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ZllMlniM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tags nach Sonn- und Festtagen. Beiträge find erwünscht und werden eventuell honorir.. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und aldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 80 Pf. Alle Postanfialten, die Expedition und die Lolporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Dienstag, den 5. August 1884. «Waldenburg, 4. August 1884. Es ist schon viel über agitalorische Handelskammer berichte geschrieben und gesprochen worden; überein neues Beispiel wird dem „Deutschen Tagebl." aus Chemnitz Folgendes berichtet: Eine weitgehende Harmlosigkeit hat die hiesige Handelskammer an den Tag gelegt. Sie fühlte das Bedürfniß, ihrem Sekretär eine jüngere Kraft an die Seite zu stellen und wählte für die neu ge gründete Stelle, obgleich ihr Präsidium und eine Anzahl hervorragender Mitglieder völlig auf dem Boden unserer nationalen Wirthschaftspolitik stehen, dennoch durch irgend welche Einflüsse bestimmt, einen Herrn Fränkel, dessen Name schon sagt, nach welcher Seite seine Sympathien neigen, dessen fortschrittliche Agitation in Volksversammlungen seine politische Richtung hinlänglich klargelegt hatte und dessen frei händlerische Doktrinen nicht für eine Industriestadt paffen, in welcher wichtige Industriezweige dem Schutzzoll ihre Blüthe verdanken. Man glaubte mit gewissen Directiven und Vermahnungen sich hin länglich dagegen geschützt zu haben, daß den von dem Sekretariat der Kammer ausgehenden Veröffent lichungen der Stempel desjenigen Geistes ausgeprägt werde, als dessen Kind Herr Fränkel bis dahin sich gerirl hatte. Allein an allen Ecken und Enden des soeben veröffentlichten Jahresberichtes unserer Han dels- und Gewerbekammer lugt dieser Geist hervor. Wunderliche Dinge finden sich da auf dem gedul digen Papier, denen man aber leider auch in man chen anveren deutschen Handelskammerberichten,welche freihändlerischen Interessen dienen sollen, noch immer in ähnlicher Weise begegnet und welche daher eine Beleuchtung an dieser Stelle wohl verdienen dürften. In der Spielwaarenfabrikation haben sich die Arbeitslöhne nicht gebessert. Warum? Der Bericht giebt auf diese zudringliche Frage die schnell bereite Antwort: „Zum Theil trägt die Zollpolitik des Deutschen Reiches, welche durch die Erhöhung der Eingangszölle unsere früheren Absatzgebiete zu gleichen Maßregeln gezwungen hat, theils auch die geringe geistige Regsamkeit eines großen Theiles der Ar beiter die Schuld." Als die gegenwärtigen Absatz gebiete dieser Industrie werden bezeichnet: vor allen Deutschland, sodann als ein Hauptabsatzgebiet Eng land und seine Kolonien, weiter Holland und Bel gien, Scandinavien, die Schweiz, Frankreich und Algier, Italien, Spanien und Portugal, Amerika, Australien. Wo mögen also die „früheren" Absatz gebiete liegen, welche durch die deutschen Zoll erhöhungen verloren gegangen sein sollen? Es scheint auf Rußland und auf Italien hingedeutet zu werden und nach diesen Ländern ist der Absatz, wie der Bericht sagt, in der That wegen der von denselben beliebten Zollerhöhungen „erschwert" und, was Rußland betriff», „nur noch gering." Nun, den neuen Handelsvertrag mit Italien rühmt die sehr freihändlerische Leipziger Handelskammer in ihrem Berichte als eine „günstige Wendung" und, was das russische Reich betrifft, — will uns die Chemnitzer Handelskammer wirklich glauben machen, Rußland sei durch die Erhöhung unserer EingangS- zölle zu gleichen Maßregeln gezwungen worden? Weiß die Kammer oder deren Berichterstatter nichts davon, daß Rußland alle ausländischen Waaren schon seit lange mit sehr hohen Eingangszöllen be legte? daß es bereits seit dem I. Januar 1877 durch die vorgeschriebene Zahlung in Gold die fremden Waaren wieder höher belastete und man diese Zoll erhöhung auf 30 pCl. de« Werthes schätzte? daß diese russische Zollerhöhung während der Herrschaft der Freihandelspartei in Deutschland erfolgte, und daß sie viel bedeutender war als die letzte Erhöhung der russischen Eingangszölle um 10 pCt.? Und wie reimt es sich zusammen, daß Deutschland und Eng land als die Hauptabsatzgebiele bezeichnet werden und eine Seite weiter unten die deutschen Zölle daran schuld sein sollen, daß die Fabrikanten keine höheren Löhne bewilligen können? Hatte man bereits wieder vergessen, daß man als Hauptabsatzgebiete Länder bezeichnet hatte, nach welchen die Waare zollfrei geht? Es ist schon länger ein beliebtes Thema solcher Handelskammerberichte, die zu Gunsten irgend wel cher Specialintereffen agitatorisch gehalten sind, über die unheilvolle Wirkung zu klagen, welche die deutschen Zölle auf Zollerhöhungen im Auslande angeblich geübt haben, und doch stehen diese Klagen im vollen Widerspruch mit der, jedem, der die Ge schichte der letzten Jahrzehnte kennt, geläufigen That- sache, daß während der Herrschaft der Freihandels partei in Deutschland, von 1865—1869, alle großen Staaten ihre Zölle viel mehr erhöht haben, als seit Einführung des gemäßigten Schutzzollsystems imJahre 1879 bei uns geschehen. Gerade ein Jahr nach den deutschen Zoller- mäßigungen des Jahres 1865 führten die Vereinig ten Staaten von Nordamerika außerordentlich hohe Zölle, fast Prohibitivzölle, ein, und diese Zoller höhungen haben dem deutschen Handel am meisten geschadet. In Frankreich waren die Zollsätze immer höher, als im Deutschen Reiche, aber trotzdem wurde 1877 dort den Kammern ein neuer Gesetzentwurf zur Erhöhung der Zölle vorgelegt. Oesterreich setzte durch den Zolltarif von 1878 (bereits 1877 vorge legt) höhere Eingangszölle für die meisten fremden Waaren fest und verlangte Zahlung der Zölle in Gold, was einer Erhöhung von 15 pCt. gleichkam. Die Maßregeln waren viel belastender für die ein geführten Waaren, als die neuerdings 1882 dort eingeführten Zollerhöhung. Mit derselben Logik, mit welcher obligatorische Handelskammerberichte heule sagen: „Rußland hat auf unseren Zolltarif mit Repressalien geantwortet", könnten wir und zwar mit mehr Recht behaupten: „Auf unsere Zollermäßigungen 1865—1879 hat das Ausland mit den stärksten Zollerhöhungen ge antwortet!" Aber solche Folgerungen ziehen wir nicht. Die Wahrheit ist ja, daß jene Staaten die glänzenden Erfolge der Schutzzollpolitik in Frankreich und Nordamerika sahen und dem Rückgang ihrer Industrie durch die englisch« Concurrenz Einhalt thun wollten. Daß die hohen Zolltarife des Auslandes unsere Industrie und unseren Handel schädigen, das wird Niemand bezweifeln. Aber Deutschland hat jetzt in seinem Zolltarife von 1879 eine mächtige Waffe in der Hand, um bei sich bietenden Gelegenheiten Zoll- ermäßigungen des Auslandes zu erwirken, während es unter der Herrschaft des Freihändlerthums wehr los war und die Rechte, die es theuer verkaufen konnte, zum schweren und heute noch fühlbaren Schaden seines arbeitenden Volkes leichthin an das Ausland verschenkte. Diese Verhältnisse müßte sich derjenige, welchem über die wirthschaftliche Lage eines wichtigen Jn- dustriebezirkes zu berichten obliegt, gegenwärtig hal ten, anstatt für das Ausland insofern Partei zu nehmen, als er in gänzlich ungerechtfertigter Weise von einem „Zwange" spricht, durch den das Deutsche Reich das Ausland zu Zollerhöhungen genöthigt habe. Die ganz natürliche Folge solcher schiefen Darstel lungen wird sein, daß sich der Unmuth der Arbeiter" über versagte Lohnerhöhungen gegen das Reich und dessen Negierung kehrt. Das aber kann doch un möglich die beabsichtigte Wirkung sein? Will man solchen bösen Schein vermeiden, dann müssen auch so ungeheuerliche Behauptungen, wie die in demselben Berichte auf Seite 166 f. sich fin dende unterbleiben. Dort wird nämlich gesagt, die Arbeitgeber in der Tapetenfabrikation hätten wegen ihres niedrigen Geschäflsgewinnes ihrerseits die Löhne nicht erhöhen können. Dagegen sei eine Beseitigung der Zölle auf nothwendige Lebensbedürfnisse geboten, weil der Arbeiter gegenwärtig „durch unverhältniß- mäßig großen Verbrauch an Brod, Salz u. s. w. mehr indirecte Steuern zahlen müßte, wie Jemand, der zufolge größeren Einkommens mehr Fleisch u. dergl. zu seiner Ernährung verbraucht." Man er staunt, derartige Angaben, wie die, daß der Brod- consument als solcher stärker belastet sei, wie der Fleischronsument, in einem Handelskammerbericht zu finden. Der Verfasser scheint keine Ahnung davon zu haben, wie hoch eigentlich hier zu Lande und hiesigen Ortes das Fleisch besteuert ist. Rechnet er, daß der Brodconsument den ganzen Eingangszoll für Roggen von 50 Pf. auf den Centner, also '/r Pfg. auf das Pfd. trage, so muß er auch den Eingangs zoll für Vieh dem Fleischconsumenten zur Last rechnen. Nun zahlen aber Ochsen (deren Fleisch vorwiegend den besser Situirten zu gute geht), pro Stück 20 Mk. Zoll und außerdem hier 21 Mk. sächs. Schlachtsteuer, ungerechnet die städt. Gebühren bei Be nutzung des Schlachthofes. Es entfallen mithin auf das Pfund Schlachtgewicht durchschnittlich etwa 6 Pfennig indirecte Abgaben oder zwölfmal so viel als auf das Pfund Brod. Selbst wenn der Arbeiter, um die Sättigung durch ein Pfund Ochsenfleisch auszugleichen, das Zehnfache an Brod, also 10 Pfund Brod (!) consumiren müßte, würde er dabei immer noch erheblich weniger indirecte Steuern auf sich nehmen, als der Fleischconsument, vorausgesetzt, daß die indirecte Abgabe überhaupt auf ihn hat ab gewälzt werden können. Und doch muß man in einem Handelsberichte lesen, der Fleischconsument zahle als solcher weniger indirecte Steuer als der Brodconsument? Welche Wirkung muß und wird bei der großen Publicität unserer Handelskammer berichte eine solche, in hiiasi amtlicher Form vor getragene entstellende Darstellung auf eine Arbeiter bevölkerung äußern? Dringend wünschenswerth ist, daß die Berichter statter unserer Handelskammer dem lobenswerthen Beispiel der Plauener Kammer folgen und die Resul tate der Einkommensteuer-Einschätzungen aus den einzelnen Jndustrieorten veröffentlichen. An ihnen hat man einen sichereren Maßstab für den Stand der dort vorherrschenden Gewerbe, als an den subjectio gefärbten Betrachtungen und dem vielen Hin- und Herreden der jetzt üblichen Berichterstattung. «Waldenburg, 4. August 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Aus Gastein liegen wieder eine Reihe von Tele grammen vor, aus denen vor Allem ersichtlich ist, daß das Wohlbefinden des Kaisers sich von Tag zu Tag bessert. Besonders erwähnenswerth ist, daß der Kaiser sich wiederholt und eifrig bei den von seiner Umgebung arrangirten Kegelschieben betheiligt hat, bei seinem Alter eine immerhin außerordentliche Thatsache. Am Sonntag früh machte der Kaiser in Gastein eine Promenade und wohnte sodann dem Gottesdienst in der evangelischen Kirche bei. Da« Wetter ist schön. Die Kaiserin Augusta ist von der Insel Mainau in Homburg eingetroffen. Von dort erfolgt die Rückreise nach Potsdam. Fürst Bismarck wird sich, wie der Magdeb. Ztg. von Berlin gemeldet wird, wahrscheinlich entschließen müssen, noch im Laufe dieses Monats nach Gastein zn gehen, da vr. Schwenninger darauf bestehen