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Bedenklich ist die abermalige Zu nahme der socialdemokratischen Stimmen, die z. B. in Berlin sich von 31,445 im vorigen Jahre auf 56,251 bei dieser Wahl vermehrt haben. Von etwa 200,000 Wahlberechtigten der Reichs hauptstadt ist also über ein Viertel focialistisch gesinnt. In Sachsen haben die Socialdemokra ten mehrere ihrer Hauptbollwerke, und zwar Leipzig-Land, Chemnitz und Zwickau eingebüßt, während sie einen neuen, Dresden-Neustadt er rungen haben. Die Wahl Bebels in Dresden bei der vorzunehmenden Stichwahl ist noch frag lich und so hätten wir, falls er da nicht durch kommt, das Schauspiel, daß einer der socialisti- schen Hauptagitatoren trotz seiner vielfachen Auf stellungen nicht im Reichstage sitzen wird. Höchst wahrscheinlich wird er sich aber an Stelle Lieb knechts, der in Dresden und Stollberg durchge kommen ist, in einem dieser beiden Wahlkreise wieder aufstellen lassen. — Wie die Majorität des neuen Reichstages sich zur Regierung stellen wird, ist noch ungewiß; es läßt sich deshalb noch nicht sagen, ob sie zur Durchführung der mannich- fachen unabweisbar gewordenen Reformen auf socialem und wirthschaftlichem Gebiete sowie zu wirksamer Bekämpfung der Socialdemokratie die Hand bieten wird. Die „N. Pr. Ztg." constatirt, daß alle Nach richten aus Teplitz darin übereinstimmen, daß Fcmllets». Unpolitische Plauder-Ecke. Endlich ist wieder einigermaßen Ruhe im lie ben deutschen Reiche eingetreten. Jede Zeitung, die man zur Hand nahm: Wahlgeschichten; an jedem Tische, an dem sonst in gemüthlicher Weise geplaudert wurde: Wahlgespräche; ja selbst zu Hause, wo sich's Gespräch in der Regel nur um die Butter dreht, die schon wieder aufgeschla gen ist und bereits 6 Neugroschen kostet, oder die Kartoffeln, die Heuer so gut gerathen sind, oder um den Sommer, der dies Jahr so mise rabel ist, — auch zu Hause wurde nur über die Wahl gesprochen und sogar des Nachts hätte man von der Wahl träumen können, wenn man nicht darauf vergessen Hütte. Ja die Wahl spitzte die Parteileidenschaften in dem Maße zu, daß einige Socialdemokraten so- gnr das Ordnungswahlcomitee über die Klinge (ob's auf Messerklingen abgesehen war, konnte ich nicht in Erfahrung bringen) springen lassen wollten, wenn ihr Bracke nicht durchgekommen wäre. Nun, Bracke ist durch, und das Comitee ist noch einmal gerettet. Was hätte nicht für Unheil entstehen können, wenn wir nicht so klug Sonnabend, 3. August dem Kaiser Wilhelm dort ein Empfang zu Theil geworden ist, wie ihn Se. Majestät sich und das deutsche Volk seinem Kaiser bester nicht wünschen konnte. Nach dem „Berl. Tgbl." ist die Badecur und Diät des Kaisers am 31. Juli in Teplitz von dem dortigen Badearzte Geh. Rath Seiche in Gemeinschaft mit dem Leibarzt vr. v. Lauer geregelt worden. Der Kaiser badet im Herrenhause in achtundzwanziggradigem Ther- malwaster und wird später Moorbäder nehmen. Die in Prag erscheinende „Bohemia" meldet offiziös, daß der Kaiser von Oesterreich und der Kaiser von Rußland am 15. August nach Teplitz kommen werden, um mit dem Kaiser von Deutschland das zwischen ihnen bestehende Freund- schaftsbündniß zu erneuern. Die Bestätigung des Berliner Friedens vertrages ist, nach der Provinz.-Korr., von dem Kronprinzen Namens des deutschen Reiches voll zogen worden. Auch seitens der übrigen Groß mächte ist die Bestätigung bereits erfolgt, seitens der Türkei steht sie unmittelbar bevor. Die Aus wechselung der Ratifikations- (Bestätigungs-) Ur kunden wird zu dem im Vertrage vorgesehenen Termin am nächsten Sonnabend (3.) in Berlin stattfinden. Wie wir hören, hat sich der Czar in Rußland nur nach schweren Kämpfen entschlossen, dem Aktenstücke die Sanktion zu ertheilen. Einigermaßen überraschend ist die Mittheilung, daß der päpstliche Nuntius Masella sich von München nach Kisfingen begeben hat und wiederholt vom Reichskanzler empfangen worden ist. Diese Thatsache beweist, daß die Verständi gung mit Rom jetzt ernstlich betrieben wird. Der Papst hat das vom „Reichsanzeiger" ver öffentlichte Schreiben des Kronprinzen mit einer Zuschrift beantwortet, welche die allgemeinen Grundzüge eines moäus viveucli und Vorschäge für weitere Verhandlungen enthalten soll. Es verlautet, daß die kirchlichen Gesetze dabei zu nächst unangefochten bestehen bleiben würden, und gewesen wäreü, Bracke siegen zu lassen? An statt daß die Ordnung gesiegt hätte, wäre es möglicherweise erst recht zu einer gehörigen Un ordnung gekommen. Nur dadurch konnten wir wieder Ruhe und Frieden erlangen, daß 6000 Wähler zu Hause blieben, wodurch die Bracke- rianer mit leichter Mühe die Majorität erlangten. Warum soll man denn seinen Mitmenschen nicht auch eine kleine Freude bereiten? Uebrigens hätten sie ja auch in Glauchau ihre schon vor vier Wochen bestellte Siegesmusik wieder abbe stellen müssen, und das wäre doch wahrhaftig von den Liberalen nicht anständig gewesen, wenn sie so ein kleines unschuldiges Vergnügen hätten zu Wasser machen wollen. Hoffentlich werden die Herren Socialisten das nächste Mal richtige Socialisten geworden sein und uns dann das gleiche Recht einräumen, das sie seit Bestehen des Reichstages für sich regel mäßig in Anspruch genommen haben. Wie wär's, Ihr Herren, wenn wir uns dahin einigten, daß das eine Mal Ihr Euren Vertreter in den Reichstag schickt, während das andere Mal wir uns vertreten lassen? Es würde sich da immer blos um die Frage handeln: „Wer ist diesmal dran?" und die wäre bald entschieden. Keine Versammlungen wären zu besuchen, keine langen Wahlaufrufe zu lesen, man brauchte nicht 1878. daß vorläufig nur, wie schon bemerkt, die Be setzung der durch den Tod ihrer früheren Inhaber erledigten Bisthümer und der vakanten Pfarreien ins Auge gefaßt sei. Nicht ohne Bedeutung ist es, daß diese Verhandlungen gerade an dem Tage begonnen haben, an welchem das deutsche Volk zur Wahl einer neuen Vertretung an die Urne berufen worden. Für die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Oesterreich-Ungarn wegen Erneuerung des bestehenden, am 31. Dezember d. I. ablaufen den Handelsvertrags ist ein Termin noch nicht bestimmt; indessen werden die Verhandlungen spätestens im Herbst wieder in Gang kommen müssen, da die österreichische Regierung gelegent lich der Verhandlungen über die Verlängerung des bisherigen Vertrags bis Ende dieses Jahres erklärt hat, eine längere Dauer des Provisori ums würde für Oestereich-Ungarn unzulässig sein. Niemand anders als der bekannte Schriftsteller Berthold Auerbach soll der geistige Vater der „Wilhelmspende" gewesen sein. Er war es auch, der den überaus schwunghaften Aufruf verfaßt hat, und auf seinen Antrieb haben dann Graf Moltke und die zahlreichen übrigen Persönlichkeiten von Gewicht, deren Namen man unter dem Auf ruf lesen konnte, ihre Unterschrift unter den Auf ruf gesetzt. Ueber die Art und Weise der Ver wendung der „Wilhelmspende" hört man noch nichts. Von den am Sonnabend vom Zuchtpolizeige richte zu Elberfeld freigesprochenen sozialistischen Agitatoren Hasselmann, Schneist, Bastian und Wolferts sind die drei letztgenannten aus der Untersuchungshaft entlassen, Herr Hasselmann, der sozialistische Reichstagskandidat für Barmen- Elberfeld, ist auf den Antrag des Staatsanwalts, welcher gegen das ihn freifprechende Erkenntniß die Appellation anmeldete, wieder verhaftet und in den Untersuchungsarrest abgeführt worden. Wie der „Schwäbische Merkur" meldet, ist in zum Wahllocale zu laufen, überhaupt nichts, rein gar nichts wäre zu thun. Was würde da für eine Maste Geld und Zeit erspart, und das ist bei den jetzigen schlechten Zeiten von nicht zu unterschätzendem Vortheil. Sodann wäre eine derartige Eintheilung auch viel gerechter, während wir uns jetzt abmühen und abhetzen, damit wir ja die liberalen Stimmzettel unterbringen, und nachher das Zusehen haben, würden wir dann sicher sein, daß unsere staatsbürgerlichen Rechte ebenso gewahrt sind, wie sie Euch bisher leider auf unsere Kosten gewahrt blieben. Wir würden zwar dabei eine Zeit lang socialdemokratisch regiert, während Ihr Euch die nächste Periode das liberale Regiment gefallen lassen müßt, aber das muß mit in den Kauf genommen werden. Wie gesagt, das wäre das probateste Mittel, Jeder hätte sein Theil, Jeder wäre befriedigt. Zank und Streit würden aufhören, weil sich Kei ner zu beklagen hätte, und die ganze Wirthschaft mit den Wahlen würde beseitigt. Ich hoffe, daß mein Vorschlag in Erwägung gezogen und nach Gebühr gewürdigt werden wird. Doch da bin ich heute ins politische Gebiet hinein gerathen, das eigentlich keine Stelle hier finden sollte. Na, reden wir das nächste Mal von etwas Anderem. E. K.