuft uns zn Trost und Frieden herab dcr gute Gcist: „Soll Ench dcr Morgen tagen, soll Wiedersehn crfrcnn, So mnß cö Abend werden, cS mnß geschieden sein." Die Blätter müssen welken, die Schwalben heimwärts zichu, Soll aus dcn Wintcrnächtcn dcr ncnc Lenz crblühn; Es mnß die Form zerfallen, zn ewig grünen Mai'n Führt mir dcr Tod daö Lcbcn, cö mnß gcschicdcn scm. Schon wieder einmal scheiden — des Jahres letzter Tag Zehrt mir noch wenig Stunden nm matten Pcudclschlag, Bald rnfcn ernster Stimme zur Mitternacht herein Des Jahres Sterbeglocken: „es muß geschieden sein." Wie oft ertönt im Lcbcn dcr Nuf an'ö arme Hcrz! Ist doch das ganze Lcbcn cin langer Trcnnungsschmerz, Nom Paradies der Wiege bis in des Grabes Schrein Geht uns dcr Nnf zur Scitc: „cs muß geschieden sein." Denkst du dcr schwcrcn Stundc, da du vom Vaterhaus Aus deinem stillen Frieden zogst in die Welt Hinans? Heiß flossen deine Thräncn, „du liebe Hcimalh mein," Nies noch dein letztes Winken, „cö muß gcschicdcu sein." Am Sarg dcr treuen Mnttcr, die dich so lieb gehabt, Mit ihrem Lcbcnöblntc getränkt dich nnd gelabt, Hat tief geseufzt dein Sehnen: „wie gern mcin Mütterlein, Hält' ich dich noch hicnicdcn, cö mnß gcschicdcn sein!" Drum laßt dic Jahre schwinden, cö schwind' auch dicscö Jahr, Daö Vielen, Vielen wieder cin Jahr dcr Thräncn war: Und kommt an nnö daö Scheiden, nun Vater, wir sind dein, Ob früher oder später — cö muß gcschicdcu sciu! o Rückblick auf 1876. Dcr Jahreswechsel ist ciu feierlicher ernster Au genblick, ernst für den Einzelne», ernst für Staaten und Völker. Klingt doch auch bcim Eintritt dcr zwölf ten Stunde durch dcn Shlvcstcrjnbcl, durch dcn wir uns über den Ernst dcr Stunde hinwcgzntäuschcn su chen, dic dcr Bedeutung dcr Stunde cntsprcchcudc feierliche Stimmung hindurch. Und wen» die anögc- lasscnc Fröhlichkeit des Shlvcstcrabcndö vcrrnnscht ist, dann hält ernste Sammlung, nicht immer frei von Sorge, aber mich selten ganz dcr Hoffnung baar, ih ren Einzug in die Gemüthcr. Wir ziehen das Facit des verflossenen Jahres nicht blos wirthschaftlich, sondern in allen Beziehungen, nach allen Richtungen; wir be reiten nuS vor auf dcn neuen Zeitabschnitt, in den wir cintrctcn; wir rüsten nnö, dcn Anfordcrungcn, welche daö ncnc Jahr an unsere Mittel nnd an Misere Kräfte stellt, zu begegne». Wir crmncr» »»ö dcr Lei dm dcr hi»tcr »nö licgmdc» Zcit mid r»fc» »»ö dank bar, waö sie nnö Gntcö gebracht, in'S Gedächtnis; zn rück; wir gedenken nuferer Jrrthümcr und Fehler und beherzigen die Lehren, welche die strenge Lehr meisterin Erfahrung nnö vornehmlich nnd oft genug sehr empfindlich gepredigt hat. Mit einem Worte: wir entwerfen nnö, ans dic Ergebnisse der Vergangen heit gestützt, einen Lcbcnöplau für dic nächste Zukunft. Und wie im Lcbcn dcö Einzelnen, so ist cS im Leben dcr Völker, im Leben dcr Menschheit. Was hat daö alte Jahr uns, unserem Vaterland gebracht? Welche Lehren können wir anö den Ereignissen ziehen, die im Laufe eines Jahres an nnö vorüber gegangen sind, au dcucu wir, sei cö leidend, sei cs handelnd, so nahe bcthciligt sind. Und wohl geziemt cs sich auch, bei dem bcvorstchcndcu Jahreswechsel nnS diese Frage ernstlich vorznlcgen. Berechtigt das alte Jahr unö, mit Vertrauen in dic Zukunft zu blickcu? Wir habcu wohl Ursache, diese Frage zu bejahe». Nicht als ob, wm» wir »»s dcr Ereignisse dcö ver gangenen Jahres erinnern, nnr freudige nud heitere Bilder vor unö anfsteigcn: im Gcgcnthcil, cö war ein Jahr voll Mühe und Arbeit, voll Aufregung und Sorgc. Wohl hat nnö Gott vor Krieg und schwe rem LandcSunglück bewahrt, aber Handel nnd Wan del stockten noch immer, dic innercn Feinde dcö Rei ches und unserer Kultnr — Ultramoutanismuö und Sozialismus — spähten nach jeder günstigen Gele genheit ihre Giftsaat anöznstreuen. Aber trotzdem stand dic Entwickclnug dcö dcntschcn Gcsammtvater- landcs kcincn Augenblick still, vielmehr wnrdc noch in der letzte» Session des Reichstages dem nationalen Eiuhcitöbau durch die Justizrcform cin letzter Eck- und Grundstein ciugcfügt. Durch dic stattgchabtc Verabschiedung dcr Jnstizgcsctze sagte Kaiser Wilhelm in seiner letzten Thronrede, ist dic Sicherheit gegeben, daß in naher Znknnft die Rechtspflege in ganz Deutsch land nach gleichen Normen gehandhabt, daß vor al len dcntschcn Gerichten nach denselben Vorschriften verfahren werden wird. Wir sind dadurch dem Ziele der nationale» Rcchtscmhcit wesentlich näher gerückt. Dic gcmcinsamc Rcchtöcntwickclnng aber wird in dcr Nation daö Bewußtsein dcr Znsammcngchörigkcit stärken nnd in dcr politischen Einheit Dentschlaiids einen inneren Halt geben, wie ihn keine frühere Pe riode nnscrcr Geschichte aufwcist. — Und so geht denn nntcr dcö dcntschcn Kaisers starkem nnd gerechtem Regiment, dem Dcntschlandö Fürsten und Völker in Einigkeit und Treue verbunden sind, unser Vater land einem nencn Jahre der Arbeit und dcö Scgcnö entgegen — Gott verleihe, auch einem Jahre des Friedens im Innern wie nach Außen! Nichten wir unsern Blick, soweit eö dcr knapp be messene Nanin gestattet, auf die übrigen Staaten Eu ropas, so tritt uuö iu Oesterreich zunächst die Er scheinung cntgcgcn, daß infolge der Nationalitäts- Verschiedenheiten dic inneren Verhältnisse schwieriger sind, als in irgend einem andern Staate dcr Welt. Namentlich tobt im Augenblick cin Kampf der Gei ster, wegen des Ausgleichs mit Ungarn, dessen Ende noch nicht abznsehcu ist. Möglich, daß dcr jetzt herr schende Dualiömnö iu einer Personal-Union anfgeht. Ucberdics wird dcr benachbarte Kaiscrstaat durch den Kriegölürm au seinen Grenzen in einer fortwähren den fieberhaft erregten Spannung gehalten, so daß alle inneren Ncformfragcn zurück gestellt sind. Daö Königreich Italien hat mit seiner inneren Organisation zn viel zu thnn, nm nach außen hin irgendwie sich bemerklich zu machen. Trotzdem die letzten Parlamcntswahlen sehr freisinnig ausgefallen sind, laborirt das Land noch zu sehr au den Folgen früherer Mißwirthschaften, nntcr denen die päpstliche nicht dic geringste war. Dic Schnlbildung ist arg vernachlässigt, dafür das Räuber- und Banditenwesen um so ausgebildeter. Man kann auch nicht verlan gen, die traurigen Konsequenzen früherer, Jahrhun derte hindurch ctablirtcr Mißrcgicrungen in der kur zen Spanne Zcit weggcwischt zu schcn, in dcr Italic» zu nationaler Einheit gelangte. Frankreich mußte sich dcr auswärtige» Politik enthalte» »nd ist auch mit den inneren Vcrfassungs- fragcn vollauf beschäftigt. Aber trotz allem Hader dcr Parteien ist man einig, sobald die Armee zur Sprache kommt. Sic auszurüstcn, daß sie bald schlag fertig für deu Revanche-Krieg werde, dafür opfert der Franzose Alles, was man nnr von ihm verlangen mag. Anch wandelte sich in diesem Jahre die alte anö dcr KricgSzcit stammcndc Nntional-Vcrsammlnng in eine durch zwei Häuser reprüscutirtc Volksvertret ung nm. Dic Ncuwahtcn fielen im republikanischen Sinne aus, doch ist dcr Senat bereits ciu Rüstzeug der Ncactiou geworden, an dem alle Ncformpläne dcr Dcpntirtenkammcr, namentlich ans kirchlichem Gebiete, zu scheitern drohen. England trat anö seiner politischen Zurückgezo genheit infolge dcr türkischen Wirren mehr nnd mehr hervor. Der Ankauf der cghptischcn Suczkaual-Actieu war gewissermaßen das Entree seiner oppositionellen Haltung. Es fühlte sich verletzt, daß cö nicht zur Dreikaiscr-Confcrcnz in Berlin hinzugczogcn wurde. Die iu der Confcrcuz gefaßten Beschlüsse lehnte cö ab nnd opcrirtc nnf eigene Hand am Bosporus. Allein dic Haltung des englischen Volkes, welche in folge der bulgarischen Grenclthaten sehr antitürkisch geworden, veranlaßte das Kabinct zum Eiulcuken und nnf diese Weise ist wenigstens dic Möglichkeit gegeben, daß der jedenfalls bevorstehende orientnlische Krieg nnf Nußlnnd und die Türkei beschränkt werden dürfte. Fern im Süd das schöne Spanien hatte im Fe bruar das Glück, vom Karlisteuaufstnude erlöst zu werde». Don Carlos entzog sich dein Arm der Ge rechtigkeit dnrch dic Flucht. Dic mit den Cortes ver einbarte neue Verfassung nahm dcn baskischen Provinzen ihre Sonderrechte, gewährte anch Nichtkntholikcn Glau bens- nnd Religionsfreiheit, aber gerade in diesem Punkte sind die Vcrfnsfnngsbcstimmnngen so elastisch, daß von einer wirklichen Freiheit der nnßerkntholischcu Kulte keine Rede ist. Rußland entfaltete eine doppelte Thätigkcit nach Innen und Außen. Die seit dem Ncgicrnngöantrilt dcö jetzigen Czarcn auf allen Gebieten dcr staatlichen Verwaltung eiugcführtcu Reformen wurden trotz dcr altrnssischen Opposition weiter gefördert, wenn anch von einem Abschluß derselbe» »och la»ge «icht die Rede sein kann. Nach Außen drang Rußland weiter