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»L «LSI» vt»n«00. -4. s-ml 19«» LratztanIckiE: «aSNickNen Dreien gerliwrecher-Tammelnummer: iüssr Nur für Nachlnelpräche: Nr. SEI «kchnjttrttung u. Haup>grIchSst«stelle! Dresden-A. t. Marienstraßc 38/4» «qiivSgeKWr Vs« 1«. SU so. Auni l»!«0 »e< tügNA ,wrcmaN«er ArckleNuns frei p<m» 4.7V «7. PoslbesugSprei« für Monat Juni «.40 MI. einlchl.»» Psg. Postgebühr <ohne Pvst,usteUung»gebühr>. Einzelnummer tv Psg., außerhalb Dresden» 1» Psg. «nzeigenpreise: Die Anzeigen werden nach Boldmark berechnet: die einspaltige so mm breite Zeile SS Psg.. sür auSwSri» <i> Psg. ssamilien- anzeigen und Stellengesuche ohne Rabait ls Psg., auherhalb LS Psg., die so mm breite Reklamezeile »oo Psg., außerhalb »so Psg. Osscrlcngebühr so Psg. Auswärtige Austräge gegen BorauSbezahlung Druck ». Perlag: Siepsch » Reichardt, Dresden. Poslscheck-Sto. IVSS Dresden Nachdruck nur mil deutl.Quellenangabe (DreSdn. Nachr.s zulässig. Unverlangte Echriststücke werden nicht ausbcwahrt Attöwjrkungen der Wahlen ans das Reich Der Reichstag wir- gefügig Parlamentarische Berabschietung »er Ainanzgesetze auch ohne Stnanzminifter Berlin, 28. Juni. Der Eindruck des Wahlergebnisses in Sachsen ist im Reichstage ausserordentlich groß. Die Ne gierung ist der Ansicht, dass der Reichstag auS den sächsischen Wahlen die Lehre ziehen müsse, eine Verabschiedung der Dcckungövorlagcn der Negierung müsse möglichst bald und unter Bermeidnng einer Neichstagsauf- lösung erfolgen. Ein anderes Verhalten würde nach An sicht massgeblicher NegicrungSkrcisc nur n e u e S W a s s e r aus die Mühlen der N a t i o » a l s o z i a l i st e n und Kommunisten leiten. Die Negierung will infolgedessen die Finanzgescfte dem Reichstag vorläufig in der bisherigen Form zuleiten, un abhängig davon, wer Nachfolger Moldcnhaucrö wird. Brrlimr WrteMm m EaWimahI Berlin, 28. Juni. Zu dein Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen und über die dadurch geschaffene politische Lage äußerten sich eine Anzahl vvn Parteiführern wie svlgt: Abg. Dr. Oberfohren (Dnl.) erklärt, daö Bemerkenswerteste an dein Ergebnis der säch sische» Landtagswahl ist, daß die Zahl der marxistischen Stimmen insgesamt keine Verminderung erfahren hat. lDas dürste in dieser scharfen Formulierung nicht ganz zutrcffen. Im neuen Landtag verfügt der MarriSmus durch Verschwin den der Altsozialisten über zwei Mandate weniger. Die Svzialdcnwkratie selbst hat seit der letzten Neichstagswahl l.'iüuuu Stimmen eiilgebiißt.s „Die immer mehr vvn national sozialistischer Seite verkündete Zielsetzung, es werde ein ent scheidender Einbruch in das marxistische Lager erfolgen, und es werde aus diesem Wege die Voraussetzung für die nationale Gesundung geschaffen werden, hat ein Fiasko er litten. Die enorme Agitation der Nationalsozialistischen Deut schen Arbeiterpartei hat lediglich eine Umschichtung und eine Versetzung zur Folge gehabt und damit Zustände berbei- gcfnhrt. die die Bildung einer marxistensrcien Koalition un geheuer erschweren." Abg. Dr. Scholz (Deutsche Volksp.) bedauert das Ergebnis der Wahlen in Sachsen als eine Folge der Zersplitterung des Bürgertums, wie sie insonder heit durch das Auftreten der Volksnationalen Reichs- vcreinigung und des Christlich-sozialen Volksdienstes sich ge zeigt habe und sieht darin den klaren Beweis für die Not wendigkeit einer Zusammenfassung des gesamten Bürgertums. Abg. Drewitz (Mrkschaflsp.) betont, daß die Wirtschaftspartei sich gehalten habe. Sic sei gegenüber dem Zuwachs der Nationalsozialisten die einzige bürgerliche Partei, die stabil geblieben sei, obwohl viele ihrer Wähler, so zahlreiche mittlere Geschäftsleute, sich am Wahltage gerade im Urlaub bcsundcn hätten. Ein Fehler sei die Verbindung der Wirtschaftspartei mit dem Zentrum in der Neichsregicrung gewesen. Das habe im evangelischen Sachsen ungünstig gewirkt. Im ganzen sei das Ergebnis als katastrophal anzuschcn. Die Nationalsozialisten sollten ihm erst einmal zeigen, ob und wie sic regieren könnten. Abg- Dr. Külz (Dem.) erklärt: Das Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen ist so geworden, wie alle verantwortungsbewußten Politiker es be fürchten mußten. Wirtschaftliche Not, politische Verhetzung und die Finanzpolitik des Reiches haben dem Nechts- radikalismus zu einem ungeheuren An- s ch w e l l e n verholsen. Die wesentlich Leidtragenden sind die Rechtsparteien. Die Bildung einer wirklich tragfähiaen Regie rung erscheint überhaupt nicht mehr möglich, während in dem leichtfertig aufgelösten alten Landtag eine Große Koalition durchaus stetige und fruchtbare Arbeit hätte leisten können. Abg. Dr. Rrcitschcid (Sozi hält die Große Koalition, vielleicht unter Einschluß der Wirtschastspartci, sür die ge gebene Regierungsbildung in Sachsen. Abg. Stöhr (Nal.-Soz.) äußert sich folgendermaßen: Der Erfolg der National sozialisten Sachsens geht weit Über alle Erwartungen hinaus. Die Frage der Regierungsbildung ist im Augenblick noch gar nicht zu übersehen, weil man noch nicht weiß, wie die einzelnen Splitterparteien sich dem Gedanken der Bildung eines bürgerlichen Blocks gcgcnübcrstellen. Auch sind bereits starke Kräfte am Werke, die aus die Bildung einer großen Koalition in Sachsen hinarbeiten. Die Nationalsozialisten drängen sich nicht zur Negierung. Sie sind aber zur Teil nahme an der Regierung durchaus bereit unter der Voraus setzung, baß ihre Grundsätze vorher anerkannt werden. Was wir- Ln Sachsen? Die neue sächsische Parlainentsarithinetik, glcichgcbliebcn durch das Verhältnis von 6l Nichtmarxiste» zu 45, Marxisten, aber tompliziert durch die Existenz von vier unsicheren Splitterparteien, gibt den Regiernngsbildner» harte Nüsse zu knacken. Interessant ist die Rechnung, die der Sozial demokratische Pressedienst aufmacht, der die Frage auswirst: „Warum haben wir gewählt?" und als wahrschein liche Lösung eine von rechts u n d links tolerierte Beamten- regiernng andentet. I» diesen Ausführungen heißt es: „Im letzten Landtag hatte eine Koalition aus Sozial demokraten. Deutscher Vvlkspartci und Demokraten die Große Koalition sstg Mandate von Ms gehabt. Jetzt bringt es die Große Koalition nnr aus 48 Mandate. Sie haben also keine Mehrheit. Welche Parteien kämen sür eine Erweite rung einer solchen Negierung in Betracht? Entweder nur die Wirtschaft oder die kleineren Gruppen der Aufwerlunas- partci. der Mahranngrnppe, des Christlich-Soziale» Volks- diensteö. Aber es gibt auch nur eine Kombination des Bürger tums mit de» Nationalsozialisten, wie in Thüringen, wen» sowohl die Demokrat en als auch die Jung- deutsche» der Vvlksnativnale» Reichsveretntgung mit von der Partie sind. Mau kan» das Wahlrcsultat drehe» und wende» wie man will. Diese Wahl hat die Situation noch verworrener gestaltet, als sie eS ohnehin schon war. Was soll nun werden? Irgendeine Verwaltungs- r c g i c r n n g mit Tolerierung von links und rechts, wie sie schon vor der Auslösung des Landtages geplant war, die schlecht und recht die Geschäfte wcitcrftthrt oder ein Experi ment nach dem Vorbild von Thüringen? Vielleicht setzt sich angesichts des Zwanges der Lage nun wenigstens in dickem Lande bei de» Parteien die Einsicht durch, daß Länder- Parlamentarismus etwas anderes ist als Reichs pa r l a in c n t a r i s m u S . und daß eine Läiidcrrcgicrung im wesentlichen verwaltende Funktionen hat." Die Prcsscsprachrohre der Demokraten empfehlen natürlich nochmals tre» und bieder die Machtcrhebung der Sozialdemokratie in einer verbreiterten Großen Koalition, glauben aber selbst nicht recht an diese Möglichkeit, wie folgende Betrachtungen beweisen: „Die Große Koalition ist. selbst n»nn sich neben den Demokraten und der Deutsche» Volkspartei auch noch die Volksnationalen an Ihr beteiligten, bei weitem nicht mehr möglich. Um sie zu schaffen, bedürfe cs der Einbeziehung der Wirtschastspartci. Diese Koalition von der Wtrtschastöpartei bis zur Sozialdemokratie ist die einzige, gleichzeitig aber auch die letzte Möglich keit, ein Kabinett auf parlamentarischer Grundlage zu bilden... Kommt diese Große Koalition nicht zustande, dann bleibt als letzter Ausweg nnr etn über den Parteien stehendes Kabinett, wte es Dr. Dehne vor einigen Wochen ans die Beine zu stellen versuchte." Dagegen zieht eine Chemnitzer rechtsstehende Zeitung ans der neuen Lage die Schlußfolgerung: „Es wäre eine Verfälschung des sächsischen Wahlwillens, wenn eine sozialdemokratische Mitrcgierung überhaupt in Betracht gezogen würde. Nichtig wäre eine Bestätigung des überparteilichen Kabinetts Schi eck, gegebenenfalls unter Besetzung des ArbcitsininisteriumS." Also links und rechts zweifelt man schon tm Borstadinm Ser NegicrungSverhanülungen an der Möglichkeit, In diesem Landiag eine Negierung nach den parlamentarischen Regeln bilden zu können und weist einmütig aus die Beamtcn- rcgicrung hin, die auch des alten Landtags letzte Weisheit gewesen ist. In der Tat: Warum haben wir gewählt? Sk Kommunisten stellen Won Anträge In der Fixigkeit sind die Kommunisten allen anderen Parteien zweisellvs über: Bereits am Tage nach der Wahl haben sie beschlossen, vier Anträge tm Landtag cinzu- brtngen, obwohl cs rechtlich Abgeordnete erst in dem Augen blick gibt, wo der Landeswahlausschuß ihre Erwählung scst- stellt. Der erste Antrag verlangt den Siebenstunden tag, für Bergarbeiter unter Tage den Sechsstunbentag, der zweite will die Regierung beauftragen, den Beschluß dcS vorigen Landtags, die gesamten Mittel aus der Mietzins- steucr sür den Wohnungsbau zur Beringung zu stellen, so fort diirchzuführen. Die Folge wäre der finanzielle Ruin des Staates und aller Gemeinden, die auf die Mictzinsstcuer unbedingt angewiesen sind. Der dritte An trag fordert mindestens 7N Millionen Reichsmark für Beschaffung von Arbeit, und der vierte wendet sich gegen den Abbau der Gehälter der unteren und mittleren Beamten und gegen das Notopser, verlangt aber, daß die Beamten- und Mint st ergehälter ans höchstens 8NNN Reichsmark festgesetzt werden. Man erkennt den reinen A g i t a t i o n S ch a r a k t e r all dieser gänzlich undurchführ baren Anträge. Allein die Bcrwtrklichnng üeS zweiten »nd dritten Antrags würde die Staatsftnanzcn um über IM Mil lionen schädigen, mit anderen Worten: ihren Ruin herbet- sührenl - - Am Banne -ev Sachsenwahlen Was dieser Landtag Sachsen bringen wird, das kann noch kein Mensch ahnen. Eins aber steht heute schon fest: Der Ausgang der Landtagswahlen wird aus die Ncichs- politik einen Einfluß ausüben, wie noch nie Wahlen zu einem Länderparlament. Landtagswahlen haben schon immer auch in den übrigen Teilen des Reiches Beachtung als Stim mungsbarometer für kommende Rcichstagswahlen gesunden. Aber noch nie — das können wir ruhig behaupten — war bereits das Interesse vor dein Wahlausgang, insbeson dere in den politischen Kreisen Berlins, so groß wie bei den Sachsenwahlen. Ursache dafür sind die latente Regierungs krise im Reiche und die unklaren Mehrheitsvcrhältnisse kür ein bürgerliches Kabinett der Mitte. Wer soll Sieger in dem zähen Ringen zwischen Regierung und Reichstag sein? Emp fiehlt es sich sür Brüning, den Reichstag auszulüscn, ist es angebracht, das heiße Eisen des Nolvpsers oder anderer Stcnerpläne noch zu berühren, sollen die Mittelparteien wieder mit den Sozialdemokraten paktieren, nachdem der Klügste aller Demokraten, Professor Hellpach. festgestellt hat, das Kabinett Brüning sei nichts weiter als sozialistische Reaktion ohne Mitverantwortung der Sozialdemokratie, soll wiederum ei» Volksparteiler oder neuerdings gar ein Demo krat die Finanzpolitik des Zentrums machen, zur Freude der Sozialdemokratie und zum Schaden und gegen den Willen der eigenen Partei? Dieses ganze Tohuwabohu von Fragen und Sorgen des Berliner Parlamentarismus be durfte einer Klärung. Schon seit Wochen fühlten unsere Volksboten, das Barometer, das die Entscheidung über das Wetter am politischen Himmel der Reichshanptstadt bringen werde, seien die Sachsenwahlen. Sachsen, das Land der stärksten Industrialisierung aus dem Gebiete der Fertig- sabrtkation mit seiner großen,, intelligenten Spezialarbeiter schaft, zugleich das Land der größten Arbeitslosigkeit und der heftigsten Wirtschastsdepression, leidet unter all den Problemen am stärksten, die eine schlechte Konjunktur dem ganzen Reiche stellt. So wurde unsere Heimat zu einem geradezu idealen Versuchsfeld sür die Erforschung des poli tischen Stimmungswandels, der sich in Deutschland seit der letzten Neichstagswahl im Jahre 1828 vollzogen hat. Sym ptomatisch dafür war allein schon das Interesse großer poli tischer Zeitungen des Reiches, denen ihre örtlichen Korre spondenten für die Berichterstattung nicht mehr genügten, die vielmehr Redaktionsmitglicdcr zu uns sandten, gewisser maßen als Kriegsberichterstatter, die jede Bewegung im strategischen Aufmarsch der Parteien zur Wahlschlacht fest- znhalten und im voraus auszudcuten hatten. Man fieberte im Reiche über den Wahlausgang fast mehr als in Sachsen selbst. Und die U e b e r r a s ch n n g c n für bas Reich und die Berliner Politiker sind auch nicht ausgcbliebcn. Sie liegen vor allem in dem starken Anwachsen der Natio nalsozialisten, die mit der Verdreifachung ibrcr Stim menzahl innerhalb eines Jahres eine» Erfolg erzielt haben, wie sie ihn zu Beginn des Wahlkampfes selbst nicht zu er hoffen wagten. Und dieser Erfolg ist — das weiß man in Berlin nnr zu gut — snmptomatisch für das ganze Reichs gebiet. Die rege Propagandatätigkeit der Nationalsozia listen im ganzen Reiche, die Enttäuschungen der Bevölke rung über die Versprechungen der Negierung ans Steuer senkung, die so kraß in ihr Gegenteil nmgcschlagen sind, die anhaltend tiefe Depression unseres Wirtschaftslebens, ja, selbst die Not weiter Kreise des Landvolkes, — sie würden den Nationalsozialisten bet NeichStagswahlei, einen ähnlichen Erfolg wie in Sachsen bescheren. Hinzu kommt, daß die Er oberungen der Ngtivnalsozialistcn keineswegs nur aus Kosten der Deutschnativnalen gehen, sondern alle bürger lichen Parteien in Mitleidenschaft ziehen, ja. daß sie. wie das Dresdner Wahlergebnis sehr klar zum Ausdruck bringt, auch t» das marxistische Lager einzubrcchen wissen: das alles wird den Parteien der Mitte und der Linken zu denken geben. Die Prognose: „Hitler frißt Hugcnberg" hat sich in dieser Uubcdingtheit und Ausschließlichkeit als ein Irrtum er wiesen. Für die bürgerlichen Wcltanschannngsparteien des Reiches werden auch die ersten Erfolge der Volksnatio nalen und des Christlichen B o l k S d i c » st e S zu nicht sehr freudigen Betrachtungen Raum geben. Hatten ihnen bis her bas Entstehen und die Erfolge bcrussständischcr Gruppen des Landvolkes und des Mittelstandes Abbruch getan, so haben sie nunmehr auch von ncngcbildctcii Weltanschanungs- parteien abermals einen nicht unerheblichen Aderlaß z» be fürchten. Aber auch aus seiten der Linken wird man den Ausgang der sächsischen Wahlen mit sehr unheimlichen Ge fühlen ausgenommen haben. Gewiß, die Einbuße der Sozial demokratie beträgt nur ein Mandat, aber man wird im marxistischen Lager nicht übersehen können, daß die gemäßig ten Altsoztalisten ganz verschwunden sind und daß der Kom munismus trotz des besondere» sächsischen Radikalismus weiterhin im AnschwcNcn ist. Zudem ist das Gesnndbad der Opposition den sächsischen Sozialdemokraten nicht gut be kommen» und es wird der Partei im Reiche erst recht keine Kräjttgung verschaffen. Dazu sind die Wählermassen der