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eitung Mendor Vit „Vttendorfer Zeitung» erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abend». Bezugspreis^ vierteljährlich , Mark. Durch die Post bezogen ,,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahm» von Inseraten bi» vormittag z« Uh«. jInserat» werdrn mit,o Pf ^f»r dl» Spaltz»il» berechn« TabellarischerZSatz nach besonderem Tarif Druck un- Verlag von Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Mr die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla Lr. 134. Mittwoch, den 7. November 1906. 5. Jahrgang. Orrtliches und Sächsisches. Gttcndorf-Dkrilla, den 6. November 1906. *** Von verschiedener Seite ist der Wunsch ausgesprochen worden, für die Gemeinden Ottendorf-Moritzdorf und Okrilla einen Männer» gcsangverein zu gründen. Leider ist es bei der über 3000 Seelen zählenden Bevölkerung nur beim Wunsche geblieben Um nun diesem bedauernswerten und für einen Ort nicht ge rade rühmlichen Zustande Abhilfe zu schaffen und den Wunsch sangrslustiger Mitglieder zu erfüllen, vereinigten sich am vorigen Sonnabend Mitglieder de» Turnvereins „Jahn" und des alten Ottendorfrr Gesangvereins und be schlossen gegen 2 Stimmen innerhalb des Turnvereins Jahn eine Grsangsabteilung zu gründen, die den Zweck verfolgt, den Männer gesang zu pflegen. Gegenwärtig haben sich gegen 20 Mitglieder zu dieser Gesangöabtcilung gemeldet, für dir Gründung und den Anfang des Vereins eine ganz schöne Anzahl, doch hat der Turnverein die dringende und freundliche Bitte, das junge Unternehmen durch Mit gliedschaft und rege Teilnahme zu unterstützen, daß nicht etwa zur Freude der Nachbarorte und der bestehenden Vereine daß Interesse er schlaffe und die Gesangsabteilung sich wieder auflösen muß. Dienstag, den 6. November abends i/,S Uhr findet im Gasthof zum Roß die erste Singstunde statt und nochmals bittet der Turnverein Jahn um recht zahlreichen Besuch, gleichviel ob Turner oder Nichtturner. Wer Freund des Gesanges und Förderer des TemrinsinneS ist, der komme Dienstag und werde Mitglied, daß die Gesangsabteilung blühe, wachse und gedeihe im letzten Grunde jum Segen der Gemeinden! Dresden. Der Landesverband sächsischer Teflügelzüchtervereine, dessen Protektor der König ist, feiert demnächst sein 25 jähriges Jubiläum und begeht dieses durch Veran staltung einer großen Geflügelausstellung. Diese findet in den Tagen vom 12. bis 15. Januar 1907 im städtischen Ausstcllungs- palast statt. Die 2b- Verbandsausstellung wird jedenfalls sehr umfangreich werden und soll zeigen, auf welch hoher Stufe die Ge flügelzucht, (Hühner, Wassergeflügel und Tauben) in unserem engeren Vaterlande steht. Dem Landesverbände gehören fast alle sächsischen Teflügelzüchtereine an, er zählt über zwei hundert Vereine mit etwa 9000 Mitgliedern. Dresden. Am Sonnabend nachmittag gegen 4 Uhr wurde auf der Johann-Georgen- Allee eine Frau von einem Automobil über fahren. Sie wurde nach der Sanitätswache 2 gebracht, doch konnte dort nur ihr Tod fest gestellt werden. Da ihre Personalien nicht zu ermitteln waren, wurde sie nach dem Tolke- witzer Friedhöfe übergesührt. Die Schuld an dem Unfall soll sie selbst treffen. — Ein Schneidergeselle als Korpsstudent. Ein Schneidergeselle Kleben aus DreSdeu hatte sich in Dresden nas Mitgliederv-rzeichnis eines Korps verschafft, kam damit nach Berlin be suchte die Kneip« eines hiesigen Kartellkorps, als nur die Frau des Dieners dort anwesend war, und ließ sich von ihr die Mitgliederliste auch dieses Korps zum Abschreiben geben Die PersonenkenntniS, die er aus beiden Ver zeichnissen schöpfte, benutzte er, um als Dresdner „Aktiver" hiesige „Alte Herren" nach Kräften — anzupumpen. An mehreren Stellen erhielt er namhaste Beträge, um Spielschulden zu be zahlen oder augenblickliche Verlegenheiten zu beseitigen. Schließlich wurden aber die Bitt gänge des Schneidergesellen ruchbar und so ist der Korpsstudent entlarvt worden. Königsbrück. Auf dem Gefechtsschießplatz bci Königsbrück wird in der Zeit vom 12. bis Mit 17. November das Königliche 4. In fanterie-Regiment Nr. 103 täglich von 8 Uhr Vormittags bis 3 Uhr Nachmittags Schießen in größeren Abteilungen abhalten. Kamenz. Ein schauriger Fund wurde am Freitag von hiesigen Jägern auf ihren an )er nahen preußischen Grenze und bereits auf dortigen Gebi-te gelegenen Jagdrevier gemacht In einem Streuhaufen lag ein Toter, welcher, )a er einen Revolver in der Hand hatte, wahrscheinlich Selbstmord verübt hat. Bei dem Unbekannten wurde eine an eine Dresdner Adresse gerichtet« Postkarte gefunden, man nimmt deshalb an, daß er aus Dresden stammt. Dittersbach bei Frauenstein. Der am Freitag herrschende Orkan hat in den um legenden Wäldern viel Schaden angcrichtet. Im Dorfe geschah ein Unfall, der leicht chreckliche Folgen haben konnte. Gegen 9 Uhr abends wurde eine 60 jährige, neben dem Hause des Tischlermeisters Müller 'tehende Zitterpappel entwurzelt. Dadurch )aß der Baum dicht neben dem Hause nieder- iel, wurde dasselbe nur von den Aesten ge- roffen, aber mit solcher Gewalt, daß der Dachfirst durchschlagen und die Vorderseite des Daches beschädigt wurde. Hätte der Stamm das Haus getroffen, so wäre es zerschmettert worden. Wahren. Sonntag früh gegen 3 Uhr 'ließen auf dem Güterbahnhofe bei Wahren zwei Güterzüge zusammen. Beide Lokomotiven entgleisten und sechs Wagen wurden völlig zertrümmert. Personen sind nicht zu Schaden gekommen. Der Trümmerhaufen bildete ein wüstes Chaos von Brettern und Eisenteilen. Leipzig. Eine Unterschlagung von hundert tausend Mark in der Leipziger Stadtkaffe! Diese ebenso sensationelle wie tiefbedauerliche, ja fast unglaubliche Nachricht gab Sonnabend mittag die „L. N. N." durch Extrablatt be kannt. Ueber hunderttausend Mark — man spricht sogar von hundertdreißigtausend, hat ein alter Kassierer, dem der Rat volles Ver trauen schenkte, in frivolem Börsenspiele an städtischen Geldern vergeudet. Wie ist das möglich? fragt Man sich vergeblich. Die Defraudationen erstrecken sich auf drei Jahre, — inzwischen ist mindestens zweimal die dick leibige Hauptrechnung der Stadt Leipzig in Druck erschienen, alle Bücher müssen doch nach unserem Ermessen hierzu abgeschloffen, die Belege geprüft, die Barbestände gezählt werden Dabei war der leichtsinnige Spekulant nicht einmal der oberste, d. h. der Hauptkassierer, er war in der Hauptkaffe im neuen Rothause nur einer von über einem halben Dutzend Kassierern und ebenso viele Kontrolleure über wachten die Einträge und Zahlungen. Der Kassierer Paul Grützmann war an der Kaffe V (Schleusen, Wohlfahrtspolizei, Feuerwehr, Gartenanlage usw.) angestellt und bezog ein jährliches Gehalt von 4000 M. Er war bereits 21 Jahre im Dienste der Stadt und galt allgemein als ein pflichttreuer, gewissen hafter Beamter. Wie sich nunmehr herous- gestellt hat, stand Grützmann mit einem Berliner Bankhause seit Jahren in Verbindung und gab sich gewagten Spekulationen hin, die seine Mittel weit überstiegen. In der ersten Zeit waren diese Börsengeschäfte nicht un lohnend und lockten den Beamten zu weiteren Engagements. Er erlitt jedoch bald Verluste, die ihn zum Eingriff in fremdes Eigentum, das ihm in seiner Stellung anvertraut war. veranlaßten. In der ersten Zeit dieser Ein bußen — cs mochte vor etwa zwei Jahren sein — hoffte Grützmann, durch einen glücklichen Koup seine Verluste wieder gut zu machen aber vergebens. Das Börsenspiel verschlang immer mehr, bis der Beamte weder ein noch aus wußte. Gelegentlich einer am Freitag er folgten Revision bei der Kaffe V waren einige Belege über Ausgaben des Tiefbauamtes nicht in Ordnung, was Verdacht wach rief. Grütz mann aber erkannte, daß sein Treiben nicht länger verborgen bleiben konnte. Ec blieb daher am Sonnabend früh dem Bureau der Stadthauptkaffe fern und stellte sich dann im Laufe des Vormittags dem Untersuchungsrichter. Als sich Grützmann am Sonnabend morgen nicht, wie sonst, zu gewohnter Stunde nach dem neuen Rathause begab und ein sehr unruhiges Wesen zeigte, fragte ihn seine Frau, was ihm fehle. Auf weitere Bitten der besorgten Frau gestand ec dieser, daß er sich hoher Unter schlagungen schuldig gemacht und nur die Wahl habe, entweder sich zu erschießen oder ich freiwillig der Staatsanwaltschaft zu stellen. Das Letztere ist dann auch geschehen. Dieses Geständnis war für die arme Frau umso niederdrückender, als sie selbst von dem unter- chlagenen Gelbe nie etwas wahrgenommen hatte. Sie erhielt von ihrem Manne ein monatliches Wirtschaftsgeld von 80 M- so daß ein besonderer Aufwand nicht geführt werden konnte. Grützmann wurde gleich in Haft be halten, ebenso wurde die Korrespondenz mit seinem Berliner Bankhause sofort beschlag nahmt. Grützmann wohnte Hardenbergstr. 37, 3. Etage. Er ist im Jahre 1860 in Johanngeorgenstadt geboren, — Selbstmord beging in der Nacht zum Sonntag in dem von ihm bewohnten Grund stück in der Reudnitzer Straße der aus Halle .gebürtige 29 Jahre alte Kaufmann Otto Max Karl Hoffmann, indem er sich erschoß. Hoff mann ist derjenige, der sich am vorigen Dienstag in dem Straußschen Geschäft in der Tauchaer Straße einen Revolver mit Munition kaufte, wobei bekanntlich Frau Strauß ihr Leben einbüßte, indem sie einen Revolver, von dem sie nicht wußte, daß er noch geladen war, an die Schläfe hielt und abdrückte. Was den Mann dazu bewog, seinem Leben freiwillig ein Ziel zu setzen, konnte bisher nicht auf geklärt werden. Aus der Woche. In Oesterreich-Ungarn ist man in hoffnungs- sroher Stimmung. Nach siebenmonatiger, langer und schwerer Arbeit hat der Wahl reformausschuß seine Arbeiten beendet und man glaubt zuversichtlich, daß der Gesetzentwurf im Abgeordnetenhause allseitig Zustimmung finden wird. Zu wünschen wäre es allerdings, denn Opfer genug hat die Wahlreform schon ge kostet. Das Ministerium Gautsch stürzte da rüber, weil der Ministerpräsident die Polen nicht für seine Vorschläge gewinnen konnte, und ebenso fiel der Nachfolger Gautsch, der Prinz Hohenlohe, da er für seine Wahl reformvorschläge die Ungarn uicht zu gewinnen vermochte. Wenn es dem jetzigen Minister präsidenten Frhrn. von Beck gelingt, die Wahlreform im Abgeordnetenhaus« so zu fördern wie im Ausschuß, und wenn er nach wie vor auf die Unterstützung seines Kaisers rechnen darf, so kommt vielleicht doch einmal in Oesterreich ein politisch Werk zustande, das dem innern Frieden und dem Fortschritt dient. — Das junge Ministerium in Frankreich kündigt eine Anzahl von Neuerungen an, die für die Republik ungeahnten Segen verheißen. Der Kriegsminister Picquart, der sich mit allen Angelegenheiten seines Ressorts überraschend vertraut zeigt, der Kultusminister Briand. Finanzminister Poincare und nicht zuletzt der Kriegsminister — sie alle sind fieberhaft tätig. Reformen zu ersinnen und Gesetzentwürfe für die neue Tagung des Parlaments vorzubereiten. Die wichtigste Neuordnung der französischen GesetzgebungSkunst. von der Herr Clemenceau, der jetzige Chef der Regierung, noch als Minister des Innern so viel erhoffte, wird wohl ohne Zweifel in bezug auf den Militarismus getroffen. Wie auch in Deutsch land, so war im Nachbarlande häufig schon die Forderung vertreten worden, die Militär gerichte auszuheben und alle von ihnen jetzt bearbeiteten Vergehen und Verbrechen vor die Zivilgerichte zu verweisen. Der neue Gesetz entwurf trägt dieser neuzeitlichen Forderung Rechnung. Künftighin sollen die Kriegsgerichte nur noch in Disziplinarvergehen zuständig sein, ^dagegen sollen alle Vergehen und Ver brechen gegen das gemein« Richt vor den zu ständigen Gerichten verhandelt werden. Man wird ja sehen, ob sich der Versuch in Frank reich dauernd einzubürgern vermag. — In Rußland sind die Dinge gewissermaßen aus einem toten Punkt angelangt. Es macht den Eindruck, als sei drüben mit dem allgemeinen Geldmangel auch eine ungeheure Teilnahms losigkeit eingekehrt. Die „Revolutionäre", di« schon mit dem politischen Befreiungsversuch der trägen, wieder schlafenden Mafien nichts mehr gemein haben, setzen mit Erfolg ihr dunkie» Treiben fort, öffentliche und staatliche Kassen ausrauben. Dabei geht da» Gesindel mit einer Kühnheit und einer Todesverachtung zu Werke, die Staunen abzwingen. Da» jüngste Attentat auf einen Wagen mit mehreren Millionen Staatsgeldern hat 23 Tote und 94 Verwundete gefordert. Die Rädelsführer der etwa 30 Mann starken Bande sind mit ihrem Raube von etwa 400 000 M. (wie eS heißt ins Ausland) entkommen. Die Gesetz gebungsmaschine, die mit so lautem Klappern vom Premierminister Stolypin in Tätigkeit gesetzt worden war, hat ihre Tätigkeit wieder eingestellt und es gewinnt mehr und mehr den Anschein, als obs bald wieder im alten Gleis geht. Davon zeugt auch die Rückkehr Väter chens nach Zarskoje Selo, wo sich bislang der Zar nicht sicher genug fühlte — Drei wichtige Diplomatenreisen sind in diesen Tagen gemacht worden. Obwohl man so wenig wie möglich Geräusch davon zu machen wünschte, ist ihre Bedeutung aber mit jedem Tage deutlicher zu Tage getreten. Herr Iswolsky, der russische Minister des Auswärtigen, der angeblich nur wenige Tage in Tegernsee weilen wollte, hat von dem oberbayerischen Erholungsort au» den ziemlich weiten Abstecher nach Paris gemacht und sich von da aus zur eingehenden Be sprechung mit dem deutschen Reichskanzler nach Berlin begeben. Aus der deutschen Reichs hauptstadt ist der russische Diplomat bei Nacht und Nebel sang- und klanglos verschwunden und vielleicht ist die Annahme, er sei nach London gefahren, nicht ganz unberechtigt. Was nun Herr Iswolsky in den Hauptstädten gemacht, was er erreicht hat, wird wohl niemand erfahren, e» sei denn, daß die Börse es eines Tage» ohne erklärende Worte aus plaudert, wenn sie «ine neue (die vierte!) russische Anleihe anpreist. Die zweite inter essante Diplomatenreise machte Herr von Tschirschky und Bögmdorff, ihr Ziel war Rom. Schreibselige Federn leitartikelten, «r habe in Italien den Dreibund erneuern wollen andre wieder behaupten, er sei von Kaiser Wilhelm direkt gesandt, der in seinem Staats sekretär des Aeußern den zukünftigen Kanzler vorstellen wolle. Das alle» sind Gerüchte, denen die Wahrheit gegenübersteht, daß Herr von Tschirschky mit den italienischen Minister Tittoni die schwebenden Fragen besprochen hat, die in der letzten Zeit Anlaß zu mancherlei Verstimmungen zwischen Deutschland und Italien gaben. Wie verlautet, soll nun wieder die alte Herzlichkeit hergestellt sein. Die dritte Reise endlich machten einig- frühere dänische Diplomaten nach Siam. Dieses Land, das jetzt mehr und mehr in den Vordergrund der asiatischen Ereignisse tritt, soll mit einer dänischen Ansiedelung beglückt werden. Der Gedanke ist nicht üb-l, ob aber die Zeit zu seiner Ausführung gerade jetzt gut gewählt ist, wo die Völker Asiens erwachen und ihre Fäuste gegen Europa drohend schütteln, ist fraglich. — Das politische und parlamentarische Leben ist erwacht. Hier und da — beispiels weise in England um das Unterrichtsgesetz, in Spanien um das Vereinögesetz und in Nor wegen um die Heeresmacht — sind schon ge waltige Kämpfe entbrannt. Noch wenige Wochen und in Europa heißt es wieder: „Redet, gute Leute redet. Manchmal werden aus Worten auch Taten!"