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Nummer 194 — 34. Jahr« SmMche volkssettuna Freitag, 23. August 1933 Ungeklärter Zwischenfall in Abessinien Der ltallenische Konsul ln Godjam, ein Schwiegersohn des brliischen Gesandten in Addis Abeba, schwer verwundet Liegt Lteberfall oder Selbstschutz vor? v» o» London bleibt der Dölkerbundspolitit treu Im FaNe von höherer Tewall. Iterdol. «tnlrelenöer Lelrtebl- störungen Hal der Bezieher oder üverbunglieibend« lei»« >», spruch«, salls die Zeitung ln belchränUem Umlange, oerspttet «der nicht «rlcheint. — Ersllllungsorl Dresden — In den Vorbetrachlungen heutigen Sitzung des englischen Bestreben zum Ausdruck, Lchrlsttellung: Dresden.«,, Polterst«. 17, Sernrnf »0711«. 7101» lüeschrslsstell«, Druck und Verlag: Lerma»!» Buchdrucker«» und lverlag Th. und ». Winkel, PoNerstrast« 17, Kernrus HSI», P»stsch«ck: Nr. 101», Bank: Etadttanl Dr««de« Nr. S17«7 Srschetnl 0 mal wöchentlich. Monatlicher Bezugspreis 7,70 RM. Slnzelnummer 10 Psg„ »l« Sonnabend., l«wl« Sonnlag. und Sesllagnumm«, A> Ps^ Berlagsort Dresden - «nzelgenpreile: dl» llprll rr «» bretle Zell« S Plg - sNr gamlllenanrelgen und Stettengeluch« L Psg — gür Platjwünlch« können wir leine Gewahr leiste« des englischen Kabinetts Paris, 22. August, der Pariser Margen grosse zur Kabinetts kommt deutlich das Schukterschust in das italienische Krankenhaus in Addis Abeba zurückgebracht. Die italienischen Diener sollen aus- gejagt haben, d n st 'M n z i F a l c o u i sich selbst den Schuf; beige bracht habe. Alan befürchtet in Addis Abeba, dast diese Angelegen heit von Italien als schwerer politischer Zwifcheusall aus gewertet wird. Der Konsul ist ein Schwiegersohn des bri tischen Gesandten in 'Addis A b e b a. Amerikantsche Medikamente für Abessinien Paris, 22. August. Die amerikanische Pacht „Trenora" ist gegenwärtig unterwegs mit Medikamenten für Abessinien. Wie aus Le Havre gemeldet wird, wo die Pacht am Dienstag eine Stunde vor Anker gegangen war, ist Leiter des Unterneh. mens der Archäologe Graf Byron de Prorok, der im vergan genen Jahr an der Spitze einer Forschungsgesellschast Abessinien bereist hat. In den Bereinigten Staaten hat Graf Byron de Prorok einen Wcrbeseidzug für die 'Versorgung Abessiniens mit Medikamenten im Kriegsfälle durchgefiihrl. Unter dem Schulz des Roten Kreuzes bringt die Pacht nunmehr für eine Millian Franken Medikamente, Operationsgerät, Perbandszeug und Gasschutzmillel nach Abessinien. Addis Abeba, 22. August. Der Italienische K o n s ul in Godjam lSüdabes- sinien) Muzi Falconi versuchte vor etwa einem Mo nat, von Addis Abeba aus aus seinen Posten zuriickznkch- ren. Er konnte damals sein Porhaben wegen Unpassier barkeit des Nils nicht aussiihren. Am Dienstag machte der Konsul einen neuen Versuch und reiste inVegleitungitalienischerDiener von der hiesigen Gesandtschaft mit einer Karawane nach Godjam. Am Mittwochabend wurde der Konsul mit einem Abesflnkenkoüfllkt - Gefahr für einen allgemeinen Raffenkampf Interview mit dem Negus. Newyork, 22. August. Die Blätter veröffentlichen ein Interview der Asso ciated Prch mit dem Kaiser von Abessinien, in dem dieser auf die Gefahr aufmerksam macht, dast der Konflikt mit Italien sich zu einem allgemeinen Rassen Kamps erweitern könnte. Die Morgcnblätter drücken bei der Erörterung des Neutralitätsbeschlusses des Senats erhebliche Zweifel aus, ob dieser Beschlust seinen Zweck erfüllen werde. „Herold Tribüne" meint, der Beschluss könnte unter ge wissen Voraussetzungen eher einen gegenteiligen Zweck erfüllen. „Newyork Times" schreibt, der Beschlust enthalte bereits im voraus einen Bruch der Neutralität, denn das Verbot des Kriegsmaterialverkaufs an zwei Nationen ungleicher Stärke lause meist aus eine stillschweigende Unterstützung der besser gerüsteten hinaus. Diese Einsicht habe auch offenbar die bri tische Regierung veranlastt, die Wiederaushebung des Wasfcn- vcrsandvcrbots an Abessinien zu erwägen. Die Hauaptbcdcu- tung des Beschlusses liegt „Herald Tribüne" zufolge in der Ab sicht, die Vereinigten Staaten auf eine Neutralitätspolitik fest- zulegen, die auch die Veteiligung an etwaigen in Genf geplan ten Sanktionen unmöglich mache. Auch „Newyork Times" gibt zu. dast für die Vereinigten Staaten keine gesetzliche Verpflich- tuug bestehe, sich an irgendwelchen Sanktionen zu beteiligen. Es könne sich aber um die moralische Verpflicht»!!., handeln, mitzuwirken, andere Nationen von einem Kriege abzusckreckc». Es wäre dann die Frage, ob die Vereinigten Staaten auch diese Verpflichtung ablehnen sollten. Nie Verstärkung der britischen Gesandtfchastswache in Addis Abeba London, 22. August. Wie „Daily Telegraph" aus Bombay meldet, wird die angekündigte Verstärkung der britischen Ge sandtschaftswache in Addis Abeba in der Entsendung von 150 Mann eines Punschabregimcntes mit zahlreichen Maschinenge wehren und reichlichen Vorräten jeder Art bestehen. Gegen wärtig befinden sich in Addis Abeba ölt indische Soldaten als Gesandtschaftswache. Der Kaiser von Abessinien drückte in einem Interview mit dem Sondervertreter des „Daily Telegraph" seine graste Sorge über den Mangel an Waffen und Munition aus und be zeichnete das britische Ausfuhrverbot als „unerklärlich". Er sagte ferner, wenn alle Friedensbemühungen sehlschlagen sollten, vertraue er darauf, dast seine Armee den Sieg von Adua er neuern werde. London. 22 August. Im Auschlust an die am Mittwochabend abgehaltene Sitzung des auswärtigen Ausschusses des Kabinetts erfährt Neuter, in der heutigen Sitzung des Kabinetts werde eine Politik ancmpfohlen werden, die daraus hinauslomme, dast die britische Negierung fest zu ilrcn Verpflichtungen unter der Völkerbundssatzung stehen werde. Dieser Beschlust bedeute letzten Endes, falls der Völkerbundsrat eine entsprechende Entscheidung treffen sc llte, die Anwendung von Sanktionen gegen Italien. Man nimmt an, dast Frankreich der Haltung, die die britische Negierung einzunehmen gedenkt, wohlwollend gegenüberstche. Die Besprechungen, die Sir Samuel Hoare im Laufe des Mittwoch mit den Führern verschiedener Par teien, Truppen oder Bewegungen hatte, waren ausdrücklich dazu bestimmt, sie von den allgemeinen Richtlinien der Po litik zu verständigen, die auf Grund des Ergebnisses der hcutigen Kabincttsberatung verfolgt werden dürste. Auch wurde gewünscht, die Ansichten mastgebender Mitglieder des Parlaments ciuzuholen. Diese Besprechungen bedeuten eine Neuerung, aus der geschlossen wird, dast die Negierung eine vorzeitige Einberufung des Parlaments gegenwärtig nicht in Erwägung ziehe. Vermutungen der französischen presse über die bevorstehenden Veschlüffe Deutschlands koloniale Forderung „Das koloniale Problem wird die nächste graste Frage sein, der Europa gegenübertreten must. In Paris wie in London gibt es nachdenkliche Leute, die glauben, dast eine Revision der Verteilung der Kolonien früher oder später unvermeidlich ist, und dast diese Revision um so leichter und billiger vonstatten gehen wir-, je eher diese Tatsache Anerkennung findet." Diese Sätze aus den gestrigen Aus führungen der offiziösen „Times", die sicherlich nicht ohne Fühlungnahme mit dem Foreign Office geschrieben wurden, sind ein Zeichen dafür, dast man in London durch den italienisch-abessinischen Konflikt das afrikanische Kolonial problem schlechthin in Bewegung gebracht sicht. Es ging in Paris um die Befriedigung der italienischen Ko l o n i a l a n f p r ii ch e, die von Mussolini unter Berufung aus die Uebervölkerung und die Nohstossbedürsnijse seines Landes ausgestellt und mit unmistverständlichen kolonialen Angriffsvorbereitungen unterstrichen wurden. Tas spät geeinte Italien ist bei der Verteilung der Welt zu spät ge kommen, es mustte sich auf die Besitznahme wenig aus sichtsreicher afrikanischer Gebiete beschränken, und es wurde durch die Nichterfüllung der im Eeheimvertrag vom Jahre 1915 gemachten kolonialen Versprechungen schwer ent täuscht. Rach vielen schuldhaft verpasttcn Gelegenheiten und durch die Konkurrenten versperrten Möglichkeiten ist das neue Italien entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen, und Frankreich, das die Aufmerksam leit Noms von den europäischen Neibuugsslächen mit Italien ablenken wollte, hat diese koloniale Expansion an fänglich warm unterstützt. Erst der osienbar nicht voraus gesehene Umfang der italienischen Forderungen und die scharfe Reaktion in England hat die Unsicherheit der sran zösischen Politik verursacht, die heute zwischen einer Politik kolonialer und europäischer Kompensationen unsicher hin und her schwankt. Kein Zweifel, Italien mit seiner grosten Vevölkerungsvermehrung ist ein „Volk ohne Raum", wie es das moderne Japan ist, und kein natio nales Interesse gibt einem Volke einen stärkeren inneren Antrieb als der Hunger nach Boden und Arbeit. Ist es ein Wunder, wenn man sich in diesem Augenblick erinnert, dast es noch ein drittes „Volk ohne Raum" gibt, das nicht nur bei der Verteilung der Welt sehr spät kam, das sich nicht nur mit einem bescheidenen Anteil an den kolonialen Ausbaumöglichkeitcn begnügen mustte, das man sogar in Versaill's im Widerspruch zu bestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeiten kolonialpoiitisck völl-g enterbt und wirt schafts- und bevölkerungspolitisch aus einen noch engeren mitteleuropäischen Raum als vordem zurückgewonen hat. Auf der Grundlage des Wilsonjchcn Grundsatzes eines Friedens ohne Eroberungen und Kenlribiilionen haben die amerikanischen Delegierten am 1!>. Oilober 19l> im soge nannten „Lyoner Fnnksprnch" den Grundsatz entwickelt, dast für die Zukunft der deutschen Kolonien einerseits berech tigte Ansprüche, andererseits die Inlercjscn der betroffenen B e v ö l k e r n n g als Grundsatz z» gelten hätten. Die berechtigten Ansprüche lagen zweifels frei auf der Seite Deutschlands, das seine Kolonien in Laufe von über zwei Jahrzehnten mit grohem Aufwand von Mitteln, Fielst und Sachkenntnis in vorbildlicher Weise entwickelt hatte und ihrer lebensnotwendig bcdursle. Wie sehr es im Interesse der betroffenen Bevölkerung lag. den Kolonialherrn nicht zu wechseln, geht aus der Entwicklung dieser Schutzgebiete in den vergangenen fünfzehn Jahren und aus den unveränderten Sympathien der eingeborenen Bevölkerung gegenüber Deutschland zweifelsfrei hervor. Die Kolonialmächte hatten aber bereits durch G e h e i in vertrüge die zu erwartende koloniale V.ute unter sich aufgeteilt, und man bediente fick daher eines verwerflichen Mittels, um den amerikanischen Präsidenten den Besitz ansprüchen der Siegermächte gefügig zu machen. Mit Hilf« erzwungener oder gefälschter Dokumente wurde die soge nannte koloniale Schnldliige konstruiert und durch die Einführung des Begriffs der Kolonialmandatc auf Ver anlassung -cs damaligen südafrikanischen Ministerpräsiden ten General Smuts, beruhigte man das Gewissen der Präsidenten, dast cs sich um keine Eroberung handle. Die Kolonialmandate wurden Mächten übertragen, denen ihre koloniale Ueberjättigung es nicht einmal erlaubte, ihren eigenen Kolonialbesitz voll auszuwerten und für welche die kolonialen Aufgaben der ehemals deutschen Schutzgebiete durchaus an der Peripherie ihrer Interessen lagen. Er ist früher auch von ausländischen Sachkundigen betont und anerkannt worden, dast gerade ein durch Milliardenlribiue in Geld und 'Naturalien und durch die Abtrennung wich tiger Rohstoff- und Siedlungsgebiete ausgepumptes Land einer Erweiterung feiner Rohstoffs-, Liedlungs- und Wäl» England die Verantwortung für den weiteren Verlaus der Dinge zuzuschieden. Der englische Kabinellsrat habe eine geschichtliche Be deutung schreibt „Echo de Paris". Baldwin befinde sich einer Verantwortung gegenüber, die nur mit derjenigen Mussolinis verglichen werden könne. Das Blatt hält es für wahrscheinlich, dah England das Wafsenaussuhrvcrbot nach Abessinien auslp-ben werde. Tie Engländer erblicken in der Aufhebung des Verbots einen Akt der Gerechtigkeit weil man Abessinien erlauben müsse, sich zu verteidigen; die Italiener aber sähen darin einen Akt der Feindseligkeit. So bedauerlich also die Rückwirkungen eines solck>en Beschlusses auch sein würden, sei dieser doch nur von untergeordneter Bedeutung gegeniilcer der Haltung, die Eng land auf der nächsten Völkerbnndsratstagung einnehmen werde. England könne zwar den Tuezknnal schlichen, aber das würde von Italien als Kriegsgrund ausgesaht werden. Der gleichen Ansicht ist die Auhenpolitikerin des „Oeuvre", die für diesen Fall sogar bereits die brilisckzen Viockadekriegs- schisfe durch italienische Flugzeuge angegrissen sieht. Dariilxr seien sich die militärischen Leiter Englands einig und sie wühlen auch, dah Englands Flotten- und Militärmacht nicht mehr stark genug sei, um die seit Kriegsende gepredigte Politik aus inter nationalem Gebiet durchzusetzen. Die Versagerin glaubt auch nicht, dah man in Kens den Artikel Ick des Völkerbundspakies in Anncendung bringen werde, weil das unvermeidbar zum Kriege führen mühte, und weil weder England noch Frank reich das wollten. Der „Petit Parsien" glaubt, dah nicht nur in den politisch einsluhreichen Kreisen Englands, sondern auch in der Regierung selbst die Ansichten über dieelivaigc A u wend u n g von Sanktionen gegenüber Italien geteilt seien. Die öffentliche Meinung wünsche aus jeden Fall ein Handeln, das dem Geiste des Völkerbundes entspreche.