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Zchönbulger Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Lage nach Sonn« und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster- fchcinende Nummer bis nachmittags 2 Uhr. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 25 Pf. Inserats pro Zeile 10 Pf., Einges. 20 Pf. Expedition: Waldenburg, Kirchgasfe 255. — und aldenburger Anzeiger. Amtsblatt für den Aadtrath in WalLradmz. Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit; in Penig bei Herrn Kaufmann Rob. Härtig, Mandelgasse; in Rochsburg bei Herrn Buchhalter Fauth; in Lunzenau bei Hrn. Buchhdlr. G. Dietze; in Wechselburg bei Herrn Schmied Weber; in Lichtenstein b. Hrn. Buchh. I. Wehrmann. — Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Callnberg und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursoorf, Langen leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Obergräfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wolkenburg und Ziegelheim. Freitag, den 15. Zuli 1887. 161 Witterungsausfichten für den 15. Juli: Bei veränderlicher Windrichtung vorwiegend heiteres und warmes Wetter mit Gewitterneigung. Barometerstand am 14. Juli, nachmittags 3 Uhr: 764 mm. "Waldenburg, 14. Juli 1887. Die Franzosen feiern heute am 14. Juli ihr dies jähriges Nationalfest (zur Erinnerung an die Erstür mung der Pariser Bastille im Jahre 1789) unter ganz besonderen Verhältnissen: Die Republik hat vor einem Staatsstreiche gestanden, und es haben in Paris Ausschreitungen stattgefunden, welche man die moder- nisirte Wiederholung jener von 1789 nennen kann. Der Pariser Pöbel hat sich am vorigen Freitag, bei General Boulanger's Abreise nach Clermont, zum ersten Male sehr deutlich gegen eine Maßnahme der bestehen den republikanischen Regierung ausgesprochen, indem er sich des Generals Abreise widersetzte. Diese Vorfälle werden von der Regierung, der Presse, den Kammern gemißbilligt. Was will das besagen? Haben denn vor hundert Jahren die damaligen freiheitlich gesinn ten Männer den Bastillesturm mit seinen scheußlichen Morden gebilligt? Ganz gewiß nicht! In Paris redet und redet man, und das Ende vom Liede ist, daß Re gierung und Volksvertreter nichts thun, um solchen Ausschreitungen künftig vorzubeugen. Warum nicht? Weil sie Furcht vor dem „Volk von Paris" haben! Das ist die ganze Geschichte. Regierung und Kam mern wissen es recht gut, daß die Stadt Paris es war, welche jede neue Episode in der französischen Ge schichte einleitete, daß ähnliche Pariser Tollheiten Re gierungen gestürzt und Regierungen aufgerichtet haben. Paris ist unberechenbar, und weil man das weiß, wagt Niemand ihm nahezutreten. Daß die Republik vor einem Staatsstreiche gestan den hat, hat am Montag Ministerpräsident Rouvier in der Kammer selbst anerkannt. Er hat gerade heraus gesagt, General Boulanger würde bei längerem Ver bleiben im Kriegsministerium einen Gewaltstreich ver sucht haben, um sich an die Spitze der radikalen Re publik zu bringen. Abermals ist es die Furcht vor Paris, welche den General in der Armee belassen hat, und wie wenig Boulanger seine Hoffnungen aufgege ben hat, beweisen seine in Clermont gesprochenen Worte, er Hosse noch einmal Kriegsminister zu werden und werde dann seine frühere Politik wieder aufnehmen. Das ist bezeichnend. Das Ministerium Rouvier hat in der Kammer in der Boulanger-Frage einen großen Sieg erfochten, und diese Thatsache ist gewiß bemer- kenswerth. Aber wie steht es mit der wahren Macht dieser „siegreichen" Regierung? Kläglich. Die ministe riellen Blätter haben den Deutschen in Paris den Rath gegeben, am Nationalfesttage ihre Läden zu schlie ßen und sich nicht öffentlich zu zeigen, um sich nicht Pöbelangriffen auszusetzen. Das Ministerium Rou vier ist ebenso wenig wie ein anderes Ministerium im Stande, für die Ruhe von Paris zu garantiren. Es regiert wobl Frankreich, aber nicht Paris. Diese zaghafte Haltung gegenüber den Parisern ist das Unglück mancher früheren Pariser Regierung ge wesen, und wer weiß, ob nicht auch die jetzige noch einmal daran wird glauben müssen. Es ist wohlfeil, über die Pariser Tollheiten zu spotten, aber damit unterdrückt man sie nicht. Der Pöbel der Seinestadt ist gut im Zuge; nur weiter auf dieser Bahn und das Lachen und der Spott wird ein Ende nehmen. Gerade das Nationalfest erinnert an die große fran zösische Revolution und an ihren grauenvollen Verlauf. Und wer beschwor diesen herauf? Einzelne exaltirte Schwärmer! Die Mordscenen von vor hundert Jahren sind ja nun wohl heute nicht mehr möglich, aber fester ist seitdem der Sitz der französischen Regierungen wahr haftig nicht geworden. Den Radikalen in Paris fehlte es bisher nur an einem Hebel zum Sturze der jetzi gen „zahmen" Republik; anders wird es stehen, wenn ein unvorherzusehender Zwischenfall diese Waffe giebt. Die Regierung hat allerdings Militär, auf das sie sich stützen kann. Es ist aber kein gutes Zeichen, daß bis her nie gewagt ist, Militär gegen die Ausschreitungen in Paris in Anwendung zu bringen! Wer will sa gen, was da im Ernstfall geschehen kann? Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser und die Kaiserin machten, wie aus Koblenz gemeldet wird, Dienstag Abend und Mittwoch Vormittag Spazierfahrten; später erledigte der Kaiser Regierungsgeschäfte. Zum Diner waren verschiedene angesehene Personen aus Stadt und Provinz geladen. Abends ist der Kaiser nach der Insel Mainau gereist, wo er bis Sonntag oder Montag bleibt. Prinz Wilhelm von Preußen wird morgen Frei tag den in Berlin eingetrofsenen Prinzen von Siam empfangen, der ihm einen hohen Orden überbringt. Fürst Bismarck's kurzer Aufenthalt in Berlin vor der Abreise nach Varzin ist verschiedentlich mit besonders hochwichtigen politischen Tagesfragen in Verbindung gebracht worden. Dem ist aber nicht so. Im Moment liegt nichts vor, was geeignet wäre, die deutsche Diplomatie in besondere Thätigkeit zu versetzen, das beweist auch die bevorstehende Abreise des Grafen Herbert Bismarck nach Königstein am Taunus, in Folge deren die Leitung des Reichsamtes des Auswärtigen an den Unterstaatssekretär übergeht. Die Wahl des Prinz Ferdinand von Koburg zum Fürsten von Bulgarien beein flußt Deutschland nicht. Es ist sicher, daß das Reich seine Entschließungen von den Beschlüssen Rußland's und Oesterreich-Ungarn's abhängig machen wird. Was Frankreich anbetrifft, so ist momentan ebenfalls kein Anlaß zu irgend welchem Notenwechsel mit der Pariser Regierung vorhanden. Dem Verlauf des heute, Don nerstag, stattfindenden Nationalfestes wird allerdings mit einiger Sorge entgegengesehen. Das „Volk der gebildetsten Stadt der Welt" zeigt die größte Lust, sein Müthchen an den in Paris lebenden Deutschen zu kühlen und daß diese nicht groß auf behördlichen Schutz rechnen können, haben die letzten Pariser Aus schreitungen zur Genüge bewiesen. Etwas abkühlend gewirkt hat die Erklärung des Ministerpräsidenten Rouvier in der Kammer, daß ein Bleiben Boulanger's am Ruder einen Staatsstreich bedeutet hätte. Aber wer will mit der Besonnenheit der Pariser rechnen? Das ist eine sehr gewagte Sache. Fürst Bismarck ist übrigens recht wohl, auch die Fürstin ist wieder ganz wohlauf. Die Fürstin Bismarck begiebt sich zu längerem Kurgebrauch nach Homburg v. d. Höhe. Der deutsche Kronprinz wird im Laufe des Herbstes in Ems zu einer Nachkur eintreffen. Or. Morell Mackenzie hat dem Kronprinzen für die beiden Besuche, die er in Berlin machte, 52,500 Mark in Rechnung gestellt. Nach englischen Begriffen ist das mit Rücksicht auf des Patienten hohe Stellung nicht zu viel, aber freilich auch nicht zu wenig. Für die fernere Kur wird vr. Mackenzie dieselbe Summe noch einmal verlangen, so daß also das Gesammthonorar 105,000 Mark betragen würde. Bescheidenheit in Honorarfragen gehört eben nicht zu seinen Schwächen. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt über Klein: „Es ist eine vollständige Perversion (Umwälzung) der moralischen Grundsätze in Frankreich einge treten, wenn so wenig Scheu getragen wird, einen um Geld bezahlten Spion — er hat 200 Fr. monat lich erhalten — als Held und Märtyrer zu preisen. Aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ist rin Spion von Coopest verherrlicht worden, allein dieser Mann hat ausschließlich aus Vaterlandsliebe spionirt und sich niemals Geld oder anderen Vortheil zuwenden lassen. Es ist Frankreich Vorbehalten geblieben, den bezahlten Spion über die Stufe ehrlicher Männer hinaus als Gegenstand der Verehrung zu bezeichnen." Die 34. Generalversammlung der Katholiken Deutschland's findet in Trier in den Tagen voU 28. August bis 1. September einschließlich statt. Der Kriegsminister Bronsart von Schellendorf und der Justizminister Or. Friedberg haben ihre Urlaubsreisen angetreten. Die Deutschenhetze in Frankreich wird immer heftiger. Als neuen Beweis dafür theilt das Mann heimer Journal einen Brief aus Caudry (Departement du Nord), wo deutsche Kapitalisten große Spitzen fabriken angelegt haben, mit, in welchem der Vertreter eines deutschen Hauses berichtet, daß die Lage für die Deutschen unerträglich geworden ist. Er sehe sich ge- nöthigt, die Stadt zu verlassen und die anderen Deut schen würden es auch wohl thun. Man werde Abends in den Straßen insultirt und belästigt und habe Mühe, sich der Prügel zu erwehren. Nächsten Sonntag ist Turnfest in Caudry, und der Maire des Ortes hat allen Deutschen sagen lassen, sie möchten sortgehen, da er für ihre Sicherheit nicht bürgen könne. In Paris wird's heute beim Nationalfest mun ter zu gehen. Der Ehrenpräsident der Patriotenliga DöroMde, den seine beim Boulangerskandal davon getragenen Lorbeeren nicht schlafen lassen, unterzeich nete einen „Tagesbefehl", durch welche die Patrioten liga aufgefordert wird, zahlreich an der Kundgebung vor der Straßburg-Statue theilzunehmen, sodann sich nach Longchamps zu begeben und bei der Revue die Boulanger-Demonstrationen zu erneuern. Na, denn nur zu! Aus München wird gemeldet: Die Mittheilung, daß bei der General-Zolldirection Vorbereitungen für den Eintritt Bayerns in die Branntweinsteuer- -- gemeinschaft getroffen werden, bestätigt sich. Der neue päpstliche Nuntius Ruffo Scilla ist in München angekommen. Die von Tiele-Winkler'sche Verwaltung in Katto- witz hat an die große Zahl ihrer Bamten die Ver fügung ergehen lassen, mit ihren Untergebenen fortan ausschließlich in deutscher Sprache zu verkehren. Der „Pol. Korr." bespricht die Beziehungen Deutsch land's zu Frankreich und Rußland. Sie weist darauf hin, daß die Reichsregierung bis jetzt es unterlassen habe, aus die deutschfeindlichen Maßnahmen in Frank reich zu antworten. Es gebe aber nur eine Grenze, wo die Frage der Wahrung des Friedens mit der Aufrechthaltung der Würde Deutschland's in Conflict gerathen könnte. Was Rußland anbetreffe, so nehme die Regierung den angebotenen wirthschaftlichen Kampf entschlossen auf und gehe zum Angriff über. Die preußische Eisenbahnverwaltung hat mit der lebhaft geforderten Beseitigung der Querstangen vor dm Fenstern der Durchgangs-Wagen immer noch keinen Anfang gemacht. Es ist das gerade nicht er-