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72. Jahrgang. 207 Mittwoch» 20. Juni 1020 FeenIpreAer-Sammelnummer: SV 2<01 Rur für NachlgelpiLche: SO Oll Gegründel ISA« De2Ua«;-lAl>KliKr bl« »o.JimI l»»» bei «»glich »wetmaltaer Lustrllung frei Hau« l.70 Marl. Weouyr Woftbe»ug«prel« für Man»« Juni ».10 Marl Ane v°N»uste»una«gebühr. «inrrlnu»»» 1« Viru»«,, »«»rrhald »re«»ea» » Plrnntg. . . . »I« »«»elgeu «erden nach «oldmar» »«rechnet: die einiv-Iiige »0 mm breite Kelle Aniptclpn-^slrassa' b» Via-, lür -»«wärt« «o Vig. K-milienan,eigen und Etellengeiuche ohne «»ball ,5 Plft., außerhalb itd Vig., die so mm breite ReNamezeile so« Pfg., außerhalb »»0 Pfg. oiiertengebühr so Psg. «utwtirtine Auftrilge gegen «or-u«be»ahlu»g. SchrisNeitung und -arPtgeichtisttflell«: Marlenstrade SS/4S Druck und «erlag von Lied ich ck «etchard» in Iretde» Vostlcheck-ikont, 10SS Lrelde» Nachdruck nur mit deutlicher Quellenangabe «,Dre«dner «achr.'l «uILiiig. — Unverlangte SchriitilLcke werden nicht aulbewahr«. Das englische Oberhaus verlang! beschleunigke Abrüslung. gusammenlrilt -es Abrüstungsausschusses vor -er nächsten Dötkerbundssihung gefordert. London. 10. Juni. Hente fand im Oberhaus eine be, merkenswerte Abrüstungsdebatte statt. Lord Cecil erklärte, cS sei wünschenswert, daft der Vorbereitende Ab, rüstungSausschuß vor der Zusammenkunft der nächsten Bölker- bundsversammlung zusammcntrete. Er erinnerte das Haus an die von den Alliierte« in Versailles ttbcrnommcnen Ver pflichtungen, abznrüstcn, und betonte, dast das Haus erkannt hat, wie wenig zufriedenstellend die gegenwärtige Ab- rüstungslaac sei. Der Allgemeine Vorbereitende Ausschuß des Völkerbundes habe so a«t wie nichts getan, austcr bah er den Vorschlag der Sowjctrcgiernng verwarf. Eine solche nega tive Haltung müsse eine entniuiigende Wirkung auf diejenigen haben, die bestrebt seien, etwas vereinbart zu sehen. Cecil hob hervor, daß Deutschland bestrebt sei, die Frage vorwärts zu bringen. Die Nüsse», sagte er. schlössen sich — sei es ehr lich oder unehrlich — (und er drückte keine Ansicht ln diesem Punkte aus) der Forderung nach irgendeiner Tat an. Zum Schluß gab Lord Cecil der Hoffnung Ausdruck, daß die Ne gierung nicht einen rein negativen Standpunkt einnehmen werde. Lord Eushendun antwortete für die Negierung und erklärte, er glanbe nicht, daß man zu einer Lösung durch irgendwelche anderen Mittel gelangen könne als durch die Methode ruhiger Erörterung. Die in der Bölkcrbnndsgeseßqebnng niedcraeleqte Ver pflichtung, abznriistcn, habe ihre Grenze«, die dnrch die Rücksicht auf die nationale Sicherheit vorgezeichnet seien. Wenn ein Land erkläre, »unsere national« Sicherheit erfor dert die und die Rüstung", so habe man keine Macht, es zu zwingen, die etwa vom Völkcrbundsrat formulierten Pläne anzunehmen. Er habe den NbriistnngSvorschlag der deutschen Delegation abgclchnt. weil die technischen Na^ebcr der An sicht seien, daß es einer dritten Partei niemals möglich sein werde, kriegsslibrenden Parteien einen Waffenstillstand anf- zucrlegen. Cushcndun erklärte, daft zweiseitige Verträge und noch mehr regionale Verträge, wie Locarno, eine bessere Methode zur Sicherung des Weltfriedens darstellten, älS die großen allgemeinen Verträge. England könne mit vollem Recht und Stolz Hinweisen auf das, was Europa in der kritischsten Zeit geleistet habe, und sagen: „Folgt unserem Beispiel, wenn dies möglich ist, und schasst in einem anderen Teil Europas einen Lvcarnovertrag nach denselben Grundsätzen." Cushendun bezetchnete den finnischen Vorschlag der finan ziellen Unterstützung einer angegriffenen Nation alS eine» sehr wichtigen Beitrag zur gesamten Frage der Sicherheit, und sagte, die britischen Vertreter seien die -Hauplsührcr in der Unterstützung dieses Vorschlags gewesen. Eushendun gab schließlich der Ansicht Ausdruck, daß es dem Vorsitzenden deö Ausschusses überlassen bleiben möge, wann der Ausschuß zu- sainnienbernscn werden soll. Zur richtigen Zeit werde eine Zusammenkunft des Vorbereitenden Ausschusses wahrschein lich zu einem nützlichen Ergebnis führen. DaS Oberhaus stimmte hierauf mit einigen Abänberun- gc« der Entschließung Lord Cecils zu. die den Zusammen tritt des Borbereitcude« Abrüstungsausschusses vor der nächste» Völkcrbundssttzung fordert, und vertagte sich hierauf. * Die Abstimmung des Oberhauses, die sich gegen den Ver treter der englischen Regierung im Vorbereitenden Ab rüstungsausschuß richtet, ist außerordentlich bedeutsam. Lord Cecil, der Vorgänger Cushenduns, hat die Dinge beim rich tigen Namen genannt. Wenn jetzt Eushendun die These aus» stellt, daß die Abrüstung der heute noch nicht abgcrUstctcn Länder abhängig ist von ihrer Sicherheit, so ist davon im Versailler Vertrag nichts zu finden. Dort ist eindeutig und klar festgesetzt, daß nach der Abrüstung Deutschlands die all gemeine Abrüstung stattzufinden hat. Fm September ver gangenen Jahres sagte Gras Bernstorsf im Abrüstungs ausschuß: »Ich konstatiere, daß die Völker anfangen, die Sicher heit uur noch als einen Vorwand zu betrachten, die Abrüstung zu verschieben." Diese Worte haben sich auch in diesem Falle bewahrheitet. Wenn bas Oberhaus in seinem Entschluß sich dafür aiissprlcht. daß die endgültige Abrüstungskonferenz mög- lichst bald, noch vor der Völkerbundstagung anzusetzen sei, so entspricht dies dem, was von deutscher Seite schon im Sep tember. im Dezember und zuletzt wieder im März gefordert worden ist. Der Passus in der Rede Cushenduns, daß in einem anderen Teile Europas noch ein Locarnovertrag ge schaffen werden sollte, ist höchst merkwürdig. Sollte Cushen- dum damit ein Ostlocarno meinen, so würde das der bis herigen Haltung der englischen Regierung, die eine Garan tierung der polnischen Grenzen gegen Deutschland über den Locarnovertrag von 1925 hinaus stets nachdrücklich abgelehnt hat, strikte widersprechen. Die Suche nach der „Nalia". Amimdsen bel Nobile? verlin, 19. Juni. Das „Verl. Tagcbl." meldet aus Oslo: „MorgenVladet" verbreitet spät abends die Nachricht, daß Amundsen hcntc nachmittag glatt neben Nobile ge landet sei. Ganz Oölo ist außer sich vor Freude. Eine Be- stStigung dieser Meldung von anderer Seite liegt bisher nicht vor. Tragische Slun-en im Eismeer. Rom. 19. Juni. „Agenzia Stefant" veröffentlicht einen Funkspruch der „Ciita dt Milano", in dem cs heißt, Rtiser Larsen und Llltzow Holm seien bet der Rückkehr von ihrem gestrigen Fluge unterrichtet worben, daß sie von Nobile in einer Entfernung von etwa 3 Kilometer gesichtet wurden. Mit bewunderungswürdigem Eifer unternahmen beide sofort mit demselben Apparat einen neuen Flug, aber auch diesmal gelang cs ihnen nicht, das rote Zelt Nobiles zu er blicke«. Major Maddalcua startete heute früh 5,25 Uhr. Er überflog die „Braganza" in der Nähe des NordkapS in dem Augenblick, als die norwegische Maschine zurückkehrte. Auch Madbalena gelang eS nicht, Nobile zu finden. Maddalcua kehrte um 11,15 Uhr wieder nach Kingöbay zurück. Nobile wnrde dahin unterrichtet, daß er beim nächsten Fluge der 8 ök dem Flugzeuge radiotclegraphifch die Route angoben solle, sobald das Flugzeug in Sicht käme. aller im Hafen liegenden Dampfer erstickt wurde. In den Straßen jubelten Tausende von Menschen den Fliegern zu, denen die Bürgermeisterin der Stadt einen Empfang gab. Die „Freundschafl" in Souihamplon eingelrosfen. London. 19. Juni. Das amerikanische Flugzeug »Freund- schaft", das am Montag mit den Fliegern Fräulein Earhart und Wilmer Stultz »ach Ucberquerung des Ozeans infolge Brennstofsmangels in der Nähe von Llanelley in SüdwaleS niedergehen mußte, ist am Dienötagvormittag in Southampton eingetrosfen. Der Willkommen, den die Frieabshipflieger in Southamp- ton erhielten, war international: denn der Menge der Amerikaner, unter denen sich auch der amerikanische Konsul befand, schlossen sich die Passagiere des holländischen Dampfers „Usambara" und die Matrosen dreier chilenischer Zerstörer an, die sich auf dem Teck ihrer Schiffe versammelten und ihr Willkommen auöriefcn. das fast von dem Chor der Sirenen Nanking -rehk -en Spieß um. Schadenersatzsordcrungeu an Japan. Peking 19. Juni. Meldungen aus Nanking zufolge, hat die Nankinger Regierung die japanische Negierung davon in Kenntnis gesetzt, baß bei dem Zusammenstoß der japanischen und chinesischen Truppen in Tstnan von japanischen Truppen 1209 Personen getötet und etwa 8000 Personen verwundet wurden. Die Verluste Chinas betrugen über 41 Millionen Dollar. Die Nanking-Regierung macht Japan für diese Ber» luste verantwortlich und ersucht «m Entschädigung. Außer dem protestiert die Nanking-Regierung gegen die Beleidigung der Flagge der neue« chinesische« Negierung. Die Wahl -er Pariser Kammer- Kommissionen. Boncour Borstße«der deS Außenausschusfes. Paris, 19. Juni. Die Kammer wählte am Dienstag die Präsidenten ber großen Kommissionen: Paul Boncour zum Vorsitzenden der Kommission für Auswärtige Angelegen- beiten durch Akklamation, Malvy zum Vorsitzenden der Ftnanzkommisston mit 27 gegen 14 Stimmen, Chappedelaine lLinksradikaler) zum Berichterstatter mit 27 gegen 17 Sttm- men und Maginot zum Vorsitzenden der Heereskommission mit 28 gegen 12 Stimmen. Konflikt im Firianzartsschrrtz. Paris, 19. Juni. Im Finanzausschuß der Kammer kam es heute nach der Wahl MalvyS zum Vorsitzenden bei Be- setzung der Posten des Vizepräsidenten und der Berichterstatter zu einem offenen Konflikt zwischen den Parteien der nativ- nalen Einigung und den Vertretern deS ehemaligen Kartells der Linken. Als sich heranSftellte, daß für die Mehrzahl der Stellen Angehörige der Linksparteien gewählt waren, legte« vier gleichzeitig gewählte rcchtSstehende Abgeordnete ihr« Aemter nieder mit ber Begründung, daß sich wieder einmal zum Zwecke der Gewinnung von Aemtern und zur Aus schaltung der anderen Gruppen ein Kartell gebildet habe, das sich jedoch wieder auflösen werde, wenn es sich darum handele, eine Regierung und ihre Politik zu unterstützen. lW. T. B.i Neue Negierungen i« Siidbeulschland. Für die politische Struktur des Reiches ist die Zu» sammensetzung der Regierungen der großen Länder nicht zuletzt wegen der Stimmenverteilung im Reichsrat von allge meiner Bedeutung. Besonders seitdem die Weimarer Koalition in Preußen die verfassungsmäßige Ländervertretung zum Tummelplatz threS Kleinkrieges gegen das Reich ge macht hat, wirkte die konservative Grundcinstellung der bayrischen und mürttembergischen Vertreter als notwendige Bremse. Noch wichtiger kann die süddeutsche Einstellung in Zukunft werden, wenn im Reich und in Preußen aus gesprochene Linksrcgierungen am Ruder sind, die gemeinsam am »nitarischcn Strang ziehen und auch sonst in allen inneren Fragen zu staats, und wirtschaftsgefährdenden Ucbertrctbungen neigen. Deshalb verdienen die Schwierig keiten der Regierungsbildung in München und Stuttgart im Neichsinteresse auch außerhalb der weiß-blauen und schwarz roten Grenzpfähle aufmerksame Beachtung. In Bayern ist der Wahlausfall von denselben Er- scheinnngen begleitet gewesen wie im ganzen Reich: Wahl- faulheit des Bürgertums, ungeheure Stimmenzersplitterung und Anwachsen der äußersten Linken. Trotzdem ergibt sich das anormale Bild, daß die bisherige Negierungskoalitto» ans Bayrischer Volkspartei, Deutschnationalen und Bauern, bund im neuen Landtag eine breitere Grundlage hat alS bisher. Das liegt einmal an der Selbstauslösung der Rechts- Opposition im völkischen Block, an besten Stelle allerdings in bescheidenerem Umfang die Hitler-Bewcgung getreten ist, und dann an dem Umstand, baß die Mandatsverluste ber Bayrischen Volkspartet dem Bauernbund, also auch einer bisherigen Koalitivnspartei, zugute gekommen sind. Aber eben aus dieser Ursache resultieren die Schwierigkeiten, in denen sich die Bayrische Volkspartei als immer noch ausschlag gebender Faktor der Regierungsbildung bei der Auswahl ihrer künftigen Koalitionsgenossen windet. Rein rechnerisch bestehe» zwei Möglichkeiten: entweder «S bleibt alles beim alten, oder es kommt zum Linkskurs auch in Bayern durch Verbindung der Bayrischen Volkspartei mit der Sozial demokratie. Eine solche unnatürliche Ehe hat vor dem Kriege schon einmal bestanden, als die Roten und die Schwarzen den damals noch kräftig pulsierenden Liberalismus als den gemeinsamen Feind empfanden — und sie liegt auch heut« nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Hauptsächlich deshalb, weil die wilde Agitation des radikalen Bauern, bundes unter Führung von Halbkommunisten im Wahlkampf tiefe persönliche Verstimmungen Hinterlasten hat, die eS der großen katholischen Partei schwer machen, sich mit diesen Leuten wieder auf eine gemeinsame Regierungsbank zu setzen. Und die Lage wird noch weiter erschwert dadurch, Laß der Bauerirbund, gestützt auf seinen Mandatszuwachs, eine stär kere Vertretung in der Negierung beanspruchen wird als in der Vergangenheit, wo er nur das Landwirtschafts- Ministerium verwaltete. Zu alledem kommt noch durch die Annäherung der Bayrischen Volkspartet an das Zentrum ein Wiedererwachen der in ihr schlummernden Linkstendenzen und eine interne Streitigkeit mit den Deutschnationalen, alles Umstände, die wohl geeignet sind, nach acht langen Jahre« dem Linkskurs in Bayern wieder die Bahn zu ebnen. Scho« spricht man ja in München von zwei sozialdemokratische« Ministerpostcn des Jnirern und der Justiz: ein Zeichen, daß es auch von dieser Seite, ganz im Gegensatz zu Sachsen, a» Bereitwilligkeit nicht fehlt. Die Frage, die nach dem in diesen Tagen erfolgende» Rücktritt des Kabinetts Held brennend wird, ist die, ob die Hemmungen gegen einen Linksabrutsch nicht doch stärker sei« werden als die dahin treibenden Kräfte. Allzu kühnen Hoff, nungen hat der »Regensburger Anzeiger", das Blatt de» Ministerpräsidenten, schon einen Dämpfer aufgesetzt, indem er schreibt: „Bor einer Koalition mit der Sozialdemokratie stehen zwei große Fragezeichen. DaS ein« Kultur. Politik, baS andere bayrische Staatspolitik als Mittel zur Erhaltung des Staates Bayern. ES liegen kein« Anzeichen vor, daß die bayrische Sozialdemokratie imstande wäre, eine befriedigende Antwort auf dtese Fragen zu geben." Damit sind zwei überragende Gesichtspunkte gegeben, die für die Regierungsbildung in Bayern ausschlaggebend sein werden. Ganz besonders das starke Interesse, das die Bayrische Volkspartei von jeher ber Erhaltung ber bayrische« Eigenstaatlichkeit entgegengebracht hat, wird ihr bet ber Ent. scheidung zwischen rechts oder links über manche Ver stimmungen hinweghelfen, um so mehr, als die bevorstehende Entwicklung im Reich, dte ein starkes Vorprellen de» UnitarismuS mit sich bringen wird, die Zusammenballung aller föderalistischen Kräfte in einer widerstandsfähigen Regie rung für Bayern zur Lebensnotwendigkeit macht. Daß dieser Gedanke im bayrischen Volk noch eine wirkliche Kraft be deutet, hat ja ber Durchfall erwiesen, den sogar Dr. Strese« mann mit seiner bayrischen Kandidatur erlitten hat. Man kann also trotz aller nicht zu leugnenden Schwierigkeiten wohl damit rechnen, daß in den Verhandlungen der nächsten Woche die Empfindlichkeiten de» Wahlkampfe» -urücktreten werd«« und daß dafür wieder die staatspolitische Einsicht Ltnzua hält mit dem Ergebnis» baß die alte Koalition erneuert wirb und ihre jetzt doppelt wichtig werbend« Aufgabe im Retchsganze« weiter erfüllt. Während in Bayern noch alle» auf d«S Messer» Schneide steht, ist in Württemberg eine vorläufige Entscheidung in diesem Sinne bereits gefallen, obwohl hier di« durch de« WahlauSfall geschaffenen MehrheitSverhältntsse noch schwie riger lagen. Dte Rechtsregierung Bazille war hier in di«