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Das plastisch-einprägsame, männliche Hauptthema des ersten Satzes (Allegro con brio) setzt sich aus einem aufsteigenden c-Moll-Dreiklang, einem abwärts zum Grundton fallenden Schreitmotiv und einem ausgesprochen rhythmischen Quartenmotiv zusammen, das besonders in der Coda (hier von den Pauken ge spielt) wichtig für die thematische Entwicklung wird. Einen Gegensatz dazu bringt ein schwärmerisches, gesangvolles zweites Thema in der Paralleltonart Es-Dur. Nachdem das Hauptthema die orchestrale Exposition energisch beendet hat, be ginnt in der an Auseinandersetzungen und Spannungen reichen, die Themen meisterhaft verarbeitenden großen Durchführung das intensive Wechselspiel der beiden Partner, das schließlich noch nach der Kadenz des Solisten in der Coda eine letzte Steigerung erfährt. Schon rein durch seine Tonart E-Dur hebt sich das folgende, innig-schöne Largo merklich von den Ecksätzen ab. Der dreiteilig angelegte Satz, von dem eine ge löste, feierlich-ruhevolle Stimmung ausgeht, setzt solistisch ein; das zuerst vom Klavier vorgetragene Thema ist von klassischer Größe und Erhabenheit. Im Zwie gespräch mit dem Orchester wird es dann durch das Soloinstrument mit feinem, filigranhaften Figurenwerk umspielt. Harfenähnliche Arpeggien des Klaviers um ranken im Mittelteil des Largos den Gesang der Flöten und Fagotte bis in der Reprise wieder die Ornamentik des begleitenden Soloinstrumentes, jetzt noch reicher angewendet, kennzeichnend wird. Der lebhafte, humorvoll-energische Finalsatz, ein Rondo, führt in die Hauptton art c-Moll zurück. Wiederum beginnt der Solist mit dem Hauptthema, das zu packend-trotzige Züge trägt und im Verlauf des Satzes im geistvollen Dialog zwischen Orchester und Klavier mit Varianten immer wieder auftaucht, wobei interessante harmonische Rückungen, eigenwillige Modulationen charakteristisch sind. Nach einer zweiten kurzen Kadenz des Klaviers findet ein Wechsel von Takt, Tempo und Tonart statt. Die stürmische Coda (Sechsachteltakt, Presto) schließt in strahlendem C-Dur schwungvoll und glänzend das Konzert ab. DmitriSchostakowitsch schrieb seine 10. Sinfoniee-Mollop. 93 im Sommer 1953. Das Werk, dem kein eigentliches Programm zugrunde liegt, zählt zu den gewichtigsten Schöpfungen des großen sowjetischen Meisters. Am 17. Dezember 1953 wurde es in Leningrad erfolgreich uraufgeführt, im Mai 1954 stellte es Franz Konwitschny in Berlin zum ersten Male der DDR-Öffentlichkeit vor. Die gedankenreich-philosophische, schwermütige Grundhaltung der Sin fonie, auch ihre melodische Atmosphäre gemahnen etwas an Tschaikowski, über haupt zeigt das faszinierende Werk in seiner jähen Kontrastierung von melan cholischen und vitalen, dramatischen Partien eine unverkennbar nationale Eigenart. In einigen Äußerungen über die „Zehnte" bemerkte der Komponist, daß er sich bemüht habe, in ihr die Gedanken und das Erleben der Menschen wiederzu geben, die den Frieden lieben, die gegen jegliche Kriegsdrohung kämpfen, die die Berufung des Menschen auf der Erde im tatenfreudigen Schaffen sehen, nicht im Zerstören. „Den Frieden lieben und nach Frieden streben", sagte Schostako- witsch, „das bedeutet nicht idyllische Beschaulichkeit und passives Warten auf Stille und Ruhe. Streben nach Frieden, Liebe zur Menschheit und zu ihrer großen Kultur — das bedeutet Arbeit, Schaffen, Kampf. Liebe zur Sache des Friedens — das bedeutet unversöhnlichen Haß gegen die Sache des Krieges. Liebe zur Sache des Friedens — das bedeutet Liebe und Treue zu seinem Volk, zu seiner Heimat und gleichzeitig tiefe Ehrfurcht vor den nationalen Gefühlen aller Völker, vor der fortschrittlichen, humanistischen Kultur der Menschheit." Der Moskauer Musikwis senschaftler Peter Galchin schrieb über Schostakowitschs Werk folgendes: „Die 10. Sinfonie besteht aus vier Sätzen. Der erste Satz (Moderato) beginnt mit einer langsamen Einleitung, einer Musik voll tiefer Nachdenklichkeit. Später erscheint — in der Klarinette — eine zu Herzen gehende Melodie, das Haupt thema des ersten Satzes. Es hat einen stark nationalrussischen Charakter und wird nach und nach dramatischer behandelt, Mit dem lyrischen Seitenthema in der Soloflöte kommen allmählich unruhige und erregte Stimmungen in die Musik, die immer mehr anwachsen bis zu äußerster dramatischer Spannung. Dem von neuem auftauchenden Thema des einleitenden Moderato verleihen die Klänge der Pauken und der kleinen Trommel unheilverkündende Züge. Mit ihm verflech ten sich die beiden lyrischen Themen, und es entsteht das Bild eines leiden schaftlichen, quälend angestrengten Kampfes. Aber noch führt hier der Kampf nicht zum Sieg des lichten Elements. Wohl klingt das zweite Thema gegen Ende des Satzes wärmer und weicher, aber noch nicht beruhigt. Am Schluß kehrt die Musik der Einleitung wieder. Der zweite Satz (Allegro) ist in einer ununterbrochenen, stürmischen Bewegung gehalten. Der Wirbel der kleinen Trommel, das Pfeifen der Pikkoloflöte und der grelle, schreiende Kiang der Klarinette ergeben ein plastisches Bild vom Wüten wilder, dunkler Kräfte, wie wir sie in den Werken Schostakowitschs aus den Kriegsjahren finden. Die Musik klingt wie das Mahnen vor einem drohenden neuen Krieg, wie zorniger Protest und bringt feste Kampfentschlossenheit zum Ausdruck. Der dritte Satz (Allegretto) gründet sich auf die Entwicklung dreier Themen. Be sonders lieblich ist das tänzerische erste Thema. Große Ausdruckskraft und Span- nungsgeladenheit zeichnen das kurze zweite Thema aus. Wiederholt auftau chende Rufe des Horns (drittes Thema) führen zur Wiederkehr der „Musik der Nachdenklichkeit" aus der Einleitung des ersten Satzes. Unerwartet brechen for dernd scharfe Klänge herein, welche die Stimmung der Beschaulichkeit und Nach denklichkeit völlig zu zerstören drohen, doch schaffen die Rufe des Waldhorns wieder etwas Beruhigung. Das Finale (Adante-Allegro) beginnt, wie der erste Satz, mit einer langsamen Einleitung: Den gedämpften Läufen der Celli und Bässe antwortet die einsam rufende Stimme der Oboe. Aber die traurige und klagende Musik wird von den leisen, aus der Ferne herdringenden Rufen der Klarinette und Flöte durchbro chen. Daraus entsteht das Hauptthema des Finales. Es versetzt den Zuhörer in eine völlig andere Welt. Das Thema ist voller Bewegung und Fröhlichkeit, in ihm klingen die Melodien sowjetischer Pionierlieder an. Im Reigen ziehen, eine die andere ablösend, lebensvolle, energische Melodien vorüber, in denen man das Pulsieren junger Kräfte spürt. Die Woge froher Erregung erreicht ihren Höhe punkt und reißt die hier von neuem auftauchenden dramatischen Themen aus der Einleitung zum Finale und aus dem dritten Satz an sich. Für kurze Zeit keh ren, wie eine Erinnerung an das Durchlebte, die traurigen, klagenden Melodien wieder. Aber eine neue, noch höhere Woge jugendlicher Energie und herzlicher Fröhlichkeit spült die Bilder der Erinnerung fort. Sie festigen sich in neuer Ge stalt und fließen zu einer Musik zusammen, die das Streben der sowjetischen Menschen nach Frieden und nach Glück ausdrückt." VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 28. Mai 1977, 20.00 Uhr, Freiverkauf Sonntag, den 29. Mai 1977, 20.00 Uhr, AK (J) Festsaal des Kuiturpalastes Dresden 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur, Leipzig Solisin: Cecile Ousset, Frankreich, Klavier Werke von Mendelssohn, Schumann, Rachmaninow und Ravel Prog'rammblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit VHbm — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 2.65 T. ItG 00938-77 EVP-.25 M (•biilharnoorri^ 8. ZYKLUS-KO NZERT UND 8. KONZERT IM ANRECHT C 1976/77