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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.06.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-06-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120620023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912062002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912062002
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-06
- Tag 1912-06-20
-
Monat
1912-06
-
Jahr
1912
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Haupt-Filial« Dre»d«»i Eeestrage 4, l (Trlephon 46211 Nr. 3N. vonnrrstsg, örn 20. Juni lSl2. 106. Zshcssng. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 10 Seuen. vss Wichtigste. * Im Konflikt des österreichischen Mi nisters Hein old mit dem Polenklub ist eine Einigung zu erwarten. (S. Ausl.) * Der Pest er Gemeinderat nahm am Mittwoch eine Resolution, in der der Re gierung das Vertrauen ausgesprochen wird, mit großer Mehrheit an. (S. Ausl.) * Wegen versuchten Verrats mili tärischer Geheimnisse begannen heute vormittag die Verhandlungen gegen den Bild hauer Anton Nicolaus aus Metz vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts. (S. des. Art.) Der Stsnü -es Krieges. Zm Hintergründe des Kriegsiheaters läßt sich das Konferenz-Gespenst sehen. Di« italienischen „Proktophantasmisten", um einen Goethe-Ausdruck aus den Walpurgis-Szenen zu gebrauchen, wollen freilich von ihm nichts wissen. Sie begegnen ihm mit einem Dilemma, ähnlich gebildet dem Khalif Omar in den Mund gelegten: wenn die Konferenz auf dem Grunde der Annexion eröffnet wird, ist sie überflüssig, da dies« Annexion ja schon am 5. No vember 1911 vollzogen ist, also 1912 nicht noch einmal ausgesprochen zu werden braucht; beruht sie aber nicht aus dem Grunde des Einverleibungs-Dekretes, so kann sie nur schädlich werden. In normale Kriege zwischen zwei Mächte ge hören auch eigentlich internationale Konferenzen nicht herein. Wäre nach der Schlacht von Sedan, etwa im Gefolge der Thiersschen Rundreise, von Petersburg oder London ein Verlangen geäußert, Len Dcuifch-Fra-nzösischen Krieg durch Konferenz-Be ratungen über das Schicksal Elsaß-Lothringens ab zukürzen, so hätte das deutse Volk gewiß mit größter Energie solche Unverschämtheiton zurückgewiesen. In einem siegreichen Kriege diktiert einfach der Sieger die Friodensbedingumgen, und der Besiegle darf höchstens abzuhapdeln versuchen, was sich er reichen läßt, wie Favre und Ponger-Quertier da mals Belfort und die Hälfte der ursprünglich ge forderten 10 Milliarden. Etwas anderes ist es natürlich, wenn ein starkes Interesse dritter Mächte an den einem Besitzwechsel entgegengehenden Ge bietsteilen vorliegt, wie es nach dem für Rußland allerdings siegreich ausgelaufenen letzten Türken kriege der Fall war. Aber auch das kommt für die Tripolis-Frage verhältnismäßig wenig in Betracht, da mögliche Einsprüche der Westmächte bereits in früheren Verträgen adgelöft sind, direkte Dreibunds-Interessen an dem staatsrechtlichen Be stände des afrikanischen Wilajets aber niemals geltend gemacht sind. Hier sind es nur die aller dings starken Interessen aller anderen Dkächte an einer baldigen Wiederherstellung des europäischen Ariedenszustandes und daran, daß ernstlichere Er schütterungen des ottomanischen Reichsgefüges durch ein« zu lang« Kriegsdauer hintangehalten werden. Diese sehr berechtigte Unruh« vermehrt sich aber mit jedem Tage. Nicht allein daß die italienischen Feindseligkeiten gegen die arabischen Küsten in das im Vorjahre langsam niederbrennende Feuer des jahrelangem Jemen-Aufstandes wieder hineingeblasen haben: auch die so gefährlichen Albanesen-Auf stände im Reichs^ntrum haben sich bereits wiederholt. Und außerordentlich bedenklich lautet «s, daß nunmehr das türkisch« Par lament um eine Ausschreibung von Kriegs- steuern angegangen werden muß; solche Not wendigkeiten sind in so wenig gefesteten Staatsord nungen ohne nationales Gemeingefühl außerordent lich schwer durchzuführen. Um so schwerer wuchtet auf den Friodenshosf- nungen der anderen die Tatsache der geringen ita lienischen Fortschrite auf dem Haupt-Kriegsschau platz«. Was will schließlich die Einnahme von Zanzur und Misrata heißen — beiläufig war allerdings dieser Ort entgegen den jetzigen italienischen Verlautbarungen bereits im Oktober einmal besetzt: er muß also seither wieder verloren gegangen sein. Die große Unzuverlässigkeit der beiderseitigsn Kriegsberichte ist überhaupt ein großer Uebelstan-d für eine objektive Würdigung der Kriegslage. Aber mag auch schließlich restlos die ge samte Küstenstrecke den Italienern zufallen: das Problem der Niederbrechung des türkisch-arabischen Widerstandes, von dem die Entscheidung abhängt, kommt damit keinen Schritt vorwärts. Auch di« Operationen auf dem sekundären Schau platze im Aegäischen Meere nehmen «inen sehr stockenden Verlauf. Bei der außerordentlichen Uober- logenheit der italienischen Seemacht sind die Inseln natürlich sämtlich nicht ernstlich verteidigungsfähig. Ze kleiner sie sind, desto unmöglicher ist es ihren ge ringen türkischen Besatzungen, Kapitulationen auch nur zu verzögern, sobald eine feindlich« Landung er folgt ist. Und doch sind seit Rhodus schon wieder viele Wochen vergangen, ohne daß auch nur ein« Be setzung von Ehios nachgefolgt ist, wo doch die poli tischen Bedenken wegen der Dardanellen- Nähe noch nicht bestehen. Mag sein, daß abgewartet wird, bis die letzten der Ausgewiesenen das türkische Gebiet verlassen haben. Einstweilen verstärkt das Verhalten der Eroberer den Verdacht, daß ein end gültiger Erwerb auch von Rhodus, allo eine Ueber- schreitung des ursprünglichen Kriegsprogramms in Aussicht genommen sei; nicht die bloße Erlangung von Kompensationen, um auf einen tripolitanifchen Verzichts-Entschluß zu drücken. Derartige Be strebungen würden aber die Lage gewaltig ver wickeln und dazu beitragen, daß die Frage des Tripolis-Krieges konferenzreif wird. Der Wink an die Presse, die Erörterungen über Rhodus' künftiges Schicksal einstweilen einzustellen, war sehr am Platze. Anderseits aber erhöht es den Argwohn, daß man sich wirklich in der EonsultL mit solchen den Friedensschluß erschwerenden Absichten trage. * England und die Mittelmeerfrage. London, 20. Juni. Der „Daily-Telegraph" sagt, daß über die Mrttelme erfrage bei der neuer lichen Konferenz auf Malta keine Entschei dung getroffen worden sei. Die Frage werde die Reichsverteidigungskom Mission und danach das Kabinett beschäftigen. Anfang Juli werde Marineminister Churchill eine Er klärung im Unterhause abgeben. Die WndchMIchoO bei Gchmtz. Mit jähem Schlage hat das Unglück, hinterhältig und tückisch, wie es die ahnungslosen Menschen am lichten Tag befällt, eine Anzahl Existenzen er barmungslos zerschmettert. Wie ein wüstes Schlacht feld mutet die Trümmerstätte draußen bei Gaschwitz an, wo der eine Zug dem andern in die Flanke fuhr, die Unglücksstätte, an der drei Mitreisende ihr Leben lassen mußten und viele andere Verletzungen erlitten, an denen sie vielleicht für immer werden zu leiden haben. Der Führer Erler des blessierten Zuges, ein Leipziger Bürger, der froh und gesund sein Heim, seine Familie verlassen hatte, um die gewohnte Fahrt anzutreten, fand einen jähen Tod bei dem Zusammenstoß. Er ist in seinem Berufe gestorben, «inen gleich ehrenvollen Tod wie der Soldat vor dem Feinde. Aber wer gibt ihn seinem Weibe, seinen Kindern wieder, den Erzieher und Ernährer, der ihr Halt und ihre ganze Welt, das Haupt der Familie war! Der Vater kehrt ihnen nicht wieder, und die Kinder nehmen von ihm das Andenken mit in ihre Zukunft: Er starb d«n Eisenbahnertod. Und der andere Tote, der Kaufmann Neuhof, ein Mann in den besten Jahren, auch ihn zerschmetterten Eisen trümmer und Holzsplitter, daß er augenblicks sein Ende fand. Erschütternd und in seiner Tragik un vergleichlich ist das Ende jener Mutter, die ihren kleinen Kindern entrißen wurde und unerkannt ge storben ist. Welch ein Tod, unerkannt sterben zu müssen, ungekannt, von fremden Händen aufs letzte Lager gebettet, im Schauhause zwischen Gescheiterten und Unglücklichen zu liegen, bis eine Seele sich findet, ein Freund von «inst, ein flüchtig Gekannter, der einem wieder Namen und Heimat gibt zur allerletzten Reise — ins Grab. Den Verwundeten werden die schrecklichen Schreie der Unglücksnacht, das Stöhnen und Jammern, das an diesem verdämmernden Sommerabend zu den Sternen drang, Lebenslang in den Ohren klingen, und auch ein verhärtetes Gemüt, das keinen Trost und keine Freude mehr erkennen wollte, wird mit Rührung immer der hilfreichen Hände gedenken, die sich ihm zur Rettung in den Wirrwarr der Trümmer und Weherufe hinein herzhaft entgegenstreckten. Mit lautem Lob ist der wackeren Aerzte gedacht, die noch vor Eintreffen des Hilfszuges Hand anlegten, und mit Ehren sind die Namen zweier in der Leipziger Gesellschaft mit Verehrung genannter wackerer Frauen genannt worden, die als mutige Pionie rinnen einer noch jungen Wohlfahrtsbewegung die erste Bahre herzutrugen. Kein Wißen, keine Kunst ausübung steht Frauen so wohl an als Helfen und Pflegen. Dazu gab ihnen eine weise Vorsehung die weichen Hände, die Wunden so leis und lind anfaßcn, Schmerzen mildern und Kummer verscheuchen. Den Toten wie den Verwundeten und allen vom Unglück Betroffenen gilt in der ganzen Sradt uns darüber hinaus im weiten Sachienlandc allgemeine, herzliche Teilnahme. O Wir lassen hier nach unseren angestcllten Ermit telungen noch folgende Einzelheiten über oas schwere Unglück folgen: Der ersten Aufregung, die das Unglück im Gefolge hatte und natürlich vieles bedeutend schlimmer ansehen ließ, als es war, ist nunmehr die Beruhigung gefolgt. Noch gestern abend hat die Eisenbahnbetriebsolrektion alles getan, was zur Sicherung des Verkehrs und der Verwunoelen über haupt geschehen konnte. Der Hilfszuug war mit den Verwundeten und Toten um 10 Uhr in Leipzig auf dem Bayrischen Bahnhof cingetrossen, und soforr fand ihr« Uebcrführung nach dem Krankenhaulsc St. Jakob statt, wo inzwischen auch schon die um fassenosten Vorkehrungen zur Aufnahme ocr vielen Kranken getroffen waren. So ging alles glatt von- statten, uno die Verwundeten waren in kürzester Zeit der Pflege übergeben. Hoffentlich wird Las Unglück keine weiteren Opfer fordern, denn der bisherig« Zu- stand der Kranken ist ein derartiger, oatz man oarauf rechnen kann, sie am Leben zu erhalten. Zu verkennen ist allerdings nicht, daß einige von ihnen äußerst schwere Verletzungen davonge- tragen haben, so daß immerhin noch ernste Wendun gen zu oefürchten sind. Wenn cs möglich ist, die Ver letzten am Leben zu erhalten, so hat ein ganz beson deres Verdienst sarum oi« in Gaschwitz sehr gut organisierte Wohlfahrtspflege, die unter der Leitung der Pflegeschwester Selma Klausing ganz vor trefflich arbeitete. Die Aufräumungsarbeiten, die sofort, nachdem die Verwundeten fortge- schasft waren, in Angriff genommen wurden, konn ten noch in der Nacht zu Ende geführt weroen, allerdings unter Ausbietung aller vorhandenen Kräfte. So war um 1 Uhr bereits das eine Geleise vollständig geräumt, und um 5 Uhr war die Strecke wiederum vollkommen frei, so daß um diese Zeit bereits der Verkehr wieder in vollem Um fange ausgenommen weroen konnte. Der Präsident der Kgl. Sachs. Staatseisenbahn, Geheimrat Dr. U l bricht, war, wie wir schon in unserer heutigen Morgenausgabe berichteten, auf die erste Meldung von dem Unglück hin sofort nach Leipzig abgefahren und traf hier gegen 12 Uhr ein. Er begab sich an die llnfallstelle und sprach sich über die getroffenen Maß nahmen sehr befriedigt aus. Dann besuchte der Prä sident im Krankenhaus St. Jakob die Verwundeten uno schließlich auch die Witwe des getöteten Zug führers Erler. Die Untersuchung über das Unglück ist bereits eingeleitet, die Angelegenheit der Staats anwaltschaft übergeben, so dag wohl Kalo eine Klärung der Schuldfrage herbeigeführt wer oen kann. Der als der mutmaßliche Schuldige in Frage kommende Lokomotivführer Morgner aus ,8! Der bist ü«? Roman von Marie Diers. „Jetzt — in meiner Angst komme ich zu Ihnen. Ich habe nämlich den Entschluß gefaßt, Else dort ab zulösen, wenn — wenn Sie mir bestätigen, was ich fürchte —" Die aufsteigenden Tränen erstickten ihr die Stimme. Kaum verständlich brachte sie hervor: „Haben Sie den Eindruck von Walter, daß er — lungenkrank ist?" „Lungenschwach — ja", sagte Wolf ernst. „Daß dies — daß dies — lebensgefährlich wer den kann?" Er zögerte mit der Antwort. Dann sagte er mit fester und doch weicher Stimme: „Za, Frau Pastor. Ich muß es fürchten." Sie schluckte ein paarmal, dann stand sie auf. „Danke — es ist nun gut. Ist nichts dabei zu tun?" „Doch. Ein schleuniger Transport nach dem Süden. Aber er muß dort bleiben bis zum Sommer und im nächsten Winter wieder hin." . Sie sann vor sich hin. Er sah. daß sie rechnete, mit dürren, trockenen, grausamen Zahlen rechnete. Unsäglich rührend kam sie ihm plötzlich vor. „Ich werde dann woh. mit ihm gehen —" sagte sie. „Ihn wenigstens hinbringen." Er geleitete sie zur Tür. „Es sind nur Ver mutungen von mir", sagte er. „Der dortige Arzt wird Ihnen ohne Zweifel auf eine klare Frage eine klare Antwort geben." „Ja, ja. Ich danke Ihnen. Daß Sie mir hier keine Dummheiten vorgemacht haben, ist gut von Ihnen. — Ach so — ja, das wollte ich ja noch sagen." Sie stand schon auf der Schwelle. „Herr Doktor Eggers, wenn ich fort bin. sehen Sie doch einmal nach meinem Mann. Er gefällt mir schon seit vorigem Winter nicht, und wenn ich nicht auspaße, schont er sich nicht, und was die Kinder sagen, ist ihm einerlei." „Ich werde nach ihm sehen, Frau Pastor." Er blickte ihr nach, wie sie in ihrem altmodischen Hut und Mantel, gebückt und gealtert in dieser kur zen Zeit, zur Haustür hastete. Sie bestellt mich in ihr Hau» — dachte er. In ihrer Abwesenheit — und Else kommt zurück — Da schämte er sich plötzlich vor ihr. Du denkst besser von mir als ich selbst. Ich werde deine gute Meinung nicht zuschanden machen. * * * * Rudi hieß jein kleiner Zunge. Es war in der Tat. alle elterlichen Lupenbeobachtungen abgezogen, ein prächtiges Kerlchen. Marianne als Mutter zu sehen, war eine Freude, zu diesem Kindchen flüchtete sich alles, was sie an ungestillter, abgewiesener Sehnsucht in sich trug. Sie blühte auch körperlich nach der Geburt Les Knaben auf. Am Tag vor Weihnachten, in strömendem Regen, fuhr Wolf nach Klähnen ins Pfarrhaus. Es hatte niemand in dem durchweichten Sand des Vorgartens die Räder gehört, so stand er schon im Hausflur, als Else, von der Küche kommend, ihn antraf. Sie erschrack nicht so, wie er gedacht hatte, wurde nicht einmal rot. Es schien auch allerdings, als ob dies blaße, schmal geworden« Gesichtchen gar kein Rot mehr aufbringen könne. Unwillkürlich, als er ihr die Hand bot, rief er: „Wie sehen Sie aus!" „Zch habe mich sehr viel abgeängstigt". entgegnete sie einfach, ein klein wenig ungeduldig, als verstünde sich das doch von selbst. „Wie geht es Ihrem Bruder?" „Mutter ist jetzt unterwegs mit ihm, die Nach richten lauteten verhältnismäßig gut." „Wißen Sie, was sein Arzt gesagt hat?" „Za. Mutter schreibt, das gleiche wie Sie, nur in oestimmterer Form." Sie sprach alles mit einer toten Stimme. Auch ihre Augen, wenn sie ihn ansah, hatten etwas Er loschenes. Eine wahnsinnige Angst befiel hin. Ich hab« sie getötet! Oder ist es nur die übergroße Erschöpfung? „Kann ich Ihren Vater sehen?" „Za, er ist hier, in seiner Stube." Sie öffnete ihm nur die Tür und ließ ihn ein. Hier wie dort ein trübes Bild. Der Pastor sah abgefallcn aus nervös, fieberig und hatte «inen trockenen Husten. Wolfs Bemühungen setzte er «inen vaßiven, hartnäckigen Widerstand entgegen. Der sonst so freundliche, harmlos« alte Herr war kaum wiederzuerkennen. In seinem stummen Widerstand lag auch kein Tröpfchen Humor, eher etwa» tief Miß trauisches. Feindliches. Trotzdem, da er seiner Frau zuliebe diesen ärztlichen Besuch gebilligt hatte, sagte er kein ablehnendes Wort, gab nur seine Antworten spärlich und widerwillig. Wolfs Nerven brauchten heute nur noch dies, um in wilde Schwingungen zu geraten. Ihm schien plötzlich, als sei für alle Oälereien, die dieses Haus befielen, er allein verantwortlich, als stehe er hinter all diesem mit seiner einzigen Tat. Eine Wut brannte in ihm auf. Was wißt ihr denn alle? Habe ich mich euch denn verschrieben, oder soll ich bei euch zur Beichte gehen? Denkt ihr denn, man kann die Menschen und Dinge stellen wie Schachfiguren? Ach, ihr Narren des Äbens! Mit einer unwirschen Bewegung stieß er den Pastor, deßen mageren Rücken er behorchte, herum, so daß das alte Männchen taumelte. Er entschuldigte sich nicht einmal. Glutrot war sein Gesicht, er haßte sie alle hier, alle, alle! Auch Else! Nach alter Gewohnheit mußt« dem Arzt, der über Land kam, eine Erfrischung angeboten werden. Auch der Pastor in seiner gramvollen Abneigung dachte nicht einmal daran, von dieser Sitte abzu gehen. Auf dem Sofatisch standen Wein und ein Glas. „Oder möchten Sie heute lieber etwas Warmes, Herr Doktor? Else kann —" „Danke." Er goß den Wein hinunter, es war schlechter Rotspon vom Kolonialwarcnhändler aus Neuenholz. Er kannte diese Sorte. Er schnitt ein Gesicht und holte ein Rczeptfor- mular heraus, für den Pastor etwas aufzuschreiben. Sie müssen sich durchaus eine Vertretung für die Festtage besorgen", sagte er dann. „Für die Festtage? Aber wie soll ich das machen? Morgen ist ja schon heiliger Abend, Herr Doktor, beim besten Willen, das geht nicht!" Wolf sah finster auf den hilflosen, aufgeregten alten Mann. „Es muß unter allen Umständen gehen", sagte er bestimmten Tones. Seinem Wesen gegenüber gerier der Pastor ganz aus dem Häuschen. „Aber lieber Herr. Sie müßen doch einsehen — wie soll ich denn das machen? Sie sehen doch selbst — morgen abend ist ja schon Vesper —" Der Doktor ging zur Tür. „Ich bin hier verant wortlich". sagte er unbewegt. ..Ich werde mit Ihrer Tochter reden, ein praktischer Mensch muß die Sache in die Hand nehmen." Ohne weiteres ging er hinüber, wo er die Wohn zimmer wußte, der Alte lief ihm klagend nach. Als er die Tür öffnete, stutzte er. Da stand er wieder, der hohe, grüne Weihnachtsbaum! Es wollte ihm bunt vor den Augen werden. Tanncndust, Kuchenduft —. Else stand auf einem Stuhl und hing ein Pseffer- kuchenmännchen an. Eine Helle Wirtschaftsschürze umschloß ihre Gestalt. Wolf sah hinauf. Ihm vergingen die Worte — die Wirklichkeit verging ihm. Alte, süße Bilder tauchten auf und lebten. Ich hole dich herab zu mir — hast du ihn nicht für mich geschmückt, deinen grünen Weihnachtsbaum? — „Else, Herr Doktor Eggers besteht darauf, daß ich eine Vertretung zum Fest nehmen soll. Das geht doch aber nicht. So krank bin ich doch auch nicht. Sag s ihm, daß es nicht nötig ist. Ach — wozu war diese ganze Trödelei!" Else kam vom Stuhl herab, ihr blaßes, müdes Gesichtchen hatte sich kaum verändert. „Papa, rege dich doch darum nicht auf. Das ist doch so einfach. Zch telegraphiere gleich an Hans Okeley, er ist dann morgen nachmittag schon hier." „Hrns Okeley — ach so — ja — er ist de: Freund meines ältesten Sohnes", sagte er erklärend, zu Wolf gewandt. „Dann ist es sa gut' erwiderte dieser. Er sah nicht mehr nach dem Wcihnachtsbaum, er wandte sich zum Gehen. Vergänglichkeit, wie bist du bitter? * * * Der Regen fiel noch immer. Wolf zog den Schlag hinter sich zu, warf die Rciscdccke über seine Knie. Zn grauer Endlosigkeit lagen die Felder rechts und links, unter Reqenschleiern standen die kahlen Bäume. Alles so nichtssagend, so trostlos, so tot. Wie ihn der Ueberdruß in der Kehle würgte. Ja — mar denn dies das ganze Leben? Von einem Patienten zum andern — dies anhören, das an- bören? — Dies verschreiben und das? Nach Haus karren, durch Regen, durch Schnee, durch Sonne — essen, trinken, zu Bett gehen —. Es könnte ja anders sein. — Er hatte den vollen Becher ja selbst fortqeschleudert. Als guter Kerl freilich, als herzensguter Kerl. Er hatte eine leicht sinnige Dummheit gemacht und sie anständig gesühnt. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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