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Dresdner Journal : 29.08.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-190208293
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-19020829
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-19020829
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-29
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
- Titel
- Dresdner Journal : 29.08.1902
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V*»»«»»r«1»: s Dresdner Journal wird gurücksenduna der stlr dl« Gchrtftleitung bestimmte», ArdAe°Äkag^ Herausgegeben von der -vnigl. Expedition de» Dresdner Journal-, Dresden, Zwingerstrahe 20. — yernspr^Anschluß Nr. 129S. Iprucht, jo ist da» Post-ek beijufügen. Orfchei»«», Wrrktag« nach«. » Uhr. Pnt»»dt««»«»«r»»tzr««: Di« Zeile Neu»er Schrift der 7 »ml gespaltene* Anntndt- - ^i^«.Seitt oder deren Rau» to Pf. Bei Tabellen- u»d Ziffern satz » Pf. «ufichlag sür die Zeile. Unterm Re da ktionlstrich (Eingesandt) di« Lext-etle mittler Schrift oder deren Raum so Pf. Gebühre» - Ermäßigung bet Öfterer Wiederholung. Annahme der Anzeige» bt» mittag« 13 Uhr für d»e nach mittag« erscheinend« Rümmer. 1S02 ^§20v Freitag, den 29. August nachmittags. Amtlicher Teil. Dre-dev, 26. August. Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht, dem Lehrer und Organisten Heinrich Bernhard Tränkner in Strehla da» Albrechtskreuz zu verleihen. Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der praktische Arzt vr. wv6. Reichardt in Klotzsche den ihm von Sr. Durchlaucht dem Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt verliehenen Titel al» Fürstlich Schwarzburg - Rudolstädtischer Sanitätsrath annehme und führe. Ernennungen, Versetzungen rc. tm öffentl. Dienste. I» Geschäftsbereiche de» Mtntftertams derSt„»zen. Bei der Post-Verwaltung ist ernannt worden: der Bast- Wirth und Materialwaareahündler Rasche al« Postagent i» Ehrenberg Im GeschästSberetche de» «tntfterinm» »es Kult»» a»b -ffentltchen Unterrtcht». Zu besetzen: di« Filial- Kirchschulstelle zu Schmortau bet Oschatz. Kollator: die oberste Schulbehörde Einkommen neben freier Wohnung im Schulhause und Gartengenuß 1700 M vom Schul- und S»8,3S M vom Kirchendrenste, 110 M. für den Unterricht in der Fortbildunz-schnle, 100 M. für Heizung und Be leuchtung de« Schulzimmer-. Bewerbung«gesuche mit Zeug nissen bi« zur jüngsten Zeit sind bi- zum 14. September bei dem Künigl. Bezirksschulinspektor Schulrat Reil in Oschatz einzureichrn; — die Lehrerstelle an der SNassigen Schule zu Hammerberg-Ritter-grün, Kollalor: die oberste Schul- behvrde. Einkommen: außer freier Wohnung 1>V0 M Au- sang-gehalt, die gesetzlichen Alter-zulagen und da- gesetzliche Honorar für mehrere Ueberstunden. Bewerbungen mit allen erforderlichen Beilagen, event. einschließlich de- Militärdienft- anSwristS, sind bi» zum 13. September an den Kvnigl Be- zirkSschulinspektor l)r. Förster in Schwarzenberg einzureichen. (Behvrdl. Bekanntmachungen erscheinen auch im Anzeigenteile.) Nichtamtlicher Leit. Tie Tschechen und der österreichisch-ungarische Ausgleich. In langwieriger und mühevoller Arbeit wurden allmählich die Schwierigkeiten de» wirtschaftlichen Ausgleichs zwischen Oesterreich und Ungarn über wunden. Die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung beider Reichshälflen verfolgte diese Arbeit mit Spannung; da» Prahlen der Chauvinisten konnte die Einsichtigen nicht in der Erkenntnis wankend machen, daß ein Scheitern der Verhand lungen die ernstesten Folgen haben müßte, und so wurde jeder Fortschritt der Verständigungsversuche al» eine Annäherung an ein ersehntes Ziel begrüßt. Während diese unbestreitbar richtigen Anschauungen in Oesterreich wie in Ungarn immer wieder zur Geltung gelangten, fanden es gewisse tschechische Politiker angemessen, das noch gar nicht geborgene Ausgleichswerk als eine bestenfalls nur platonische Errungenschaft zu bezeichnen, die eine greifbare Be deutung erst erlangen könne, wenn auch der nationale Ausgleich in Böhmen und Mähren ermöglicht werde. Mit geradezu verblüffender Willkürlichkeit wurde da ein Zusammenhang zwischen zwei Fragen geschaffen, die thatsächlich nichts miteinander gemein haben. Dle Ergüsse der tschechischen Führer und ihrer Preßorgane enthielten kein Wort der Kritik der übrigens auch heute nur bruchstückweise bekannten österreichisch-ungarischen Ausgleichsvereinbarungen, sondern nur die unverhüllte Drohung, daß die Tschechen die parlamentarische Er ¬ ledigung de» Ausgleichs vereiteln würden, wenn man ihre Zustimmung nicht durch eine ihnen erwünschte Lösung der nationalen Konflikt-fragen erkaufe. Das seltsame Junctim zwischen dem österreichisch-ungari schen und dem deutsch tschechischen Ausgleiche war nebenbei mit dem Gebrechen behaftet, daß der nationale „Ausgleich*, wie er den Tschechen vor schwebte, diese Benennung keineswegs verdiente. Dasjenige, was die tschechischen Führer anstreben, ist kein Ausgleich, sondern nur eine einschneidende Schädigung de» Deutschtum- in Böhmen und Mähren. Dieses Ergebnis kann natürlich weder durch eine friedliche Auseinandersetzung zwischen den Vertretern beider Voltsstämme, noch durch den Einfluß einer unparteiischen und staatsklugen Regierung erreicht werden. Man wollte eS daher von tschechischer Seite erreichen, indem der Regierung damit gedroht wurde, daß man die Verhandlung des österreichisch ungari schen Ausgleichs im Parlament nach Befinden durch Obstruktion verhindern würde. Die Entfachung einer neuin und unabsehbaren nationalen Krise in Böhmen, die drückende und für die Dauer unerträgliche Benach teiligung ter dortigen deutschen Bevölkerung wären der Preis gewesen, den die Deutschen und die Re gierung für die tschechische Einwilligung zum wirt schaftlichen Frieden zwischen Oesterreich und Ungarn bezahlen sollten Der Augenblick, in dem der EipiessungSversuch begonnen wurde, war anscheinend nicht ungünstig ge wählt. Die Frage des österreichisch-ungarischen Ausgleichs breitet seit Jahren einen lähmenden Bann über die gesamte innere Entwickelung Oesterreichs. Der Gedanke, daß die ganze zur Befreiung von diesem Banne aufgedotene Arbeit sich nachträglich als eine vergebliche erweisen könnte, war sür alle Beteiligten gewiß ein überaus ernster. Weder die Staatsmänner, noch die Anwälte des Deutschtums in Böhmen dursten sich aber durch die Furcht vor einem derartigen Anschläge zum Verzichten auf un abänderliche Grundsätze bestimmen lassen. Die Re gierung bemüht sich seit ihrem Amtsantritte, den Boden für eine gerechte Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen zu ebnen, und sie will sich eben in diesem Herbst zu dem Versuch entschließen, diese Bemühungen in förmlicher Weise auSzugestalten. Gemäß ihrem Plane sollen die deutschen und die tschechischen Führer gemeinsame Verhandlungen über die Sprachenfrage pflegen, wobei allerdings noch nicht der Ausgleich selbst, sondern nur eine Ver ständigung über die Modalitäten einer Ausgleichs beratung zu erzielen wäre. Die Teilnehmer hätten die Bedingungen zu erörtern, die zu Gunsten der Deutschen erfüllt werden müßten, damit diese die von den Tschechen geforderte Einführung der inneren tschechischen Amtssprache gutheißen können. Eine Einigung über diesen Punkt hätte eine große und erfreu liche Bedeutung Siewäre der erste Schritt zur fried lichen Beilegung der Sprachenfroge, zum Abschlusse des nationalen Zwiste». Den Tschechen gefällt aber die von der Regierung und den Deutschen als un umstößlich betrachtete Voraussetzung nicht, daß die Realisierung ihres wichtigen Wunsches mit der Ge währung von sogenannten Gegenkonzessionen an die Deutschen verknüpft sein solle, obschon es sich dabei streng genommen nur um Bürgschaften gegen eine neuerliche Zurückdrängung des Deutschtums handein würde. Die tschechischen Politiker stützen sich darauf, daß ihnen die Beute der inneren tschechischen Amts sprache durch einen Fehler einer früheren Regierung schon in den Schoß gefallen war; sie wollen die nachher erfolgte Ausgleichung jenes Fehler« nicht al- eine recht-giltige anerkennen, und sie möchten diesen Standpunkt dahin au-nutzen, daß lhre Wünsche ohne jede Berücksichtigung der deutschen Interessen zu erfüllen wären. Um die Regierung gefügig zu machen, wurde nun da- halsbrecherische Junctim zwischen den beiden AuSgleichsfragrn her gestellt. Die Regierung würde aber alle ihre bisherigen Handlungen und Kundgebungen, ihr gesamtes Ver söhnungsprogramm verleugnen, wenn sie auf daS tschechische Ansinnen ringinge. Sie würde gegen über den Deutschen in eine unmöglich- Stellung ge raten und überdies bei ihrem Abgänge eine infolge der erhöhten Erbitterung der Deutschen erheb lich gesteigerte Verwirrung hinterlassen. Wenn nicht alles trügt, so kommt nun im tschechischen Lager die Einsicht auf, daß diese Erwäg ungen für die Regierung maßgebend sein müssen und daß der klug erdachte Feldzugsplan, dessen Angelpunkt die Drohung mit der Obstruktion deL österreichisch-ungarischen Ausgleich- bildete, doch keine Musterschöpfung politischer Strategie ist. Einer der Tschechenführer hat schon gefunden, daß man den Wert der inneren tschechischen Amte spräche über schätze, und andere tschechische Führer erklären plötzlich, die Obstruktion sei, wenn man sie gegen den Ausgleich anwende, eine zweischneidige Waffe. Die Betreffenden erinnern sich offenbar an den Ver lauf der letzten Session de- böhmischen Landtags und an sonstige Umstände, die überzeugend dar- thaten, wie in der Bevölkerung der Widerspruch gegen eine einseitige Vertiefung der nationalen Kon flikte mehr und mehr erstarkt. Die tschechische Be völkerung hat eS unverhohlen gebilligt, als im Land tage und im Reichsrate der nationale Kampf unter brochen wurde, damit die ruhige Erledigung wirt schaftlicher Reformen erfolgen könne. Sie wird sich keinesfalls für eine Taktik begeistern, nach der der nationale Streit gerade zum Hindernisse für die Be wältigung der wichtigsten wirtschaftlichen Frage ge macht weiden sollte. Die tschechischen Kaufleute und Industriellen sowie die von ihnen abhängigen Ange hörigen der ärmeren Klassen bedürfen des Ausgleichs mir Ungarn ganz ebenso wie die Interessenten in den anderen Reichsteilen, und sie würden den Volksvertretern, die ihnen statt des Brotes Steine bieten, keinen Dank zollen. So sind nüch terne, aber zwingende Beweggründe vorhanden, die wohl auch die heißblütigen tschechischen Rufer im Streite zum Einlenken nötigen werden, wenn die Zeit der parlamentarischen Beratung des Zu- kunftSauSgleichS unmittelbar nahegerückt ist. Tie übereifrigen Vertreter des Tschechentums werden dieses Einlenken dann als ein schmerzliches, aber unvermeidliches Opfer zu Gunsten der materiellen Wohlfahrt ihrer Volksgenossen darstellen. Wollten sie die volle Wahrheit aussprechen, so müßten sie sagen, daß die tschechische Bevölkerung den nationalen Frieden ebensowenig zu entbehren vermag wie den wirtschaftlichen und daß die Ruhe im Lande nur durch einen loyalen Ausgleich mit den Deutschen, aber niemals durch Gewaltstreiche gegen die Deutschen gesichert werden kann. Tagesgeschichte. Dresden, 29 August Se. Majestät der König traf heute vormittag von Villa Hosterwitz im Residenz schloß ein und nahm daselbst zunächst eine Anzahl milirärische Meldungen entgegen. Hierauf empfing Se. Majestät nachstehende Herren vom Zivil zu Meldungen bez. Entgegennahme drS Tanke» für zu teil gewordene OrdensauSzeichnungen: den Ober- landeSgerichtsrat Kretzschmar, den Finanzrat vr. Gerlach, den Direktor der 2. Katholischen Bezirk-, schule Dold-Dre-den und den Bildhauer Prof. Seffncr Leipzig. Später hörte Se. Majestät die Borträge der Herren StaatSminister, der DepartementS- chefs der Königl. Hofstaaten und de» Königl. Kabinettsfekretär- und kchrte in den Nachmittag»- stunden nach Hosterwitz zurück. Dresden, 29. August. Se. Königl. Hoheit der Kronprinz und Ihre Kaiserl. und Königl. Hoheit die Frau Kronprinzessin besichtigten gestern nach- mittag in dem Atelier de» Geh. Rate» Prof. l)r. Schilling da» Modell der für Hamburg be stimmten Reiterstatue weiland Se. Majestät Kaiser Wilhelm» I. Se. Königl. Hoheit der Kronprinz hat Sich, von Seinem persönlichen Adjutanten Hauptmann v. Zeschau begleitet, heute nachmittag nach Berlin begeben, um Sich in Anlaß Höchslseiner Ernennung zum kommandierenden General de» XII. (1. Königl. Sächs.) ArmeecorpS gelegentlich der morgen statt findenden Herbstparake deS Gardccorps bei Sr. Majestät dem Kaiser zu melden. Se. Königl. Hoheit wird im Königl. Schlosse zu Berlin adsteigen und Sonntag wieder nach hier zurückkehren. Deutsches Reich. Berlin. Ueber den hiesigen Aufenthalt de« König» von Italien wird weiter folgende» gemeldet: Während der ihrem Inhalte nach in unserer letzten Nummer mitgeteilten Ansprache, die der Oberbürgermeister Kirschner bei der gestrigen Begrüßung Sr. Majestät de« Königs von Italien am Brandenburger Thor« hielt, hatte sich der König leicht nach dem Redner zu gebeugt und wandt« sich, al» der Oberbürgermeister ge endet hatte, an dm neben ihm sitzenden Kaiser mit einer kurzen Frage, dir Allerhöchstdersrlbe mit leichtem Neige« de« Kopfe» beantwortete Anscheinend hatte der König sich de« Kaiser« Zustimmung zu einer Antwort in fran- zöfischer Sprache versichert, denn in dieser richtete er nun an den Oberbürgermeister, indem er diesem zuglrich die Hand reichte, Worte lebhaften Danke« für den fest lichen Empfang, nachdem er sich vorher noch entschuldigt hatte, daß er französisch antworten müsse, weil er de« Deutschen nicht mächtig genug sei. Inzwischen wäre« von der andern Seite die Ehrenjungsrauen herangetreten, und die Tochter de« Syndiku« Weise überreichte dem Könige einen Blumenstrauß Se Majestät nahm ihn, militärisch grüßend, m,t den Worten: „Oraria, Sonora" entgegen; dann gab Oberstallmeistrr Graf Wedel, der mit dem Kommandanten von Berlin, dem Generalmajor v Höpfner, zu Seiten de« Kaiserlichen Wagen» ritt, da« Zeichen zur Weiterfahrt, und unter stürmischen Hoch« und Evoioa-Rusen erfolgte der feierliche Einzug durch da« Brandenburger Thor. Se Majestät der König von Italien war gestern mittag 1 Uhr einer Einladung de» Botschafter» Grasen v Lanza zum Frühstücke gefolgt und erschien im offenen Zweispänner Die Tafel war in dem großen Speisesaale mit auserlesener Pracht gedeckt und in dem Vorzimmer, da« mit zwei großen Blumen Pyramiden dekoriert war, mit der Marmornste de» König« ge schmückt, die vor der Spiegekwand stand. Der König hatte seinen Pllch Är der Mitte der Tafel zwischen der Gemahlin de» Reichskanzler« Grafen v Bülow und der Gemahlin de« Botschaftsrat» Marqui« Jmperiali. Seinem Monarchen gegenüber saß der Botschafter Graf v Lanza zwischen dem Reichskanzler Grafen v Bülow und dem Deutschen Botschafter in Rom Grafen v Wedel. Weiter waren die Herren vom Ehrendienst, General v Lindequist, Oberst v Arnoldi, Oberstleutnant v Blumen- Lunss und Wissenschaft. Zur Geschichte der deutschen Jrreupflege. Die Geschichte de« Jrrenwesens, der vr. I. Bresler in dem letzten Hefte der „Umschau" interessante Aus führungen widmet, bildet keineiweg« ausschließlich einen Zweig der G-schichte der Medizin, sondern gehört über wiegend der Kulturgeschichte an und »st insbesondere von der Sittengeschichte und der des religiösen Kultus nicht zu trennen. Im Mittelalter liegen ihre Quellen vor nehmlich auf dem Gebiete der Kirchengeschichte, denn so lange alle« geistige Leben fast »»«schließlich zu dem Bereiche der Geistlichkeit gehörte, war ihren Maßnahmen und ihrer Lehre auch der geistig Kranke unterstellt Der dämoaologische Zug, der der christlichen Religion in früherer Zeit fest anhaftete und im Mittelalter zum H-xen- und Zaubereraberglauben auSartete, fand in dem Gebaren und den Aeußerungen Geiste«kranker den günstigsten Boden. Da« kranke Menfchenhirn wurde als Kampfstätte «ine» pseudoreligiösen Duali«mu», al» Sitz de» Teufels angesehen Diele der nach Hunderttausenden zählenden Unglücklichen, di« den Qualen der Folter er lagen oder auf dem Scheiterhaufen endeten, sind denn auch, wie au» den Akten von Hexeaprozeffen heroorgrht, wirkliche Geisteskranke gewesen, deren Symptome den bei den heutigen Geisteskranken vorkommenden völlig entsprechen Zu Beginn de» Mittelalter« herrscht« allerdings eine verständni»vollere Auffassung der Geisteskrankheiten. Kirchhoff führt in seinem „Grundriß einer Geschichte der deutschen Jrreupflege" hierfür den Abt zu Prüm, Namen« Regino (um 890), an, der Vorschriften erlassen hat, nach denen zu tag« tretende dämonische Vorstellungen lediglich al« Einbildungen, psychische Störungen, Hal- lucinationen zu behandeln find, ferner d«n Erzbischof Agovard zu Lyon (Enie o«» 9 Jahih), dec gegen den Aberglauben ankämpste, daß die Epilepsie da» Machwerk des Teufels sei. Vielleicht lag diesen Anschauungen noch eine Nachwirkung der medizinischen Wissenschaft der heidnischen Zeit zu Grunde, denn CöliuS Aurelianus, der zur Zeit Trajans und Hadrian« lebte, hatte z B. eine Lehre von den psychischen Krankheiten begründet, die in mancher Hinsicht weit über den Anschauungen der Aerzte selbst d«S 18. Jahrhunderts steht Die Irren wurden im Mittelalter wohl nur selten ärztlich behandelt, meist wurden sie in Klöstern oder der Geistlichkeit angehörigen Spitälern untergebracht. Im 13. und 14 Jahrhundert ging die Armen-und Kranken pflege zum großen Teil auf di« weltliche Verwaltung über, di« Stadtrechnungen enthalte« aber nur sehr selten Ausweise über ärztliche Honorare für Geisteskranke, sondern gewöhnlich nur die Ausgaben für die Beaufsichtigung und Verpflegung von Jrren, und zwar von gemeingefährlichen. Die Aerzte der damaligen Zeit, wie z. B sogar Paracelsus, hegten ja auch über die Geisteskranken dieselbe dämono- logische Auffassung wie ihre Zeitgenossen mit theo logischer und juristischer Bildung. Der erste Arzt, der gegen den Hexenaberglauben auftrat, ist Weyer (Vs prasstixiis äasmovum, 1566). Da die Fürsorge für die Irren sich in frühen Zeiten fast nur auf die gemeingefährlichen erstreckte, so ist e« natürlich, daß ihre Aufbewahrunatorte einen grfängniS- mtßigen Charakter trugen In festen Türmen an der Stadtmauer oder in Kellerräumen wurden sie untergebracht und schwer tobsüchtige darin noch durch Eisenfeffeln fest- gehalten Eine Einrichtung, die der Verpflegung tob süchtiger Kranker in der Familie dienten, waren die transportablen Gefängnisse, die sogenannten „Stocke", die man in jedem Zimmer aufstellen konnte Die Ein sperrung eine« Irren in ein solche« Privatgefängni« be durfte indessen der Genehmigung der Behörde, auch fand durch dies« ein« Beaufsichtigung statt In einzelnen Städten Rorddeutjchl^-da drcittn NN 15. Jahryunvilt dcr Auf nahme tobsüchtiger Geisteskranker die an den Stadtthoren angebrachten Doren- oder Dordentollenkcsten, die in ein fachster Weise au« Hol, und Eisen angefertigt und der Aufsicht der Thorwächter unterstellt waren. Wahrschein lich wurden in diesen nur unbemittelte Kranke ver pflegt. Vereinzelt finden sich auch Nachrichten über Errichtung von besonderen Krankenhäusern So soll im Jahre 1326 in Elbing da« DollhauS zu St Georg erbaut worden sein und ähn liche Häuser um 1477 in Frankfurt und Nürnberg Da« erste Krankenhaus, da« die Irren in bezug auf Aufnahme und Verpflegung anderen Kranken gleich- stellte, war wahrscheinlich das JuliuS-Spital in Würz burg, dessen Gründer Fürstbischof Iuliu« Echter v Mespelbrunn in der Gründungsurkunde nur ekel erregende und ansteckende Kranke von der Behandlung auSschloß. In der Zeit nach der Reformation wurden hier und da säkularisierte Klöster in Irrenhäuser um gewandelt. Frühzeitig wurde auch in Braunschweig die Jrren- pflege verbeßert; die Dordenkasten wurden in da» Hospital übergeführt und hießen sodann Kojen oder be trübte Kasten. Manche erhielten auch besondere Namen. Vielfach bestand auch die Sitte, um da» Unbequeme und Lästige loszuwerden, Geisteskranke nach anderen Ländern oder Städten abzuschicken. So hat Kirchhoff in den alten Rechnungen der Nürnberger Archive mehr fach Kostrnausstellungen für den Transport Geisteskranker nach auswärts gefunden. E» finden sich aber auch Mitteilungen, wonach man Wahnsinnige einfach auf «inen Kahn brachte und aufs Geratewohl stromabwärt« treiben ließ. Im 17. und 18 Jahrhundert herrschten in der Jrrenpflea«, soweit diese nicht noch in den Händen be sonderer Orden, z B der Al>xianer, Beahinenrc, stand, dieselben Zustände wie in den Zuchthäusern. Pastor Wagmtz veröffentlichte ,m Jahr« 1791 «rn um faßendes Werk über Zuchthäuser in Deutschland, in dem er die traurigen Zustände in diesen Anstalten, wo Irre und Verbrecher gemeinsam untergebracht wurden, wieber- giebt. Die gesunden Insassen, die Sträflinge, wurden sogar teilweise zur Pflege und Beaufsichtigung der Geisteskranken verwendet An letzteren wurden auch die damaligen yrausamen Zuchthausstrafen vollzogen E« ist wahrschcrnlich, daß viele oder alle jene mechanischen Mittel, die zu Anfang de« 19 Jahrhundert« noch bei der ärztlichen Behandlung Geisteskranker angewendet wurden, wie da« Narrenrad, der englische Sarg, der Drehstuhl, eiserne Marken, der Narrensack rc, noch au« jener Zeit der Zuchthauipraxi« gewohnheits mäßig herübergenommen worden sind. Freilich wurde auch diese mechanische Behandlung wtffenschaftlich zu begründen versucht, so vor allem im Anfang de« vorigen Jahrhunderts von den Professoren Horn und Jdeler in Berlin. DaS Narrenrad glich de» bekannten beweglichen Rädern, die oft in Eichhörnchen- käsigen angebracht sind. Der tobende Kranke wurde hineingeschoben und darin belassen, bi« da« Rad still stand, wa« als Beweis sür seine Beruhigung angesehen wurde Der „englische Sarg" war ein sargförmiger Kasten, in dessen Deck,! dem Gesichte gegenüber eine Oeffnung gelaßen war. Obenerwähnter Prof Horn zog diesem Sarge jedoch später den Narrensack vor, in den der Kranke eingebunden wurde; er kam erst hiervon wiederab, al« e« ihm einmal passierte, daß ein Kranker in einem solchen Sack erstickte Eiserne Gesichtsmaske» für beißende und spuckende Pfleglinge, die den Fecht masken glichen, wurden z B auf der Jrrenpfleganstalt St Thoma« in Andernach erst im Jahre 1867 zum letzten Mal» überhaupt in Deutschland angew«ndet Von da ab war ihr Gebrauch von der Regierung verboten -elc.
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