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Nummer 217 — 24. Jahrgang «mal wöch. Bezugspreis: fllr Septbr. 3,— -K emschl. Bestellgeld. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petitizeile SOL. Stellengesuche 29 L. Die Petitreklamezeile, 89 Milli- meter breit, 1 -K. Ofsertengebichren für Selbstabholer 20 L, bei Uebersenbung durch di« Post außerdem Portozuschlag. Einzel-Nr. 19 L, Sonntags-Nr. 15 L. Geschäftlicher Teil: IosefJohmann, Dresden. rigarrvn rigsrvttvn s Vs I« v Zo». Xuntv V^«»elsn-S öoksnnesstealZe l koke Qevlgplstr Sonnabend, 19, Sept. 1925 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung «mf Lieferung sowie Erfüllung von Anzeigen-Aujträgrnu. Leistung von Schadenersatz. Für undeutlich u. d. Fernruf übermittelte Anzeigen üvrrnehmeu wir keine Verant wortung. Unverlangt eingesandtr und mit Rückporto nicht versehene Manuskripte werden nicht autbewahrt. Sprechstunde der Redaktion b bis 6 Uhr nachmittag«. HaupFchristleitr« Dr. Josef Aidrrt. LreSde». «SeschäftSftelle, Druck und Merlan: Saxouia- Bnchdrulkere, GmbH.,Dlekdl-tt-A. Itt. .polbeittslrate gerimit 8272S. PoMcheckkonlo DreSi-e» N7!i7 BaiiNoiiio Bassrnne er ^rivsche, Trespen. Für christliche Politik und Kultur Redaktion ! er sächsischen Volkszcttnua T-resd-u-Allsi. iS oolbemsimhetv geruntt ne72?. Mld 77.777. Was will England? Das Auftreten des englischen Außenministers Eham- berlain in Genf hat zu mehr oder minder tiefgrün digen Untersuchungen in der ganzen internationalen Presse über Englands Absichten in der Gestaltung der welt politischen Dinge der nächsten Zeit geführt. Und loch ist nichts einfacher, nüchterner und klarer, als Englands welt politisches Ziel. Es ist jahrhundertelang Tradition der englischen Politik, im eigenen Lande alle politischen und sozialen Un ruhen zu vermeiden, dafür aber den Kontinent in steter Bewegung und in dauernder Unruhe zu erhalten. Je mehr die Völker Europas mit Gegensätzlichkeiten und Realitäten insbesondere wirtschaftlicher Art beschäftigt waren, um so besser erging es England und um so leichter war ihm, die „Kolonisation" derjenigen Stämme und Gebiete geworden, die cs sich im Laufe der Zeit botmäßig gemacht hatte. Aus diesem Verhalten resultiert auch der andere Grund der englischen Außeirpolitik: auf dem Fcstlande stets die jenige Macht zu bekämpfen, die jeweils die stärkste war. Wie Englands Streben darauf hinausging, Deutschland als Mili tär- und Flottenmacht und damit als ernsten Konkurrenten aus dem Weltmarkt auszuschalten und wie darum England sofort an die Seite Frankreichs bei Ausbruch des Krieges trat, so hat es jetzt ein Interesse, den hochfahrenden französischen Aspirationen aus die europäische Vorherrschaft entgegenzutreteir. Das Verhältnis zwischen England und Frankreich ist kühl bis an das Herz hinan. England braucht immer einen festländischen Degen. Gegenwärtig spielt diese Rolle Frankreich, wie sie in früheren Jahrzehnten Deutsche land gespielt hat. So ergibt sich der dritte seit Jahrhun derten feststchcndc Grundsatz der englischen Außenpolitik: England führt seine Kriege niemals selbst, sondern läßt sie andere ausfechtenk Aus alledem ergibt sich, daß die Haltung des Außenministers in Genf zu der Frage des Genfer Protokolls wie zu der Frage des Sicherheitspaktes von unerbittlicher Konsequenz ist. Der Vertreter Englands lehnt einmal ein einheitliches Schema für die Behandlung aller Streitfälle rundweg ab. Er weist aber auch ei» solches Schema für die Behandlung aller Fragen, die mit dem Friedensproblcm zusammenhängen, zurück. Mit anderen Worten: England behält sich in jedem Falle sreie Ha n d. Die Taktik führt dazu, daß England nicht von vorn herein sich mit der Vornahme von Sanktionen als Strafen einverstanden erklären kann. Es ist gewiß etwas englischer „cant", typisch englische Heuchelei dabei, wenn Chamberlam nun erklärt, wichtiger als die Bestrafung einer unrecht mäßigen Handlung sei deren Verhütung. Dieser Satz, angewandt auf die englische Politik seit Jahrhunderten, würde zu merkwürdigen Schlußfolgerungen and Ergeb nissen führen. Andererseits bedeutet dieser Satz freilich eine scharfe Verurteilung der französischen Sanktions- Politik der letzten Jahre. Es ist nichts anderes als eine höfliche Verbeugung vor dein Völkerbund, wenn der Ver treter Englands in Genf erklärt hat, daß der Völkerbund moralische Urteile zu fällen berechtigt und zuständig sein soll und daß eventuelle Sanktionen in erster Linie moralischer Natur sein sollen. Die englische Politik ist also dahin zu umschreiben, daß England sich nach keiner Seite hin festlegen und daß es sich niemanden gegenüber binden will. Auf die gegen wärtigen Verhandlungen um die Schaffung eines Siche r- heitspaktes übertragen bedeutet es, daß England cs ablehnt, weder zugunsten Frankreichs, noch zugunsten Deutschland, noch Irgend jemand anderem gegenüber sich sestzulegcn, daß England sich vielmehr selber seine Ent schließungen vorbehält, wie, wann und in welche», Maß es seine Macht auf dem Kontinent in die Wagschale wirft. Daraus ergibt sich aber auch weiter, daß England nicht bereit ist, den französischen Wünschen zu folgen, welche den Abschluß eines Sicherheitspaktes im Westen von einer Klärung und Entscheidung der politischen Situation im Osten abhängig machen wollen. Und nicht zuletzt zeigt sich Englands Streben nach Wahrung seiner politischen Selb ständigkeit in der Behandlung des deutsch-öster reichischen Problems und der Forderungen, die in bezug hierauf von Frankreich und namentlich von Italien gestellt werden. Es wird noch einen erbitterten Kamps gerade auch über diese Dinge geben, denn hier ist ein kritischer Punkt der englischen Position im Süden Europas gegeben. England kann sich seine politische und vielleicht mehr noch seine wirtschaftliche Position nach dein Balkan MUMM Nt MW MM München, 18. September. Die Bundesleitung des Na tional-sozialistischen Volksbundes erläßt eine Erklärung, in der es u. a. heißt: „Der National-soziale Volksbund tritt der Stresemann- Außenpolitik auf das schärfste entgegen. Durch die Politik des derzeitigen Außenministers läuft das deutsche Volk Gefahr, ewig in die Fesseln der Vertrüge von Versailles verstrickt zu werden und zum dauernden politischen und militärischen Sklaven derer zu werden, die die sogenannten Verträge diktiert haben. Kein Fußbreit deutschen Landes darf in einem Vertrage neuerdings preisgegeben werden. Auch nicht durch eine Anerkennung der Grenzen der jetzt bestehenden Staaten und durch das Verspre che» der Sicherheit für diese Grenzen. Ohne feste Sicherheiten in dieser Richtung darf keine weitere Verhandlung geführt wer den. Die Räumung Kölns ist von den W.stinüchten sofort zu vollziehen. Das deutsche Land darf nicht zum SäMpIatz kom mender Kriege fremder Völker gemacht werden, auch nicht auf dem Wege über einen Eintritt des Deutschen Reiches in den Völkerbund. Eine Politik, die wirklich Deutschland dient, kann von Stresemann niemals geführt werde». Deshalb erwartet der National-sozialistische Volksbund auf das bestimmteste, daß die bayrische Regierung mit aller Kraft gegen die Stresemannpolitik vorgeht und ebenso auf das entschiedenste auf einen Rücktritt des derzeitigen Außenministers hinwirkt." * Eine inhaltlich mit dieser völkischen Erklärung völlig über einstimmende Entschließung hat am Mittwoch in Dresden eine Versammlung der d e u t s ch na t i o n a le n Vertrauens männer des Wahlkreises Ostsachsen gefaßt. Die Erklärung, die nach einer Rede des Abg. Dr. Hergt angenommen wurde, lautet im wesentlichen: „Die Zustimmung zum Abschluß eines Vertrages, durch den freiwillig in irgendwelcher Farin dentselses Land preisge geben ivirö, oder zum Eintritt in den Völkerbund derzeitiger Gestaltung ist für eine deutschnationale Partei unmög lich. Es ist Ausgabe der Partei, durch ihre dazu bcrusenen Vertreter Annahme und Eintritt zu verhindern und insbeso». der« durchzusetzen, daß eine Außenministerzusamuienkunji überhaupt nicht beschickt wird, wenn nicht vorher die Ersül- lung der wirklich unverzichtbaren Forderungen durch bindende Zusage der Ententemächte zugestvnden und sichergesietll ist Können die Deutschnationalen dieses Ziel nicht erreichen, jo verlangt Selbstachtung und Selbsterhaltungstrieb der Paiiei in gleicher Weise wie der Gedanke an die Zukunft des d.ub sehen Vaterlandes den Austritt aus der Rclchsrcgieruiig." Diese Erklärung hat natürlich nicht geringes Aussehen erregt. Sofort folgt eine Schwächung, freilich nur sehr wenig wirksam: Wie die „Tägl. Rundschau" mitteilt, wird van verschie denen Seiten bestritten, daß der frühere Vorsitzende der deu:!:- nationalen Neickstagsfraküan, H.rat, oer in aer Verstimm! des Wahlkreises Dresden über auswärtige Politik gesprochen lzatte, mit der von der Versamminng gesoßte» Entschließung in irgendwelcher Verbindung stehe. Hergt habe sich grundsätzlich gegen die Veröffentlichung von Entschließungen ausge sprochen. — Damit ist also nicht gesagt, daß Hergt sich gegen die Annahme der Entschließung ausgesprochen hat. Die Tatsache also bleibe bestehen: In dem Augenblick, in dem der deutsche Außenminister sich anschickt, die entscheidenden Verhandlungen Uber den Sicherheitspakt zu beginnen, wird er wegen eben dieses Sichcrheitspakte-s von führenden Männern der stärksten Regierungspartei angegrisseu' Das ist sicher wenig geeignet, das Ansehen der Negierung Luther im Auslände zu heben. Am MMW!? Paris, 18. September. Genfer Meldungen bestätigen, daß die Besprechungen wahrstheinllch am 5. Oktober in Luzern stattsinden. Die Bundesregierung habe Luzern varaesthlagen. Diese Anregung sei von den Alliierten allgemein gut ausgenom men worden. MW We! IÄ MW« Rede des Reichskanzlers Luther in Essen Esse», 18. September. Auf dem gestrigen Bierabend im Hotel „Kaiserhof" in Essen zu Ehren des Besuches des Reichs präsidenten ergriff nach der Rede des Oberbürgermeisters von Essen Reichskanzler Dr. Luther das Wort zu folgende» Ausführungen: Diese Reise, aus der das Reich durch sei» Obcrhauvt ver treten wird, bedeutet einen Vorgang von großem Schwergewicht innerhalb des mühsamen Wiederausorstehens unseres Vater landes. Als vorhin der Jubel auf den Straßen Essens erschallte, der Jubel, der den Herrn Reichspräsidenten begrüßte, da stand vor meiner Erinnerung der 10. Januar 1023, der Tag. bevor die Franzosen hier einrückten. Ich glaube, daß jeder, der die Dinge des geschichtlichen Lebens miterlebt hat, daß der weiß, daß hier eine wirkliche S ch i ck s a l s g e m e i n s ch a f t be steht. die den ganzen Nuhrbezirk umspannt. Der Ruhrbezirk ist eine Zusammenfassung lebendiger Menschen, die vieiieicht in mancher Beziehung ihre Zusammenfassung um so mehr fühlen, als der Zusammenschluß nach neu ist. da hier die gewaltige Ent wicklung der Industrie, der Technik, die Mcnsäzenklassen erst zusammcngewirki hat. Und das Schicksal dieses Ruhrdezirks ist ein Abwehrkamvs gegen den Eintritt der Franzosen »nd Bel gier gewesen. Es ist ja deutsches Schicksal, daß wir alle mit einander unter der Not des Kriegsendes so schwer zu leiden hatten. Ich weiß als alter Bewohner der Stadt Essen und als Mann, der während schlimmer Jahre unmittelbar vor de» Toren des besetzten ltzebietes gelebt hat, ich weiß, daß im besetzten Ge biet oft die Empfindung obgewaltet hat, als ob das unbesetzte Gebiet doch nicht so ganz mitgesiihlt hat. jSchr richtig!) Lassen Sie mich mit allem Nachdruck anssprecken, wir müssen als gan zes deutsches Volk wissen, was der Ruhrbezirk und was der Einzelne im Rnhvbczirk geleistet und gelitten hat. Ich möchte das eine rücksclxmend dach feststellen: Alles, was volitisch in den letzten Jahren geschehen ist. ist doch stets ge schoben im Zusammenhang mit der Frage: Wie bekommen wir endlich bis gegen Recht und Gesetz und Vernunft besetzte Rnhr- gebiet wieder frei? Diese Frage sst als ein großer Unterstrom der Fragen durch alle Arbeit hindurchgegangen und hat dann schließlich in London zu ienem Eraebnis geführt, an dem der damalige Reichskanzler Marx, der Reichsanßenminister Dr. Stresemann und der damalige Finanzministcr beteiligt waren. Ich habe vorhin schon die Blicke von dem Ruhr gebiet aus das ailbesetzle Gebiet hinübergehen lassen. Hier stehen wir ja jetzt wieder seit dem 10. Januar dieses Jahres in anderer Ge stalt vor genau denselben Problemen, und darüber hinaus stehen ivir var der großen Frage: Ja. wenn nun alles von unserer Seite aus geschieht, um das zu leiste», wozu wir uns verpflich tet haben, sollen dann die Lasten weiter so schwer und drückend wie bisher auf dem besetzten Gebiete liegen bleiben? All diese Fragen werden künstig wieder bei allem, was wir anregen und tun als ein nie vergessener Teil unserer Sorgen uns oegleiie». Ich glaube, ich dars gerade das jetzt anssprechen, wo wir unmit telbar var der Entscheidung über die Frage stehe», ab es nun ge lingt, wie cs der dringende Wunsch der deutschen Reichsregierung ist, den Frieden Europas aufzubauen aus den Grundlagen wirk licher Gleichberechtigung, aus de» Grundiagen wirklicher Gegen seitigkeit. Hssei», 18. September. Der preußische Ministerpräsident Braiiit und der Preußische Minister des Innern Severing besuchten heute vormittag aut dem Friedhofe iu Essen die 13 Gräber der während der BesatzungSzcit ans den Krupp schen Werken vernichteten Menschenleben. Der Ministerprüsi- denr legte einen Kranz nieder mit Schleisen in den schwarz- rot-goldenen und schwarz-weißen Farben mit der Inschrift: „Den Toten vom 31. Mürz 1923. Die preußische Regierung." Um 10 Uhr begab sich der Reichspräsident zum Ehrenfriedhofe und legte an der Grabstätte der 13 Krupp schen Arbeiter, die ein Opfer der Ruhrbesatznug geworden sind, einen Kranz nieder. Heute vormittag 11 Uhr fand vor dem Rathaus« in Essen eine Kundgebung statt, in der der preußische Innenminister Severing folgende Ansprache hielt: ES ist uns bekannt, daß die Wirtschaftslage a» der Ruhr die ernsteste Aufmerksamkeit auch der Preußischen Staatsrcgiernng erfordert, und ich lann versprechen, daß wir es an dieser Aufmerksamkeit nicht fehlen lassen wollen. Aber vor diesem Versprechen steht der Dank der Preußi schen Slaatöregiernng an alle Schichten der Bevölkerung, die in den Jahren der ,Herrschaft fremder Truppe» mit hohem Mut und zäher Geduld all die Lasten »nd Belästi gungen getragen haben, die das Festhalten an Reich »nd und nach dem Orient, zu dem der Balkan ja nur noch die Brücke bildet, nicht beeinträchtigen lassen, und darum hat es ein Interesse daran, die Dinge in jenen Gebieten liehst in Bewegung zu halten, sie nicht zur Ruhe kommen -u lassen und vor allen Dingen niemandem zu gestatten, sich hier als Herrn und Herrscher auszuspielen und zu be tätigen. So wird die Umschreibung des englischen Standpunktes, wie s,e Chamber,ain in Genf vollzogen hat, den Anlaß bieten zu recht heftigen Auseinandersetzungen in den Kabi netten der verschiedensten Länder Europas und die un mittelbare Folge wird sein, daß die kommenden V-r Handlungen über den Sicherheitspakt nur nvck mehr erschwert werden.