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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960713026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896071302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896071302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-07
- Tag 1896-07-13
-
Monat
1896-07
-
Jahr
1896
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Abend-Ausgabe Druck und Per!nq von E. Polj tu Leipzig M. Jahrgang Montag den 13. Juli 1896. M» Di« Motgen-AÜ-gabe erscheint «tri ^7 Uhr, di« Abend-Ausgabe Düchentags um b Uhr. Ledartion und Lr-edMo«: Johandedtzafie 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochra geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Filialen: Ott» Alemm'S Eortim. (Alfred Hahn). U»iversitatSstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Kathannenstr. 14, Part, und Kbnigsplatz 7. Anzeigen PretA die S gespaltene Petitzeile 80 M- Strclamen unter demRedattionsstrich j4ar- fpaltrrt) 50^, kör dkii Jämltitniitichilchren l6 gespalten) 4O.cz. Größere Gchrifitn taüt itüsercin Preiß- verzelchniß. Tabellarischer und ZifferUsatz stach höherem Tuns. AmwhMkschluß für Anzeigen: Äbend-Äusgabe: KormtitagS io Uhr. Morgr N-Ausgabe. Nachmittag- - Uhr. Vet den Filialen Und Astnahcktsttlldst je eine halbe Stunde früher. Attzeigrtt sind stets an Hit sh-edition t« richtest. «rtra-tzeilst«bii (tzefalzt), üitr mit der MvroeN - Ausgabe, öhitk Postötsörderung ^il 8O.—r mit Postbrsörderuttg ^il 70.—. KWiM TagMalt Anzeigen. Amtsblatt -es Aömglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «n- Nolizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. BezugS'PreiS hl d« Hauptexpedition oder de« im Stadt« v«trk und den Bororten errichteten Aus« galestellen abgeholt: vierteljährlich ^lt.SO, bet jjweiMaliott läßltchet Züsttllttsts, M» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland, und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsenduo- i«s Ausland: Monatlich 7.50. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Juli Uebrr die Krifengeruchtr, die seit der fBertagung des Reichstags die Spalten der deutschen Presse durchschwirren, hat sich nun auch der preußische Kriegsminister Bronsart von Schellendorff, dem wie anderen seiner College« Amtsmüdigkeit nachgesagt wurde, geäußert. Er verbringt seinen Urlaub aus seinem mecklenburgischen Gute Marienhof bei Güstrow und hat sich dort dem Redacteur der „Güstrower Zeitung" gegenüber dahin geäußert, daß an dem Gerede von bevorstehenden Personalveränderungen int preußischen Ministerium nichts sei und Alles, waS über solche Aenderungen gemeldet werde, selbst wenn eö auS angeblich zuverlässigen Quellen stamme, lediglich auf Combinatiou beruhe. Diese Versicherung schließt natürlich die Möglichkeit nicht aus, daß im Herbst Meinungsverschiedenheiten unter den höchsten Reichsbeamten und im Schooße des preußischen Staatsministeriums sich Herausstellen und zu Krisen führen. Eine Reihe schwebender Fragen — von denen wir nur die Militair-Strafproceßreform, die Duellfrage, den Ausbau der Marine, das Lehrerbesoldungsgesetz, die Erhöhung der Be- amtengehälter, die Finanzreform zu nennen brauchen — wird schwerlich so glatt erledigt, daß nicht wenigstens von einem Kriseln mit Recht geredet werden dürfte. Der Entscheidung über diese Fragen würde man aber mit Rübe entgegensetzen dürfen, wenn nicht Dreierlei zu Besorgnissen Ver- anlassung gäbe. DaS Erste ist die überaus günstige Position, in die da- Centrum durch seine Mit wirkung an der parlamentarischen Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches sich gesetzt hat. Man mag über die Fähigkeit und die Ziele der CentrumSführer denken WaS man will: das diplomatische Geschick, das sie bei dieser Ge legenheit gezeigt haben, ist ein großes. Als eine unmittel bare Folge desselben ist der Umstand zu betrachten, daß der StaatSsecretair deSReichSmarineamtes mit den beiden Reichstagsabgeordneten, die in den letzten Jahren das Referat und das Correferat über den Marine-Etat erstatteten und von denen der eine der CentrumSführer Or. Lieber ist, aus den verschiedenen Werften erscheint, die Schiffsbauten besichtigt und die vor handenen Einrichtungen auf ihre Leistungsfähigkeit prüft. Daß der StaatSsecretair bei diesen Besichtigungen in solcher Begleitung von dem Wunsche und der Hoffnung geleitet wird, in erster Linie den CentrumSführer für die Pläne zu gewinnen, deren Ausgestaltung er für unerläßlich zur Sicherung des Reiches hält, liegt auf der Hand. Und warum sollte er einen solchen Wunsch und eine solche Hoffnung nicht hegen? Ohne das Centrum ist bei unfern parlamentarischen Berhältnissen die Zustimmung des Reichstags zu einem neuen Flottenbauplan nicht denkbar. Und nachdem das Centrum beim Bürgerlichen Gesetzbuche sich als „brauchbar" erwiesen hat, liegt der Gedanke nur allzunahe, seine Brauchbarkeit bei der Flotten frage wenigstens zu erproben. Es wird allerdings voraus sichtlich Concessionen fordern. Aber geschieht das nicht auch von andererSeite? „Ohne Kanitz keine Kähne" lautet die Parole der Anhänger des Bundes der Landwirthe, und wer sich der Hasen- und anderer Bedingungen der Conservativen bei der Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuches erinnert, wird sich darauf gefaßt machen müssen, daß auch die Be willigung der bevorstehenden Marineforderungen nicht allein vom Centrum an Bedingungen geknüpft werden wird und daß gerade die aus den nichtultramontanen Kreisen kom- tnenden Bedingungen so verschiedenartig und einander wider sprechend lauten, daß ihre Erfüllung unmöglich wird. Die zweite Ursache zur Befürchtung ist also die grauen hafte Zerspaltung jener Kreise, die Ursache und Anlaß hatten, einen domirenden Einfluß des Centrums gemeinsam zu bekämpfen. Eine Schilderung dieser Zer spaltung und Zerfahrenheit könneü wir uns ersparen, da die Borgänge während der Berathung des Bürgerlichen Gesetz buches noch in frischer Erinäerung sind. Aber auf die dritte Thatsache, die zu Gunsten deS CentruinS schwer ins Gewicht fällt, müssen wir noch Hinweisen: auf die Geschicklichkeit, mit der die ultramonlanen Minenleger beflissen sind, die Zer fahrenheit ihrer Gegner und ihr Ungeschick auszudeuten. Bon dieser Geschicklichkeit liefert die „Germania" einen neuen Beweis. Bekanntlich haben diejenigen Blätter, die auf jede Kundgebung der „Hamb. Nachr." wie auf rin verbürgtes Wort des Fürsten Bismarck schwören, gegen die Durchführung der dritten Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuches vor der Vertagung des Reichstags geeifert und die „Hamb. Nachr." haben nach der Annahme des großen Werkes einen Feldzug gegen die StaatSsecretaire v. Marschall und v. Boetticher als Centrumssreunde eröffnet. Mit welchem Raffinement die „Germania" diese Auslassungen der „Hamb. Nachr." und ihrer Nachbeter gegen den Fürsten Bismarck ausbeutet, ergiebt sich aus folgenden Auslassungen, die der ultramontane Moniteur an die Annahme des Bürgerlichen Gesetzbuches mit 222 gegen 48 Stimmen knüpft: „DaS war eine Niederlage des Fürste» Bismarck und der von ihm in Scene gesetzten und unterstützten Obstructivn, wie sie größer kaum gedacht werden kann, und das macht den persönlichen Aerger de« Fürsten Bismarck sehr erklärlich, aber nicht entschuldbar. Handelte es sich doch bet dem Zustandekommen eine- Bürgerlichen Gesetzbuchs um ein wirklich nationales Werk, an dem 20 Jahre lang gearbeitet war, um die Rechtseinhrit, welche eigentlich gerade von dem Manne am ersten und am feierlichsten gepriesen werden sollte, welcher sich selbst rühmt und von sich rühmen läßt, der „Schmied der deutschen Reichseinheit" zu sein. Ja, wäre Fürst Bismarck noch Reichskanzler, dann wurde von Memel bis Trier und vom Belt bis an die Alpen mit Pauken und Trompeten das Lob über diesen großen Erfolg deS Reichskanzlers, der auch das Werk der Rechtseinheit vollendet habe, verkündet worden sein." Und weiter heißt es dann in der „Germania?" „Nun aber ist es seinem zweiten Nachfolger, dem Reichskanzler Fürst Hohenlohe beschiedcn gewesen, das große Werk zu Stande zu bringen — trotz der Opposition und Obstruction von Friedrichs« ruh, aber unter der allgemein anerkannten hervorragenden und aus schlaggebenden Mitwirkung des Centruins. Auch das war für den Fürsten Bismarck sehr bitter. Gegen den Kaiser Wilhelm II., der aus seinem Wunsche nach einem baldige» Zustandekommen des Bürgerlichen Gesetzbuchs niemals ein Hehl gemacht hat, und gegen den Reichskanzler Für st Hohenlohe, der den kaiserlichen Wunsch zu ersüllen suchte, wagte der Mann einer „Politik von Blut und Eisen" gemäß dem Wahrjpruch: „Das Wegekraut sollt stehen la'n — Hüt' Dich Jung, sind Nesseln dran" mit offenem Visir nicht vorzugehen. Der Diplomat kennt ja auch krumme Wege, und Fürst Bismarck hat sich gelegentlich einmal von dem Abg. von Mallinckrodt bestätigen lassen, daß er die zehn Gebote Gottes für einen Diplomaten als nicht bindend erachte. Da Fürst Bismarck nun seinen Aerger — eine stärkere Bezeichnung wollen wir einstweilen nicht gebrauchen — nicht direct an die in letzter Linie zuständige Adresse gelangen lassen konnte, mußte in erster Linie das Centruin als Sündenbock Verhalten. „Alte Liebe rostet nicht", und alter Haß scheint ebenso wenig den rostigen Einflüssen der Zeit beim Fürsten Bismarck zu unterliegen. Das haben zunächst mit dem Centrum die Minister von Boetticher und Freiherr von Marschall erfahren müssen, die „Kleber und Streber", der „Mann mit dem Schwiegervater" und der „ehemalige Staatsanwalt". Sie wurden denuncirt, daß sie gewissermaßen vom Centrum protegirt würden und deut Eentrum einen übermäßigen Einfluß auf die Leitung der Politik — Fürst Bismarck weiß wohl, wer an oberster Stelle die Lei tung in Anspruch nimmt — rinräumten." Das diese raffinirte Denttnciation darauf berechnet ist, auf der kaiserlichen Dacht „HoheNzollertt" gelesen zu werden und weiter zu wirken, wenn iiit Herbste die Frage brennend wird, mit welchen parlamentarischen Parteien die geplanten Reformen durchzuführe» und welche Minister der Unterstützung dieser Parteien sicher sind, liegt auf der Hand. Es soll Stimmung gemacht werden nicht nur gegen den Fürsten, sondern auch für die ihm unsympathischen Minister, die dazu beigetragen baden, daß mit Centrumshilfe ein Lieb- lingswunsch des Kaisers erfüllt wurde. Und was kann solchen journalistischen Sprengminen von anderer Seite entgegengesetzt werden? Nichts als Klagen über den wachsenden Einfluß deS CentruinS, Klagen, die zugleich Vorwürfe gegen dir leitenden Kreise entfalten und die Unfähigkeit darthun, der Regierung ein besseres und selbst loseres parlamentarisches Werkzeug als das Eentrum zu bieten! Wird das bis zum Herbste nicht anders, raffen sich die nichtklerikalen bürgerlichen Parteien auS ibrer Zerklüftung und Zerspaltung, aus ihrem Jagen nach Sondervortheilen, aus ihrem Betonen engherziger Parteianschauungen und aus ibrer hieraus hervorgebenden Ungeschicklich keit in der Behandlung großer nationaler Fragen nicht auf, so ist ernstlich z» besorgen, daß das Eentrum am Ende seines Einflusses noch nicht anzelangt ist und im Herbste die Saat schneidet, die cs bei der Behandlung deS Bürgerlichen Gesetz buches schon gesät hat, durch Herrn vr. Lieber auf seiner Reise mit dem StaatSsecretair des Reichsmarineamtö weiter säen und durch seine Presse düngen läßt. Die deutsche Presse zeigt gegenüber der Annahme der Einladung zur Pariser Weltausstellung bemerkenöwerthe Zurückhaltung. Soweit sie sich äußert, verräth sie über wiegend daS Gegentheil von Befriedigung über den Schritt der Regierung. Dabei tritt jedoch mehrfach die Ansicht hervor, die Produccnten würden sich, nachdem die Betheiligung Deutsch lands einmal angekündigt sei, von der Beschickung nicht ausschließen können. So bemerkt die „Augsburger Abend zeitung": „In Deutschland wird man diese Neuigkeit mit sehr gemischten Gefühlen aufnehmen, sowohl in politischen, als auch in industriellen Kreisen. Was die letzteren betrifft, so ist deren entschiedene und nur zu wohlbegründete Aus- stellungsmüdigkeit nur allzu gut bekannt. Es bedurfte schon vor der letzten Weltausstellung in Chicago eines ganz besonderen Druckes unserer einflußreichsten Stellen, um diese Abneigung zu besiegen und unsere Großindustriellen zu einer Betheiligung zu bewegen. Sie namentlich haben davon fast nur ungeheuere Unkosten obne einen wesentlichen Nutzen, da ihre Firmen und deren Leistungen vbnehin welt bekannt sind und durch eine noch so glänzende Be theiligung an einer Ausstellung an Ruhm und Ehre kaum noch gewinnen können. In diesen und auch Wohl in anderen deutschen gewerblichen Kreisen wird man daher wenig von der Ansicht erbaut sein, im Jahre 1900 zu Paris ausstellen zu müssen. Daß die ersten deutschen Häuser gleichwohl, nachdem einmal die amtliche Entscheidung gefallen ist, alle Anstrengungen macken werden, um Deutsch land auf dem nächsten „Weltjabrmarkt" in der französischen Hauptstadt würdig zu vertreten, darf man nach früheren Erfahrungen trotzdem mit Bestimmtheit erwarten." Wir — so betnerkt zu dieser Auslassung die „Nativnallib. Cotr." — ver mögen der Auffassung, daß für das gesammte Gewerbe nunmehr eine moralische Zwangslage geschaffen sei, nicht brizutreleu. Diejenigen Produktionszweige, für die die Betheiligung mir unibirthschäftlichen Ausgaben verbunden ist, müssen weder, noch sollen sie ausstellen. Bei kaltblütiger Betrachtung — und diese darf sich dir Herrschaft in der Angelegenheit nickt entreißen lassen — kann man es Unmöglich als eine Pslickt gegen die Nation erachten, Nationalvermögen zu vergeuden. Die würdige Vertretung Deutschlands muß und wird darin gefunden werden, daß diejenigen Gewerbe, die. es für zweck mäßig erachten, auszustellen, ihr Bestes leisten. Die Frage der Betheiligung an sich ist aber kein« solche deS deutschen Ansehens, und man muß rechtzeitig dagegen Verwahrung ein legen, daß sie — was die Absicht des genannten Augsburger Blattes gewiß nicht ist — künstlich dazu gemacht werde. Als im Jahre 1887 der tapfere Held Voulnnser Deutsch land in die Gefahr eines neuen Krieges brachte, konnte die freisinnige Presse sich nicht genug thun in Verhöhnung der „Me li n i t b o m den fu rch t" und der „Baracken Politik". Bonlanger wurde damals nur als ein unschädlicher Clown und dir ernsten Sorgen deutscher Staatsmänner und Patrioten als Gespensterseherei behandelt. Später ist dann bekannt geworden, daß der Krieg nur durch das Dazwischciitrctcu des Präsidenten der Republik verhindert worden ist und daß der heißspornige Ministerpräsident Goblet einer der eifrigsten Fürsprecher Les Krieges gewesen war. Jetzt erhalten die Freisinnigen, die in jener Zeit mit dem heiligsten Gute der Nation, dem Frieden, ein so frevles Spiel getrieben haben, eine gründliche Lection durck Rochefort, den Busenfreund deS Circusgenerals, der in alle seine Geheimnisse cingeweiht war. Rochefort plaudert im „Jour" aus, daß Boulanger nur an die Revanche und unausgesetzt an sie gedacht habe. „Boulanzer", so heißt eS in Nochefvrt'S Erzählung, „pflegte fick mir gegen über um so nugenirter gehen zu lassen, als er wußte, daß ick unfähig war, ihn zu verrathen oder auSzubeute». Dabei muß ick denn gestehen, daß alle Nrthcile über ihn, selbst die günstigsten, falsch sind. Die Politik war für ihn ein unent behrliches Werkzeug, aber nur von untergeordneter Bedeutung. DaS einzige Ziel, daS er unentwegt verfolgte, war die Rache für unsere Niederlage und die Wieder eroberung der zwei Provinzen. Er wartete nur auf den Augenblick, da er die Armee reorganisier und eine Gelegenheit gefunden haben würde, sich an ihre Spitze zu stellen, uni gegen den Feind zu marschiren. Zur Zeit des Schnäbele Streites, als unsere Armee noch lange nicht das war, was er wünschte, würde er sofort gegen Deutsch land einen Feldzug unternommen haben. Bei der Glutbbitze der öffentlichen Stimmung glaubte er aufrichtig, die Massen durch das Vertrauen, das sie in seinen Patrio liömuS und seine Tapferkeit hatten, mit sich zu ziehen. Aber nur wenigen Freunden vertraute er sich an; und da wir die schreckliche Verantwortung betonten, die eine anfängliche Niederlage ihm zuziehen könnte, er widerte er mit dem Tone eines ManneS, der seinen Ent schluß im Voraus gefaßt: „O, das ist sehr einfach; im Falle einer Niederlage Kälte ich mir eine Kugel durch den Kopf geschossen." Laguerre, der der Unter haltung beiwohnte, antwortete darauf mit folgender Be trachtung: „Sie hätten sich eine Kugel in den Kopf gejagt, aber diese Lösung hätte uns nicht daran verhindert, neue Provinzen zu verlieren und neue Milliarden auszuspucken."" FeiriHetsn. Jim Pinkerton und ich. Roman von R. L. Stevenson und Lloyd Osbourne. I3j Autorisirte Bearbeitung von B. Kätscher. Nachdruck verboten. „Aber Du vergissest, daß der Capitain selber den Reis für beschädigt erklärt hat", warf ich ein. „Da liegt der Hund begraben!" gab Jim zu. „Aber der Reis ist schließlich doch nur ein fauler Artikel, er kommt kaum mehr in Betracht als der Ballast; der Thee und die Seide istS, auf die ich rechne. Es ist nothwendig, daß wir einen Blick aus das specificirte Berzeichniß der Ladung werfen. In einer Stunde treffe ich mit Trent bei Lloyd's zu diesem Zwecke zusammen und dann werde ich so genau orientirt sein, als ob ich die Brigg gebaut Kälte. Du hast gar keine Idee, wa« für Ausbeute so ein Wrack bietet: Kupfer, Blei, Taue, Anker, Ketten, sogar Geschirr!" „Du scheinst jedoch eines zu vergessen, mein lieber Jim: bevor Du die Beute einheimsen kannst, mußt Du daS Schiff gekauft haben. WaS dürfte es kosten?" „Hundert Dollar!" antwortete er mit der Schnelligkeit eines Automaten. „Woraus schließt Du daS?" „Ich schließ' cs nickt, ich weiß eö. Wie habe ich denn den „James L. Moody" um zweihundertfünfzig Dollar getauft, obgleich seine Boote allein daS Vierfache wcrth waren? Mein Name stand als erster auf der Liste. Nun, er steht auch jetzt dort, und ich habe wegen der großen Entfernung mein Angebot so niedrig ge stellt. DaS Wrack kann nur um diese Summe versteigert werden, welche ich biete, und eS ist mir daher siber." „DaS klingt ja sehr gekeimnißvoll. Findet denn die Anction mit Ausschluß der Oeffentlichkeit in einem Unter st dischcn Gewölbe statt? Könnte ein einfacher Bürger — ich zum Beispiel — sich die Geschichte nicht ansehen?" „Gewiß! Sie ist öffentlich und findet durchaus nicht in einem unterirdiscken Gewölbe statt. Jedermann hat freien Zutritt, uur bietet Niemand gegen uns, und wollte Jemand cs versuchen, so würde er bald klargestillt sein. Gegen unseren Ring kommt Niemand auf." „Aber wie bist Du denn hineingekommcn?" fragte ich. „Sehr einfach. Die Sacke bat mich interessirr und ich habe sie eifrig studirt. Sie schien mir sehr romantisch, und als ich gar bemerkte, daß Gewinn darin steckte, rnhte ick nicht, bis ich das Geschäft aus dem „ff" inne hatte, so daß mich kein lebender Mensch übertrifft. Niemand abnte, daß ich mein Auge auf Wracks geworfen hatte, bis ich eines Morgens Douglas B. Longhirst aufsuchte, ihm durch meine Kenntniß imponirte und ikn schnurstracks fragte: Wollen Sie mich in den Ring zulaffen oder soll ich einen neuen be gründen?" Er verlangte eine halbe Stunde Bedenkzeit und empfing mich nach Ablauf derselben mit den Worten: „Pinkerton, Ihr Name steht sckon auf der Liste." An der Spitze der letzteren gelangte er zum ersten Mal bei dem Moody- Schwindel, und bei der „fliegenden Lerche" steht er wieder obenan." Jetzt blickte mein findiger Freund auf seine Uhr, stieß einen SchreckenSruf ans, bat mich noch rasch, ihn vor dem Eingänge zur Kaufmannsbörse zn erwarten, und eilte davon, um mit Trent zu sprechen und den Waarenangabe- zettel zu prüfen. Ich beendigte gemüthlich meine Cigarette und mußte mir selbst zugestehen, daß unter allen Arten der Dollarjagd diese Wrackgeschichte meine Phantasie am meisten anregte. Selbst während ich mich durch die belebten Verkehrsstraßen des Geschäftsviertels drängen mußte, verfolgte mich die Vision des inmitten des Stillen OceanS an einer einsamen Insel von der tropischen Sonne dnrch- glübten und von unzähligen Seevögeln umflatterten Wracks. Mein Herz sehnte sick nach diesem Abenteuer. Wenn schon nicht ich selbst, so sollte wenigstens Jemand, der in meinen Diensten stand, sich zu den, vom Ocean neidisch festgehaltenen Schiff begeben und dessen verlassene Cabinen durckslöbern. Zur vereinbarten Stunde traf ich mit Pinkerton zu sammen, seine Lippen waren fest aufeinandergcpreßl und seine Haltung nach strammer als gewöhnlich; er sah aus wie einer, der von einem festen Entschluß beseelt ist. „Nun?" fragte ich. „Nun", entgegnete er, „eS hätte besser, aber auch schlechter auSfallen können. Dieser Capitain Trent ist ein ganz merk würdig ehrlicher Kauz — einer Unter Tausenden. Als er hörte, daß ich kaufen wollte, sprach er sich ganz offen über den Preis auS. Nack seiner Berechnung dürften, wenn eS hoch geht, dreißig Ballen zu retten sein. Immerhin lautet der übrige Theil des Manifestes ermuthigender. Es sind für ungefähr 5000 Dollars Seidenwaaren, Thee und Nußöl an Bord und zwar an einem sicheren Ort: im Lazareth. Die Brigg wurde erst vor einem Jahre neu mit Kupfer überzogen, sie besitzt mehr als 150 Faden Kettenzeug. Wenn es auch kein Bombengeschäft werden sollte, so schaut doch etwas dabei heraus und wir wollen uns daran wagen." Mittlerweile war cs 10 Uhr geworden, und wir traten in das Auctionölocal. Die „Fliegende Lerche", die für uns eine solche Wichtigkeit hatte, schien das Publicum nur sehr wenig zu interesfiren. Der Auclionator war von vielleicht 20 Zuschauern umringt — größtentheils kräftige, große Burschen mit langen Beinen und breiten Schullern, geckenhaft berauSgestutzt. Eine burschikose Kamaraderie herrschte vor. Wetten und Spottnamen flogen hin und her. Die „Kibitze" benahmen sich sehr kindisch, und man sah es ihnen an, daß sie nicht aus geschäftlichen Gründen, son dern zu ihrem Vergnügen gekommen waren. Einen grellen Gegensatz zu diesen lustigen jungen Leuten bildete Capitain Trent, der begreiflicher Weise neugierig war, wem sein altes Schiff zufallen würde. Seit gestern hatte er sich in einem funkelnagelneuen, fertig gekauften, schwarzen Anzug ange- stakelt, der nicht gerade gut saß. Aus der oberen linken Rocktasche schaule der Zipfel eines rotben Seidentaschentuckes heraus, die untere war mit Schriftstücken angestopft. Pinkerton batte vorbin diesen Menschen so günstig beurtheilt und er schien wirklich aufrichtig gewesen zu sein, aber so sehr ich mich auch bemühte, in dem stark gerötheten und erhitzten Gesichte einen edlen Zug zu finden, es gelang mir nicht. Er machte auf mich den Eindruck, als ob er von einer geheimen Angst gefoltert wäre. Nickt ahnend, daß ick ihn beobachte, biß er nervös an seinen Nägeln und blickte finster zu Boden, oder er warf seine Blicke zur Thür, so oft diese aufging. Ich konnte weine Augen selbst dann noch nicht von ihm ab wenden, als die Auktion bereits ihren Anfang ge nommen hatte. Der Auktionator suchte mit dem Hokuspokus eines Schwarzkünstlers Stimmung zu machen und pries das Ver kaufsobject in hochtrabenden Phrasen an. „Eine großartige Brigg — reines Kupfer — glänzend ausgestattet. Drei prächtige Boote. — Auserlesene kostbare Labung. — Wunder bare chinesische Artikel. Meine Herren, Sie können Ihr Geld nicht sicherer anlegen, als wenn Sie die „Fliegende Lerche" kaufen; ich behaupte sogar, daß Sie sie nicht zn theuer bezahlen, wenn Sie sie für den Ladungswerth, d. h. für zehntausend Dollars, erstehen." Nachdem er dieses bescheidene Sümmchen genannt, er scholl gerade über seinem Haupte (ich glaube, einer der Zu schauer muß ein Bauchredner gewesen sein, der sich einen Spaß macken wollte) ein deutliches „Kikeriki! Kikeriki!" worauf selbstverständlich alle Anwesenden in ein lautes Ge lächter ansbrachen, in welches auch der Auktionator ver bindlich einstimmte. „Aber jetzt, meine Herren, wollen wir ernstlich zur Sacke sprechen. Wie viel wollen Sie bieten?" fragte der Auktionator, nachdem sich der Lärm gelegt. „Bitte, wer fängt an." Dabei warf er einen ermunternden Seitenblick auf Pinkerton. „Hundert Dollar!" bot dieser mit großer Seelenruhe. „Einhundert,' Dollar von Herrn Pinkerton! Sage ein hundert Dollar. Wünscht keiner der verehrten Anwesenden ein höheres Angebot zu machen? Also nur einhundert Dollar" — dröhnte die Stimme des Auctionaters. Ich betrachtete inzwischen noch immer mit einem gemischten Gefühle von Mitleid und Verwunderung die unverhohlene Erregung des CapitainS Trent, als alle Anwesenden durch ein unerwartetes Angebot in Erstaunen gesetzt wurden. „Und fünfzig!" rief eine schrille Stimme. Pinkerton, der Auclionator und die Kibitze, die alle in daS offene Geheimniß des Ringes cingeweiht zu sein schienen, blickten gleichmäßig und gleichzeitig verblüfft darein. „Ich bitte um Entschuldigung, hat noch Jemand geboten?" fragte der Auktionator. „Und fünfzig!" wiederholte die Stimme, deren Urheber ich erst jetzt hemerkte. Sie kam von einem höchst unschein baren Männchen, dessen Hut grau und mit Pusteln bedeckt war. Es hatte, als ob eS am Veitstanz litte, über sein Mienenspiel keine Gewalt, sprach in einer Art gebrochenem Singsang, war schäbig gekleidet, trug eine selbstbewußte Haltung zur Schau, wie einer, der stolz darauf ist, zu sein, wo er war, und zu thun, waS er tbat, dabei aber mit Bangen erwartet, zur Rede gestellt und vor die Thür gesetzt zu werden. Ich hatte noch nie seines Gleichen zu Gesicht bekommen. Pinkerton starrte den Eindringling einen Augenblick nicht gerade freundlich an, riß dann ein Blatt aus seinem Notiz buck, schrieb eifrig mit seinem Bleistift, winkte einen Lauf burschen herbei und flüstert« ihm zu: „Zu Longhurst."
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