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Nr. IVO ' 7 Weißentz-ZeitMg Verantwortlicher Rcdacteur: Carl Zehn« in Dippoldiswalde. Freitag. Erscheint Dienstag» und yreitqg». Z« beziehen durch alle Postanstal- ten. Preis pro. Quart. lONgr. 19. Pecember 1856. Inserat» «erden mit 18 Pfg. für dl, Zeile bemchnst Und sn alle» Expeditione« angenommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Der zweite Pariser Eongreß. Es ist merkwürdig, wie der Kaiser von Frankreich seine Pariser zu unterhalten weiß. Die Korrespondenten in Paris klagten noch kürzlich, daß eS gar nichts Neur in der Stadt Paris gäbe, denn die Politik hatte Ferien: so lange der Kaiser in Compiegne verweilte. Kaum ist er nach Paris zurück, so erblüht eine politische Saat unter seinen Schritten. Napoleon kann ebenfalls von sich in der Höhe des IS. Jahrhunderts sagen: „Der Staat das bin ich." So lange Napoleon abwesend von Paris war, war Frankreich abwesend, nun ist Frankreich wieder da, wieder in Thätigkeit. Der Handelsminister hat zur Tröstung aller Derer, welche dem Staat« geborgt haben, oder noch borgen sollen, seinen großen Bericht über den Stand der Eisenbahnen im Lande erstattet und die AuS» gäbe von 24 Millionen neuer Werthpapiere in Aussicht gestellt, und damit hat er wieder neue Hoffnung auf Ge- «innbörsenspiel gemacht; die Pariser langweilen sich nicht mehr so sehr - ste rechnen und sp«euli,en wieder. So hat daS Kaiserthum ,,Brod" geschafft; aber die alten Römer verlangten unter dem Kaiserthume zum Brode auch cireeuces, unterhaltende Spiele im CireuS, und auch die Unterhaltung wird den Parisern: der Kaiser hat einen neuen Pariser Kongreß mitgebracht. Er versteht sich trefflich auf diese „eiilnntu ciö ?nrj8" (Pariser Kinder). Wir haben schon vor Monaten das Zustandekommen eines zweiten Kongresse- in der modernen Hauptstadt der Welt, in Paris, vorausgesagt. Aber die Welt ist seit jener Zeit auch nicht einen Schritt in den diplomatischen Wirrnissen vorwärts gekommen. WaS sollte Anfangs Herbst auf dem projeetirtcn Pariser Kongresse verhandelt werden? Schlangeninsel Bylgrad, Moldau und Wallachei, Regulirung der Donauschifffahrt, Neapel, Neuenburg. Wenn wir diese Fragen jetzt nach einigen Monaten wieder anschcn, stehen sie nicht genau auf demselben Fleck wie damals? Man könnte einen Preis darauf setzen, wenn uns ein Publicist positiv angeben könnte, wer eigentlich auf der Schlangeninscl gegenwärtig regiert, die Russen oder die Türken? wir hegen die Vermuthung, eS herrsche dort ein gemüthlicheS Doppelregiment, Herr Russe und Herr Türke »eben einander. In liebenswürdiger Unordnung hat der erste Pariser Kongreß die zu entscheidenden Fragen gelassen. Von der Stadt Bolgrad ist heute wie vor Mo naten mit aller Bestimmtheit zu sagen, daß die Russen eS noch nicht herauSgegeben haben, sondern daß sie diese Stadt hartnäckig festhalten; nur so viel ist seitdem klar geworden, daß Rußland auf, dem Pariser Kongreß seine Herren Kollegen, wenigstens England, mit falschen Land, karten zum Besten gehabt hat. Die Frage über die staat liche Neugestaltung der unglücklichen Donaufürstenthümer, welche seit mehr denn drei Jahre» bi- auf den Grund auSgesogen sind, ist ihrer Lösung auch nicht einen Schritt näher gekommen, nicht einmal in ihren großen Zügen, man ist nicht einmal darüber einig, ob sie vereinigt oder getrennt bleiben sollen. In Sachen der Regulirung der Donauschifffahrt hat die betreffende Commission am 4, November eS glücklich zu einer — ersten Sitzung gebracht; hierauf reisten die Herren Kommissare gleich an die Mün dung der Donau, um sich an Ort und Stelle zu unter richten. und damit find sie völlig verschollen, vielleicht auf dem Sande sitzen geblieben: In Neapel find pur die Herren Gesandten vom Flecke gekommen. Se. ficlliänisch; Majestät lassen sich in Ihr souveraineS Regiment nicht hineinreden; schließlich werden wohl die Sachen jn Neapel beim Alten bleiben. Die Neuenburger Frage ist etwa»! weiter entwickelt, oder richtiger gesagt: verwicheltl Die Herren Diplomaten haben sich also seit dem Frühjahre durchaus nicht übereilt. Ein Diplomat, der in seinen Handlungen außer Alhem käme, würde sich bei seinen Herren Kollegen wenig empfehlen. Seitdem die Weit-Schicht. «mSsHKHUch. z» >»n Przrearz; ,d«, Di« nisterien IN Arbeit genommen worden ist, ist ziemlicher Stillstand selbst in den Fragen «ingetxeten, die dringend der Lösung harren. : Aber die Weltgeschichte läßt sich doch «icht gänzlich in die ArbeitSsäl« der Ministerien de» Auswärtigen ein« zwängen, sie hat eine angemessene langsame Bewegung gemacht und die Figuren auf dem europäischen Schach« brete verschoben. Die Lage der Dinge (die Situation) von heute ist eine ganz andere, als vor einigen Monaten, wo der zweite Pariser Kongreß eine beschlossene Sache zu sein schien. . Vor einigen Monaten war die westliche Allianz noch nicht zerstört; seitdem ist Europa schon erschreckt worden über einen argen Mißlon, der sich in dem harmonischen Klange deS franzöfisch-englischen Bündnisses hören ließ. Wenn dieser Mißton auch auf höher» Befehl von Paris aus verstummte, so ist doch so viel gewiß, daß die Be ziehung zwischen Frankreich und England nicht mehr di frühere, aufrichtige ist. Mancherlei kleine Umstände be stätigen dies zur Genüge. Der französische Graf Morny, der von der englischen Presse deutlich als Störenfried dtp westlichen Allianz bezeichnet wurde, weilt immer noch in Petersburg. Ein weitere- Anzeichen, da» hierher gehört, ist di« immer schroffer hervortretende Spannung zwischen Rußland" und Oesterreich. Es ist unglaublich, wie cheit der erbit terte Haß mit Rußlands sonstiger Feinheit durchgeht. In einem russischen Blatte, dem „Nord/--rv<lche» von Ruß land au» feine Ordre« empfangt -Dinge über Oesterreich gesagt, die selbst noch nicht' eklmal in die freie englische Presse Eingang gefundeit haben. Es werde« Dinge über den . Kaiser ausgesprochen, die jeden Freund der Wahrheit empören müssen. Wir habe» so da- selten«