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§ Nummer 124 - 26. Jahrgang «mal wöch. Bezugspreis für Mai SM Mk. einschl. vestellgeld. «nzelgenpreise: Die laesp. Petltzell« « Portozuschlag. Einzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. IIL. Aelckäitlicher Teil: Artur Lenz in Dresden. SLcklNve KuenStag, den 61.Mai 1927 Im Falle höherer Gewalt erlischt s«8r Verpflichtung aus Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenauftriige« u. Leistung v Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Kern, ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückporto, nicht versehene Manuskripte werd. nicht aufbeivahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmittags, Hauptschristieiter: Dr. G Descsyl». Dresden volrszeitung «»schitftoftell«, 4b»n«I uud «erlag: «ermanla, »Mcn-Gesellschast sOr Verlag »»d Druckerei, Filiale Dresden, Dresden «. I. ^ Fernruf 2IM3 ^Poliersiratze 17. Für christliche Politik und Kultur «edaktiou der Sächsische» «»IkSzeitun« Dre»den-«ltsiad> t. Poliersiratze 17. Fernruf 30711 »nd rivis. Chinas Renaiffanee Von I. G. Andersso n (Stockholm)*> Während sich die militärischen Ntachthaber in China bekämpfen, verraten und überlisten, während friedliche Gegenden vermisstet, Städte geplündert werden und die Blüte der Ackerbaubevölkerung im Bruderstreit fällt, sind geistige Kräfte am Werke, das Land auf ersehnte, aber zunächst nur geahnte große Ereignisse vorzubereiten, die ein neues, geeintes Reich schaffen sollen. Die religiöse, soziale und literarische R e n a i s sa n c e. die jetzt einen neuen geistigen Frühling ankündigt, ist nicht trotz, sondern eher infolge der tnnerpolitischen Notlage emporgeblüht. Harte Zeiten bringen die Starken an die Front. Sor ge um das Schicksal eines geliebten großen Vaterlandes und die Furcht vor dom Untergang einer geachteten alten Kultur bewogen die schaffenden Geister, ihre Alltagstätig keit aufzugeben, um das Volk und besonders die Jugend durch literarische Reformen, religiöse Enveckung und so ziale Verbesserung auf das erhoffte neue Reich vorzube reiten * Der Neuaufschwung des geistigen Lebens hat auch die Religion nicht unberührt gelassen. Das heutige China ist nicht, wie viele Abendländer sich vorstellen, unreligiös: ein Heidenland, das die alten Götter vergessen hat und für seine höheren Bedürfnisse auf die kleine Schar fremder Missionare angewiesen ist, deren opferwilliger Arbeit es zuweilen gelingt, das geistige Dunkel des Vierhundert millionenvolkes «in wenig zu erhellen. In Wirklichkeit stellt sich die Lage ganz anders dar. Das heutige China sucht wie verzweifelt nach einem gei stigen Halt, und es findet ihn nicht nur bei den christlichen Missionaren. Um Kung Chiai, Kung Fu Tzes Sittenlehre mit ihrer zweitausendjährigen Tradition ist ein heftiger Kampf entbrannt. Während eine Anzahl modern gebil deter Philosophen der Lehre des Konfuzius mit ihrem Ahnenkult, ihrem unbedingten Autoritätsglauben und ihrer Ausschaltung aller selbständigen Entschlußkraft die ganze Verantwortung für die Rückständigkeit des chi nesischen Geisteslebens aufbürden wollen, versucht man in anderen Kreisen, die Lehre des Konfuzius zu neuem Leben zu erwecken. Zwar ist der im ersten Jahr der Republik unternommene Versuch, den Konfuzianismus zur chine sischen Staatsreligion zu erheben, mißlungen, doch die neo- konfuzianische Bewegung ist rüstig auf dem Plan: die neue Kirche in Peking, der Plan einer eigenen Universität, die Anstellung von Feldgeistlichen in der Armee und nicht zu letzt der „Tempel der Selbstreinigung" des Generals Ven Hsi Shan in Tai-jüen-fu, in dem dieser rein ideal geson nene Gouverneur die Andachten selbst leitet, bezeugen die ungebrochene Lebenskraft der alten nationalen Sitten lehre. Aber nicht nur der Konfuzianismus erlebt seine Wie dergeburt, sondern auch der Buddhismus. Hier ist der Mönch Tai Hsü aus dem Kloster Tien Tong in Tsche- kiang der Vorkämpfer. Sein Ziel ist ein Zusammenwirken des Buddhismus mit der modernen sozialen Bewegung. Diese neubuddhistische Schule hat besonders in den Pro vinzen Tschekiang und Kiangsu Anhang gesunden. An vielen Orten werden die alten Tempel wieder instand ge setzt oder neue gebaut. Buddhistische Texte erscheinen in neuen Auflagen, Zeitschriften wurden gegründet, um die Bedeutung der neuen Bewegung darzulegen, Im Sommer 1922 fand auf dem Kulingberg nahe der Stadt Kiukiang tn der Provinz Kiangsi eine Tagung buddhistischer Führer unter dem Vorsitz von Tai Hsü statt. Bei dieser Gelegen heit hatte man den norwegischen Missionar K. L. Reichelt aufgefordert, einen Vortrag über „Das Verhältnis des Christentums zum Buddhismus" zu halten. In ganz anderer Richtung als diese religiösen Be wegungen arbeitet der Radikalismus, der sich, be sonders in Studentenkreisen, rasch ausbreitet. *) Der auSg-zeichiiete schwedische Forscher hat 11 Jahre lang als Geologe im chinesischen Staatsdienste gestanden. er kennt Land und Leute in China von Grund auf. Ein anderer auSgezrichneier Kenner OslajiciiS. Sven Hedin, urteilt über Ihn: „Ec genießt in Wina bei hoch und niedrig gröbere? Vertrauen als wahrscheinlich irgendein anderer dort ansässiger Europäer." Andersson, der wäh rend seiner Amtszeit ausgedehnte Reisen in China gemacht und Literatur »nd Geschichte des Landes eingehend studiert hat. veröf fentlicht jetzt seine Eindrücke i» einem Buch« „Der Drache und die fremden Teufel', dar i» deutscher Sprache bet F. Sl. «rockhaus in Leipzig erschienen ist. (Mit 308 Abbildungen und 1 Karte. Ganzlein«» 16 Marks. Mit Erlaubnis de» Verlages geben »ir guSzugSw-ise er» Kapitel wieder, in dem dl« qewaltlge geistige Uinwälz u >, g «-schildert wird, die sich gegenwärtig in China null, 'teht. Propaganda stak Politik Rlchlan-s Antwort auf die Kündigung -er diplomatischen Beziehungen durch Engtairo Moskau, AI. Mai. Die Regierung der Sowjet-Union hat bei» engliscl>eu Bot schafter i» Moskau, Peters, die Antwortnote überreichen lassen auf die Mitteilung der englischen Regierung, in der der Abbruch der Beziehungen aiigekündigt wurde. Die von Lit- winow Unterzeichnete Note führt aus: „Die Sowjetregierung l-at von dein Inhalt der gestern dem Sowjet-Geschäftsträger Rosengolz zugestellten Note Kenntnis genommen. Die Sowjelregienmg weis; schon längst, das; der Abbruch der Beziehungen mit der Sowjetunion d u r ch die ganze Politik der jetzigen britischen kon servativen Regierung vorbereitet wurde, die alle Anträge der Sowjeiregiernng auf eine Regelung der gegenseiti gen Beziehungen durch Berl>aiidlnngen ablehnte. Die Soivjet- regierung weist nochmals entschieden alle Beschuldigungen, daß sie jemals das Abkommen von 1921 verletzt hätte, als vollkom-i men unerwiesen und durchaus unbegründet zurück. Die einzige Quelle dieser Beschuldigungen ist. wie dies mehrmals vollkom men unwiderlegbar erwiesen wurde, eine gewisse Information, die ans den anrüchigsten Quellen weihrussischer Emigranten ge schöpft wurde, und gefälschte Dokumente, mit denen die britische Regierung während der ganzen Dauer der Ausrechlerhaltnng der Beziehungen zur Soivjetregieruiig gern zu operieren pflegte. Die Ergebnislosigkeit der Durchsuchung der Handelsdelegation ist der beredteste Beweis für die Lorialität und die Korrektheit der offiziellen Agenten der Sowjetunion. Die Sowjetregierung übergeht die Unterstellun gen britischer Minister über ein« Spionage der Handelsdelega tion mit Verachtung und hält es für unter ihrer Würde, auf sie zu antworten. Es ist der ganzen Welt vollkommen Klar, datz der Haupt grund sür den Bruch das Fiasko der Politik der konserva tiven Regierung in China ist. und der Versuch, dieser Fiasko durch eine Diversion gegenüber der Sowjetunion zu ver schleiern. Ferner, daß der unmittelbare Anlaß der Wunsch der britischen Regierung ist, die öffentliche Meinung von der Ergeb nislosigkeit des unsinnigen Ueberfalls der Polizei auf die Areas und die HairdelsdeleMtion abzuleuke» und dein britischen Mi nister des Innern aus der skandalösen Lage herauszuhelfen, in die er infolge dieses Ueberfailes geraten ist. Die Völker der Sowjetunion und ihre Negierung hegen Kern« Feindschaft gegen die Völker des britiscl>en Reiches, mit denen sie normale und freundschaftlick)« Beziehungen unterhal ten wollten. Dies ist zweifellos auch der Wunsch der Völker des britischen Reiches. Diese normalen Beziehungen wünscht und wünschte die gegenwärtige britische Regierung jedoch nicht, die vom ersten Tage ihres Be stelle ns bestrebt war, die Beziehun gen zur Sowjetunion im Zustande stetiger Spannung zu erlit ten und sie weiter zuzuspitzen. Die britische Regierung zieht dem System normaler Beziehungen bas System der Gewalt tätigkeit und der Feindschaft vor. Sie hat sich zum Mbruch -er diplomatischen Beziehungen, sür den sie die ganze Berantivvr- tung übernehmen muß, im vollen Bewußtsein der Erschütterung entschlossen, die dieser Bruch unvermeidlich in den bestellende» politischen und wirtschaftlict'/en internationalen Beziehungen. Hervorrufen wird. Sie mußte wissen, daß der Bruch das wirtschaftliche Chaos, das Euroixr nach dem Weltkrieg »och nicht überwunden hat, verstärken und der Sack>e des Friedens einen schweren Schlag versetzen wird. Sie liat sich jedoch zu dieser Handlung entschlossen, indem sie die Interessen breiter Massen des britischen Reiches und selbst der britische» Industrie opferte. Die Sowjetregierung nimmt von diesem Abi in der vollen Ueberzeugung .Kenntnis, daß er nicht allein von der werktätigen, sondern auch von allen fortschritt lichen El e m ente n der ganzen Welt verurteilt werden wird. Tie spricht zugleich die Ueberzeugung aus, daß die Zeit nahe ist. wo das britische Volk die Möglichkeit finden wird, sein Streben nach Frieden und Wiederherstellung der normalen freundschaftlichen Beziehungen zu den Völkern d'r Nowseluitton unbehindert zu uerwirklicl-en." Der britische Gesandte verläßt heute Moskau. Norme- gen l-at de» Schutz der britisck>en Interessen in Rußland über, nommeii. Der russische Gesandte in London reift am Diensiag ab. Mit ihm verläßt zugleich der Vorsitzende der russischen Handels delegation London. Die Orlos-Gesellschast stellt Are Tätigkeit zugleich mit der russischen Handelsdelegation ein. Moskau hat der englischen Regierung vorgeworsen, sie habe ihre Note so stilisiert, daß sie gleich für die Propaganda gegen Rußland Verwendung finden konnte. Diesen Vorwurf wird man aber noch mit viel größerem Recht der Sowjetregie- rung machen können, deren Note ein reines Pamphlet gegen England ist. Genauer gesagt, gegen die konservative Regierung Englands, die Note soll offeitbor neue Wählermassen, zum Abfall von den Konservativen bewegen. Ob das gelingen wird, darüber kann man im Zweifel sein. Die Hoffnung der Sowjets auf einen baldigen Sturz der konservativen Regie rung Englands scheint jedenfalls die englische Arbeiterpartei nicht zu teilen. — Welche Haltung die Moskauer Regierung praktisch «innehmen wird, d. h. ob sie weitere Handels beziehungen trotz des Abbruchs des diplomatischen Verkehrs dulden wird, darüber sagt die Note nichts. Nach einer Ver lautbarung der bisherigen russischen Handelskommissars in Lon don, Kmtschuk, scheint es sa, als wolle Moskau zwar versuchen, weiter nach England zu exportieren aber die englische Einfuhr nach Rußland nach und nach zum Stillstand zu bringen. Ibsen. Nietzsche und andere abendländische Schrift steller werden eifrig gelesen: bolschewistische Anschauungen sind unter den Studenten weit verbreitet. Keilt Dogma wird unangetastet gelassen, jede überlieferte Wahrheit wird angezweifelt, diskutiert uud umgewertet. Revolutio näre Bewegungen aller Art sind sehr in Mode: Antikapi tal, Antireligion, Antifamilientradition und vieles andere. Um den Studenten die direkte Berührung mit dem modernen abendländischen Geistesleben zu ermöglichen, wurde in Peking eine Bereinigung gebildet, die sich zur Aufgabe gestellt hat, die bedeutendsten geistigen Führer der Welt zum Besuch Chinas zu gewinnen. John Dewey, der bekannte Pädagoge an der Co- lumbis-Umversität in Neuyork, brachte zwei Jahre in China zu und hielt an mehreren Orten Vorträge vor einer eifrig lauschenden Hörerschar. Bertrand Russell. der englische Philosoph und Ma thematiker. hielt sich ein Jahr in Peking auf. um seine ra dikalen Ansichten auf sozialem und psychologischem Gebiet zu entwickeln. Sein Besuch hatte unter anderem die Bildung einer Russell-Gesellschaft zur Folge, um in der vom Meister angegebenen Richtung weiterzuwirken. Hans Driesch, der deutsche Psychologe, war der dritte in der Reihe der Gäste. Die tiefste Wirkung jedoch war dem greisen indischen Dichter Rabindranath To go r e beschieden, der in überfüllten Sälen vor einem be geisterten Auditorium mit seiner p an as> ^,7-en Botschaft die Studenten mit sich fortriß. » Die ganze Entwickelung bliebe freilich unverständlich, ohne die Kenntnis der großen, in das moderne geistige Le- den Chinas tief eingreifende Bewegung, die 1917 begann und die literarische Revolution genannt wird. Bis ganz vor kurzem herrschte ln den gebildeten Krei sen Chinas die eigentümliche Sitte, in amtlichen Schrei ben. wissenschaftlichen Abhandlungen, literarischen Wer ken, ja selbst in Prioatbriesen ein« Schriftsprache zu ver wenden. die bereits vor Beginn unserer Zeitrechnung tot 1L0 vor Christus (während der Han- war. Im Jahre dynasties-klagte der Premierminister Kunst Sunst Huiist in einem Denkschreiben an den Kaiser: „Die kaiserlichen Edikte und Gesetze sind, obwohl elegant abgefaßt und vol ler weiser Lehren, unverständlich für die weniger kundi gen Beamten, die darum nicht in der Lage sind, sie dem Volke zu erklären." So ist die offizielle Schriftsprache zwei Jahrtausende hindurch ein stereotyp gewordener literarischer Schatz ge blieben, über den die gelehrte Klasse eifersüchtig wachte, wohlverschanzt hinter den öffentlichen Uierarijchen Exami na, die die Kenntnis der Klassiker und die Fähigkeit, ihre Sprache zu gebrauchen, zum einzigen Besähigungsnackp weis für öffentliche Remter machten. Neben dieser in ihren Formen festgelegten. ossiziellett Schriftsprache besitzt China indessen seit Jahrhunderten eine Volksliteratur, meist Romane, die in der sich ständig weiter entwickelnden Umgangssprache verfaßt sind. Man könnte sagen, daß diese Volksliteratur ein Strom war. der unter der spiegelnden, glatten Eisdecke der literarischen Schriftsprache unbeachtet dahinfloß. Eine kleine Sckmr mutiger Denker und Dichter hat kühn ein großes Loch in das Wintereis geschlagen und den Weg für einen schäumenden Frühlingsstrom in China? geistigem Leben freigemacht. Der Führer dieser „literarisckien Revolution" ist Dr. HuShih, Professor an der Staatsuniversitüt in Pekings ein Philosoph und Dichter, der ivegen seiner Gedichte, sei ner bahnbrechenden literarischen Tätigkeit und nicht zu letzt wegen seiner lebendigen Persönlichkeit von der l>eu« tigen gebildeten Jugend als einer ihrer ersten Führer ver» ehrt wirb. Dr. Hus Streitschriften beschworen einen kurzen abea erbitterten Kampf herauf. Die Literaten der alten Schule sahen in ihm einen Vandalen, der sich an den Heiligtümer»! der nationalen Kultur vergreifen wollte, aller die studie« rende Jugend sowie Lehrer und Schriftsteller mit fort, schriftlicher Gesinnung schlossen sich der neuen Bewegung mit Begeisterung an. Die Zeit war reich an geistigem Ria. terml, bas verarbeitet »verden mutzte, und es entstand ein«' ganz« Literatur, die ft, »er Volkssprache Bai kua oe»