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Memim Anzeiger Erscheint Dienstag, Donnerstag u. Sonnabend. Abonnementspreis einschließlich zwei illustrirter achtseitigen Beilagen sowie eines illustrirten Witzblattes 1,50 Mt. Zeitung fir SeiserLdoes. Inserate kosten die Spaltenzeile oder deren Raum 10 Pf., für auswärtige Inserenten 15 Pf., Reklamen 20 Pf. Annahme von Anzeigen für alle Zeitungen. Nummer 126. Donnerstag, den 25. Oktober 1900. 13. Jahrgang. Aus Nah uud Fern. — Das Werfen mit Steinen von Seiten der lieben männlichen Schuljugend nimmt neuerdings bedauerlicher weise recht überhand. So warf am Montag Abend ein Knabe einen ziemlich großen Stein in das Ladenfenster der Cigarrenhandlung des Herrn Otto H e i n r i ch, so daß die werthvolle Glasscheibe in Stücken zersprang. Glücklicher weise hatte Herr Heinrich die Vorsicht gebraucht, dieselbe beim Einsetzen zu versichern. — Den Bewohnern unseres Ortes wird am Neformations- fest Gelegenheit geboten sein, die guten Beziehungen, die seit Jahren zwischen der Einwohnerschaft und dem Mäuner- gesangverein „Apoll o" bestehen, von Neuem zu beleben. Genannter Verein gedenkt im „Amtshof" ein Gesangs- Concert zum Besten des Frauenvereins zu geben, zu welchem er ein vorzüglich gewähltes Programm zusammen- gestellt hat. Bei der Beliebtheit, deren sich der „Apollo" erfreut und dem guten Zweck, der mit der Veranstaltung verbunden ist, kam« man nur wünschen, daß sich die Zuhörer recht zahlreich einstellen. — In Wendischcarsdorf trug sich am ver gangenen Sonnabend ein bedauerlicher Unglücksfall zu. Die I4jährige Lommatzsch aus Börnichen war auf dem Freigute beim Dreschen mit Zureichen von Garben beschäftigt, als sie plötzlich anf bis jetzt unerklärliche Weise in das Getriebe der Maschine gerielh, der sie in ihrer Beschäftigung gar nicht zu nahen hatte, wobei ihr der linke Fuß bis zum Knöchel zermalmt wurde. Das arme Kind befindet sich auf dem Freigute iu ärztlicher Behandlung, deren Resultat vorläufig noch nicht festzustellen ist. — In letzter Nummer brachten wir eine der „Denb. Ztg." entnommene Notiz betr. Fleischbeschau iu den Ge meinden Deuben und Niederhäslich, welche auf Wunsch des Hrn. Thierarzt Litfas hier dahin richtig zu stelle» ist, daß er in den genannten Gemeinden die wissenschaftliche Fleischbeschau auf besonderes Verlangen ausübeu wird. — Ein Sittlichkeitrvergehen hat sich ein verheiratheter Bürger in Tharandt dadurch zu Schulden kommen lassen, daß er sich seiner Zeit an einem Mädchen, das jetzt erst aus der Schule entlassen worden ist, vergangen hat. Die That des Wüstlings ist nicht ohne Folgen geblieben und wird sich wahrscheinlich noch die Staatsanwaltschaft mit der Angelegenheit beschäftigen. — Ein Opfer, welches glücklicherweise nur iu einer fetten Kuh bestand, forderte die Haiusberg-Kipsdorfer Seeundärbahn. Das Thier hatte sich von seinem Pflock auf einer Wiese bei Dip p o ldi s w alde losgerissen und lief direkt in den Zug hinein. Die Verletzungen, die es erlitt, waren derartige, daß es der Besitzer sofort tödten lassen mußte. Am 22. d. Mts. fand das Fischen des Teiches bei Oberhäslich statt, wozu sich trotz des trüben, unfreund lichen Wetters ein zahlreiches Publikum eingefunden hatte. Der Fischreichthum erwies sich als eiu sehr bedeutender, denn das Gesammtgewicht der kaltblütigen Teichbewohner betrug 35 Centner meist fünf- bis sechspfündiger Karpfen und 15 Centner starker Hechte. Der größte Theil der Ausbeute ging in den Besitz des Herrn Hoffischhändler Janck in Dresden über, der mit 3 Geschirren auf dem Platze erschienen war und nur ein verschwindend kleiner Theil gelaugte zum Preise von 65 Pfennigen pro Pfund in die Hand von Privatpersonen. — „Mutter, ich komme bald nach," sagte der 64 Jahre alte Maurer Friedrich Gravenhorst in Berlin, als ihm seine Frau an einem Lungenleiden starb. Vor gestern schoß er sich eine Revolverkugel iu deu Mund. — Ueber den letzten Aufstieg des Z epp e l in's ch en Luftschiffes verlautet noch, daß die Probefahrt eine Stunde und zwanzig Minuten dauerte und daß die Steuer versuche vollständig gelangen. Durch Verschiebungen des Laufgewichts wurde eine stabile Haltung der Längsaxe in der Bewegung hergestellt. Die Geschwindigkeit der Fahrt war eine bedeutende, auch weuu das Fahrzeug Gegenwind hatte. Die Landung erfolgte in Folge von Gasverlust überraschend schnell, allein ohne daß das Fahrzeug wesentlich beschädigt wurde. Nächster Aufstieg in acht Tagen. — Eine Gabel nnd einen Thee löffel verschluckt. Eine seltene Operation fand im Oberlin- Krankenhause in Nowawes statt. Aus dem Magen eines Dienstmädchens wurden eine große Gabel und ein Thee löffel entfernt. Dieselbe schwierige Operation erfolgte schon einmal im Juli d. I. uud verlief beide Male glücklich. Das Mädcheu gab an, die gefährlichen Gegenstände jedes mal deshalb verschluckt zu habe», uin zu einer — Berühmt heit zu gelangen. Der Diamant des Levantiners. Fortsetzung und Schluß. Der Zollinspektor kam auf uns zugestürzt. „Herr," rief ich ihm zu, „dieses Weib hat einen über aus kostbaren Brillanten geraubt. Helfen Sie mir, sie zu fangen." Der Inspektor wollte mir Hilfe leisten, aber wie ein Panther sprang die Indien» auf und raunte in wilder Hast dem Schiffe zu. Eine Anzahl Zollbeamter ihr nach. Wenige Schritte vor der Brücke fing sie Plötzlich an zu schwanken, taumelte und fiel zu Boden. Die Zollbeamten hoben sie auf uud trugen sie zur Zvllwache hin, in das Visttatioiiszimmer für weibliche Personen. Das Alles ereignete sich in einem Zeitraum von kaum zwei Minuten. Der Zollinspektor rief zwei europäische Frauen herbei und sagte: „Untersuchen Sie diese Frau nach einem rosa Brillanten!" Ich hatte mich in das Zimmerchen des Inspektors be geben, und dieser verband mit Hilfe eines Zolldieners meine stark blutende Wunde. Wenige Minuten später erschien eine der angestellten Frauen und legte vor dem Inspektor auf deu Tisch eine lederne Kapsel nieder, ein Amuletfutteral, wie es die Orientalinnen auf der Brust zu tragen Pflegen, dessen eigen- lhümlich geflochtene Lederschnur zerschnitten war. In dem Behälter befand sieb ein wahrhaft wunderbarer, wohl wie ein Zehnfrankenstück großer, rosa funkelnder Brillant — das war das verhängnißvolle Juwel. Ich reichte dem Jn- Ipektor das Kästchen mit dein Siegelabdruck des Brillanten, der Stein Paßte vollkommen hinein. Der Inspektor nickte. Ich übergab diesem Beamten Mein Beglaubigungsschreiben Ephraisi's und ein mit diesem Dokumente angekommenes Schreiben des Barons, in welchem des verschwundenen Brillanten mehrmals Erwähnung ge schah. Der Inspektor nickte wieder. „Durch ihr Benehmen hat diese Person sich sehr ver dächtig gemacht," äußerte er. „Sie hat unverkennbar fliehen wollen, wäre sie nicht schuldig, würde sie sich nicht ans solche Weise geberdet und zu derlei verzweifelte» Mitteln gegriffen haben. Eigentlich wäre ich verpflichtet, setzt den» Polizeiinittister die Sache zu übergeben, dessen Obliegenheit es ist, solche Vorkommnisse zu behandeln." „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie davon Ab stand nehmen würden," siel ich ei». „Was kann die Be hörde jetzt noch nützen? Den Stein habe ich, und daß die Sache sich so verhält, wie ich angegeben habe, darüber sind Sie doch wohl nicht im Zweifel." „Durchaus nicht," versicherte der Beamte. „Uud im klebrigen will ich die Person laufen lassen. Nag sie gehen, wohin Sie will," fügte ich hinzu. Gleich darauf sah ich durch das Fenster, wie die Jn- dierin von den zwei europäische» Fraue» aus dem Visita tionszimmer geführt wurde uud wie gebrochen zum Schiffe schlich. Der Inspektor nickte neuerdings zufrieden, und mir ward es gleichfalls leichter ums Herz, denn es war nicht abzusehen, was geschehen wäre, falls die Jiidierin setzt zu schreien und zu toben angefangen und den ihr ab-' genommenen Stein zurückverlangt hätte. Die Nachwirkung des gestern genommenen Haschisch war offenbar bei ihr eingetreten und für sie vechängnißvoll geworden. Hätte ich diesen Zustand nicht zum Verbündeten gehabt, so würde sie sicher das Schiff erreicht haben, und ich hätte das Nachsehen gehabt. Ich wünsche ihr glückliche Reise, denn nias gingen mich die Juwelen und das Geld des gestor benen Paschas an! Ich drückte dem Inspektor dankbar die Hand, ließ fünf Napoleons auf sein großes Eintragsjournal gleiten, stiftete im Vorraum hundert Piaster für die Zollwächler und je fünfzig Piaster für die untersuchenden Frauen. Dadurch war ich sicher, daß vou der Sache nicht weiter gesprochen würde. Ich schritt durch das Gitterthor des Hafens und nahm mir einen der draußen stehenden Wagen, dessen Kutscher ich den Auftrag gab, mich nach dem Hotel Abbat zu fahre». Die Angelegenheit war schnell verlaufen, hatte aber eine gefährliche Wendung genommen, und ich war nnr deshalb dem sicheren Tode entgangen, weil ich im letzten Moment eine verdächtige Bewegung des Arines der Jn- dierin wahrgenommen hatte und instinktiv zurückgewichen war- Dadurch traf der Stoß statt meines Halses nur meinen Oberarm. Ich hatte jetzt den kostbaren Stein wieder erlangt und einen Werth von dreihunderttausend Franken dem alten Levantiner gerettet. So durfte ich ohue das drückende Gefühl, ein Geschenk zu erhalten, die ausgesetzte Beloh nung als redlich verdient an mich nehmen, denn auch über das Schicksal seines Sohnes war das Dunkel ja jetzt ge lichtet. Was eiu Mensch durch Entschlossenheit in dieser Sache leisten konnte, war durch mich geschehen. Zweimal hatte ich mein Leben hierbei auf's Spiel gesetzt. Meine Wunde fing jetzt an sehr heftig zu breuneu, und mir fiel plötzlich ein, daß es auf Java nicht selten sei, vergifteter Dolche sich zu bedienen. Mein Herz be gann heftig zu klcpfeu, und der Angstschweiß trat mir auf die Stirn, ich fühlte mich schwach zum Sterben. Die Fahrt schien mir eine Ewigkeit zu dauern. Endlich war der Gasthof erreicht. Ich konnte den Wagen nicht allein verlassen, Angestellte hoben mich heraus nnd führten mich in die Vorhalle. Ich sagte ihnen, daß ich mir den Arm verletzt habe und man sogleich nach einem deutschen Arzt schicken solle. Man trug mich die Treppe hinauf und legte mich auf das Bett. Der Arzt erschien nach kurzer Zeil, untersuchte die Verwundung genau, fand, der Stich sei fünf Centi- meter tief, verletzt seien keine großen Gefäße, doch ein wichtiger Nerv scheine ihm durchschnitten. Die Gefahr einer Vergiftung aber sei als ausgeschlossen zu betrachten. Er verschrieb mir eine beruhigende kühlende Arznei und empfahl mir, nicht ungeduldig zu werden, einige Tage würde ich wohl das Bett hüten müsse». Ain nächsten Tage fand ich mich viel kräftiger, die Wunde schmerzte weniger. Ich folgte den Anordnungen des Heilkünstlers den Tag und die Nacht. An dem darauf folgenden Morgen jedoch reiste ich trotz des Abmahnens des Arztes, den Arin in der Binde, nach Kairo zurück. Ich hatte an Patrodos telegraphirt, wann ich ankäme, der alte Herr erwartete mich am Bahnhofe und berichtete mir, daß der Neffe des Paschas, der einzige Erbe desselben, ganz wüthend nach de» Entflohene» gesucht habe. Bis Tantah hinauf habe mau eifrige Nachforschungen gehalten, auf den vernünftigen Gedanken aber, die beiden flüchtigen Frauen im Hafen von Alexandrien zu suchen, scheine man nicht gekommen zu sein. Der Erbe behauptete, daß wenigstens eine halbe Million Franken an Kostbarkeiten und ebensoviel an englischen und französischen Werth- papieren fehle. Meine Wunde heilte normal, die Beweglichkeit meines Armes stellte sich jedoch nicht wieder ein. Er hing schwer und stumpf hernieder, die Befürchtung, daß er gelähmt bleiben könne, schien gerechtfertigt. Das war doch ein theurer Preis, um welchen ich dem reichen Manne sein Juwel wieder verschafft hatte. Meine Nachforschungen nach der Leiche des jungen Levantiners blieben erfolglos. Nach acht Tagen gab ich sie als völlig aussichtslos auf, berichtete dem Baron Ephraisi in einem ausführlichen Schreiben meine Erlebnisse so schonend wie möglich, ruhte mich noch einige Tage von den Strapazen und Aufregungen der letzten sturmvollen Unternehmungen aus und reiste dann nach der alten Hauptstadt des Türkenreiches zurück. Der Baron erwartete mich an der Zollstätte. Es war ein trauriges Wiedersehen. Der alte, gramgebeugte Mann fiel mir weinend um den Hals. Ich war nur drei Wocheu feru gewesen, aber was hatte ich in dieser kurzen Spanne Zeit erlebt! Ein ganzes Stück Welt dieses glänzende» farbenprächtigen Orientes, dieses schimmernden Märchens, unter dessen verlockenden Schleiern so viel Schlangen lauer», war auf mich ein gestürmt. Ich war auch körperlich nicht mehr derselbe, denn mein Arm hing nahezu gelähmt an meiner Schulter. War ich schon vorher geneigt, meinen Dienst bei der Ge sandtschaft aufzugeben, so war dies ein Grund mehr da für. Ich kam uni meine Entlassung ei». Der alte Baron hatte für mein Wirken in seiner Angelegenheit »sich wahr haft königlich belohnt, er hatte nur hunderttausend Franken ausgezahlt, uud ich konute jetzt von de» Zinse» meines Kapitals lebe», jedoch hatte ich diese Unabhängigkeit doch recht theuer erkauft. Ich wartete die Rückkehr meines Chefs ab, erhielt meinen Abschied aus dem Staatsdienst in allen Ehren und ging nach Deutschland zurück. Geleitet vou der Hoffnung, durch deu Gebrauch der heißen Bäder vielleicht doch noch eine Heilung meines Armes zu finden. Daher ließ ich mich in Wiesbaden nieder. Doch die Quellen erwiesen sich als unwirksam. Ich mußte mich in mein Schicksal ergeben. Ich ließ mich darauf dauernd in meiner Vaterstadt als Rechtsanwalt und Notar nieder, und dort sitze ich noch. Meine Praxis ist gut, meiu Name steht in Ehren. Ich bin jetzt ein alter Mann, viele Jahre sind es her, seit ich das eben erzählte Abenteuer iu Kairo erlebte. Ich denke noch oft daran, denn es ist einer der für mich merk würdigsten und interessantesten Abschnitte meiner Thätig- keit als Kriminalbeamter und zugleich ein Stück Orient, ein Bild des Lebens aus dem üppigen Kairo unter der Herrschaft Jsmail's. — Ende.