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Wöchentlich »scheinen drei Nummern. Pränumeration--Preis 22j Silbergr. tj THIr.) vierleljährlich, Tblr. sur dar ganze Jahr, ohne Erhöhung, i» allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin sjr die Pränumerationen werden hon jeder Buchhandlung (in Berlin hei Veit, u. Cvmp., Iägerstraße Nr. 25), so wie von allen Königl. Post-Acmtern, angenommen. Literatur des Auslandes. v' 1W. Berlin, Montag den 2l. August 1843. Frankreich. Eine Scene im Berliner Opernhause, nach George Sand. »Ak Als wir in den letzte» Blättern des „Magazins" die interessante» Aus züge aus George Sand's neuestem Werke: „Gräfin von Rudolstadt" gaben, da ahnten wir nicht, daß, bevor noch das Publikum diese Blätter ganz gelesen, das herrliche Opernhaus, in welchem die Französische Schrift stellerin die ersten Scene» ihres neuen Romans spielen läßt und uni welches sich ihre ganze Erzählung gruppirt, ein Raub der Flammen seyn würde, so daß nur noch die kahlen vier Mauern mit der einfachen, aber schönen Inschrift: „drittelieux liex Vpnlliui er iVIuVis. VIDOOXIZII." den untcrgcgangcnen Glanz bezeugen. Gerade hundert Jahre hat diese Inschrift gestanden, hat das Gebäude den Zwecken gedient, denen es gewidmet war. Haffe und Graun, Gluck und Mozart, Weber und Meperbeer sind hier ihrem Jahr hundert vorübergeführt worden. Ein neues Jahrhundert, dem Apoll und den Musen geweiht, haben die Flammen in der Nacht vom >8. zum in. August hcrbeigeführt: möge die Kunst, die göttliche und wahre, dieser Asche als ein neuer Phönir entsteigen! Unwillkürlich aber drängt sich bei diesem Gedanken die Frage auf: ist hier nicht bei der Lage des Opernhauses zwischen Bibliothek und Universität die Wissenschaft durch die Kunst gefährdet? Viel fehlte nicht in der letzten furchtbaren Nacht, so würden die Flammen des Kunsttempels, die von dem glücklicherweise nicht sehr starken Winde fortwährend nach der Seite der Königl. Bibliothek getrieben wurden, die Schätze der letzteren er griffen haben, und wäre dies geschehen, so würde ein Verlust herbeigeführt worden sevn, der nicht, gleich dem des Opernhauses, wieder zu ersetzen wäre. Also der Wunsch liegt sehr nahe, daß entweder die Bibliothek oder das Opern haus nach einem anderen Theile der Stadt verlegt werde, wo die eine ge sicherter oder das andere weniger gefahrdrohend für das sep» würde, was gerade das Unersetzlichste und was selbst ein gewaltiger Herd zur Weiter- Verbreitung einer Feuersbrunst ist. Unsere Blätter sind nicht eigentlich das Forum zur Besprechung solcher Gegenstände, die an anderen Orten gewiß nicht auSbleiben wird. Dagegen nehmen wir diese Gelegenheit wahr, uni an unsere letzten Auszüge aus der „Gräfin von Rudolstadt" die Mitthcilung der Eröffnungsscene dieses Romans zu knüpfen, die wir in unserer Einleitung nur kurz erwähnt hatten. Es ist dies ein kleiner Beitrag zur Geschichte und zum Gedächtnisse des Berliner Opernhauses — ein Beitrag, der eben so wie die Episode „Friedrich der Große und seine Freundt" ein neuer Beweis von der charakteristischen Auf- faffungsweise und großen Darstellungsgabe der Französische» Vcrsafferi» ist, welche sich i» der letzten Zeit von ihren srühern socialen Jrrthümcrn immer mehr ab- und den Anforderungen des menschlichen Herzens zugewandt hat. Darüber, daß sie zuweilen etwas stark aufträgt, besonders wo sie die stren geren Seiten des großen Königs schildert, wird sich wohl niemand wundern, der überhaupt ihre DarflellungSwcise aus früheren Werken kennt. Folgendes also ist das erste Kapitel der „Gräfin von Rudolstadt": „Das Opernhaus in Berlin, während der ersten Regierungsjahrc Fried richs des Großen erbaut, war damals eines der schönsten Theater in Europa. Eintrittsgeld erlegte man nicht, da das Schauspiel vom Könige allein unter halten wurde. Gleichwohl konnte man ohne Billet nicht Hineinkommen, denn sämmtlichc Plätze hatten ihre feste Bestimmung für die Königl. Prinzen und Prinzessinnen, für das divlomatiiche Corps, für vornehme Fremde, für die Aka- demie, für die Generale , kurz, überall sah man die Familie des Königs, das Haus des Königs, die Beamten dcS Königs, die Schützlinge des Königs, und zwar ohne daß man Grund hatte sich zu beschweren, denn das Theater und die Schauspieler gehörten ja dem König ausschließlich. Den guten Einwohnern der guten Stadt Berlin war zwar ein Theil des Parterres überlasten, aber nur ein sehr kleiner, da der größere Theil desselben von Soldaten eingenommen ward, deren jedes Regiment das Recht hatte, eine gewisse Anzahl per Compag nie ins Opernhaus zu schicken. Statt des fröhlichen, leicht angeregten Volkes von Paris hatten die Künstler hier also vor sich „Helden von sechs Fuß", wie sie Voltaire nannte, mit hohen Kopfbedeckungen und zum Theil von ihren Frauen begleitet, die sie in die Höhe hoben, so daß das Ganze ein ziem lich massives Parterre bildete, das stark nach Taback und Branntwein roch, nichts von Allem verstand, immer die Augen weit öffnete, sich nicht unterfing, zu applaudircn oder zu zischen, und zwar aus lauter Respekt vor den aufge stellten Schildwachcn, und dabei doch durch seine fortwährende Bewegung sehr viel Geräusch machte. Hinter diesen Herren waren ganz unfehlbar zwei Logenreihen gefüllt, in denen die Zuschauer weder recht sehen noch hören konnten, aber der Anstand forderte, daß man regelmäßig in den: von Sr. Majestät bezahlten Theater er scheine. Auch der König fehlte bei keiner Vorstellung. Er hatte die Sitte, die Scinigen und seine Umgebungen im Schauspiele militairisch um sich ver sammelt zu sehen, noch von seinem Vater überkommen, der in einer Bretter bude den Vorstellungen einer schlechten deutschen Truppe auf diese Weise beizuwohncn pflegte. Unter Friedrich hatte man sich in dieser Beziehung nicht zu beklagen: das Lokal war prächtig, die Oper mit Lurus ansgcstattet und die Sänger leistete» Außerordentliches Der König, der fast immer hinter dem Orchester an der Brüstung mit der Lorgnette auf die Bühne gerichtet stand, gab das Beispiel eines sehr aufmerksamen und unermüdlichen Zuhörers. Man kennt die Lobsprüche, die Voltaire in der ersten Zeit seines Berliner Aufenthalts dem Glanze des Hofes des nordischen Salomo spendete. Verschmäht von Ludwig X V., vernachlässigt von seiner Beschützerin, Frau von Pompadour, verfolgt von den Jesuiten, ausgezischt im Theatre Fran^ais, hatte er eines Tages voll Verdruß sich uni eine Anstellung, einen Gehalt, eine» Kammerherrn. Titel, ein Großkreuz und um die Freundschaft eines philosophischen Königs be worben, welche letztere seiner Eitelkeit mehr schmeichelte, als alles Neblige. Wie ein großes Kind schmollte er mit Frankreich und glaubte er, seinen un dankbaren Landsleuten vor Verdruß das Herz abzustoßen Er war daher von seinem neuen Ruhm ein wenig berauscht, als er seinen Freunden schrieb, daß Versailles von Berlin ausgewogen werde, daß die Oper „Phaeton" das schönste Schauspiel scy, das man sehen könne, und daß die Primadonna die herrlichste Stimme von Europa besitze. Um die Zeit, wo unsere Erzählung beginnt, war jedoch der Winter in Berlin mit seiner ganzen Strenge aufgetreten °), und Friedrich hatte nicht mehr die alte Vorliebe für Voltaire, so daß dieser von Preußen ein wenig enttäuscht zu werden anfing. Er saß in seiner Loge zwischen d'Argens und La Mettrie und schien ziemlich kalt auf die Musik hinzuhöre», die er in der That immer weit hinter die Poesie gestellt hatte. Er fühlte sich unwohl und erinnerte sich wehmüthig des undankbaren Publikums der glänzenden Festmahle von Paris. An diesem Abend war das Schauspiel jedoch vortrefflich. Man befand sich mitten im Karneval. Die ganze Königl. Familie mit Einschluß der im inner» Deutschland residircndcn Markgrafen war in Berlin vereinigt. Man gab den „Titus" von Metastafio und Haffe und die beiden ersten Künstler der Jtaliänische» Oper, Porporino und die Porporina, spielten die Hauptrollen. Unsere Leserinnen werden sich erinnern °°), daß diese beiden Theater-Mitglieder nicht Mann und Frau waren, wie der Name, den sie auf dem Zettel führten, anzudeuten scheint, daß der Erste vielmehr der Signor Ubcrti, ein herrlicher Bariton und Letztere die Zingarclla Consuelo war, eine wundervolle Sän gerin, Beide Schüler des Professors Porpora, der ihnen, nach dem dama ligen Gebrauch in Italien, gestattet hatte, sich nach ihrem berühmten Meister zu nennen. Man muß gestehen, daß die Signora Porporina in Berlin, dessen Thcatkr- gebräuche ihr nicht zusagten, nicht so ausgezeichnet sang, als früher, in glück licheren Tagen: die glockenreine Stimme ihres Gefährten klang jedoch ohne Fehl in den Räumen des Opernhauses, hier, wo er unbestrittenen Beifall und eine gesicherte Eristenz fand durch I5,OW Livres Rente, wofür er zwei Monate jährlich zu singen hatte. Heute ging es von allen Seiten sehr gut, und die Oper nahte sich, ohne daß Grund zum Tadel gegeben war, ihrem Ende: der König war zufrieden und wandte sich von Zeit zu Zeit zum Kapellmeister hin, um ihm durch ein Kopfnicken seinen Beifall zu erkennen zu geben; er war sogar im Begriff, der Porporina beim Ende ihrer Kavatine Beifall zu klatschen, wie er die Güte hatte, dies zuweilen und stets mit richtigem Urtheil zu thun, als in Folge einer unerklärlichen Caprice die Sängerin mitten in einer glänzenden Roulade, die sie sonst niemals verfehlt hatte, kur; abbrach, die Augen starr auf eine Ecke des Saales richtete, mit dem Ausruf: „O, mein Gott" die Hände zu sammenschlug und ohnmächtig zu Boden stürzte. Porporino beeilte sich, sie aufzuhebcn, aber man mußte sie hinter die Coulisscn bringen, und ein Gcwirre '> Die Versagen» scheint in der That zu glauben, daß Berlin, im „hohen Norden" liegend, in der Regel einen Sibirischen Winter i,n Vergleiche mit Paris habe! ") auk dem Romane „Consuelo", besten Forischnng die „Gräfin von Rudolstadt" ist.