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Ar. L61. Leip-ig. Lrschkliit autzer Sonntag« täglich. Preis viertellährlich. ä Thlr., jede einzeln« Nummer ä Ngr. Deutsche Mgenicme Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Mittwoch, 9. November 1870. Inserate find an Haasensiem » Vogler in Leipzig oder an deren übrige Häuser zu seuden. Zaserllou-zebühr für die Epaltenjeile l l/, Ngr., unter tiiugesnudt »l/, Ngr. Leip-ig, 8. Nov. Der Waffenstillstand ist abgelehnt und zwar von französischer Seite! Diese Nachricht, die gestern gegen Abend hier an langte und von uns sofort durch eine Extra-Beilage mit gelheilt wurde, ist sicherlich in allen patriotischen Krei sen mit der größten Befriedigung ausgenommen wor den. Denn die Ucberzeugung war allverbreitet, daß ein solcher Waffenstillstand, wie ihn die Franzosen annehmen könnten und gern annehmen würden (mit inzwischen freigegebener Verproviantirung von Paris), unsere Interessen aufs äußerste schädigen müsse, ein solcher dagegen, wie ihn zu fordern diese unsere In teressen gebieterisch erheischten, für die Franzosen un annehmbar sei, wofern sie nicht — wozu sie aber noch immer nicht sich entschließen können — zugleich den ernsten Willen hätten, Frieden zu schließen auf der vom Sieger als unerläßlich bezeichneten Basis einer Londabtretung. Auch wir freuen uns aufrichtig des Abbruchs von Verhandlungen, die, wie einmal die Sache lag, zu nichts führen konnten, die gleichwol das Vorgehen unserer Kriegführung lähmten, chie außerdem in der öffentlichen Meinung Deutschlands allerhand Beun ruhigungen verbreiteten, Beunruhigungen, die wir un sererseits allerdings nie getheilt haben, weil wir fest vertrauten, daß unsere diplomatische Leitung nimmer mehr das wieder verderben werde, was die militä rische so glorreich bis auf diesen Punkt hinausgeführt. Um so rllckhallsloser ist unsere Genugthuung jetzt, da wir dieses unser Vertrauen so vollkommen gerecht fertigt, die von andern Seiten geäußerten Befürch tungen und Beargwöhnungen wegen PreiSgebung wich tiger Interessen Deutschlands so glänzend widerlegt sehen. Die Zuversicht zu der Einsicht und Energie unserer diplomatischen Leitung, die in manchen Kreisen momentan zu wanken schien, wird durch den Ausgang dieser Verhandlungen sich wieder befestigt finden, und dazu wünschen wir der Nation Glück. Denn wehr uns, wenn wir an der Tüchtigkeit unserer diplomati schen Leitung auch nur einen Augenblick zweifeln müß ten! Die öffentliche Meinung, wie wachsam und wie rasch bereit mit ihrer Kritik diplomatischer Acte sie auch sein mag, kann doch nicht allemal verhüten, daß Nachtheiliges unternommen oder Vortheilhaftes ver säumt werde, wenn nicht an der entscheidenden Stelle selbst allezeit der rechte Wille und die rechte Einsicht vorhanden und thätig ist. Wie die pariser Machthaber, welche den Waffenstillstand abgelehnt haben, dies vor ihrer staats männischen Einsicht verantworten zu können glauben, muß ihnen überlassen bleiben. Vor jener fanatisirten Menge freilich, die man bisher durch Lügen und Täuschungen aller Art immerfort in Illusionen über den wahren Stand der Dinge zu erhalten bemüht und nur zu erfolgreich bemüht war, vor dieser sich zu rechtfertigen wird ihnen nicht schwer fallen. Diese wird ihnen zujauchzen, wenn sie mit ein paar auf. gewärmten Phrasen von der „Unbesiegbarkeit Frank- reich»" und der „Uneinnehmbarkeit von Paris" ihre Eitelkeit kitzeln. Aber die besonnenern Elemente der pariser und der außerpariser Bevölkerung, was werden diese dazu sagen? Und eS schien doch, als ob die Abstimmung vom 3. Nov. einen Sieg dieser Elemente, und zwar einen sehr entscheidenden Sieg, bedeutete! Auffallend ist eS, daß (nach einer Privatmitthei- lung aus Paris, die man in Versailles erhalten) ge rade Trochu eS gewesen sein soll, der gegen die Ansichten der Mehrzahl seiner College«, sogar IuleS Favre'S, den Abbruch der Verhandlungen durchgesetzt hätte — Trochu, der bisher für einen der Gemäßigt sten in der provisorischen Regierung galt, ja den man sogar von manchen Seiten eines nicht ganz lautern RePublikaniSmuS, einer Hinneigung zum Orleanismus beargwöhnte. Möglich, daß ebendeshalb er sich hier um so entschiedener zeigen zu müssen glaubte! Gibt eS doch in Frankreich so wenige, welche den Muth eines völlig unabhängigen UrtheilS, vollends einer völlig unabhängigen Handlungsweise haben! Was die Herren „Neutralen" anbelangt, so werden diese uns hoffentlich nun mit weitern Ver- mittelungSvorschlägen ungeschoren lassen und unS die Unannehmlichkeit, sich selbst die „verlorene Liebesmüh'" solcher unfruchtbaren Verhandlungen ersparen! So werden also die Kanonen wieder ihr entschei dendes Wort sprechen müssen, das einzige, welches in Paris sich schließlich Gehör verschaffen wird, da die Stimme der Vernunft es nicht kann. Ob die Be schießung von Paris sofort, oder erst in einigen Tagen beginnen, ob sie vorerst nur auf die Forts oder auch auf die Stadt selbst sich richten wird, auf diese Fragen (welche die Leser in unserer heutigen berliner **-Correspondenz angeregt finden) werden die nächsten Tage die tatsächliche Antwort gebe«. Auch die Ansicht scheint Bosen zu gewinnen, daß möglicherweise Paris ohne dieses äußerste Mittel, durch die Noch gezwungen, capituliren werde. Schwerlich dürfte dies indeß geschehen, ohne daß zuvor noch schwere innere Krämpfe und Kämpfe die unglückliche Stadt erschüttert haben. Zunächst erwarten wir noch allerhand verzweif lungsvolle Anstrengungen der Belagerten, durch Aus fälle sich Luft zu schaffen. Wir erwarten dies um so mehr, als Trochu, der militärische Leiter der Verthei- digung von Paris, durch seinen so entschiedenen Wi derspruch gegen einen Waffenstillstand gewissermaßen die Verpflichtung auf sich genommen hat, durch mili tärische Erfolge die Lage der Stadt zu verbessern. An der Wachsamkeit der Führer unserer Truppen und an der Tapferkeit der letzter» selbst — beide so er probt und so zweifellos! — werden diese Anstrengun gen scheitern, und dann wird die Stunde des Ver zagens für Paris kommen! Nachträglich erfahren wir noch durch den unS soeben zugehenden Wortlaut des von Trochu ver öffentlichten Tagesbefehls an die Nationalgarde, vom 1. Nov., daß die Grundlagen des Waffenstillstandes nicht, wie man bisher annahm, vom Grafen Bismarck, sondern von der französischen Regierung vorgeschlagen worden sind. Jener Tagesbefehl (der zur Beruhigung der aufgeregten Gemüthcr dienen sollte) bezeichnete diese Grundlagen als „unabänderliche". Da diese Unabänderlichkeit deutscherseits selbstverständlich nicht anerkannt ward, so mußte die provisorische Regierung oder wenigstens Trochu, der Urheber dcS Tagesbefehls, den abgeänderten Wäffenstillstandsvorschlag, den ThierS aus Versailles mitbrachte» nothgedrungen verwerfen. Den Tagesbefehl selbst geben wir morgen früh. Die Belagerung von Neubreisach hat einen raschen und glücklichen Verlauf genommen. Mit der gestern gemeldeten Capitulation des Forts Mortier darf man die Uebergabe der Festung selbst für so gut wie abgemacht halten. Ebenso ist die Cernirung der gegen einen Sturm allerdings wol durch ihre natürliche Lage ziemlich ge sicherten Festung Belfort, im südlichsten Winkel des Elsaß, als. vollendet anzusehen. Auf eine soeben noch eingehende telegraphische Depesche mit einem neuen Vor sch läge BiSmarck's zum Zweck ddr Berufung einer Constituante in Frankreich, der aber auch abgelehnt worden, können wir unsere Leser nur noch in Kürze aufmerk sam machen. Sie finden solche am gewohnten Orte. Zur deutschen Verfaffungsfrage. i. — Leipzig, 8. Nov. Wir haben uns bestimmter Vorschläge in der deutschen Verfaffungsfrage bisher so ziemlich enthalten, theilS weil eS schwer ist, solche zu wachen, solange man nicht genau und authentisch die Forderungen der Skwstanten auf Arnderungen der bisherigen Bundesverfassung kennt, also auch nicht weiß, inwieweit diese Forderungen etwa Verbesserun gen derselben oder Verschlechterungen bedingen wür den, inwieweit ihnen also beizupflichten oder entge genzutreten sei; theilS weil wir überhaupt zur Zeit möglichst wenig an dem Bestehenden geändert und gerüttelt sehen möchten; endlich auch, weil wir dem leitenden Staatsmanne, in dessen Händen die Ver faffungsfrage sich befindet, das Vertrauen schenken, daß er alle- aufbieten werbe, um zwischen dem Noth wendigen und dem Möglichen die rechte Diagonale zu finden und so einen Verfassungszustand zu schaffen, der uns von den wesentlichen Errungenschaften des Norddeutschen Bundes keine vermissen und gleichwol den Ungeheuern Gewinn einer festen Einigung des Südens mit dem Norden einheimsen läßt. Um so lieber ergreifen wir die Gelegenheit, Vor- Der Aufstand in Paris am 31. October. Ueber denselben geben die Ballonbriefe aus Paris vom 1. Nov. folgende ziemlich genaue Einzelheiten: Dill nächsten Anlaß zu dem Ausstande gab Vie Nieder lage der Franzosen in Bourget, das sie bekanntlich zwei Tage vorher genommen hatten, und die Nachricht von dem Falle von Metz, der an diesem Tage bekannt wurde. Letz tere Nachricht machte auf die Bevölkerung einen um so furchtbarern Eindruck, als die Regierung bekanntlich drei Tage vorher (am 28. Oct.) denselben aus so förmliche Weise dementirt hatte. Was die Affaire von Bourget anbelangt, so hatte dieselbe besonders erregt, weil die Regierung bei dieser Gelegenheit sich wenig geschickt gezeigt und ganz un nütz an 2000 Mann, wenn nicht mehr, aufgeopfert hatte. Man begriff nicht, aus welchen Gründen die Regierung diesen Ort, der nicht zur Bertheidigungslinie gehört, festge halten hatte oder, wenn dies in ihrer Absicht lag, nicht so fort solche Maßnahmen ergriffen, um ihn mit Erfolg ver- theidigen zu können. Die Agitation, welche durch diese bei den Ereignisse entstanden, war eine äußerst große und warv dadurch noch vermehrt, daß eS zugleich bekannt wurde, daß Thier« mit Borschlägen betreffs ver Abschließung eines Waf fenstillstandes in Pari« angekommcn sei. Schon früh mor gen« versammelten sich zahlreiche Gruppen vor dem Stadt- Hause und verlangten mit Ungestüm die „Commune" und selbst die Absetzung der Regierung. Jule« Simon suchte da« Volk zu beruhigen und versprach die MassenauSbebung und die sofortige Wahl der „Commune". Aber die Menge Hörle nicht auf ihn, und der Tumult wurde immer stärker. Bon allen Seiten kamen bewaffnete und nicht bewaffnete Natio nalgarden heran; die Stimmung gegen die Regierung war «ine äußerst ausgebrachte; man warf ihr vor, unfähig zu sein und verrathen zu wollen. General Trochu, der meh rere Deputationen der Menge im Innern des Stadthauses empfing, gab Erklärungen über die Affaire von Bourget, da« man absichtlich ausgegeben habe, und über Metz; aber man hörte ihn kaum an und rief ihm zu: „Wir sind nicht hier, um Ihre militärische» Berichte anzuhören, sondern Sie vor die Thür zu setzen." Die Menge wurde indessen immer lärmender, obgleich sie keine Gewaltthätigkeiten begmg. Einen Augenblick zerstreute sie sich wieder, als plötzlich ein Schuß, man weiß nicht wer ihn abfeuerte, fiel. Bald rot tete sie sich aber von neuem zusammen und ließ verschie dene Listen mit den Namen derer circuliren, welche die neue Regierung bilden sollten. Auf denselben befanden sich Ledru- Rollin, Bieter Hugo, Felix Pyat, Dorian (schon jetzt Mit glied der Regiernng), Blanqui, Flouren«, Rochefort re. Gegen 3 Uhr endlich drang die Menge in das Hötel-de- Ville ein. Die Mobilgarden, welche mit der Vertheidigung desselben betraut waren, leisteten keinen Widerstand, sondern ließen alles ruhig geschehen und duldeten sogar, daß man die Mitglieder der Regierung zu Gefangenen machte, nach dem man vorher Etienne Arago gezwungen hatte, einen im voraus hergerichteten Anschlagzettel zu unterzeichnen, auf welchem sich ein Decret befand, das die Wahle» für die „Commune" auf den nächsten Tag feflsetzte. Zugleich be mühte sich FlourenS, der Hauptmann der ganzen Bewe gung, dem General Trochu und den übrigen Mitgliedern der provisorischen Regierung ihre Dimisston zu entreißen. Sie verweigerten die«, und Dorian erklärte, daß er in die neue Negierung nicht eintreten werde. Um 8 Uhr endlich gelang es dem Adjutanten des Generals Trochu, mit dem 106. Bataillon der Nationalgarde in das Stadthaus einzu dringen und den General zu befreien. Es war demselben aber unmöglich, die übrigen Mitglieder der Regierung und den Odercommandanten der Nationalgarde, Tamisier, eben falls den Händen der Meuterer zu entreißen. Doch gelang es Ferry, Rochefort, Pelletan und Picard zu entkommen. Letzterer, der eine große Energie an den Tag legte, eilte sofort nach seinem Ministerium, ließ dort ein Individuum verhaften, welches Blanqui abgesandt, um Geld zu holen, und befahl, Generalmarsch zu schlagen. Auch Trochu hatte sofort nach seiner Befreiung Maßregeln ergriffen. Da« Stadthaus war nun von drei Bataillonen besetzt, die Ger main Lasse (Schriftsteller), Milliere (bekannter Clubredner) und Gustave FlourenS befehligten. Die Mitglieder der neuen Regierung selbst beriethen, d. h. sic stritten sich und konn ten zu keinem Entschlusse kommen. DeleScluze, der wohl einsah, daß der JnsarrectionSversuch nach der Befreiung von Trochu als gescheitert zu betrachten sei, machte sogar den Borschlag, die alte Regierung unter der Bedingung im Amte zu lassen, daß sie die Wahlen für die „Commune" gestatte. Mehrere Bataillone National- und Mobilgarden hatten sich indessen versammelt und marschirten auf das Hötel-de-Ville. Die auf dem Platze zum Schutze der neuen Regierung auf gestellten beiden belleviller Nationalgarvenbataillonc leistete» keinen Widerstand, sondern ließen sich ganz ruhig auseinan dertreiben. Die Mobil- und Nationalgarden drangen alsdann gegen 3 Uhr morgen« in das Stadthaus ein. Die Opera- non ging nur langsam von statten, da man Blutvergießen vermeiden wollte. Einige Schüsse sielen zwar, es soll aber niemand verwundet worden sein. Die Leute im Hötel-de- Ville wurden alle entwaffnet, ohne jedoch verhaftet zu wer den. Die bis dahin gefangen gehaltenen Mitglieder der provisorischen Regierung, die ziemlich arg maltraitirl wor den waren, erhielten selbstverständlich ihre Freiheit wieder. Noch in der Nacht versammelten sich die RegieruugSmitglie- der zu einer Berathung und beschlossen, dem Bersprechen betreffs de» Stattfindens der Wahlen für die „Commune" keine Folge zu geben, sondern für den 3. Nov. die Pariser zusammenzuberufen, um durch Ja oder Nein darüber zu entscheiden, ob die jetzige Negierung am Ruder bleiben solle oder nicht. Gegen die Meuterer selbst wurde nicht weiter eingeschritlen. Bieter Hugo, Louis Blanc und Schölcher, deren Namen sich auf der Liste der Mitglieder der neuen Negierung befanden, erklärten, daß sie ohne ihre Zustim mung darauf gesetzt worden seien. Ledru-Rollin zeigte sich während des 31. Oct. nicht auf dem Stadthaus«, während Felix Pyat dasselbe schon um 5 Uhr verlassen hatte. In den Kasernen herrschte während des Tages große Gärung. Die Generale sowol als die Mobilgarden aus der Provinz wollte» sich nämlich nicht Blanqni und FlourenS unterwer fen. Fall» der Putsch gelungen, so wäre eS daher wol zu einem furchtbaren Straßcnkampfe gekommen. Die Nachricht von dem bevorstehenden Waffenstillstände, an den man Frie-