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Redigirt und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Die Tabaksdose. Ans dem Tagcbuche eines armen Landidaten. Erste Prise. Heute früh sechs Uhr stand ich auf, kleidete mich an und hielt mein Morgengebet. Dann trank ich ein Glas Wasser, barbirte mich und warf ein Fenster ein. Letztere ging also zu. Ich hatte meinen Spiegel mit dem altväteri schen Rahmen, an dem ober» Fensterwirbel, um besser sehen zu können, aufgchängt. Der untere, welcher sehr locker war, nahm plötzlich die senkrechte Lage seines obcrn Bruders ein; rin Windstoß, welcher die übclverschlossene Stubenthüre und den Fensterflügel zugleich anfstieß, machte das Unglück fertig, indem die Spiegclrahmenecke in die eine und zwar in die einzig noch von Sprüngen verschonte Glasscheibe stieß und solche in Stücken zerbrach. Wenig nur fehlte, daß ich mir vor Schreck mit dem scharfen Rasirmcffer die Kehle durchge schnitten hätte. So kann eine Kleinigkeit die wichtigsten Folgen nach sich ziehen! Da meine Kasse mir jetzt nicht er laubt, den Gläser zu bereichern, so begnügte ich mich, einen beschriebenen Bogen Papier vor die Oeffnung zu kleben. Es befinden sich nun zwar in meinen zwei kleinen Dachfenstern bereits drei solche Papierscheiben, allein was thut's? In manchen Ländern, wo man der Glasscheiben ganz entbehrt, müssen geölte Papierbogen, ja sogar durchsichtige Thierfelle jene ersetzen. Aber der heutige Tag scheint für mich kein glücklicher werden zu wollen. Gleich der Anfang desselben war ein schmerzlicher, indem ich es verschlafen zu haben glaubte, deshalb ganz erschrocken vom Bette aufsprang und mich dabei heftig an den Kopf stieß, weil ich in meiner Sorge nicht an die schiefe Wand und deren Balken gedacht hatte, unter welchen mein Bette steht. Darüber war sieben Uhr herangekoqimtn und mit dieser Zeit auch meine alte Auf- Wärterin, welche mir das Frühstück — ein Töpfchen voll Milchkaffee und ein Dreierbrödchen'— brachte. Der Kaffee war nur noch lauwarm. Das jedoch soll gesund sein, ja sogar schön machen. Aber mir fiel bei dem lauwarmen Kaffee ein, ob es nicht gerathener sei, wenn ich mir mein Frühstück selbst besorgte? Der Kaffee soll jetzt spottwohlfeil sein und der Klempner künstliche Kaffeemaschinen Herstellen, in welchen man mit dem Aufwande eines nur kleinen Pfützchens Spiri tus und in großer Schnelligkeit sein Getränk Herstellen kann. Und wenn ich mir das Dreierbrot alle Morgen selbst beim Bäcker kaufe, so bekomme ich auch wohl jeden Sonnabend noch eins zur Zugabe, die auch mitzustehmen ist und im Jahre zweiundsunszig Dreier ausipacht. Aber freilich,die Kaffeemaschine! Und der Spiritus, den man unter einer Vtertelkanne nicht wohl einkausen darf, wenn man nicht übcr- theuert sein..will! Und dann die Flasche dazu! Ach, die Reichen müssen schon um deswillen immer noch reicher «er den, weil sie Alle- im Ganzen und daher weit billiger ein kausen können, als wir armen Schlucker. Nach frohem, mit Danksagungen genossenem Frühstücke musterte ich meine Kleidungsstücke durch, die sch heute beim ' ÄuSgehen anziehen wollte oder vielmehr müßte. Denn ein H armer Eandidat, wie ich, hat keine Auswahl wie ein reicher Stutzer. Zuerst nahm ich mein.Pedal, dje Halbstieseln, vor. Ich weiß gar nicht, was die Schühmacher jetzt treiben. Kaum daß man die Stiefeln etliche Monate an den Füßen getragen hat, so ist' auch schon das Oberleder dicht über den Sohle» wie mit einem Messer zerschnitten. Mein Nachbar, dtr Rath-- betwächterasfistent, behauptet, daß es die Gesellen versähen, wenn sie die Ränder der Sohlen mit der scharfen Klinge be schnitten. Die Beinkleider, oder wie sie jetzt von zimper lichen, sin Wahrheit aber unmoralischen Frauenzimmern ge nannt werden, die Unaussprechlichen — zeigten an den Bein enden einige Fransen, welche jedoch die Scheere bald besei tigte und die Nähnadel umstach, um einer Wiederholung vor- zubeugen. Noch war ich mit Bürsten und Putzen beschäftigt als der Diener der Gräfin Bielefeld heretntrat und mich be- nachrichtigte, daß die junge Comteffe heute die Lehrstunde aussetzen müsse, weil sie Besuch erhalten babe. Eine Hiobs post das! Denn da die Bezahlung nach Marken geschieht und ich natürlich für die abbestellte Stunde keine erhalte, so büßte ich fünf Silbergroschen ein. Fünf Silbergroschen, meine am besten bezahlte Stunde! Dazu die zerbrochene Fensterscheibe, die ich doch Herstellen jassen muß, wann ich einmal. auSziehe. Daß ein Unglück selten allein kommt, erfuhr ich heute in schlagender Weise. Nachdem ich mich auf meine übrigen Lehrstunden pflichtgemäß vorbereitet hatte, trat ich mein Renu- thieramt an. Es war neun Uhr. Die erste Stunde war bei dem Hofrath Sieber. Auf mein Klingeln -ffnet« da- Stubenmädchen und sagte recht schnippisch, denn ich hatte srühcr ihre aufdringlichen Blicke unerwidert gelassen: ,»Guido kann heute keine lateinische Stunde nehmen. Er Hai Kopf schmerzen." Sprach's und warf mir die Thür«, vor der'Rase zu. Wieder drei Silbergroschen eingebüßt, thuf schon acht! Die heillosen Marken! Dieselben hat jedenfalls «in Menschen- und Candidatenquäler erfunden. Aber ein Mann soll sich nicht durch ein widriget Ge schick niederbeugen lassen. Ich hatte unverhofft zwei Stun den hintereinander frei erhalten, die ich auf andere Weise zu meinem Nutzen zu verwenden gedachte. Ich beschloß nämlich aus einem Rennthter in einen Supplikanten mich umzuwan deln und den Gewaltigen der Candidaten und Gchwarzröcke den Hof zu machen. In dieser Absicht' bürstete ich eiligst meinen schwarzen Frack und die Beinkleider' Mit Bier- aus, wovon ich immer einen kleinen Vorrath behalte. Auch be strich ich diejenigen Stiche, welche durch das Alter ««iß ge- worden waren und sich neugierig zwischen den Nähten hervor- drängten, mit Tinte. Endlich heftete ich die Velden Frack- schößen durch ein Paar Stiche zusammen, um dtren AuSetu- andergehen und somit die Ansicht de- darunter befindlichen Stoffe- zu verhüten. - Die Bterwäsche dehnte ich noch Über meinem seidenen Velpelhut au-, welcher gleich wie da- schwarze Tuch meines Anzug- ein frisches Ansehen bekam. Schade jedoch, daß der Hutdeckel inS Röthliche nutz 'zwar ziemlich stark schillerte, wo selbst durch keine Biertaufe Mgzubrtngen war. Obgleich mein Anzug sehr fadenscheinig und wollarm, so war er doch sauber und ganz, wie ich mit Befriedigung. beim Beschau«» MM-