Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960520021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896052002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896052002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-20
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bez«g-.PreiS in Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung tus Ausland: monatlich uill 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Ne-action und Expedition: JohanneSgaffe 8. Dieikxpeoition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktto Klemms Sortim. (Alsrcd Hahn). Universitütsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Kathartnenstr. l-1, vart. und Königsvlak 7. Abend-Ausgabe. WpMtr MMalt Anzeiger. NtttlsMtt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nattjes und Nolizei-Nmtes der Stadt Leipzig. AnzeigeU'Prei- die Kgespaltme Petitzeile 20 Pfg. Reclameu unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung 60.—, mrt Postbesürderung 70.—. Annahmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 254. Mittwoch den 20. Mai 1896. W. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Mai. Der Reichstag hat die beiden Sitzungen, die er zur ord nungsmäßigen Erledigung dringlicher Angelegenheiten noch vor der Pfingstpause abzuhallen hatte, rasch aufeinander folgen lassen, so daß er sich gestern vertagen konnte. Der Präsident hat den Wiederzusammentritt bereits auf den 2. Juni anberaumt, eine Wirkung der Energie, mit der die verbündeten Regierungen auf die Fertigstellung des Bürgerlichen Gesetzbuches dringen, zugleich aber ein Zeichen des Ernstes, mit dem dieses Ziel auch aus dem Hause heraus angestrebt wird. Die Parteien, die sich für die Erledigung der großen Arbeit am meisten interessiren, sind in der Hoffnung des baldigen Gelingens auseinandergegangen; hoffentlich rechtfertigt der Pflichteifer der einzelnen Abgeordneten die Zuversicht der Fraktionen. Das wird aber nur dann möglich sein, wenn die Fraktionen diejenigen ihrer Mit glieder, deren Anträge in der Eommission abgeleknt worden sind, von der Wiedereinbringung und Verfechtung dieser An träge im Plenum abhalten. Man kann cs der großen Mehr zahl der Abgeordneten kaum verdenken, wenn sie sich von Streitereien fern halten, deren Resultat von vornherein fest steht und die nur zu dem Zwecke provocirt werden, das Licht einzelner Besserwisser leuchten zu lassen. Der große Proceß gegen die Führer der socialdcmo- tratischcu Partei, die wegen Uebertretung des preußischen BereinSgesetzcs in Anklagezustand versetzt und deren Partei organisationen unter Zustimmung des Gerichts bereits auf gelöst worden waren, ist nicht so verlaufen, wie seine Urheber cs gehofft haben. Er hat zwar nicht, wie die socialdemo- kratischcn Blätter erwarteten, mit der Freisprechung sämmt- licher Angeklagten und mit einer Aufhebung der Schließung der soeialdemokratischen Bereine geendet; die Hauptangeklagtcn Auer, Bebel, Singer, Gerisch rc. sind vielmehr mit Geldstrafen belegt worden und die Wahlvereine des 2., 4., 5. und 6. Neichs- tagswahlkreises in Berlin bleiben geschlossen. Aber da für die Parteileitung bereits Ersatz geschaffen ist durch die Ueber- tragung der Geschäfte derselben auf die socialdemokratische Reichstagsfractivn und da für die Preß-, Local und Agitations commission, wie für die Organisation der Vertrauensleute die Schließung wieder ausgehoben ist, so kann nur wiederholt werden, was schon s. Z. über daS unter Herrn v. Köller eingeleilete Verfahren gesagt wurde: „Dieses Urtheil wird der Socialdemokratie mehr Vortheil bringen, als es ihr Abbruch thun kann." Die fehlenden Organisationen lassen sich leicht ersetzen, dagegen muß die Socialdemokratie bei dem Bestreben, vereinsgesetzliche Bestimmungen zu beseitigen, die jede VereinS- thätigkeit unmöglich zu machen drohen, die Unterstützung auch solcher Parteien finden, die grundsätzliche Gegner der Socialdemokratie sind. In der Begründung des Urtheils ist mehrfachen Einwendungen gegenüber betont, daß der Richter sich streng an das bestehende Gesetz zu halten habe und nicht Zweckmäßigkeitsgründe, Rücksichten auf daS Parteileben oder den Umstand, daß auch andere Parteien ohne Verstoße gegen das Vereinsgesetz nicht bestehen können, auf sein Erkenntniß einwirken lassen dürfe. Damit ist geradezu eingestanden, daß die Bestimmungen des preußischen Vereinsgesetzes gegen die Verbindung von Vereinen miteinander veraltet und mit dem unabweislichen Bedürfniß des heutigen öffentlichen Lebens, welches für jede Partei eine zusammenhängende Organisation verlangt, unvereinbar sind. Die nothwendige Folge des Processes wird also eine verstärkte und allgemeinere Bewegung zu Gunsten einer Abänderung nicht nur des preußischen Vereins- und BersammlungSrechtes, sondern auch aller anderen partikularen Vereinsgesetze mit ähnlichen veralteten Be stimmungen sein. Wenn der ungarischen Mtllenniumsfeier von der deutschen Presse Sympathien bekundet worden sind, so war daS bei dem Verbältniß des Reiches zur habsburgischen Monarchie selbstverständlich, und ebenso braucht kein Wort darüber ver loren zu werden, daß die deutsche Presse davon absah, aus Anlaß des Festes die ungarischen Zustände unter die Lupe zu nehmen und den Magyaren eine Rechnung über ihr Ver fahren gegen das Deutschthum in Ungarn aufzumachen. DaS Letztere aber zu beschönigen oder gar die Bedrückung des Deutschthums durch die 1867 zur Herrschaft ge kommenen beiden Volksstämme in das Reich der Fabel zu verweisen, ist eine nationale Selbstherabwürdigung, der in den Spalten eines deutschen Regierungsblattes zu begegnen, man nicht hätte erwarten sollen. Der „Nordd. Allg em. Ztg." war es Vorbehalten, dieses Minimum von Vertrauen zu enttäuschen. Sie giebt, ganz nach dem Vorgang der verkommenen Wiener Börsen- und Börsencomptoirpresse, einer Pester — sie natürlich schreibt „Budapester" — Zu schrift Raum, in der nach den üblichen Versicherungen der Werthschätzung des Deutschthums Folgendes gesagt wird: „Wenn hier noch zeitweilig Reserven und Vorsichten gegen das Deutschthum wahrnehmbar sind — und auch diese Erscheinung tritt immer mehr zurück —, so gelten sie nur den gegen die ungarische Nation gerichtet gewesenen Germanisirungsbestrebungen einer früheren Epoche und haben gar nichts mit der Sympathie, Dankbarkeit und vollen Würdigung zu thun, welche gerade hier dem deutschen Volke als solchem von allen Patrioten engegengebracht wird. Das evangelische Glaubensbekenntniß, welches hier als die „unga rische Religion" gilt, ist uns auS deutschen Landen gekommen." Den Magyaren ist, beiläufig bemerkt, noch sehr viel anderes Gute „aus Deutschland" gekommen, so ziemlich Alles, was sie an nicht Eß- und Trinkbarem besitzen, das aber hat sie nicht gehindert und hindert sie heute nicht, „Reserven" gegen das Deutschthum zu üben, d. h., auS dem Ungarisch- Officiösen ins Deutsche übersetzt, das Deutsche mit stumpf und Stiel auSzurotten, daS Deutsche im geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehr zu verfehmen und wo nicht, wie in diesen Tagen, ein unmittelbarer Schaden davon zu gewärtigen ist, die Deutschen zu beschimpfen. Es ist charakteristisch für den Ausstellungsbesuchswerber in der „Nordd. Allg. Ztg.", daß er den jüngsten Grund zur maygarischen Werthschätzung deS Deutschthums in daS 16. äahrundert verlegt. Wir verargeu ihm das nicht, nur wollen wir nicht mit dem Berliner Negierungsorgan sein Vertrauen zu den „dummen Schwaben" rechtfertigen, in dem wir uns Uber die Natur der maygarischen „Rerserve" und „Vorsicht" täuschen lassen und ohne Widerspruch die plumpe Verantwortung entgegennehmen, die heutige „Vorsicht" zelte früheren Germanisirungsversuchen. Wenn dergleichen im „Börsen-Courier" zu lesen gewesen wäre, so hätte man es mit Stillschweigen übergehen dürfen. Da die „Nordd. Allg. Ztg." aber Regierungsblatt ist und im Auslande noch mehr dafür gilt, als sie es in Wirklichkeit ist, so müßte man sich schämen, wenn man die dreisten magyarischen Freundlichkeiten ohne Bemerkung hinnähme. In Frankreich hat sich eine Gesellschaft gebildet, die den Titel trägt: „Alliance nationale pour le relövement cle la Population krantzai8e/' Die Gesellschaft setzt sich also zum Ziel, die Bevölkerungsziffer Frankreichs zu erhöhen. Die Niedrigkeit dieser Ziffer im Vergleich zu anderen Ländern ist bekanntlich schon längst ein Gegenstand großer Sorge für die französischen Nationalökonomen und Politiker, zahl reiche Artikel und Schriften über die Ursache des Nebels, sowie mannigfache Vorschläge zur Abhilfe sind veröffentlicht worden, ohne daß es jedoch bisher zu einem praktischen Ergebniß der Erörterung gekommen ist. Ob die neue Gesellschaft glücklicher ist, muß man abwarten. Ihre erste Aufgabe wird es zunächst sein, den Franzosen über ihre Lage die Augen zu öffnen. Dir statistischen Ziffern sind keine tröstlichen. Während die Geburtsziffer auf 1000 Einwohner in Italien 36,3, in Deutschland 36,1 und in Oesterreich 37,2 ist, beträgt sie in Frankreich nur 22,7 und zeigt außerdem die Neigung, beständig zu sinken. Das politische Ergebniß sticht noch mehr in die Augen. Vor hundert Jahren war Frankreich der volkreichste Staat in Europa, heute kommt er erst an fünfter Stelle. Damals waren von den 08 Millionen Einwohnern, die auf die größten Staaten entfielen, 27 Procent Franzosen; heute machen die Franzosen von den 300 Millionen der Groß mächte nur noch 12 Procent aus. Hält die bisherige Bevölke rungsziffer an, so kann man es sich an den Fingern abzählen, daß Frankreich im Verhältniß zu den übrigen Staaten umner kleiner an Volkszahl und darum immer schwächer wird. So klar dies ist, so schwer ist die Abhilfe. Die geringe Geburts ziffer Frankreichs setzt sich aus unendlich vielen Ursachen zu sammen, denen auf öffentlichem Wege nicht leicht beizukommen ist, und jedes Vorgehen stößt auf Sitten und Gewohnheiten, die zu tief eingewurzelt sind, als daß sie sich von oben herab ändern ließen. Der Besuch des Fürsten Ferdinand von Bulgarien beim König Alexander von Serbien in Belgrad soll ver äußerliche Ausdruck einer definitiven Aussöhnung und Aus gleichung der Jnteressengegen ätze sein, die schon seit langer Zeit zwischen Serbien und Bu garien bestehen. Fürst Ferdinand hat es an Versicherungen der Freundschaft in seinen Tisch reden nicht fehlen lassen, und der jugendliche König Alexander scheint geneigt, Zukunftspläne auf diese Freundschaft zu bauen. In Bezug aus Macedonien stehen die Bulgaren und Serben sich noch heute feindselig gegenüber. Die Errichtung serbischer Schulen in Macedonien, die in letzter Zeil von der türkischen Regierung bereitwilliger als früher genehmigt wurde, ist wiederum durch die einflußreiche bulgarische Pro paganda verhindert worden. Die neuernannten christlichen Vicegouverneure, welche auch Bulgaren sind, stehen thätig auf Seite der bulgarischen Propaganda und verzögern, wo es nicht anders geht, die Eröffnung serbischer Schulen in Mace donien. In mehreren Ortschaften des Vilajets Bitoljia wurden sogar serbische Schulen geschlossen, die serbischen Geistlichen und Schullehrer vertrieben und durch bulgarische ersetzt, so daß ein Sturm der Entrüstung und Erbitterung durch die dortige serbische Bevölkerung geht und Abordnungen nach Konstantinopel gesandt werden, die die Entfernung des neuen bulgarischen Vicegouvernenrs bei vem Sultan erbitten wollen, damit derselbe nicht bas Serbenthum noch weiter bedränge. Angesichts dieser Erscheinungen wird man an den Ernst der Aussöhnung zwischen Bulgarien und Serbien kaum glauben können. Des ganzen Ernstes des Jameson'fchen Ver brechens gegen Transvaal wird man sich bewußt, wenn man liest, was die Zeitungen der Capstadt über die Schluß scene des Processes gegen die Mitglieder des Johannesburger Reformcomiles in Pretoria schreiben. Es heißt da: „Nachdem Richter Gregorowski sein Rösums beendigt hatte, wurden Farrar, Philipps, Rhodes und Hainmond aus die Anklage bank geführt. Der Lbersheriff gebot Stille, während das Todesurtheil ausgesprochen wurde. Der Registrator des Gerichtshofes richtete an Lionel Philipvs die Frage: „Können Sie einen Grund angeben, weshalb das Todesurtheil über Sie nicht ausgesprochen werden sollte?" Tie Frage wurde übersetzt und Philipps antwortete: „Nein." In seiner Ansprache an den Angeklagten sagte der Richter: „Lionel Philipps, es ist meine peinliche Pflicht, die Todes strafe über Sie zu verhängen. Ich wende nur an, was bestimmt und niedergelegt ist im Gesetze, und überlasse es Sr. Ehren dem Staatspräsidenten und dem Executiv-Rath, Ihnen so weit Gnade zu zeigen, wie es in ihrer Macht steht. Möge die Hoch herzigkeit, die Se. Ehren der Staatspräsident dieser Regierung der ganzen Welt während der jüngsten peinlichen Ereignisse gezeigt hat, auch Ihnen bewiesen werden. Damit habe ich jedoch nichts zu thun. Ich kann nur sagen, daß Sie in einem anderen Lande keine» Anspruch auf Gnade hätten. Ter Urtheils- spruch dieses Gerichtshofes lautet, daß Sie von diesem Orte, wo Sie jetzt sind, fort- und nach dem Gefängniß in Pretoria oder solchem Gefängniß, wie es gesetzlich bestimmt werden mag, abgeführt werden und dort so lange sestgehalten werden sollen, bis Zeit und Ort der Hinrichtung von der gesetzlichen Behörde bestimmt worden sind, und daß Sie bann nach dem Hinrichtungsort geschafft werden, um dort hingerichtet zu werden am Halse, bis Sie todt sind. Möge der allmächtige Gott Gnade mit Ihrer unsterblichen Seele haben." Das Todesurtheil über die Anderen lautete ähnlich." Bekanntlich hat Präsident Krüger, ohne erst eine Anregung von England aus abzuwarten — sie kam dann in möglichst hochmüthiger Form — sich sofort bereit erklärt, die Todesstrafe umzuwandeln. Die perfiden Aeußerungen Chamberlain's im Unlerhausc und die verdächtige Zusammenziehung englischer Streitkräfte in Südafrika sind schuld daran, daß die end- giltige Verfügung über das Schicksal der Verurtbeilten bis jetzt aufgeschoben worden ist. Nunmehr .scheint aber dieses Drama zum Abschluß zu kommen. Es wird uns Folgendes gemeldet: * London, 20. Mai. (Telegramm.) Den „Times" wird aus Pretoria berichtet: Der Executionsrath beschloß, den Oberst Rhodes, Philipps, Farrar und Hammond mit IbJahren zu bestrafen. Das Blatt bemerkt hierzu: Die Drahtmeldung aus Pretoria sagt nicht, ob es sich um 15 Jahre Gefängniß oder Verbannung handelt. Um das Letztere Wohl kaum. Das nächstliegende ist die Umwandlung der Todesstrafe in Gefängnißstrafe; hätte der Executionsrath auf Verbannung erkannt, also eine ganz außerordentliche, auffallende Milbe geübt, so würde dies sicher in dem „Times"-Telegramm bemerkt worden sein. Aus dem Zweifel des Blattes ersieht man aber, mit welchen Erwar tungen man sich in Londoner Kreisen, die der Chartered- Company ebenso wie der Regierung nahe stehen, getragen hat. Deutsches Reich. * Berlin, 19. Mai. Der einstmalige Chesredacteur der „Kreuzzeitung" Kammerrath Philipp v. Nathusius (Vor gänger des Freiherrn v. Hammerstein) hat gegen Len Ge richts-Berichterstatter Gustav Meyer eine Privat belcidigungsklage angestrengt, welche gestern vor dem Schöffengericht zur Verhandlung gelangte. Es handelte sich um einen Bericht, der gleichlautend in verschiedenen Blättern, auch im „Leipz. Tagebl." erschienen war und einen Civilproceß betraf, der am 21. October v. I. zwischen Herrn v. Nathusius und dessen Verwandtem und früherem Mündel, dem Hauptmann v. Paetzold, statt gefunden hatte. Es wurde mitgetheilt, daß Herr v. N. bei einer passenden Gelegenheit für ca. 30 000 Wechselaccepte von seinem Mündel herausgelockt und sich nach jüngerem Fritilletsn. Die Tochter des Millionärs. 16j Roman aus dem Englischen von L. Bernfeld. (Nachdruck vrrdoten.) „Also ist heute Niemand fortgewesen?" „Niemand!" „Ich setze voraus, auch keiner von den Dienern?" „Auch keiner der Diener — wenigstens so viel ich weiß. Aber ich will meine Frau befragen." Mr. Larcombe verabschiedete sich von dem Beamten und verließ ihn. Es war noch keine Viertelstunde verflossen, Mr. Betlow saß noch eifrig schreibend beim Schein der rosa be schatteten Lampe, als plötzlich der Colonel wieder zu ihm ins Zimmer trat. „Soeben erfahre ich, daß heute Morgen dennoch Jemand das Haus verlassen und sich einige Stunden in Jnverneß aufgebalten bat." „Ah — also doch!" Der Beamte blickte lebhaft auf und tauchte von Neuem die Feder in die Tinte. „Bitte sagen Sie mir, wer eS gewesen ist!" „Sir Viktor Greville, einer der Herren, die zum Besuch hier weilen. Aber gleichzeitig muß ich Ihnen sagen, daß diese Thatsacke mit den Brillanten durchaus in keinem Zusammen bange stehen kann, denn Sir Viktor hatte Jnverneß nur zu dem Zwecke aufgesucht, um seine Flinte ausbessern zu lassen, das Schloß derselben war bei der gestrigen Jagd beschädigt worden, und ich selbst hatte dem Herrn den Rath gegeben, sie zu Henderson zu bringen." Mr. Betlow schwieg einen Augenblick. „Gut. Ich werde auf jeden Fall Sir Viktor Greville bitten, mir Auskunft über seine Reise zu geben", bemerkte er jetzt. „Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Colonel, die geringste Kleinigkeit, wie unbedeutend dieselbe auch scheinen mag, kann in Fällen, wie der vorliegende, von der größten Wichtigkeit sein!" Der nächste Tag war ein Sonntag, und wohl noch niemals war ein solcher in dem hübschen Landhause so un- gemüthlich verlaufen. Man versammelte sich, wenn auck etwas spät, doch vollzählig an der FrühstückStafel, und auS Rücksicht auf ihren Wirth und ihre Wirthin vermieden die Gäste, über die Angelegenheit, di« Irden mehr oder minder beschäftigte, zu sprechen, und waren bemüh», «ine Unter haltung anzuregen und in Fluß zu erhalten. Nichtsdesto weniger prägte sich auf manchem Gesicht, welches sonst sorglos und zufrieden um sich geblickt hatte, Angst und Un ruhe auS. Selbst ver Colonel war zerstreut, er konnte Das, was ihm Mr. Betlow gestern Abend gesagte hatte, nicht vergessen und da ihn sein gegebenes Versprechen nötbigte, zu Jedem über das Gesagte zu schweigen, hatte der Aermste eine schlaf lose Nacht verbracht, indem er stundenlang über die Sache nachdenken mußte. Verschiedene Male sah er besorgt und unruhig auf Beatrix. Er hatte das Mädchen liebgewonnen und machte sich fast Vorwürfe darüber, daß er überhaupt den Worten Mr. Betlow's, welche die Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit Beatrix' in Frage stellten, Gehör schenken konnte. Er war in seinem Innern fest überzeugt, daß Beatrix einer solchen Handlungsweise unfähig Ware; wenn man in ihr treues, unschuldiges Gesicht blickte, war es un möglich, den Worten deS Beamten Glauben zu schenken. Und dennoch wurde Mr. Larcombe durch das Gesagte be unruhigt. Wer konnte, so lange daS Gebeimniß unaufgeklärt blieb, mit Gewißheit behaupten, daß Mr. Betlow Unrecht hatte. Der Colonel hatte fast eine Regung deS Hasses gegen den Polizisten. Beatrix sah heute nicht so strahlend aus wie sonst. Die Peinlichkeit ihrer augenblicklichen Lage und eine andere Sorge, die sie bedrückte, und die sie sich selbst kaum einzugestehen wagte, halten die Rosen von ihrem süßen Gesicht verscheucht und Spuren des Kummers ans demselben zurückgelassen. Helene, nach deren Befinden sich Jeder bei ihrem Er scheinen auf das Lebhafteste erkundigte, sah sehr bleich und elend auS, sie bemühte sich aber zu lächeln, und an der Unter haltung wie gewöhnlich theilzunehmen, und versicherte auch Jedem, daß sie sich wieder vollständig Wohl fühle. Die Stimmung der im Hause anwesenden Herren war eine andere als sonst. Ralph Vyner konnte seine Augen von Helene'S bleichem Antlitz nicht loSreißen und gab häufig auf an ihn gerichtete Fragen zerstreute Antworten. Der Graf von Sanfoine warf Beatrix besorgte Blicke zu und sah dabei so unaussprechlich komisch aus, daß das junge Mädchen manchmal ein leises Lächeln kaum unterdrücken konnte. Auch Sir Viktor war in Gedanken versunken, auf seinem Gemüth lastete Manches, doch stand daS durchaus in keiner Beziehung zu den geraubten Brillanten. Victor war eifersüchtig — furchtbar, unsagbar eifersüchtig. Die Worte, welche Philipp Seudamore auf der Fahrt nach Jnverneß betreffs seiner Beziehungen zu Beatrix hatte fallen lassen, quälten ihn unablässig. Eine schlaflose Nacht, die er zugebracht, hatten seine Angst und Unruhe in keiner Weise vermindert. Er fühlte sich unsähg, diese furchtbare Ungewiß heit, die ihn bedrückte, zu ertragen. Liebte Beatrix Seuda more? Stand sie wirklich in irgend welcher Beziehung zu ihm? War es denkbar, daß sie ihm glaubte, ihm vertraute? Victor wollte um jeden Preis die Wahrheit wissen und nahm sich vor, Beatrix nach Beendigung des Frühstücks aufzusuchen und sie zu einem Bekenntniß zu veranlassen. Die Ver zweiflung, in der er sich befand, trieb ibn zu diesem äußersten Entschluß, obgleich er sich zugestand, daß er zu einer solchen Frage gar kein Recht besaß, da er Beatrix die Liebe, die er für sie empfand, bisher noch nicht zu gestehen gewagt hatte. Doch das war unvermeidlich, das Wichtigste für ihn blieb, zu entdecken, ob ihr Herz Seudamore gehöre, der, wie er inftinctiv fühlte, ihrer unwürdig war. Es war kein Wunder, daß Victor Greville in der Gemüthsverfassung, in der er sich befand, ein sehr schweigsamer und zerstreuter Tischgast war. Das einzige Gesicht an dem ganzen Tisch, auf dem sich Seelenruhe und Befriedigung ausprägte, war dasjenige der guten Jane. Trotz der allgemeinen Unruhe, die im ganzen Hause herrschte, hatte sie nicht vergessen, daß heute der Tag war, wo sie nach dem Frühstück mit Philipp Seudamore unter der alten Buche Zusammentreffen sollte. Der Gedanke, binnen kürzester Zeit diesem herrlichen Manne begegnen zu dürfen, war ihr ununterbrochen gegenwärtig, und ein stolzes Lächeln verklärte ihr Gesicht. Sie hatte eS auch einzurichten gewußt, Philipp am vorhergehenden Abend vor seiner Ab fahrt im Corridor zu treffen und ihm bei dieser Gelegenheit zugeflüstert: „Morgen — unter der Buche, ich habe es nicht vergessen!" „Ich auch nicht", hatte Philipp eifrig erwidert, indem er im Vorübergehen ein Zettelchen in ihre Hand gleiten ließ, welches sie an das verabredete Zusammentreffen mahnte. Gleichzeitig enthielt das Zettelchen eine Bitte, die Jane zwar überraschte, ihr aber doch ein Beweis seiner innigen Zu neigung für sie zu sein schien. Infolge dessen brachte auch diese Dame eine fast schlaf lose Nacht zu. Sie hatte sich den wundervollsten Träumen hingezeben, als sie schlaflos auf ihren Kiffen lag und zu dem zarten jungfräulichen Weiß ihrer Bettvorhänge emporblickte. Endlich wurde sie geliebt! Nach jahrelangem Sehnen, nach immer neuen Enttäuschungen hatte sie Jemand gefunden, der, wie sie ganz sicher glaubte, in Kurzem die Frage an sie richten würde, ob sie sein Weib werden wolle! Trotzdem sich Jane hätte sagen müßen, daß sie ihren veränderten Ver- mögenSverhältniffen dieses Glück verdanke, war sie zu geneigt, an Philipp's Ergebenheit zu glauben, und ihre Eitelkeit machte es ihr leicht, sich emzubilden, daß ihre persönlichen Reize Anziehungskraft auf ihn ausübten. Es war ein ungewöhnlich schöner Tag, daS herrliche Wetter lockte hinaus. Als das Frühstück vorüber war, setzte Beatrix einen Strohbut zum Schutz gegen die Sonne aus und begab sich ins Freie. Sie hatte ein Buch genommen, füblte aber keine große Neigung zum Lesen. Einen aufwärts führenden Fußsteig einschlagend, gelangte sie bald in eine herrliche Wildniß, wo sie sich auf einer Rasenbank niederließ. Um sie her wucherte üppig das rothblühende Haidekrank, herrliche Farrnkräuter verdeckten fast das Gestein, welches hier und da aus dem Erdreich hervordrang, dazwischen wiegten kleine blaue Glockenblumen ihre zierlichen Köpfchen. Zu Beatrix' Füßen lag der tiefblaue See im herrlichsten Sonnenschein, umgeben von den bewaldeten Hügeln, der Himmel war klar und wolkenlos, und ein vollständiges Still schweigen herrschte in der ganzen Natur ringsum, das nur unterbrochen wurde von dem Gesumme einer fleißigen Hummel oder dem leisen Gesang eines Waldvogels. Trixie, welche die herrlichen Düfte, die sie rings umgaben, mit Wohlbehagen einathmete, hatte die Hände unter den Kopf gelegt und blickte zu jdem blauen Himmel über sich hinauf. Plötzlich glaubte sie den Duft einer Cigarre wahrzunehmcn. Verwundert richtete sie sich auf, gerade zur rechten Zeit, um di« Gestalt Sir Victor Greville'S aus einem Gebüsch bervor- treten zu sehen. Er schien durchaus nicht überrascht, sie hier zu finden, und nabm, nachdem er sie begrüßt hatte, auf einem mit MooS bewachsenen Steine ganz in ihrer Nähe Platz. „Miß Hopley, werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihre Einsamkeit störe?" „Woher wußten Sie, Sir Victor, daß ick hier sei?" „Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Miß Hopley", sagte er lächelnd, „ick sah sie fortgeben und bin Ihnen gefolgt! Ist Ihnen der Rauch meiner Cigarre auch nicht störend?" „Nicht im Geringsten. Bitte, rauchen Sie ruhig weiter. Ich sehnte mich nach ein wenig Ruhe, deshalb ging ick hier her", sagte sie und die Tbränen traten ihr in Li« Augen. „Mir ist daS Herz so schwer", fügt« sie klagend hinzu und blickt« ibn traurig an.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite