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Die „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag mis Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich , Mark. Durch die Post bezogen ,,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bis vormittag za Uhr. Inserate werden mit ,o Pf. 'für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be> sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 147. Mittwoch, den 9. Dezember 1903. 2. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Dttendorf-Vkrilla, 8. Dezember 1903. — Die Braunkohlengrubenbesitzer der Gegend von Grimma haben sich vereinigt, um gegen die geplante Vergrößerung des staatlichen Leipnitzer Braunkohlenwerkes Widerspruch zu erheben. Es sei durchaus kein Kohlenmangel, sondern Ueberproduktion vorhanden. Dem Staate werde es schwer werden, Absatz für seine Kohlen zu finden, und wenn es ihm ge lingen sollte, könne das nur auf Kosten der bereits vorhandenen Gruben und ihrer Besitzer und Arbeiter geschehen. Verdienen werde der Staat nichts dabei. Die Grubenbesitzer wollen sich mit einer Petition an den Landtag wenden. Dresden. Als Mörder der am Abend des 30. November in ihrer Wohnung, Dresden- Plauen, Bienert-Straße 29, tot aufgefundenen Kaufmannswitwe Danneberg ist nunmehr der Fabrikarbeiter Emil Ewald Lehmann festgestellt und dem Gerichte eingeliefert worden. Lehmann ist am 21. Juni 1886 in Bernstadt geboren und ein durchaus verkommener und verstockter Bursche. Er ist bereits polizeilich vorbestraft und erst kürzlich wegen mehrfacher Bodenein brüche zur Anzeige gekommen. Lehmann leugnete erst hartnäckig, den Mord begangen zu haben, unter der Fülle des von der Kriminalpolizei aufgebrachten erdrückenden Ueberführungsmate- rials hat er jedoch Sonnabend morgen ein umfassendes Geständnis abgelegt. Lehmann will die Tat aus Rache gegen Frau Danne berg, die ihn öfters schlecht gemacht habe, verübt und die Schmuckgegenstände nur nebenbei sich angeeignet, sich letzterer auch sofort nach der Tat durch Abwerfen in den Abort wieder entledigt haben. Komplizen oder Mitwisser hat Lehmann nach seinem Geständnisse nicht gehabt. Da der jugendliche Mörder das 18. Lebens jahr noch nicht vollendet hat, kann eine Ver urteilung zum Tode nicht erfolgen. Er kann nach den Strafbestimmungen des Reichöstraf- gesttzbucheS zu höchstens 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden. — Unter der Ungunst der wirtschafilichen Verhältnisse und in Rücksicht auf die privaten Betriebe sind die innerhalb der letzten Jahre bei unseren Staatseisenbahnen angenommenen Arbeiter mit einem gegen früher niedrigeren Anfangslohn eingestellt worden. Diese Maß nahme war jedoch nur von geringerer Bedeutung dadurch, daß Neuannahmen nur ganz vereinzelt vorgekommen sind. Die hier und da entstan denen Lücken brauchten bei dem anhaltenden Verkehrsrückgange vielfach garnicht ausgefüllt zu werden, und wo dies nicht zu vermeiden war, standen anderweit entbehrlich geworbene Kräfte zur Verfügung. Vom 1. Januar nächsten Jahres ab sollen nun — zur Freude unserer Arbeiterschaft — wieder die alten regelmäßigen Grundlöhne des'Arbeiteretats. und zwar sowohl für die innerhalb der letzten beiden Jahre zu niedrigerem Lohne eingestellten Arbeiter wie auch für die neuanzunehmenden, Ungefähr! werden, wodurch in vielen Fällen eine ganz willkommene Lohnerhöhung eintritt. — Auf der Station Neusörnewitz bei Meißen ist in der Nacht zum Sonnabend ein aus Meißen gebürtiger junger Mann durch Ueber- fahren tödlich verunglückt. Der betreffende Mann wollte in Begleitung von zwei anderen Leuten den gegen halb 12 Uhr nachts von Neusörnewitz nach Meißen fahrenden Lokalzug zur Hinfahrt benutzen. Statt nun aber den Einstieg in das Wagenabteil von der rechten Seite zu nehmen, versuchten es die Leute, von der anderen Seite in den Zug zu gelangen. In diesem Augenblick fuhr aber der von Leipzig über Döbeln kommende Personenzug in der Bahnhof ein und riß den obenerwähnten jungen Mann unter die Näder der Lokomotive. — Ein zur Zeit arbeitsloser 19 Jahre alter Schneidergesclle wurde deshalb festgenommen, weil er versucht hatte, am 3. d. M. einem vor den Schaufenstern eines Geschäftülokals der Wilsdruffer Straße stehenden 9 Jahre alten Mädchen mit einer Schere den Zopf abzu schneiden. Bis zur Hälfte hatte er den Zopf !chon durchschnitten. — Die neue Kaserne der sächsischen Maschinen- gewehrabteilung an der hiesigen Königsbrücker Straße ist soeben im äußeren Rohbau fertig geworden, ist berüstet und belattet und wird noch bald, soweit es die Witterung erlaubt, eingedeckt werden. Diese Mannschaftskaserne ist ein massiver Bau von etwas mehr als 50 Meter Front, zeigt zwei Stockwerke, sowie eitliche Giebelbauten und je 15 Fenster für edes Gestock an der Stirnseite. Wir haben einerzeit über die Maschinengewehrabteilung berichtet. — Einen Knöchclbruch erlitt am Freitag auf der Rabener Straße ein fünfjähriger Knabe dadurch, daß er von einem Petroleumwagen überfahren wurde. Der Kutscher des Wagens ist schuldlos. Meißen. In der Sonnabend in Meißen abgehaltenen Sitzung der Kachelofen-Fabrikanten wurde folgender Beschluß gefaßt: „Da der von den Töpfergehilfen inszenierte Verbandü- austritt ein nur scheinbarer ist und, wie in der am Freitag den 27. November in Velten ab gehaltenen öffentlichen Versammlung von den Führern der Arbeitnehmer offen ausgesprochen worden ist, nur als Kampf- und Machtmittel angewendet wurde, so sprechen wir hiermit den bei uns beschäftigten Töpfergehilfen bedingungs los die Kündigung aus und sperren die Arbeit bis zur Beendigung des Velten-Fürstenwaldener Streikes." — Tödlich verunglückt ist am Sonnabend im hiesigen Jakobiwerk (Eisengießerei und Maschinen bauanstalt) der 26jährigs Former Kirsten beim Transport eines Trägers. Die schwere Last fiel ihm auf die Brust. Der Verunglückte starb abends im Krankenhause. Zu Weihnachten wollte er Hochzeit machen. Leipzig. Trotz der eifrigsten Nachforsch ungen unserer Kriminalpolizei ist es bis jetzt nicht möglich gewesen, den Mörder des Trödlers Cohn zu ermitteln; es haben zwar mehrfach Zitierungen von Personen stattgefunden, doch hat sich bei keiner der Verdacht als begründet erwiesen. Das Justizministerium hat eine Be lohnung von 500 Mark für den ausgesetzt, der solche Angaben zu machen imstande ist, daß daraufhin die Ermittelung des Mörders erfolgt. — Die kolossale» Brandruinen der Krauseschen Maschinenfabrik bilden das Ziel starker Wander ungen seitens der hiesigen Bevölkerung. Noch immer muß eine Brandwache unterhalten werden, denn von Zeit zu Zeit lodert eine kleine Flamme mit starker Rauch-Entwickelung aus den Trümmern. Das große Feuer absorbierte die Tätigkeit der gesamten städtischen Wehr bis auf das Westdepot, sodaß die freiwillige Feuerwehr der Vorstadt Connewitz Alarmbereitschaft hatte für den Fall eines neuen Brandes im Stadt gebiet, Acht Versicherungsgesellschaften sind an der Deckung des Schadens bckeiligt. — Ein stellenloser Handlungsgehilfe raubte einem Lehrlinge 600 Mark, welchen Betrag dieser am Postschalter einzahlen wollte. Der Bestohlene verfolgte den Räuber so energisch, daß letzterer verhaftet werden konnte. Crimmitschau. Das behördliche Ver sammlungsverbot trifft die Streikbewegung auf das allerempfindlichste, da mit den nichtöffent lichen Versammlungen auch die Kontrollver sammlungen untersagt sind, die bisher täglich (I) in 40 Gastwirtschaften abgehalten wurden, damit das Streikkomitee jederzeit über den Umfang der Bewegung auf dem Laufenden bleiben und die Ausständigen ununterbrochen unter Aufsicht halten könnte. Jetzt wird es den Arbeitswilligen weit leichter sein, die bis her festgeschiossenen Reihen zu verlassen. Es gibt ihrer bereits über 1300, und ihre Zahl dürfte nunmehr rasch wachsen. Die gestrigen Kontrollversammlungen sollten unter polizeilicher Aussicht gestattet sein, was das Aktionskomitee indessen ablehnte. Bei Auszahlung der Streik unterstützungen dürfen nie mehr als sechs Personen zugleich in dem betreffenden Lokale anwesend sein, eine Anordnung, die freilich geeignet ist, Ansammlungen vor den Lokalen u veranlassen. Die Streikleitung hat gestern, wie die „Leipz. Bolksztg." mitteilt, eine Be- chwerdedeputation zum Minister v. Metzsch nach Dresden gesandt. Das Vorgehen der Behörden oll auch im Reichstag, und zwar schon in den nächsten Tagen, zur Sprache gebracht werden. Aue. Hier wurde der im besten Mannes alter stehende Gustav Voigt, Besitzer eines ausgedehnten Gummiwarengeschäftes, mit einer Verletzung am Kopfe auf der umzäunten Düngerstelle im Hofe eines Hotels tot auf gefunden. Wie der Verstorbene an diesen Ort gelangt und seinen Tod gefunden hat, bleibt ns jetzt unerklärlich. Zittau. Ein schwerer Unglücksfall er eignete sich Sonntag abend hier in der siebenten Stunde in der inneren Weberstraße in dem Grundstücke, in welchem sich das Restaurant „Deutscher Krug" befindet. Der 50 Jahre alte Fabrikheizer Gustav Müller aus Olbers dorf, der seine in dem Hause als Waschfrau tätige Ehefrau abholen wollte, stürzte aus der zweiten Etage über das Treppengeländer in >en Hausflur hinab und starb binnen kurzem an den erlittenen schweren Verletzungen. Zwickau. Der der Stadt Zwickau gehörige, 121 Im große Waldbesitz im Vorort Weißen born ist in einen Waldpark mit drei großen Teichen umgestaltet worden. Die Arbeiten, wobei 14600 olmi Erbmassen für Straßcn- herstellungen zu bewältigen waren, sind jetzt zu Ende geführt werden. Aus der Woche. Nun ist der am 16. Juni gewählte Reichs tag zusammengetreten — ein Bild von deutscher Einigkeit und Kraft. Das souveräne Volk hat in seiner unfehlbaren Weisheit die besten Männer, die erleuchtetsten Geister der Nation gewählt, die voller Patriotismus und Begeister ung das Beste des Volkes erstreben und der Negierung in ihrer schweren Aufgabe mit Rat und Tat zur Seite stehen, sie unterstützen und die Mittel bewilligen, die notwendig sind, um das Ansehen Deutschlands dem Auslande gegen über aufrecht zu erhalten, die inneren Zustände nach den Gesichtspunkten der Vernunft und Ge rechtigkeit zu verbessern, den Fortschritt der Industrie und Technik zu fördern, die Geistes und Gewissensfreiheit zu schützen und so ein neues tausendjähriges Reich herbeizuführen! Kein Eigennutz, kein Ehrgeiz, keine Parteisucht kann dieses Gemälde zukünftigen Glückes trüben, und die.ideelle Entwickelung unserer inneren Angelegenheit entspricht ja auch ganz der Ent wickelung der äußeren Politik. Kriege dürften kaum noch stattfinden, denn die Idee des allge meinen Völkersriedens, der Ausgleich entgegen gesetzter Interessen durch die machtvollen Weis heitssprüche des Haager Schiedsgerichts, die Verbrüderung Frankreichs und Englands, die Festigkeit des Drei- und des Zweibundes, die Annäherung Italiens an Frankreich, die Ein helligkeit, mit der Oesterreich und Rußland die mazedonische Frage behandeln — alles atmet Friede, Einigkeit, Herzlichkeit, und Chile hat ganz recht, daß es seine neuen Kriegsschiffe ver kauft. Was soll es auch damit in der neuen Aera, die heraufdämmert? Zwar zeigen sich die Japaner noch ungebärdig, das muß zuge geben werden. Sie wollen sich von Rußland nicht beim lebendigen Leibe schinden lasten; so wenigstens ist die japanesische Auffassung. Onkel Sam ist vernünftig und friedfertig. Er hat sich zum Vermittler angeboten; vielleicht daß auch für ihn etwas dabei abfällt. Onke Sam ist der ehrlichste Makler von der Welt: er unterstützt das kleine schwache Panama gegen Kolumbien, obwohl letzteres jetzt die Panama kanal - Konzession ganz umsonst hergeben will- — Washington könnte ja den neuen Panama staat, der sich ihm mit Leib und Seele ergeben hat, an Kolumbien zurückverkaufen, aber dazu ist mau jenseits des großen Wassers viel zu ehrlich. Baron Speck von Sternburg ist von seinem Ohrenleiden kuriert aus Deutschland nach Washington zurückgekehrt, um dort weiter im Sinne der Aufstellung des Denkmals Friedrichs des Großen zu wirken. Hoffentlich erreicht er endlich sein Ziel, denn Deutschland hat auch seine empfindlichen Seiten, wie man aus der einstweiligen Zurückziehung des vom Kaiser Wilhelm gestifteten Regatta-Pokals für die Ozean-Rennen erkennen kann. — Im Süden unseres Weltteils kehrt allgemach die alte Ruhe wieder ein. In Südrußland rebellierten die Arbeiter, die Studenten und die Armenier, letztere wegen der regierungsseitigen Beschlag nahme ihres Kirchenvermögens. Die Kosaken haben sich aber prompt behauptet. Der Kischenewer Prozeß gegen die JudenmaffakerS hat gezeigt, daß in Rußland die Gerechtigkeit als oberstes Staatsideal gilt; das sollten endlich auch die Finnländer merken. In Mazedonien ;at Mutter Natur die öffentliche Schaubühne des Aufstandes geschloffen; ein merkwürdig rüher Winter hat die Brand- und Blutstätten »es schönen Landes mit einem weißen Schnee tuche bedeckt und unter dieser Decke erscheint auch das Ministerium Giolitti so rein und weiß, daß ihm die italienische Kammer mit großer Mehrheit ein Vertrauensvotum darbringen vnnte. In Spanien dagegen ist das Kabinet Villaverde schmollend zurückgetreten; die Repu- siikaner setzten ihm zu scharf zu. Die Krisis ist um so störender, als sich König Alfons schon die Stiefel hatte putzen lassen zu einer Reise nach Lissabon. In Frankreich geht der Kultur kampf unaufhörlich weiter; sonderbarerweise verlautet, daß Waldeck-Rousseau sich gänzlich vom öffentlichen Leben zurückziehen und einst weilen im Mittelmeer kreuzen will. Früher nahm man an, daß er sich für die Präsident schaft des Landes aufsparen wolle. Aber Loubet denkt noch garnicht an den Rücktritt, wenn er bei den Neuwahlen nicht etwa zurückgetretett werden sollte. Die Dreyfus-Affäre ist zwar wieder aufgerüttelt worden, sondert aber er freulicherweise nicht allzuviel Staub ab; das Lesepublikum wird nicht alle Tage mit neuem Quark, neuen Lügen und neuen Ausreden be lästigt. Alfred Dreyfus ist seit Jahren frei und wird's hoffentlich nicht wieder tun, obgleich niemand genau weiß, was Dreyfus eigentlich getan haben soll. Wenn wir nach diesem Rundgang durch die Nachbarländer nochmals in unser liebes Vaterland zurückkehren, so fällt unser Blick sogleich befriedigt auf das Land Reuß ältere Linie, wo sich diejenige Aenderung vollzieht, die man nach dem Hinscheiden des Fürsten Heinrich XXII. erwarten durfte. Der Verstorbene hat nie einsehcn wollen, daß das reußische Schützenbataillon den Werdegang des Deutschen Reiches nicht aufzuhalten vermochte, und Reuß ältere Linie bildete daher stets den Sammelpunkt der Opposition im Bundesrate; allerdings blieb es bei dem Punkte, denn es sammelte sich nichts um ihn. Nachdem der Regent von Reuß jüngere Linie auch die Regierung in Greiz angetreten hatte, glaubte man allgemein, die Beamten des alten Regimes würden solchen mit modernen Anschauungen weichen müssen. Dazu hat der neue Regent in pietätvoller Weise nicht sogleich seine Hand geboten; das geschieht erst jetzt allmählich. Der alte Kabinetsrat v. Geldern - Crispendorf ist in den Ruhestand getreten und nun beginnen all mählich die neuen Verhältnisse. Bisher hatte Reuß ältere Linie vor dem gesamten Deutschen Reich einen Vorzug, der sich gerade jetzt be sonders bemerkbar macht: es hatte keine Schulden. „Der Uebel größtes aber ist die Schuld!" Der Schatzsekretär des Reiches, der sich so unendlich mit der Finanzreform abquält, mag bei Reuß ältere Linie Unterricht nehmen.