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chinüniM TliaMll und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 3« Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Lolporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 1V Pi, unter Eingesandt 20 Pf. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten sür die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. —— Sonnabend, de» 28. August 188». *Waldenburg, 27. August 1880. Gewitterwolken? Der Fürst Bismark ist unvermutet vergangene Nacht von Kissingen kommend in Berlin wieder ein getroffen, nachdem mehrseitig gesprochen worden war, daß er sich von Kissingen nach Gastein begeben und dort in erneute Verhandlung mit einem päpst lichen Delegirten behufs Beilegung des Kirchenstrei tes treten werde. Ob diese plötzliche Rückkehr mit der orientalischen Lage zusammenhängt, die durch die Verzettelung der Lösung in der montenegrini schen und griechischen Frage wieder verwickelter denn je geworden ist, wer weiß es? Möglich ist es allerdings. Es wird nachgerade zur Gewißheit, daß die Pforte die im Berliner Vertrage eingegangencn Verpflich tungen gar nicht zu erfüllen gedenkt, denn Zeit genug ist ihr gelassen worden, daß sie sich wenigstens mit Montenegro auseinander gesetzt haben könnte, und der neuerliche Einwand der Pforte, daß ihre Truppen in Albanien nicht genügten, um die Abtretung von Dulcigno zu ermöglichen, ist wenig stichhaltig, denn das mußte sie früher wissen und die nothwendigen Truppen zur Verfügung stellen. Die Geduld der Mächte scheint nunmehr auch er schöpft zu sein, denn dieselben sind jetzt wieder in Unterhandlungen wegen der Flottendemonstration getreten. Als eventuelle Sammelorte der Kriegs schiffe werden Ragusa und Palermo, als Comman- deur wird der britische Admiral Seymour genannt. Währenddessen nehmen die bulgarisch-russischen Rüstungen an der Donau ganz ungeahnte Verhält nisse an Bereits sind die Meldungen über ver- eimelte Waffentransporte, die in Rustschuk und Sitistria ans Land gesetzt wurden, weit überholt und es handelt sich schon um Herstellung förmlicher Waffendepots zu Kriegszwecken. Man schreibt der „Pol. Corr." darüber aus Sofia: Es ist durchaus nicht übertrieben, wenn man annimmt, daß in den lebten vier Wochen über Silistria, Rustschuk und Varna 44 Geschütze, 18,000 Gewehre, 6250 Revolver, 640 Säbel, mehr als 1000 Kisten Munition und große Quantitäten Pulver nach Bul garien importirt wurden, und zwar, wie man gleich hinzufügen muß, aus Akkjerman, Kilia, Odessa und Nikolajew. Daß der größte Theil dieser Kriegs materialien ans russische» Schiffen befördert wurde, ist gewiß kein Umstand, der die Tragweite und Be deutsamkeit der Thatsache zu verringern geeignet ist. Es wird sogar in positiver Weise behauptet, daß neben diesem Import von Waffen und Munition auch der von Mannschaft einherlief, die unverzüglich nach Schumla befördert worden wäre. Schlimmstenfalls angenommen, die fortgesetzte Weigerung der Pforte, den Berliner Vertrag zu erfüllen, könnte eine militärische Einmischung der Mächte Hervorrufen, wollen wir nachstehend die Stel lung der europäischen Mächte zu einander einer Erörterung unterziehen. Frankreich, das sich erst kürzlich noch für Griechen land so gewaltig ins Zeug legte, daß man glaubte, es wolle den Hellenen "ganz allein die Kastanien aus dem Feuer holen, hat sich die Sache anders überlegt ist jetzt offenbar der Meinung, daß seine Macht für andere Dinge aufgespart bleiben müsse, m Beziehung allerdings auch der Einfluß Nnsr vielleicht mit maßgebend gewesen ist. Für wäre in diesem Augenblicke so viel gewon- sonb? - inseitiges Vorgehen zu Gunsten Griechen- stasten Ä.^"en Widerstand Frankreichs nicht mehr > v ° und da auch England infolge der Glad stone'schen Politik (Gladstone ist ein eifriger Griechen freund) nichts gegen das russische Vorgehen einwenden wird, so hat es nur noch mit Deutschland, Oester reich und Italien zu rechnen. Italien würde Ruß land bald auf seine Seite ziehen können, nicht aber Deutschland und Oesterreich, und damit wäre der Grund zu einem Conflict geschaffen, dem gegenüber Frankreich vergnügt die Hände reiben und im Falle er zu Verwickelungen führen sollte, den Zeitpunkt für gekommen erachten würde, den Revanchegedan ken zur Ausführung zu bringen. Bestätigt wird die russische Absicht einer Inter vention durch die oben erwähnte Thatsache, daß es Bulgarien mit Waffen und Mnnition versieht. Auch Serbien scheint sich Rußland wiederum versichert zu haben, wenigstens läßt der seitens Serbiens er folgte Abbruch der Verhandlungen über den Han delsvertrag mit Oesterreich daran nicht mehr zweifeln. Greift Rußland angeblich zu Gunsten Griechen lands zur Waffe, so kann kein Zweifel darüber ob walten, daß es darauf abgesehen ist, die pansla- vistischen Länder der Balkanhalbinsel unter seine Botmäßigkeit zu bringen und den Schlüssel zum Orient in die Hände zu bekommen. DieseAxtion würde nothwendigerweise die Interessen Oesterreichs schwer verletzen und Letzteres mit in einen Krieg verwickeln. Man sieht, daß in der gegenwärtigen orientalischen Lage Keime genug zu einem Weltbrande vorhanden sind. ^Waldenburg, 27. August 1880. Politische Rrmdfchan. Deutsches Reich. Der Fürst und die Fürstin von Rumänien treffen am 28. August zum Besuche des kaiserlichen Hofes in Berlin ein und steigen im Stadtschlosse zu Potsdam ab. Der Reichskanzler hat nicht nur von Handels kammern und landwirthschaftlichen Vereinen, sondern auch von Rechtsanwälten Gutachten über die Be schränkung der Wechselfähigteit eingefordert. So viel bis jetzt bekannt geworden, haben sich aber auch die Rechtsanwälte gegen jede Beschränkung der Wechselfähigkeit ausgesprochen. Der preußische Minister des Innern hat mit Rücksicht darauf, daß durch die anhaltend ungünstige Witterung der letzten Wochen die Einbringnng der Feldfrüchte wesentlich verzögert wurde, und daß der Landwirthschaft großer Nachtheil droht, wenn nicht jede Gelegenheit benutzt werden darf, die Feld früchte heimzubringen, die Provinzial-Regierungen angewiesen, von den Bestimmungen über die äußere Heilighaltung des Sonntags abzusehen und zu gestatten, daß Erntearbeiten im Felde, sowie das Einbringen der Feldfrüchte bis Beginn des Oclober hin auch am Sonntage und zwar während des ganzen Tages ausgeführt werden. Die Quittungssteuer, die von der Reichstags- Commission mit allen gegen die eine Stimme des Abg. Grafen Bismarck abgelehnt wurde, dürfte schwerlich noch einmal den Reichstag passiren, da gegen wird bestätigt, daß das Project der Börsen steuer umgearbeitet wird, um aus derselben noch weit höhere Ertäge erzielen zu können, als solche der Entwurf des Vorjahres in Aussicht genommen hatte. In einer in Berlin stattgehabten Tischlerge- sellen-Versammlung wurde einstimmig der An trag angenommen, daß auch die Arbeiter der Küchen spinden- und geschweiften Möbelbranche in die Be wegung eintrelen und mit ihrer Forderung von 10 Procent und zehnstündiger Arbeitszeit nur vorgehen, im Weigerungsfälle sofort die Arbeit niederlegen sollen. Außerdem nahm die Versammlung noch eine Resolution an, welche sich mit den bereits stattge habten Beschlüssen einverstanden erklärt und diejeni gen Arbeiter der Kastenbranche, welche noch nicht die Forderung bewilligt erhalten, zu sofortigem Streik auffordert. Anläßlich der Jubiläumsfeier am 25. August (dies ist der Geburtstag des Königs Ludwig II., der 10. September aber der Tag, an welchem 1180 die Belehnung des Hauses Wittelsbach mit dem Herzogthum Bayern erfolgte) hat der König von Bayern eine Anzahl Verurtheilter begnadigt. Die beiden früher in Berlin ausgewiesenen so cialdemokratischen Führer Körner und Finn, welchen jetzt der Aufenthalt in Berlin wieder ge stattet ist, haben sich in einem Aufruf an die Ber liner Arbeiter gewandt, in welchem letztere vor dem „parasitenartig herumlungernden Führerthum" ge warnt werden, da es die große Mehrzahl dieser Leute nicht ehrlich mit dem Arbeiterstande meine, und daß die in der Regel höchst zweifelhafte Moral dieser Leute nur der unmittelbare Ausfluß dec jahre lang getriebenen, oft genug höchst unsittlichen Agi tationsweise sei, unter der der Arbeiterstand nicht vorwärts gebracht, sontern dem Verderben entge gengeführt werde. Vorkommnisse wie das gewiß nicht rühmliche Verschwinden des bekannten Abge ordneten seien nur in einer Gesellschaft erklärlich, der jeder innere sittliche Halt abgehe, der länger anzugehören sie mit ihrer persönlichen Ehre nicht glaubten vereinbaren zu können. In Berlin soll das in Hamburg bei der vierten Nummer bereits wieder entschlafene Blatt: „Deutsche Warte, Allge meine Arbeiterztg." fortgesetzt werden, ob mit besserem Glück, ist freilich fraglich. Die weimarische Regierung ist mit großer Conse quenz bemüht, die von den großen Verkehrsstraßen abseits liegenden Landestheile durch ein System von Secundärbahnen mit den bedeutenderen Eisen bahnlinien in Verbindung zu setzen. Der erste mit der Felda-Bahn im eisenacher Oberlande gemachte derartige Versuch ist sehr befriedigend ausgefallen; ebenso verspricht die Secundärbahn von der thürin gischen Eisenbahn nach Ruhla sich zu bewähren. Inzwischen sind die Vorarbeiten für eine dritte Se cundärbahn, die von Mellingen, an der Weimar- Geraer Bahn, nach Blankenhain führen wird, an geordnet worden. Blankenhain ist der Mittelpunkt der gewerbereichen und auch landwirthschaftlich gut entwickelten Gegend, die zwischen Weimar und dem östlichen Theile des thüringer Waldes nach Rudol stadt hin liegt. Die Zukunft der Mehltheuer-Wei- daer Eisenbahn scheint dagegen noch immer nicht gesichert. Dieser Tage wurde zwar der Abschluß eines bezüglichen Staatsvertrages zwischen dem Kö nigreich und dem Großherzogthum Sachsen, sowie den beiden reußischen Fürstenthümern gemeldet, doch ist die Mittheilung nicht zutreffend. Hoffentlich wird der Landtag dem Projecte, dessen Ausführung der Entwickelung des Landes sehr günstig sein würde, seine Zustimmung nicht versagen. Frankreich« Das Journal Gambetta's, die „Republique fran^aise", hat den Artikel der „Nordd. Ztg." über Gambetta's Cherbourger Rede beantwortet. Sie sagt: „Das deutsche Blatt unternimmt eine histo rische Dissertation, um die Rechte Deutschlands auf das Elsaß zu begründen; dies könnte als eine Auf forderung gelten, auf welche einzugehen wir unser seits Verzicht leisten wollen. Wir ziehen vor, von demjenigen Act zu nehmen, was die „Nordd. Allg.