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Pulsnitzer Tageblatt WSL'L Bezirksanzeiger Erscheint an jedem Werktag Im Falle höherer Gewalt, Krieg, Streik oder sonstiger irgend welcher Störung des Betriebes der Zeitung oder der BeförderungScinrichtungen, hat der Bezieher keinen Anspruch auf Lieferung oder Nachlieferung der Zeitung oder auf Rück zahlung des Bezugspreises. — Wöchentlich 0.60 E bei freier Zustellung: bei Abholung wöchentlich 0.50 E; durch die Post monatlich 2.40 E freibleibend Bank-Konten: Pulsnitzer Bank, Pulsnitz und kU»» Commerz- und Privat-Bank, Zweigstelle Pulsnitz Anzeigen-Grundzahlen in Die 41 mm breite Zeile (Mosse'S Zeilenmefler 14) 1 mm Höhe 10 HZ, in der Amtshauptmannschaft Kamenz 8 amtlich 1 mm 30 LH/ und 24 Reklame 25 6?/. Tabellarischer Satz 50 "/« Aufschlag. — Bei zwangsweiser Einziehung der Anzcigcngcbühren durch Klage oder in Konkursfällen gelangt der Polle Rechnungsbetrag unter Wegfall von Preisnachlaß in Anrechnung. Bis '/,10 Uhr vormittags eingehende Anzeigen finden am gleichen Tage Aufnahme Das Pulsnitzer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft u. des Finanzamtes zu Kamenz des Amtsgerichts und des Stadtrates zu Pulsnitz sowie der Gemeinderäte Großnaundorf m.d Weißbach behördlicherseits bestimmte Blatt Hauptblatt und älteste Zeitung in den Ortschaften der Pulsnitzer AmtSgerichtSbezirks: Pulsnitz, Pulsnitz M. S., Großröhrsdorf, Breinig, Hauswalde, Ohorn, Obersteina, Niedersteina, Weißbach, Ober- und Niederlichtenau, FriederSdorf, Thiemendorf, Mittelbach, Großnaundorf, Lichtenberg, Kleindittmannsdorf Geschäftsstelle: Pulsnitz, Albertstraße Nr. 2 Druck und Verlag von E. L. Försters Erben (Inh. I. W. Mohr) Schriftleiter: I. W. Mohr in Pulsnitz Nummer 242 Freitag, den 16. Oktober 1931 83. Jahrgang Fortsetzung -er Reichstags-Debatte Vor Eintritt in die Tagesordnung erhob Abg. Becker- Breslau (Komm.) Einspruch gegen die Betriebs ein st ellung auf der Wenzeslaus-Grube bei Neurode. Der Redner verlangte die Beratung eines An trags, wonach die Wenzeslaus-Grube beschlagnahmt und den Arbeitern und Angestellten zur eigenen Bewirtschaftung übergeben werden soll. Aus Reichsmitteln sollen 2 Mil lionen Mark zur Verfügung gestellt werden. Für die Aus setzung dieses Antrags auf die Tagesordnung stimmten nur die Kommunisten, und ebenso fand ein weiterer Antrag auf Verbindung des Antrages mit der Besprechung der Re gierungserklärung nur die Unterstützung der Kommunisten. Dann wurde die Aussprache über die Regierungserklä rung fortgesetzt. Abg. Simpsendörser (LhrWch-sozLal) forderte eine Außenpolitik, die alle Kräfte der Nation in den Dienst der nationalen Befreiung stelle und zum Kampf um die Achtung und Gleichberechtigung unter den Großmächten benutze. Schwere und große Aufgaben ständen dem deutschen Volke in der R e v i s i o n s p o l i t i k noch bevor. Nichts wäre verfehlter — und darin stimmt der Redner den: Reichskanzler zu —, als im gegenwärtigen Augenblick durch vorzeitige Lösung die Zukunft Deutschlands zu verschachern. Der Sieg im Revisionskampf werde eine Frage der stärksten Nerven sein. Der Erfolg könne nur gesichert werden, wenn die Lasten und Opfer, die der Kampf um Freiheit und Recht des deut schen Volkes erfordere, gerecht verteilt würden. Der Volks dienst fordere ein rasches und energisches Durchgreifen auf dem Gebiete des Kartellwesens. Leider sei schon viel versäumt worden. Nur durch sofortige Beseitigung aller ungerechtfertigten Preisbindungen könne das Schlimmste verhütet werden, nur dann könne auch die notwendige Anpassung der Lohntarife durchge führt werden. Weiter forderte der Redner eine Plan wirtschaft mit Eingliederung der Arbeiterschaft in den Produktionsprozeß als gleichberechtigten Faktor neben Unter nehmer und Kapital. Abg. Dingeldey (DVP.) unterstrich zunächst die Worte des Kanzlers, daß seine Re gierung die erste gewesen sei, die den schweren Weg des Mutes zur Unpopularität ging. Die Volkspartei habe ihn unterstützt, weil er an die Spitze seiner Tätigkeit die Not wendigkeit einer von dem bisherigen Weg absolut abwei chenden Entwicklung auf finanz- und wirtschaftspolitischem Gebiet gestellt habe. Wenn jetzt die Meinung seiner Freunde über die einzuschlagenden Methoden und Uber das Ergebnis der bisherigen Maßnahmen von der des Reichs kanzlers abwiche, so möchte er zuvor betonen, daß trotzdem die Hochachtung und Verehrung für den Reichskanzler hinsichtlich seines vaterländischen Wil lens, seines sittlichen Ernstes und seiner hervorragenden Fähigkeit unverändert erhalten bliebe. Der Redner beschäftigte sich dann mit dem Partei system und mit der Anwendung des Artikels 48 der Ver fassung. Er sprach von einer ungeheuren neuen Erschwe rung der Entwicklung. Denn die Parteien seien im Gegensatz zu früher heute in weitem Umfange ausgeschaltet. Sie würden aber trotzdem immer wieder mit einer Ver antwortung für Maßnahmen belastet, auf deren Gestaltung sie keinen Einfluß hätten. Die Regierung hätte deshalb das Aeußerste oaransetzen müssen, die psychologische Vorbe reitung für ihre Maßnahmen im Volke zu schaffen. Die Volkspartei vermisse bei der Reichsregierung, daß sie von Beginn an das Volk nicht auf die drohenden Gefahren hin gewiesen habe. Uebersteigerter Pessimismus könne nicht helfen. Noch weniger ein Optimismus, der in kürzester Frist immer wieder Lügen gestraft werde. Das habe viel zur Steigerung des Mißtrauens gegen die Staatsführung beigetragen. Der Finanzminister habe die Behandlung der volksparteilichen Eparanträge für überflüssig angesehen. Wenige Wochen später sei dann die Regierung wegen eines größeren Steuerausfalles dennoch zu jenen Maßnahmen ge zwungen worden, die die Dollspartei vorher vergeblich ver langt hatte. . . . Besonders habe die Regierung insofern versagt, als sie nickt die Kräfte zusammengebracht habe, die zur inneren Sa nierung sowie zu einer vaterländischen Freiheitspolitik not wendig gewesen wären. Die wirtschaftliche Entwicklung sei durch die gesanite internationale Situation in immer schwerere Krisen Hineingetrieben worden. In wachsendem Maße wurde die kapitalsbedürftige Wirtschaft des Kapitals entkleidet, und die kapitalreiche Wirtschaft konnte alles an sich ziehen. Das Kapital der öffentlichen Hand sei von denen fehlgeleitet worden, die das Kapital der öffentlichen Hand verwaltet haben. Die für den Wohnungsbau aus öffentlichen Mitteln gestellten Beträge sind zum größten Teil verloren. Der Redner verwies auch auf andere Bindungen volkswirt schaftlich schädlicher Art. Er hob hervor, daß der Reichskanzler vor der großen Vertagung des Hauses gegenüber den be kannten sozialdemokratischen Anträgen auf Erhöhung ge wisser Steuern mit aller Eindeutigkeit gesagt habe, daß. er gegen jede Erhöhung der Selbst- und der Erzeugung-Kosten sei. Als sich aber dann die Negierung die große Zeitspanne geschaffen und zur Durchführung ihres Programms die Slot- Verordnung vom Juni herausgegeben habe, hätte sie an statt der Entlastung eine neue Erhöhung der Belastunggebracht. Or. Dingeldey sprach davon, daß die Hoffnung, me Neichsregierung werde zu Beginn der Sommerpause ein Wirtschasts- und Finanzprogramm verkünden, ebenso ent täuscht worden sei wie jene, daß sie ihre Maßnahmen in großem einheitlichen System — und nicht von der Sorge des Tages diktiert — herausbringen würde. Er erklärte, daß die Regierung in nicht genügendem Maß das Herauf steigen der Krise vorausgesehen habe. Sie hätte es auch versäumt, in den Zeiten der schwer sten Vertrauenerschütterung dem Volk neues Vertrauen zu geben. Es sei unerträglich, daß die Negierung nicht den wirklichen Schwierigkeiten an die Wurzel ginge und sich zu Maßnahmen zur Auflockerung des gesamten Systems der Preis- und Lohnbildung entschließe. Die Neichsregierung müßte sich in absoluter Gegnerschaft zur Sozialdemokratie befinden, wenn sie ihr Programm durchführen wollte. Jedes mal aber sei sie unter dem politischen Einfluß der Sozial- demokraten zurückgewichen, vr. Dingeldey stellte als positive Möglichkeit die Bildung einer nationalen Konzentrationsregierung hin, die der Reichskanzler zum mindesten in aller Oeffent- lichkeit hätte versuchen müssen. Er setzte sich dann etwas mit den Deutschnationalen auseinander und erklärte zum Schluß, daß seine Fraktion nicht mehr in der Lage sei, den Reickskanzler weiter zu unter st sitzen. Abg. leicht (Nayr. Vollspartet) sprach zunächst dem Kanzler seine Anerkennung aus um dann zu einer Kritik an den Maßnahmen der Reichsrcqie- rung überzugehen. Als der Reichskanzler die neue Ne- ! gierung vorstcllte, habe er erklärt, daß sie noch unabhängiger k von den Parteien lei als die frül;ere. Der Zweck des Arti- kels 48 sei die Sicherung von Ruhe und Ordnung. Er bedeute aber nicht die Beseitigung des Parlaments und die Aushöhlung und Beseitigung der verfassungsmäßigen Rechte der Länder und der Selbstverwaltung der Ge ¬ meinden. Prälat Leicht ging in diesem Zusammenhang auf die von seiner Fraktion eingebrachten Anträge ein. Den program matischen Forderungen des Reichskanzlers auf Selbst kostensenkung der Wirtschaft könne man sich an schließen, ebenso der elastischen Anpassung an die Auswir kungen der Weltkrise und seinen Ausführungen über den Tarifgedanken. Ein Wirtschaftsfriede könne nur auf der Grundlage der Gerechtigkeit und Liebe zustande kom men. Im letzten Teil seiner Ausführungen forderte der Redner eine Stützung des Binnenmarktes und ver wies die Sozialdemokraten auf einen Satz, den eine Persön lichkeit von großem Format in einem anderen Lande, die der Sozialdemokratie nahestehe, gesagt habe: Keinen Schil ling für Produkte, die wir im eigenen Lande Herstellen können. Abg. Döbrich (dauern) beschäftigte sich mit der Notverordnung und mit der Frei- heit der Presse und beklagte es in diesem Zusammenhang bitter, daß auch Presseorgane verboten worden seien, di« durchaus auf republikanischem Boden stünden. Er begrübt« es, daß das Zentrum einer nationalsozialistischen und deutsch nationalen Regierung keine Unterstützung leihen wolle. Er staunt sei er gewesen, daß sich der Abgeordnete Dingeldey nicht mit den Problemen des Nationalsozialismus ausein- andergesetzt habe. Zum Schluß bekämpfte er die Rede vr. Schachts in Harzburg. Es wäre undankbar und geschichtlich un wahrhaftig, nicht anzucrkennen, daß Minister Schiele seine ganze Kraft für die Erfüllung seiner Aufgaben eingesetzt habe. Allerdings konnte Minister Schiele nur Teilerfolge erzielen. Wir könnten uns nicht des Eindrucks erwehren, daß füp den Kanzler die Fragen der Landwirtschaft Fragen zweiten Grades gewesen sind. Wir Hütten auch nicht das Vertrauen, daß die Regierung ihre Aufgaben zur Rettung des Bauernstandes lösen werden. Deshalb würden wir den Mißtrauensanträgen zustimmen. Dr. Weber (Staaisp.) betonte dem Kanzler gegenüber, daß er in die eigene Kraft unseres Volkes mehr Vertrauen setzen müsse. Er wider- sprach vor allem jener Notverordnung, die die Länder berechtigt, ihrerseits Notverordnungen zu erlassen die einer Nachprüfung überhaupt nicht unterliegen Die getroffenen Anordnungen für die W o h l f a h r ts l a st e n bedeuteten eine B c v o r z ug u n g d e r g r o ß e n S t ä d t e Lotten Landes. In der Zusammensetzung « e u e n Kabinetts sehe man nicht die Mög - ", ""l)r als das alte Kabinett oie vom Kanzler übernommenen grundsätzlichen Forde rungen wirtschaftlich und politisch aus werten wurde. Abg. Ziegler (Soz. Arbeiterp.) s^snte die Neugründung seiner Partei das Produkt der Un duldsamkeit der SPD. gegenüber sozialistischer Gesinnung. Die Regierung Brüning sei reaktionärer und arbeiterfeindlicher als irgendeine der vor herigen Regierungen. Dieser kapitalistische Staat könne nie zu einem sozialistischen werden. Abg. Aufhäuser (Soz.) sprach von einem verschärften Kampfdernationalen Opposition gegen die Arbeiterschaft. Der Redner, bei dessen weiteren Ausführungen die Rechte den Saal verließ, besprach dann unter wiederhotten lärmen den Zurufen der Kommunisten die Errungenschaften der Arbeiter auf gewerkschaftlichem Gebiet. In Harzburg hätten sich Sozialreaktion und Faschismus zu einer Entlastungs offensive für den absterbenden Kapitalismus vereinigt. Das Bürgertum des Herrn Dingeldey habe sich aus Angst vor der aufsteigenden Arbeiterklasse dem Faschismus in die Arme geworfen. An der Ueberladung mit kurzfristigen Krediten )ei ja niemand mehr schuld als gerade Herr Schacht, der langfristige Kredite zeitweise gesperrt habe. Das politische Spiel hinter den Kulissen. Während die Aussprache im Reichstag am Donnerstag fortgesetzt wurde, hatte der Reichskanzler fortgesetzt Ver handlungen mit einzelnen Parteien, da ihm bis dahin nur außer dem Zentrum und der Bayerischen Volkspartei die Sozialdemokratie die Gefolgschaft zugesagt hatte. Die Er wartung des Reichskanzlers, daß ohne weiteres di« Land- volkpartei, di« Deutsche Bolkspartei und die Wirtschaftspartei in einer kurzen Bespvechmrg mit den Parteiführern sich entweder zur Stimmenthaltung oder zur Unterstützung des Kabinetts bekennen würden, hatte sich nicht erfüllt. Obwohl der Reichskanzler der Landvolkpartei verschiedene Angebote gemacht hatte, hat die Landvolkpartei, ohne offizielle Verhandlungen darüber abzuwarten, am Mittwochabend den Beschluß gefaßt, di« von der nationalen Opposition gestellten Mißtrauensanträge anzunehmen. Die Deutsche Volkspartei tritt kurz vor der Abstimmung noch einmal zu einer Fraktionssitzung zusammen. Der Kanzler hat mit diesen beiden Parteien und der Wirtschaftspartei dauernd verhandelt und alle Beratungen des Kabinetts und alle Ministerbesprechungen über die Bildung des Wirtschafts, beirats abgesagt.