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Amtsblatt sür die kömglicheu und städtische« Behörde» zu Freiberg aud Braud. Verantwortlicher Redakteur Iuliu» Braun in Freiberg. 33. Jahrgang. Erscheint jeden Wochentag Abend« 6 Nhr für der- . ! Inserate werden bi» Vormittag» 11 Uhr angmom- W - Sonnabend, den 27. August. I Wetter-Prognose sür Sonnabend, -e«-27. August: Wolkig bis trüb, Temperatur kälter, Niederschläge, zunächst Neigung zu Gewitter«. Nachbestellungen ans den nn«> V»x«KI»Lt- sür de« Monat WM" September "Mg werden von sämmtlichen Postanstalteu wie von der unterzeichneten Expedition and den bekannten Aus gabestellen in Freiberg, Braud, Laugeuau, Halsbrücke' Laugheuuersdors und Weitzenboru zum Preise von 75 Psenutgeu angeuommeu. kxpeü. ll88 „ssrsib. ^nreiger u. lagsdlstt". Der kleine Finger des Vatikan. Der Kulturkampf ist in das eigenthümlichc Stadium ge treten, daß sich beide Theile den Sieg zuschreibcn, wie das gewöhnlich geschieht, wenn es sich um einen Waffenstill stand handelt, dem keine entscheidenden Niederlagen vor ausgingen. In Ermangelung des wirklichen Friedens wird ein mculus vlvsnäl angestrcbt, d. h. ein Zustand, der die Möglichkeit gewähren soll, daß beide Parteien, ohne ihren Ansprüchen und Rechten etwas zu vergeben, neben einander leben und auf einen Umschwung warten können, durch den die eine oder die andere wirklich Oberhand ge winnt. Die römische Kurie soll sich zur Anzeigepflicht verstanden haben, um die Besetzung der erledigten Bischofs sitze zu ermöglichen. Es fragt sich nur, ob die ganze Prozedur viel nützen kann und ob — wenn für Fürst Bismarck die Gründe in Wegfall kommen, die seine augenblickliche Politik be stimmen — nicht trotz der Besetzung der Bischofsstühle die ganze Situation in die alte Spannung zurückgeleitct wer den wird? Die Zentrumspartci ist auch lange nicht so vertrauensselig wie die Offiziösen. Die eigenthümlichc Stellung, welche das Zentrum zu Rom einnimmt, erschwert den ganzen Handel, der wesentlich zu dem Zwecke abge schlossen werden soll, für den nächsten Reichstag eine Majorität zur Durchführung der neuen Wirthschaftspolitik zu schaffen. Wie nämlich Fürst Bismarck gegenüber dem Kultusminister, welcher den Kulturkampf ressortmäßig zu führen hat, zu gelegener Zeit von einer gewissen Macht losigkeit sich anwandeln läßt, ebenso ist der Papst, wenn es die Situation mit sich bringt, außer Stande, einen bestimmten Einfluß auf die Zentrumspartei zu üben, die sonst seine Geschäfte zu besorgen pflegt. So könnte es kommen, daß beide Parteien sich in ihren Hoffnungen ge täuscht haben und daß jede an ihre Konzession Voraus setzungen knüpfte, welche die andere nicht zugcben will. Hält die Kurie die Anzcigepflicht für mehr als eine Cour- toisie gegen den Staat und erkennt sie dessen Einspruchs recht an? Oder will der Staat wirklich blos mit einer Höflichkeitsformel sich begnügen, wo er nicht blos ein Hoheitsrecht, sondern eine Lebensbedingung zu wahren hat? Denn diese Bedeutung hat doch der Kulturkampf und schon bei den ersten Anfängen wurde es klar gestellt, als bei der Debatte um den Kanzelparagraphen der bai rische Minister v. Lutz fragte: „Wer soll der Herr sein im Staate, die Regierung oder die katholische Kirche?" Fürst Bismarck selbst hatte die tiefste Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, diesen Kampf, in den der Staat mit dem Recht der Nothwehr cingetreten war, mit unerbitt licher Energie zu einem siegreichen Ende zu führen. Er scheute auch nicht den Bruch mit der Kreuzzeitungspartei, als durch das Schulaufsichtsgesctz die protestantischen Orthodoxen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Nachdem das klärende Ereigniß eines Pairsschubs im preußischen Herrenhause den Ernst der Lage illustrirt hatte, sprach er die denkwürdigen Worte: „Wenn der Staat in Gefahr ist, werden Sic mich stets auf der Bresche finden." Noch deutlicher war bei Gelegenheit der Absetzung des römischen Gesandtschaftspostens das geflügelte Wort an die Zeu- trumspartei: „Seien Sie gewiß, meine Herren, nach Canossa gehen wir nicht." Endlich erklärte der Reichs kanzler in der Debatte um die Maigesctze: „Die Frage sei eine politische, auch das Papstthum sei eine politische Macht und es könne nicht geduldet werden, daß die Kirche einen Staat im Staate bilde." Das ist durchaus richtig. Der Kulmrkampf ist eine Machtfrage, die allerdings von der Kurie auf das Gebiet des kirchlichen Bedürfnisses gespielt wird, wo ihre Agitation über die stärksten Mittel und ihr Widerstand gegen die Staatsgewalt über die rührendsten Argumente verfügt. Wäre es doch in der letzten Rcichstagsscssion fast gelungen, für den Antrag, wenigstens die Spendung der Sakramente frei zu geben, eine Majorität zu gewinnen und die Kurie in die Lage zu versetzen, in aller Unbotmäßigkeit ihr Amt versehen zu können, anstatt gerade durch ihre höhere heilige Pflicht, dem kirchlichen Bcdürfniß zu genügen, zur Unter werfung unter die Staatsgcsetzc gezwungen zu werden. Aber nicht blos eine politische Nothwendigkeit war der Kulturkampf, sondern auch eine nationale, und die Mai- gcsctze sind gerade nach dieser Richtung von so ein schneidender Bedeutung, daß es erklärlich ist, wenn ihr Urheber, vr. Falk, von der römischen Hierarchie mit dem unversöhnlichsten Haß verfolgt wird; aber eben so unbe greiflich erscheint es uns, daß ein deutscher Staatsmann daran denken könnte, dieselben preiszugeben. Die Mai gesetze machen die Vorbildung auf deutschen Gymnasien und Universitäten zur Bedingung der Anstellung und wahren das Einspruchsrecht der Regierung. Sie schützen den niederen Klerus gegen die Gefahr, seine nationale Gesinnung und seine Reichstrcue, die auch im katholischen Pfarramt vorausgesetzt werden darf, der römischen Propa ganda zum Opfer bringen zu müssen, und sie bieten in dem kirchlichen Gerichtshöfe das Mittel, die römische Prä latur, die sich gegen die Staatsgcsetze auflchnt, zur Ver antwortung zu ziehen und unschädlich zu machen. Selbstverständlich konnte Niemand von diesen Gesetzen einen augenblicklichen Erfolg erwarten. Darauf waren sie auch gar nicht angelegt. Der kirchliche Gerichtshof konnte eine Hierarchie nicht schrecken, welche Märtyrer braucht und sie zu entschädigen weiß. Die bessere Wirkung, die aber nur allmählich in die Erscheinung treten kann, liegt in der Erziehung eines wirklich nationalen Klerus, die es ermöglichen würde, daß selbst die höheren Aemtcr mit reichstreuen Prälaten besetzt sind und daß an der Spitze deutscher Diözesen deutsche Bischöfe stehen, nicht römische Bischöfe mit deutschen Namen. Das ist die Waffe gegen Rom, aber sie darf nicht einem moäns vlvsnäi zu Liebe aus der Hand gegeben werden, um die Anfänge eines rcichstreuen Priesterthums, die sich schon herausgebildet haben mögen, zu geneigter Berücksichtigung der römischen Hierarchie auszuliefern. Fürst Bismarck meint vielleicht, daß er die Machtfragc ganz nach Belieben ruhen lassen kann, wenn das gegen wärtig ihm näher liegende Interesse seiner Wirthschafts politik dadurch eine Förderung erführe; aber das wäre ein großer Jrrthum. Hier ist der Glaube die Hauptsache und dem Glauben an Rom muß der Glaube an das Reich entgegen gesetzt werden, der — einmal verloren — schwerlich wiederkehren würde. Darüber wenigstens wolle man sich nicht täuschen, wenn man auch nicht zugeben sollte, daß die Macht der Hierarchie, die mit ihrer Feind« schast in zehn Jahren nichts Schlimmeres schaffen konnte, als bisher zu Tage trat, kaum die Aussicht hat, sich noch länger halten zu können. Sie konnte nicht durch die Temporaliensperrc ausgehungert werden, wohl aber durch den Mangel an seelsorgerischer Pflichterfüllung, den durch ihr Verschulden die Gemeinden schmerzlich empfinden. Das mag der Vatikan gefühlt haben, als er den kleinen Finger zum Frieden bot; denn daß cs die ganze Hand ist, wird sich Niemand einbildcn dürfen. Der Indifferentismus im Gewerbsleben. In einer Zeit, wie die Gegenwart ist, da die freie Konkurrenz alle Privilegien einzelner Personen oder ganzer Berufsklassen, durch welche letzteren die Herstellung und der gewinnbringende Vertrieb irgend eines gewerblichen Erzeugnisses ausschließlich gesichert wurden, rücksichtslos bei Seite geschoben hat, ist der Einzelne mehr als je in dem großen Kampfe ums Dasein auf eigne Füße gestellt. Während früher die Schranken der Zunft den m ihr Stehenden zugleich beengten und doch auch stützten, ist jetzt Jeder nur allein auf die eigne Kraft angewiesen und anstatt Zunftzwang ist „Selbsthilfe" die Parole des Ge- wcrbtrcibcnden geworden. Der Verständige wird den Ein tritt eines derartigen Zustandes nicht als ein Uebel schmähen, das nur eine krankhafte Ncucrungssucht, ein revolutionärer Zeitgeist geschaffen habe und dem gegenüber man streben müsse, es sobald als möglich wieder los zu werden, um wieder in die altgewohnten Bahnen der Väter, in denen der Verdienst zwar beschränkt, die freie Bewe gung einzelner aufstrebender Köpfe gehemmt, aber das Auskommen in jedem Falle gesichert war, einzulenken. Vielmehr muß der Einsichtsvolle das Aufhören jener, die freie Handels- und Gewerbethätigkeit hemmenden Gesetze als einen bedeutsamen Fortschritt in der Gcsammtentwicke- lung unseres Volkes begrüßen, das dadurch der gesetzge berischen Bevormundung entwachsen und in seiner Reife um ein Bedeutendes fortgeschritten erscheint. Freilich ist auch nicht zu leugnen, daß in der unbeschränkten Freiheit das Fortkommen des Einzelnen viel mehr in Frage gestellt ist. Aber dafür ist ihm auch die Möglichkeit geboten, ohne Weiteres die nicht lohnende Arbeit zu verlassen und sich einem anderen Arbeitsfelde zuzuwenden. Leider ist diese Fähigkeit der leichten Bewegung, der scharfe Blick für die Bedürfnisse der Zeit, die ja in dem schnclllebenden Geschlechte der Gegenwart in rascher Folge kommen und verschwinden, der industrielle Spürsinn Vielen nicht eigen. Man beschränkt sich sehr häufig auf unfruchtbare Erörte rungen und nutzlose Klagen über die Uebelstände, mit welchen der Gewerbestand heutzutage zu kämpfen hat. Es ist ja keineswegs zu leugnen, daß der Gewcrbtreibende mit vielerlei Widerwärtigkeiten zu kämpfen hat, die sich in gewissen Gewerbebetrieben ganz besonders als drückende geltend machen. Vor allen Dingen bereitet der in vielen, ja den meisten Industriezweigen überhand genommene Fabrikbetricb dem Kleingewerbe schwere Konkurrenz. Bei der Massenproduktion der Fabriken können die Waaren, weil man sich in ausgedehnterer Weise des Maschinen betriebs bedienen kann, sauberer, gleichmäßiger hcraestellt werden Da ein großer Fabrikbetricb auch eine viel aus giebigere Ausnutzung der Arbeitskräfte und Maschinen zu läßt, so kann der Fabrikant auch einen Preis stellen, bei welchem der Meister des Kleingewerbes nicht bestehen könnte. Letzterer wird daher in vielen Fällen der Ab nehmer der Fabrikanten und muß zusehen, wie dieser bei dem Geschäft das Fett abschöpft. Diese und ähnliche Be trachtungen haben manchen Gcwerbsmann unvermerkt in einen Pessimismus Hineingetrieben, der ihn überhaupt an einem fröhlichen Emporkommen verzweifeln läßt und der ihn nach und nach gegen den eignen Beruf und die noth wendige Weiterbildung in demselben stumpf macht. Er plagt sich wohl von früh bis in die späte Nacht, aber der Schwung des Geistes, der auch dem Handwerker so nöthig ist, fehlt ihm. Er lebt in einem Jndifferentismus, einer Gleichgiltigkeit dahin, die ihn nicht nur niederdrückt und