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Schönburger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger. Amtsblatt für den Ltadtrath zu Waldenburg. Waldenburg, Sonntag, den 3V. Marz 187S Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Sonntags eine Gratisbeilage „Der Erzähler". Preis vierteljährlich 1 Mk. 80 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteurs dieses Blattes nehmen Bestellungen an. Jnssrtionsgebühre» pro kleingespaltene Zeile für Abonnenten 7 Pf., für Nicht abonnenten 10 Pf. Jnseraten-Annahme für die nächsterscheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Die Ablösungsrenten und die Brandverstcherungsbeiträge auf den 1. Termin 1879 sind den 1. April d. I. anher zu bezahlen. Stadtstencr Einnahme Waldenburg, am 28. März 1879. Politische Rimdschiu. »Waldenburg, 29. März 1879. Dem frohen Feste des kaiserlichen Geburtstages ist jäh ein tieftrauriges Ereigniß gefolgt. Kaum hatte die Kronprinzessin den ersten Schmerz über den Verlust überwunden, der ihr elterliches Haus getroffen, da reißt ihr derselbe tückische Feind, der ihr die Schwester genommen, den blühenden Sohn vom Herzen. Es ist ein herber Schlag, der das kronprinzliche Ehepaar getroffen hat. Und welch' neues bittres Leid ist dem viel geprüften Kaiser beschieden! Eben noch hört die Nation die freudig bewegten Dankesworte des geliebten Monarchen, und inzwischen em pfängt derselbe bereits von der in Berlin ver sammelten Vertretung der Nation die Beileids bezeugung zn einem erschütternden Familienereig- niffe. Wohl missen wir, daß in dem Herzen des greisen Kaisers ein Gefühl verzweifelnden Un muths keine Stätte findet. Aber unabwendbar ist auch für Kaiser Wilhelms starke Seele der rein menschliche Kummer ob der dunkeln Wolken, die ihm immer von Neuem den Hellen Lebens abend verdüstern. Sorgen wir dafür, daß durch den Wolkenschleier trotz Allem und Allem der wohlthnendste Sonnenstrahl Hindurchbreche, der Sonnenstrahl der Liebe eines treuen Volkes! Die Stellung des Reichstags zu den wirth- schaftlichen Tagesfragen liegt noch so im Dunkeln, wie bei keiner anderen politischen Frage. Das Gefüge der Parteien drol t sich ganz zu lockern gegenüber den Fragen der Zoll politik, und wie die Majoritäten schließlich fallen werden, ist mit Sicherheit nicht vorhcrzusagen. Namentlich die Haltung des Centrums, das mit seinen hundert Stimmen den Ausschlag geben muß, ist noch so unklar wie möglich. Die auf fallende Zurückhaltung bei den bisher stattge habten Erörterungen über die wirthschaftlichen Fragen ließ erkennen, daß diese Fraction sich noch nach keiner Seite binden will und von Zuge ständnissen auf anderen politischen Gebieten ihre Haltung auch in Zoll- und Steuerfragen abhängig macht. An der inneren Geneigtheit des Centrums zu dem schutzzöllnerischen System des Reichskanz lers wird man nicht zweifeln können. So geht die erste Hälfte der Session unter allgemeiner Unsicherheit und Spannung zu Ende, und die weitere Entwickelung unserer politischen Situation ist ein Räthsel, dessen Lösung durch den bisherigen Verlauf der parlamentarischen Arbeiten nicht wesentlich gefördert worden. Die ministerielle „Provinzial - Correspondenz" erklärt, daß der Kaiser an seinem Geburtstag, den 22.März, dem Statut der Kaiser-Wilhelm- Spende", als einer Allgemeinen deutschen Stif tung für Alters-, Renten- und Kapitalver sicherung, die allerhöchste Genehmigung ertheilt hat. Nach allseitiger Erwägung wurde als die den wirthschaftlichen Verhältnissen der Arbeiter bevölkerung am meisten entsprechende Einrichtung die Begründung einer allgemeinen Kapital- und Rentenversicherungsanstalt erkannt, welche den Betheiligten die Möglichkeit gewährt: 1) durch einmalige, aber eine beliebig häufige Wieder holung gestattende Einzahlung eines bestimmten Betrages (von 5 Mark) den Anspruch auf ein mit einem bestimmten Zeitpunkte (z. B. mit dem 55. oder 60. Lebensjahre) fällig werdendes Ka pital oder eine von einem bestimmten Zeitpunkte an laufende lebenslängliche Rente (bis zu höch stens 100 Mark) zu erwerben; 2) mit der Maß gabe, daß Renten, sowohl unter Vorbehalt der etwaigen Rückgewähr der Einlagen, als auch unter Verzicht darauf versichert werden können, — sowie 3) daß, wenn vor dem festgesetzten Zeitpunkte Invalidität eintritt, die Rente sofort beginnen kann, naturgemäß unter Verringerung nach Verhältniß der fehlenden Jahre. Eine solche Einrichtung gestattet dem Arbeiter, in Zei ten guten Verdienstes mehrfache Einzahlungen zu machen, in schlechten Zeiten aber solche einzu stellen, ohne daß er Gefahr läuft, von den be reits erworbenen Ansprüchen etwas zu verlieren. 4) Diese Einrichtung läßt sich weiter damit ver binden, daß die — unter Vorbehalt der Rückge währ gemachten Einlagen nach vorheriger halb jähriger Kündigung zu einem beliebigen Zeit punkte und unter Zuschlag eines bestimmten Zins satzes (2 Procent) zurückgezogen werden können, um sie — inr Hinblick auf veränderte persönliche oder Familienverhältnisse, zu einem anderen Zwecke zu verwenden, — endlich 5) daß auf dergleichen Einlagen Vorschüsse in Höhe von 90 Procent auf längstens 12 Monate, zu 6 Procent verzinslich, aus der Kasse entnommen werden können. Zur Beschaffung des für eine solche Kaffe erforderlichen Garantiekapitals ist der Er trag der Wilhelms-Spende ausreichend, und mit den Zinsen desselben können die Verwaltungs kosten wenigstens auf eine längere Zeit hinaus gedeckt werden. Die gerichtlichen Verhandlungen über die Mar- pinger „Wunder" scheinen in ultramontanen Kreisen nicht ohne Eindruck geblieben zu sein. Das „Paderborner Wests. Kirchenblatt" druckt aus der ultramontanen „Bochumer Wests. Volksztg." einen kleinen Artikel ab, worin gesagt wird: „Selbst wenn eine bischöfliche Untersuchungs commission die Erscheinungen für übernatürlich erklärt hätte, auch dann könnte jeder Katholik noch davon halten, was er wollte. Uebrigens glaube ich, daß vor einer geistlichen Untersuchung die Erscheinungen von Marpingen wohl eben so wenig Stand gehalten hätten, wie die von Metten bach, welche bekanntlich der Bischof von Regens burg schon längst als falsch bezeichnet hat." Die „Straßburger Zeitung" ist kürzlich in andere Hände übergegangen. Man glaubte, das Blatt, welches für Aufnahme der amtlichen Nach richten von der Regierung 9000 Mk. Entschädi gung erhielt, werde durch diesen Wechsel seine Haltung nicht ändern, doch ist bald der Um schwung eingetreten, um die Unabhängigkeit vor aller Welt zu documentiren, worauf natürlich sofort die „Entschädigung" seitens der Regie rung zurückgezogen worden ist. Die Wiener sind praktische Leute. Das Wie ner Generalcommando hat einen Erlaß an die Offiziere und Cadettenschüler gerichtet, in welchem dieselben aufgefordert werden, die berüchtig- sten Wucherer, welche sie bedrängen, bekannt zu geben. Ein ähnlicher Erlaß an die Staats beamten ist bevorstehend und wird hierauf die Liste der Wucherer der Polizei übergeben. Die nicht nach Wien zuständigen Wucherer werden ausgewiesen, das Gebühren der Zuständigen unter strenge Polizeiaufsicht gestellt. Im deutschen Reiche muß freilich erst einige Monate parlamen tarisch hin und her gezankt werden, ehe gegen den Wucher eingeschritten werden kann. Ueber die testamentarischen Bestimmungen des Prinzen Heinrich der Niederlande veröffent licht jetzt die „Magdeb. Ztg." folgende ergänzende und auffällige Mittheilungen: Als der Statt halter des Königs-Großherzogs gestorben war, nahm seine Gemahlin, die Prinzessin Marie, dessen Uhr und Kette, die auf einem Tisch neben dem Bette lag, zu sich, um sie in einem Schrank zu bewahren. An der Kette befand sich ein kleiner goldener Schlüssel zu der Kassette des Prinzen Heinrich, und schon deshalb, auch weil ferner an der Kette ein kleines Medaillon mit dem Bildniß der Prinzessin hing, bewahrte die Gemahlin des Prinzen Uhr und Kette sorglich. Wenig; Stunden nnch dem Tode des Statthalters erschien auf Schloß Walferdinge Baron F. von Blochhausen, Staatsminister des Großherzogthums Luxemburg, Präsident der Regierung und beauf tragt mit der Generaldirection der auswärtigen Angelegenheiten, um sich von der Prinzessin den Schlüssel zur Kassette zu erbitten. Die Prin zessin gab den Schlüssel unbedenklich heraus, schon weil der Minister v. Blochhausen ange deutet hatte, in derKassette könnten sich möglicher weise Staatsschriften befinden, in deren Besitz er sich setzen müßte. Am Tage nach dem Hin scheiden des Prinzen-Statthalters traf in Wal serdinge der Vater der Prinzessin, Prinz Friedrich Karl ein, der von der Ablieferung des Schlüssels an den Minister erfuhr und auf dessen Veran lassung der Schlüssel an die Gemahlin des Prinzen Heinrich wieder abgeführt wurde. Was nun in der Zwischenzeit mit dem Inhalt der Kassette geschehen ist, bleibt bis auf Weiteies ein Räthsel; die der Prinzessin zurückgegebene Kassette enthielt die testamentarischen Bestimmungen des Prinzen nicht mehr, obwohl sie bis zum Tode des Prinzen in derselben bewahrt worden waren. Nach neun Monaten, vom Todestage an gerech net, geht die förmliche Testamentseröffnung vor sich, und bis dahin muß sich Herausstellen, ob die letzten Anordnungen des Prinzen überhaupt noch vorhanden, oder ob sie durch irgend eine Unachtsamkeit verloren gegangen sind. Aus den in den letzten Tagen zwischen Wien und London gewechselten Depeschen ergiebt sich, daß die Meinungsverschiedenheit, welche bezüglich