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Voiglliindischer Anzeiger. Amtsblatt für dnS Königliche Bezirksgericht zu Plauen, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträche zu Planen, Pansa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. DreiulWekenzigster Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Diese» Blatt erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienstags, Mittwochs, Donnerstags und Sonnabends. Jährlicher AbonnementSprei-, welcher prLnuvas- ravcko zu entrichten ist, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Tblr. 2»; Ngr. — Annoncen, die bis Vormittags 1t Uhr eingehen, werden in die Tags darauf erscheinende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit t Ngr. für die gespaltene EorpuS-Zeile berechnet. Einzeilige mit 2 Ngr. - Für die auswärtigen Königl. Gerichtsämter und Stadträthe, für welche der Voigtländische Anzeiger Amtsblatt ist, bestehen die Geschäftsstellen in Pausa bei Herrn Julius Guido t'orenz, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, in Schöneck bei Herrn Eduard Meyer, in Mühltroff bei Herrn Ehauffeegelder-Ginnehmer Holzmüller. Mittwoch. 2. Rovember 1868. - / - - - - ...... ... - DaS Musterland und die Stütze für diejenige Sorte von sogenannten Con- servativen, denen jede, auch die dringendste Verbesserung im Staatswesen em Greuel ist, und das Goldland für alle Rückwärtsler, die in Deutschland gerne das Mittelalter wieder hergestellt hätten, wenn cS thunlich gewesen wäre, war bis zum Krimkrieg und zum Pariser Frieden 1856 das „heilige" Rußland, und Czaar Nikolaus der Knecht Ruprecht, mit dem die Berbesserungsbestrebungen in Deutschland erschreckt wurden. In Rußland selbst war schon Asien, d. h. Still stand, Stagnation. Die „kleinen Herren" herrschten unumschränkt über ihre leibeigenen Sclaven, der Czaar wieder eben so über die „kleinen Herren," die Polizei war allmächtig, die Rechtspflege eine wächserne Nase, Bestechung und Betrügerei unter den Beamten an der Grenze und im Innern, beim Civil und Militär ganz iu der Ordnung, für Straßen und Eisenbahnen gab's kein Geld, dieß verschlang die ungeheure Armee, die Pontus- und Ostseeflotte, die Reisen de- Kaisers. Aber diese glänzende Staatswirthschaft machte Rußland nach Außen gefürchtet, den Czaar Nikolaus zum Schiedsrichter in Europa und verdeckte die ianern Schäden deS Ungeheuern LändercolosseS. Der Krimkrieg legte diese unbarmherzig bloß und kostete dem Czaar Niko la»- das Leben. Sein herrliches Kriegsheer hatte sich nicht bewährt, seine Kriegsflotten mußte er versenken oder hinter Granitmauern verstecken, der Zauber- schein russischer Macht war gebrochen. Der neue Kaiser Alexander H. begriff, daß reformirt, gebessert werden müsse, und zwar nicht bloS in BerwaltuugS- einzelheiten, sondern gründlich und grundsätzlich. Und kaum hatte der bisherige Selbstherrscher diese Neformnothwendigkeit ausgesprochen, so kamen in demselben Rußland, in welchem man bi-her nur einen asiatischen Herrscher und sonst lauter Sclaven gedacht hatte, alle politischen Partheien zum Vorschein, wie wir sie in Westeuropa haben und die sich in aller Stille gebildet hatten. Hitzköpfige Re publikaner, Liberale rc. wuchsen heraus, wie die Pilze, Verschwörungen gab'» an allen Ecken und Enden, und zur Verwunderung von ganz Europa erklang in Rußland das Wort „Constitution," ohne daß die, welche es aussprache», fuderweise nach Sibirien geschickt wurden. Der Adel hätte diese Constitution gern für sich gehabt, d. h. die unumschränkte kaiserliche Macht zu seinem Gunsten eingeschränkt gesehen, die 22 Mill, leibeigenen Bauern aber nach wie vor unter Leibeigenschaft gehalten. Aber Alexander wollte keine wirkliche Constitution, auch seine unumschränkte Herrschergewalt nicht zu Gunsten des Adels, sondern vielmehr zu Gunsten des ganzen 6V Millionen starken russischen Volk- be schränken, und diese Reform sollte von der Krone auSgehen, ohne diese zu schwächen. Dieß war der Reformgrundsatz, auf dem er bisher gebaut hat. Zuerst mußten vor Allem au» Leibeigenen freie Menschen gemacht werden, aus diese soziale, gesellschaftliche Grundlage ließ sich dann weiter bauen. Dies« ungeheure Arbeit wurde in Angriff genommen und ist, allem Widerstreben de» AdelS zum Trotze, so weit schon durchgeführt, daß sie nicht mehr rückgängig gemacht werden, die Vollendung höchsten» noch etwas sich verzögern kann. Au die gesellschaftliche Befreiung von 22 Millionen Bauern wird fich die zweite Bedingung aller politischen Freiheit, die Selbstverwaltung der Gemeinden, schließen, nnd ist auch der Kampf dafür vorläufig noch nicht au-gekampft, so liegt doch eben so in der unbeschränkten kaiserlich« Macht, wie in der gesell schaftlich« Befreiung der Leibeigen« und iu de» selbst durch die Leibeigenschaft nicht ganz unterdrückten Gemeindefreiheit Bürgschaft genug, daß auch hierin der Fortsidritt endlich siegen werde. An die Selbstverwaltung der Gemeinden wird sich, wie russische Zeitung« ohnlängft meldeten, die Selbstverwaltung der Kreise, und an diese wieder die Selbstverwaltung der Gouvernements (Ptvvmzen) er gänzend schließen. Die Provinzen werden durch Rathsversammlungen, die vou allen Ständen auf Zeit frei gewählt werden, vertreten, und steht dies« Rächen nicht blos eine berathende, sondern auch eine vollziehende Gewalt zu. Spricht es nun der Kaiser auch vorläufig noch nicht aus, daß auf dieses von Unten herauf freiheitlich und selbstständig begründete StaatSgebäude noch die Krone, d. h. ein Landtag, oder Reichstag, oder Parlament für ganz Rußland folgen werde, so liegt diese Folge schon naturnothwendig in der Anlage de- neu« aufzubauenden StaatSgebäude- für das gewaltige Reich. Bi- dahin gewinnt der Kaiser Zeit, aus unbeschränkter Machtvollkommenheit die «och uothwendig« Verbesserungen in der Rechtspflege einzuführen, ohne daß ihm der Adel, wie bei der Leibeigenenbefteiung, Schwierigkeit« mach« kann. Sv hab« wir schon mit Staunen gelesen, daß nach dem Befehl vom 29. Septbr. d. I. die noch nicht einmal in allen constitutionellen Staaten Deutschlands von der Rechtspflege getrennte Verwaltung mit doppeltem Inftanzenzuge und einem Kassationshof« in Rußland bald und vollständig getrennt sein wird, daß Oeffentlichteit und Münd lichkeit des Verfahrens, Gcschworne, die wir ebenfalls noch nicht überall in Deutschland haben, Staatsanwaltschaft und Advokatenkammern emgeführt werden. Diese Verbesserungen sind für Rußland von ungeheuerer Wichtigkeit; sie sind die Grundlage zum Rechtsstaat in Rußland, da der Kaiser vorläufig nur die gesetzgebende Gewalt allein sich vorbehält, die Trennung der vollziehend« und der richterlichen Gewalt aber ausgesprochen ist. Wohl werden Adel u»d Be amte sich gegen diese Verbesserungen stemmen, aber da» Volk wird sie freudig aufnehmen und die kaiserliche Macht sie dmcchführm. Wenn aber ein Volk von 60 Mill. Mensch«, wie da» russische, da» Jahr hunderte hindurch in der Sclaverei lebte und dessen Kräfte «ach unumschränkter Herrscherwillkür bisher verwendet werden konnten, in die Wohlthat« eine- eu ropäischen Rechtsstaates eingeführt wird, so kann e- nicht blo- die freiheitlich« Entwickelung anderer Völker nicht mehr Hind««, sondern das eigene Interesse schreibt ihm auch vor, st« zu fördern, nnd hierin liegt die ungeheure Bedeutung der Reform« Alexander II. für die ganze gebildete Welt. Diese Reform« sind eine neue Gewähr, daß die Tage der unumschränkte« Herrschaft und de» Scheinconstitutionali-mu- in Europa gezählt sind, wenn sie auch an der Seine und an der Spree noch hell zu leuchten scheinen. Tachos». Dem Vernehm« nach ist die Ernennung de- vermaiig« Chefs der Dresdner Polizeidirection, Uhde, zum KreiSdirector m Zwickau er folgt. Al- sein« Nachfolger in DreSdm bezeichnet man theitt de» Amt-Haupt- mau« von Einsiedel, theils dm AmtShanptmaun Graf Münster. Die Paßkarlen für 1863 werden blaue Farben erhalt«. Wie die sächs. Schulzeitung mittheilt, beschäftigt sich der Cultu-mmister mit dem Plane, den Bolksschullehrern künftig Gelegenheit zu «in« gründlichem Ausbildung zu geb«, al» die Seminare iu ihrer jetzig« Verfassung ihn« zn biet« im Staude sind. E» würden dadurch der Bvlk-fchnle hjcht «er tüchtige« Kräfte zugeführt, sonder« auch an- dem Staude der Bottsschuttehrer selbst für höhere Schul« geeignetere Lehrkräfte gevoüu« werden. D« KreiSdirectivn« wäre daher die Aufforderung zugegang«, darüber ihr Gulacht« abzugeb«, ob