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Nummer 103 — 25. Jahrgang -mal wöchentt. Bezugspreis für Juli 3.00 einschl. Beslestgrlo. Anzeigenpreise: Die Igrsp. Prlitzetir 30L, Siellengesuche 20 K. Dt« PetitreklamezeUr. 89 Milli, meler breit. 1 Offert«ngei»ühren für Selbstabholer 20 L. bei Uebersenüung Lurch Li« Post außerdem Portozulcklag, Einzel-Nr 10 Sonntags-Nr 18 veschäftlicher Teil: .1. Sillebrand in Dresden. SMlMe Freit«!,. 23. Juli c92> Im Fall« höherer Gewalt erlischt >«»« Berpflichtu, > aus Lieferung sowie Erfüllung o. AnzeigenauftrSg« u. Leistung o. Schadenersatz Für undeutl. u. d. Fen ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine V« antwortung Unverlangt eingesanLte u. m. Rückpori nickt versehene Manuskripte wers nickt aufbewahr Sprechstunüe der Redaktion 2—3 Uhr nachmittag« Hauptschriftleit.: Dr. Joseph Albert. DresoeG volrsmlung pelriva nen Uüle (Nükren v f^iersnick vresöen Lilinitrer Ltr. 46 stut 27479 tk««ck,ail»ftell», Truck nnd «Verla«! Laroma- Buchdruck»»! GmbH.. Drebden-A. l, PoUcriirake 17. geriiru' 2IVIL. PoINchecktonlo Drerden I«7st7 BonkkonI»! BaNenar s Krtatckie. T-»"»"- Für christliche Politik und Kultur :Uedaktio„ der LatNfilcheu ^olkSzettuug Lresden-NNk'adt 1. Polierstraffe 17 ^ernrn' 207111 >,n^ W12. Budapest <-on Rudolf Langhammer. Drei Brücken schlagen über den reißenden Strom. Sie verbinden eigentlich nur die Burg mit der Stadt. Das Regierungsviertel mit der regierten Hauptstadt. Wären die Brücken nicht, läge der Berg isoliert. Ab geschnitten. Wäre Kopf ohne Leib. Und die Hauptstadt wäre der Zentrale beraubt, die ihrem vorwärtsstreben den Rhythmus den Impuls gibt. Drei Brücken und drei Wahrzeichen. Gigantisch, aber doch schlank aufstrebend, ragen die Tore der einen Brücke in den beinahe südlich blauen Himmel. Im gewaltigen Bogen, ohne Stützpfei ler und Träger, schwingt die Brücke zum anderen Ufer und wird dort wieder aufgefangen. Stolzer und kühner Bau. Aehnlich der Magyarenart. Aehnlich dem toten, wilden Reitervolk, deren Nachkommen, hier, ihrer Art ein steinernes Denkmal für ein Jahrtausend setzten. 600 Meter weiter westlich greift der zweite Brücken- irrm über die Donau. Er schwingt nicht, sondern stößt über den Strom. Geradlinig, unaufhaltsam. Seine Wucht wird von zwei im Uferbett wurzelnden Pfeilern getragen. Ein ganz sanft geschwungener Vogen gibt der Brücke das architektonische Stadtbild. Vergleichbar mit dem heutigen Ungarn, der außerhalb der Stadt lebt, der der Scholle das Brot abringen muß, dessen Wohlstand Sie Viehherden sind. Kleine, zähe Gestalten, die fest- kalten, was sie haben. Deren Temperament von der rlrbeit gebrochen ist. die aber unbändigen nationalen haß gegen die nähren, die ihnen Land und Vieh ge kommen haben. Die letzte Brücke vermittelt zwischen dem ungeheu ren Schwung der Vergangenheit und der stoßenden Ge radlinigkeit der Gegenwart. Sucht einen einheitlichen Nenner. Der Architekt hat ihn gefunden. Er milderte den einen Bogen und bog die andere gerade. Der mo derne intellektuelle Ungar hat sich ähnlich geformt. Vor Radikalismus nach irgendeiner Seite bewahrt ihn die Vergangenheit. Vor Pessimismus die Gegenwart und Optimismus gibt ihm der südlich blaue Himmel Budapest baut auf, nicht nur Häuser, Fabriken, Industrien, nein auch Dinge, die im rein Menschlichen liegen. Etwas fällt dem Fremden sofort auf. Es steht mit unsichtbaren Lettern riesengroß über dem Häuser meer, klebt fest an jedem kleinen Laden, und ist in der Ministerstube genau so vorhanden, wie in der Hinter- hausmohnung des kleinen Arbeiters: Höflichkeit. Mehr als das: Hilfsbereitschaft. Niemand wird dem ortsun kundigen Fremden eine unliebenswürdige Antwort ge ben, noch ihn ohne Auskunft lassen. Musterhaft die Polizei, deren Uniformen so blau sind, wie die Wasser der Donau an schöneren Tagen, und deren weiße Glazehandschuhe so gar nicht zu dem kriegerischen Gerassel der langen Schleppsäbel passen. „Pardon, Herr Offizier, (sie sehen alle gleich schnei dig aus), wo geht es zur Ruda örsi ut?", wird der Un kundige sich an sie wenden. Aber nur zwei- bis dreimal, denn er bekommt immer dieselbe Antwort — keine. Ein straffes Zusammenzuckcn, Klappen der Hacken, die Hand legt sich grüßend an den Mützenrand, und der Mund formt: „Nix deutsch, mx deutsch." Denn Ungarn hat Nationalstolz, will eine eigene Nationalsprache. Träumt von einem großen unabhän gigen Ungarn und glaubt, daß es in absehbarer Zeit in die Verwirklichung hinüberdämmere. Der erste Schritt war die ungarische Amtssprache, der zweite das Fremdsprachenverbot für die Poli zei. In den Straßen, die die Zentrumsperipherie aus machen, liegt das Gros der Kaffeehäuser, die Kaffee- hazne. Sind meist nicht durch schmuche Aufmachung prädestiniert. Auch jazzt selten eine Niggerbande dort. Selbst in den Abendstunden nicht. Im Gegenteil. Die Cafös haben fast immer den Anstrich von Geschäfts räumen. An langen, blanken Holz- oder Marmortischen, auf unbekleidetem Fußboden, sitzen qualmend, den Hut in den Nacken geschoben, die Kaufleute und handeln. Handeln über drei, vier Tische. Handeln durch das ganze Lokal. Jonglieren kunstvoll mit Millionen und Milliön chen Kronen (Ungarn hat bekanntlich noch Inflations zahlen), handeln den Äormittag, den Nachmittag, den Abend, trinken in der Zeit eben einen Kaffee und gehen nachts müde nach Hause. Diese Ringcafes sind nur für anspruchlose Gäste. Solche, die schwarzen oder weißen Kaffee mit Brötchen haben wollen, und dann in Ruhe gelassen sein möchten. vWie lange? 3—4—5—6—9—12 Stunden." In die Preise ist die Sitzgebühr einkalkuliert. Denn der.Kellner muß doch auch leben, und 10 Prozent bei. Die Erregung -er Pariser Bevölkerung über Kerriok besseren Frankkurs Die »,Hoffnung" auf eine» Paris, 22. Juli. (Drahtber.) Las Kabinett Herriot ist zuriickgetreten, da es bei der gestrigen Abstimmung in der Kammer mit 237 gegen 290 Stimmen in der Minderheit geblieben ist. Der Präsident der Re publik hat dem Senator Poincare den Auftrag erteilt, die Re gierung zu bilden. Poincare hat den Auftrag angenom- m e n. Poincare will entsprechend de» Plänen, die er schon früher Briand vorlegte, ein Kabinett von nur 6 oder 7 Mitglie dern bilden. Poincare selbst wird voraussichtlich neben dem Präsidium das Kabinett des F i n a n z m i n i st e r i u m s über nehmen. Kurz nach Mitternacht hat Poincare vom Präsidenten der Republik den Auftrag zur Bildung der Regierung erhalten. Noch wahrend der Nacht hat er im Senatsgebäude mit Bar- thou, dem ehemaligen Handelsminisler Chaumet und Albert Sar- raut, dem französischen Botschafter in Angora, verhandelt, die er angeblich in sein Kabinett aufnehmcn will. Heute will Poincare mit Briand, Painleve und Bokanowski verhandeln. In der Kamn> er dürste eine Mehrheit für Poincare ge sichert sein durch die Aktion Franklin Bouillons, der, wie gemeldet, gestern in der Kammer eine Resolution zirku lieren ließ, die zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit aussordcrte. Diese Resolution wurde v o n 33V A b - geordneten unterMichnet und dem Präsidenten der Republik vorgelegt. Die schnelle Berufung Poincares dürfte nicht in letz ter Linie auf den Eindruck dieser Resolution zurückzuführen sein. Die Nachricht vom Sturze der Regierung Herriot hat keine besondere Ueberraschung hervorgerusen. Die Pariser Presse nimmt den Sturz Herriots und die Berufung Poincares im all gemeine» als eine S e l b st v e r st ü nd l i ch k e i t hin. Die sran- zösische Oessentlichkeit suhlt sich >m allgemeinen durchaus e r - leichtert und hofft vor allem aus eine starke Besserung des Frankenkurses. Im allgemeinen geht der Eindruck dahin, daß mit der Berufung Poincares die politische Krise ihrem Ende entgcgcngcsührt wird. Von der gesamten Presse wird das Kabinett Poincare begrüßt Eine Ausnahme machen nur einige Linksblätter, wie das „Oeuvre", das ein elftes Kabinett Briand wünscht und der „Quotidien", der Herriot den Dank der Demokratie ausspricht. Ob es der Regierung Poincare gelingen wir-, eine neue Inflation zu vermeiden, bleibt fraglich, da man den Bedarf des Staates für die nächste Zeit aus etwa 6 Milliarden Franken schätzt. Die 30 Millionen Dollar der Morgan-Anleihe sind dem nach vollkommen ungenügend. Die Finanzfchwierigkciten sind geeignet, auch ein Kabinett Poincare von vornherein auf das schwierigste zu gefährden. Man nimmt an. daß Poincare als erste Negierungsmaßnahme die sofortige Einziehung der Hälfte der Steuern für 1928 verfügen wird. Der Reffverbrauch -er Morgan-Anleihe Paris, 22. Juli. (Drahtber.) Nach dem Sturze der Negierung Herriot hat die Sitzung der Kammer noch kein Ende gefunden. Finanzminister d e M onzie kehrte nach der Demission in die Kammer zurück und beantragte die Beratung eines Vorschlages über die Verwertung des Restbestandes der Morgan-Anleihe. Der Gesetzes antrag wurde in der Sitzung der Kammer, die 11,30 Uhr nachts begann, angenommen und ging dann dem Senat zu. der um 2 Uhr nachts erneut zusammenlrat. Die Finanzkommission der Kammer hatte den Gesetzentwurf dahin abgeändert, daß der Be trag der Vorschüsse so verwendet werden soll, daß gleichzeitig die Borschußrente der Bank von Frankreich an den Staat erhöht wird. Der Senat nahm ebenfalls die Vorlage in dieser Form an. Wie Kerriol gestürzt wurde Die entscheidende Kammcrsitzung Paris, 22. Juli. Die gestrige Sitzung der Kammer wurde mit einer kurzen Regierungserklärung cingelcitet, die Herriot verlas: Unser Programm gründet sich auf die Ueberzeugung, daß das Land sich selbst retten muß. Frankreich gedenkt, die Schuld, die es zur Verteidigung der Freiheit eingegangen ist, in einem Maße und in einer Form zu bezahlen, daß es sicher ist, die Verpflichtungen, die es übernehmen wird, halten zu können. Wir weigern uns un ter allen Umständen, die Grenze des Notenumlaufes zu erweitern. Unser Ziel ist die Stabilisierung der Währung. Aber wir wollen diese Leistung nicht mit auswärtiger Hilfe allein vollbringen^ Die Devisen, die sich außerhalb Frankreichs in französischem Besitz befinden, müssen zurückgeschafft iverden. Wir haben für diese höchst dringliche Aufgabe eine republikanische Eini gung zusammengebracht, soweit dies bei den Spaltungen, diq ein unmöglich beizubehaltendcs Wahlsystem gesäMfen hat, an-, gängig war. Erklären Sie sofort, ob Sie eine andere Mehrheit für eine andere Formel haben. Nach Herriot sprachen der Kommunist Lach in und der Ra« dikale Vorel, die beide Interpellationen über die Finanzlage! begründeten. — Ihnen antwortete Finanzminister d e M onzie ^ „Die Negierung wird dem Parlament die volle Wahrheit sagen. Als ich mit Herriot die Lage besprach, hat der dem Staat bei der Bank von Frankreich zur Bersügung stehende Betrag noch 233 Millionen Franken betragen. Heute beläuft er sich auf nicht mehr als 80 Millionen Franken. Heute vormittag hat der Gouver neur der Bank von Frankreich an den Finanzministcr einer neuen Brief gerichtet, in dem er mittcilt, daß der Spielraum der Bank von Frankreich nur noch unzureichend sei und sie davor stehe, ihre Zahlungen einstellcn zu müssen. Um die Krise des Schatzamtes zu beseitigen, gibt cs drei Lösungen. Man kann die Amortisierungcn einstellcn, maiz kann die direkten Steuern für 1926, die noch nicht eingcgangcir sind, diskontieren, man kann aber auch brüsk und sofort Kon/ solidicren, was natürlich im ganzen Lande eine Panik hervor» rufen würde. Hierzu habe ich mich nicht entschließen können. Ich habe vielmehr beschlossen, der Kammer einen Gesetzentwurf varzulegcn, durch den die Devisen des Schatzamts wieder der Bank von Frankreich zurückgegcben werden sollen. Auf jeden Fall muß der Staatsbank die Möglichkeit gegeben werden, deN Rest der Morgan-Anleihe auszuwcrten, damit die Bank nicht gezwungen ist, ihre Pforten zu schließen". Der Radikale Cazal brachte daraus einen Vcrtrauens- antrag für die Regierung ei». Franklin Bouillon lder dev Rechten angehörts erklärte darauf, daß er und seine Freunde ge gen diesen Antrag stimmen würden. Diese Erklärung, die den» Sturz des Kabinetts ankiindigte, erregte Sensation im ganzen- Hause. Herriot erhob sich sofort und stellte die Vertrauensfrage^ Bei der Abstimmung gaben nur die Sozialisten und ein Teil dev Radikalen ihre Stimmen für das Kabinett ab Die Rechte und hie Kommunisten stimmten gegen die Regierung, auch bei den' Mittelparteien überwogen die Nein-Stimmen. Das Abstimmungsergebnis wurde von der Linken mit Hoch, rufen auf Herriot. von der Rechten mit Hochrufen auf Franklin! Bouillon ausgenommen. — Auf dem Platze vor dem, Palais Bourbon (in dem die Kammer tagis halte sich, eine große Menschenmenge angesammclt. Das Ab'timmungs^ ergebnis wurde von ihr mit lauten Bravorufen begrüßt. Herriob und seine Kollegen verließen die Kammer durch eine Seitentür.! Maginot und Franklin Bouillon wurden von der Menge mit begeisterten Rufen empfangen und zu ihren Autos begleitet. — Auch vor dem Elysee wurde eine Kundgebung veranstaltet und als Herriot erschien, um seinen Rücktritt einzureichcn, ertönten^ laute Pfuirufe. (Das Elysee ist der Amtssitz des Präsidenten der Republik.) Bei den Demoiistrationen vor dem tstalais Bourbon kam cs wiederholt zu Tütlichkeite n. Der kommunistische Abgeord nete C ach in. wurde bis zur Untergrundbahn verfolgt. Der kom munistische Abgeordnete Couturier erhielt einen Stockhieb über den Kopf. Die Insassen eines vorübcrkomincndcn mit Fremden besetzten Autos wurden ebenfalls mit Schlägen bedroht Gegen 11 Uhr wurde der Platz von der Polizei gesäubert, wotzel mehrere Verhaftungen vorgenommen wurden. Die Wirkung in Neuyork Neuqork, 22. Juli (Drahtb.) Anläßlich der Gerüchte, daß die Bank von Frankreich möglicherweise infolge der Erreichung der gesetzlichen Höchst grenze ihres Notenumlaufs zur zeitweiligen Einstellung ihrer Zahlungen gezwungen werden könnte, sand ein Kurssturz um 2 bis 8 Punkte statt. Der französische Frank büßte die Hälfte seines Tagcsgewinncs von 20 Punkten ei». London, 22. Juli. Reuter veröffentlicht ei» Stim mungsbild aus Neuyork. worin ausgesührt wird: Die Aufmerksamkeit der Oessentlichkeit konzentriert sich auf die Vorgänge in Eurozm, besonders in Frankreich. Das Gefühl herrsche vor, daß Frankreich seine Einwohner nicht besteuern wolle, um das zu beschaffen, was es von rechtswcgen den Per» einigten Staaten schulde. Je länger diese Schuldcnregclun/ aufgeschoben werde, desto intensiver werde dieses Gefühl Die heulige Kiirsbesserung in London Berlin. 22. Kuli. Um 10 30 Uhr notierte an der Londvncr Borbörse der französische Kranken 21:1,5 gegen 224,5 gestern abend, der belgische Kranke» 208 gegen 214. bei zehn Kaffeetassendauergästen wäre ein bißchen wenig. Der Unkundige, der sich verirrt, muß halt auch blechen. Es gibt aber auch wirkliche Caps. Mit Zigcuner- musik, gut aussehenden Frauen, lauer Luft, Parfüm geruch und Zypressenduft. Da ist es herrlich, beinah' so, wie draußen im schönen Ungarland. » Wer kennt nicht die Bilder vom ungarischen Zi geunergeiger, wie er in wildem Schwung den Bogen über die Saiten führt. Das Gesicht verzerrt, in jeder Fiber mitlebend, sowohl bei dem lodernden Rhythmus des ungarischen Pußtaliedcs, wie bei dem schwermütigen Zigeunerlied, das die Heimatlosigkeit des Nomadenvol kes beklagt. „Versunken, vergessen", die Romantik des fahrenden Musikervolkes, die ehedem die Magyarenstadt umspann, ist verschwunden. Dafür spielt auf den Stra- ßen der — Leierkastenmann. Nicht so wild, nicht mit so überschäumender Lebenskraft, nein ganz gemächlich, wie jemand, der die Drehkraft seines Bizeps aus acht