Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Prej« 22) Sgr. (j Thlr.) vienellShrli», 3 Thlr. für da« ganie Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staats Zeitung in Berlin in der Erpedition szncdrichö-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 107. Berlin, Mittwoch den 5. September 1838. Schweden. Stockholms erster Anblick. Von T. Marmier. Stockholm ist die schönste Stadl des Nordens, wenigstens der Lage nach. Man hat sic mit Neapel, mit Venedig, mit Konstant tinopel verglichen; doch wer sie nicht mit eigenen Äugen gesehen, wird aus diesen Vergleichungen kein wahres Bild von dem eigen- ihumlichcn Anblick dieser Stadt gewinnen. Wir waren früh Mor gens auf einem eleganten Dampfboot von Norköping abgefahren, und nachdem wir lange durch Gruppen felsiger Inseln und Sand bänke hindurchgcschiffl, kamen wir gegen Abend in einen Kanal, der die Ostsee mit dem Mälar-Scc verbindet; statt der dürren Hügel und Klippen, die unsere Augen vor einigen Stunden er müdet, sahen wir jetzt nur große, grüne und fruchtbare Ebenen um uns, zum Theil mit Tannenwäldern bedeckt, und Landhäuser, deren Giebel über die Büsche hervorraglen. Es war ein Juni- Sonmag. Die bunie, geputzte Menge erwartete uns auf den Quais; die jungen Mädchen aus dem Volk, die Pigcr, jene Ver wandten der Pariser Griselten, standen auch da mit dem gewirk ten Foulard auf dem Kopfe und dem engen Leibchen. Auch die guten Bürger, die Handwerker fehlten nicht, die Einen in ihrem Sonntagsstaat, wie die Pariser der Saint-Denis-Straße, die Anderen in ihre Vadmehacke gekleidet. Unter ihnen erkannte man auch Dalekarlische Bauern mit brciträndrigem Hute, mit der langen Weste der Elsasser Bauern, rochen Strümpfen und hohen Schuhen. Wie ich diese Masse Menschen am Ufer von fern er blickte, füchtere ich schon, unter ihnen die Avignonschen Lastträger zu «reffen, die für den Reisenden wahre Plagen sind. Doch nur einige Commissionnairs näherten sich uns mit mehr Bescheiden heit als Zuversicht, und die MeNge ging sogleich aus einander, um uns durchzulasscn- Als wir das Boot verließen, kam weder ein Zoll-Beamter, unser Gepäck zu untersuchen, noch ein Polizei-Sergeant, der unsere Pässe verlangte. Nie erinnere ich mich, so leicht und Heuer eine Stadt betreten zu haben; die Glocken läuteten in den Kuchen, die Menschen ergossen sich über die Straßen, die Kähne schwammen auf dem See, alle Gesichter blickten fröhlich und heiter, und in jeder Straße, die ich passirte, sah ich Häuser mit einladendem Aeußeren und der gastlichen Aufschrift: Rum för Rvsande (Zimmer für Reisende). Am folgenden Tage überschritt ich die Brücken, um die steilen Abhänge des Mo>ebacke zu erklimmen. Dies ist ein Hügel im Süden der Stadl, mit armen Haudwerkcrwohnungen bedeckt und von schmutzigen, unregelmäßigen Straßen durchschnitten, nicht unähnlich den finsteren Quartieren der Croix-Roussc in Lyon. Dahin ist noch nie die Kutsche eines großen Herrn oder das schäumende Pferd des Garde-Offiziers hinaufgekommen. Zu diesen Häusern, von denen immer eines über dem anderen ge baut ist, kann man nur auf steinigen, glatten Fußsteigen oder auf hölzernen Treppen gelangen,, vor zerlumpten Kindern vorüber, die wie Emen im Wasser wühlen, und alten Weibern, die, an ihrer Thür sitzend, Wolle kämmen. Doch ist man erst oben auf dem Gipfel des Hügels, so kommt man in einen großen Ganen, wo das Volk trinkt'und singt, wie in den öffentlichen Gärten Deutsch lands. Auf dem Dach seines Hauses bat der Besitzer eine hölzerne Platform mit einigen Bänken angebracht, von wo man ganz Stockholm übersehen kann. Man denke sich eine große Siadt; auf der einen Seile vom Meer, auf der anderen von einem See bespült, durchschnitten von Kanälen, mit Gärten und Baumgruppen übersäet und erbaut am sieben Inseln, wie Rom auf seinen sieben Hügeln. In der Mme sehen mir Stadt, die frühere Eiladelle des Landes, die Residenz der Könige, das Herz Schwedens, wie es die Chroniken .des nennen, das Schloß, das, wie der Hradschm in Prag, sein Ricsenhaupt über die übrigen Gebäude emporhebt; um sie herum liegen im Norden und Süden die beiden Aorstädie, die größer sind, als die Altstadt- Eine lange grüne Küste längs des Mälar-Sees auf dec einen, auf der an deren Seile das Arsenal, der Hafen mit der Handels- und Kriegs-Flagge, der Park mit seinen Tannenbüschcn und tau send Fußwegen, und von allen Seilen ein unbegränzicr Horizont, wo der Blick und die Phantasie durch nichts gehemmt ist, dies ist das herrliche Panorama, welches Stockholm bietet, dies ist die Stadl, aus der einst Gustav Adolph kam, uin der Held des dreißigjährigen Krieges zu werden, und Karl XII., um die Russen bei Narwa zu schlagen. Ein sonderbares Spiel der Nalur ist es, daß diese Hauplstadt Schwedens, die so viel Ursache Hal, auf ihre Könige stolz zu seyn, das Emblem der Königswürde in ihren Umrissen darsielll. Die Alistadi bildet den oberen Theil eines Diadems, die Verstädteren herumliegendcn Reif, und die Flächen des Meeres und des Sees lassen sich mit zwei silbernen Bändern vergleichen, die an jeder Seite anlicgcn. Stockholms Geschichte, wie die Kopenhagens, gehl nicht über das zwölfte Jahrhundert hinaus. Die Könige von Dänemark bewohnten Leire, die von Schweden Sigluna. Die Söhne Odin's, des Gründers beider Monarchieen, halten eine und dieselbe Woh nung, eine Burg neben einem Tempel. Die Werke des Heiden- lhums sind mit ihm selbst umcrgegangen- Man sucht Leire, und nicht einmal eine Ruine findet sich, welche die Spur desselben bezeichnet. Man sucht Sigluna und sieht nichls als Gräber. Auf dem Boden, den heule die ältesten Gebäude von Stock holm emnehmen, standen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung nur einige Fischerhüttcn. Es war ein armer, un- besuchter Landstrich, der durch eine tragische Begebenheit zuerst berühmt ward. Agne, der zwölfte Abkömmling aus dem Stamm der Dnglingcr, Hane einen Zug nach Finnland unternommen, wo er mehrere Distrikte verheerte und Skialf, die Tochter eines von ihm gelösteren Fürsten, mimahm. Er landete an der Küste von Stockholm und wollte die, welche er arm und zur Waise gemacht, hciralhcn. Die Jungfrau widersetzte sich nicht und empfing den Vcrlobungsring. Aber im Herzen war sie von Haß und Rache erfüllt. Am Hochzeitstage versammelte Agne seine Waffenge- fährtcn und feierie sein Glück durch so viel Methkannen, daß er zuletzt kraftlos hinsiel- Skialf nahm eine lange Kette, die er am Halse trug, und erhing ihn damit an einen Baum. Dann be freite sie ihre gefangenen Landsleute, zerschnitt die Schiffslaue und kchrle nach Finnland zurück. Der Schauplatz dieser Begebenheit trug noch lange nachher Agne's Namen. Die Schweden besuchten ihn aus Neugier: sie fanden ihn hübsch und bequem, und allmälig bedeckte sich die Küste mit Wohnungen. Im Jahre I2S5 vergrößerte Birger Jarl diese werdende Stadl, gab ihr Vorrechte und schlug seine Residenz daselbst auf. Bald bekam sie, wie alle Städte des Mittelalters, ihre Mauern und ihre Ciiadclle. Von hier aus venheidigle eine heldenmuthige Fran, Christine Gyllenstierna, die Witwe Sten Slure'S, ihre Mitbürger gegen die Angriffe Christian'« II., den Schweden nicht mehr als seinen König anerkennen wollte. Ihr Mann Hane in der Schlacht von Bogcsund eine tüdiliche Wunde empfangen. Seine Frau rächte ihn; die Bürgerschaft sammelte sich uni sie und ließ dem König die Ehre, in Stockholm cinzu- ziehen, «Heuer zu stehen kommen. Als sie endlich zu schwach war, um gegen eine zahlreiche Armee zu kämpfen, kapituline Christine mit den Waffen in der Hand und ließ sich für ihre sämintlichen Anhänger eine allgemeine Amnestie versprechen. Aber Christian II- brach sein Wort: er ließ Christine ins Gefängniß werfen und auf dem Äitierplatz ein Schaffst errichten, wo die edelsten Familien ihr Blut fließen sahen. Diesen bösen Zeiten folgte die wohlthätige Regierung Gu stav'« I., der, durch Unglück frühzeitig in Geist und Charakter gereift, den S<aa>, die Kunst und Wissenschaft zu gleicher Höhe erhöh- Er suchte zu gleicher Zeit, das Königreich durch weise Gesetze zu befestigen, während er dahin strebte, in die Universi tät Upsala mehr Leben und Bewegung zu bringen, und Stock holm verschönerte. Er war es, der den Einwohnern gebot, die hölzernen Häuser am Ufer des Mälar nicderzureißen und an deren Stelle steinerne Gebäude aufzuführcn. Damals ging die Stadt Stockholm nicht über die Gränzcn der heutigen Altstadt hinaus. Die ganze Küste, die gegenwärtig von der großen süd lichen Vorstadt besetzt ist, zeigte früher nur einige zerstreute Woh nungen. Der Brunkebers war nur ein wüster Hügel, und wo heule die Sankt-Älarakirche mitten aus einem Netz großer und schöner Straßen hervorragl, sah man dainals nur ein einsames Kloster. — Nach und nach verbreitete sich die Bevölkerung, welcher der frühere Raum bald zu eng ward, nach Norden und Süden. Der Berg und die Ebene wurden besetzt, und der ursprüngliche Kern der Schwedischen Hauptstadt ward von zwei Vorstädten