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r » r r > 7 r r t 7 SächsischeSlaalszeitung Staatsan^eiger für den Freistaat Sachfen Ankündigungen.- Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf., die 66 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ei>r- gesandt 90 Pf. Ermäßigung auf Geschäftsantzeigen. Familiennachrichten u. Stellen, gesuche zur Hälfte. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr. Erscheint Werktag» nachmittags mit dem Datum des Erscheinungstages. Bezugspreis: Monatlich 5 Mark. Einzelne Nummern 20 Pfennig. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21295 — Schriftleitung Nr. 14574. Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirvkonto Dresden Nr. 140. Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Ziehungslisten der Verwaltung der Staatsschulden und der Landeskulturrentenbank, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der Landes-Brandversicherungsanstalt, Verkaufsliste von Holzpflanzen auf den Staatsforstrevieren. Verantwortlich für die Redaktion: i. B. Oskar Edel in Dresden. Nr. 8 Dresden, Donnerstag, 10. Januar 1924 Belgien und die „Psalz-Regie- rung". London, 9. Januar. Nach einer Meldung des „Daily Telegraph" ist der Schritt der englischen Regierung in Paris und Brüssel wegen der An. erkennung der Pfalz.Regierung bereits erfolgt. Frankreich habe zu dem englischen Schritte noch nicht Stellung genommen, dagegen habe die Belgische Regierung ver- sucht, ihre Haltung folgendermaßen zu begründen: Der belgische Vertreter habe nichts Wetter getan, al» eine gegebene Tatsache anznerkennen. Diese Tatsache hätte darin bestanden, daß die gesetzlichen Behörde» die Pfalz verlassen und e» den Separatisten über lassen hätte«, die Verwaltung durch,»führe«. Nur nm Unordnu«g zu vermeide«, habe der belgische Kommissar unter gewissen Vorbehalten der Anerke«n«ng der Verordnung zugestimmt, die von de« tatsächlich vorhandenen Behörden eingerricht worden sei. Nach dem „Daily Telegraph" wird England diese eigentümliche Erklärung nicht an- erkennen, da die Besatzungsbehörden auch seiner zeit nicht eingegriffen hätten, um die von den Separatisten angerichtete Unordnung zu verhindern. Bor einem neue« Separatistenpntsch. Köln, b. Januar. Der „Köln. Zeitung" zufolge bereiten «ach «eibnngen aus der Pfalz wie an» verschiedenen ««deren Städte« de» besetzten Rheinland,» dir Separatisten einen neuen Putsch vor. Der erste Staatsanwalt des Volksgerichls Würzburg hat gegen 19 Führer der pfäl zischen Separatisten Steckbriefe wegen Landesverrats erlassen, der nach den neuen bayerischen Verordnungen mit dem Tode be straft werden kann. Ermordung pfälzischer Separa- tiftensührer. Speyer, 10. Januar. Gestern abend » Uhr ist der Führer der pfälzischen Separatisten Gutsbesitzer Heinz Orbis bei Kirchheim-Bolanden im Hotel W ttelsbachrr Hof von einem Unbekannten ermordet worden. Paris, 10. Januar. Havas verbreitet über die Ermordung des Separatistrnsührers Heinz Orbis folgende Mel dung ans Mainz: Heinz Orbis wurde gestern abend >^10 Uhr in einer Wirtschaft in Speyer ermordet in dem Augenblick, als er das Essen einnehmen wollte. Es erschienen plötzlich dre Männer, riefen „Hände hoch!" und feuerten. Heinz LrbiS stürzte zu Tode ge. troffen zu Boden. Einer seiner Begleiter wnrde leicht verletzt Di« Täter habe« die Flucht ergriffe«. Ihre Persönlichkeiten konnten nicht sestgestellt werden. Die Polizei und die Be- satzuugsbehörde» habe« Haussuchungen in der ganzen Stadt vorgenomme«. Die Automobile, die die Stadt verlasse«, werde« von Patrouillen durchsucht. Das Versagen der Eiscnbahn- Regie. Berlin, 9. Januar. Die „Baseler National-Zeitung" berichtet aus dem Ruhrgebiet über die unhaltbaren Zu- stände, die durch die französische Regie in dem dortigen Verkehrswesen ein- gerissen sind. Die Franzosen weigern sich, die Verwaltung aus den Händen zu geben, weil sie nicht zugeben wollen, daß sie diesen schwierigen Apparat nicht über einen Notverkehr hinaus be- wältigen können. Bürokratismus und Fach- Unkenntnis seien die Kennzeichen, durch die sich alle Instanzen auszeichnen. Den örtlichen Stellen habe man viel zu geringe Befugnisse und Voll- machten gegeben, und durch Versuche, alles vom grünen Tisch in Mainz aus zu leiten, solange die Leitung de» Verkehrswesen» nicht wieder in deutschen Händen liege, könnten keine erträglichen Zustände ge- schaffen werden. Köln, 10. Januar. Wie der „Kölnischen Zeitung" aus dem Ruhrgebiet gemeldet wird, ist es auf den Zechen des Gelsenkirchener Bezirks selungen, die Kohlenförderung in der etzten Berichtswoche gegenüber den Ergebnissen der Vorwoche beträchtlich zu erhöhen. Den Zechen werden erhebliche Schwierigkeiten m den Weg g legt, ihre Erzeugnisse auf den Zechenbahnhöfen in die Gleise der Reichsbahn ge- angen zu lassen. Auf einer Zeche, wo die Frqpzosen die Herstellung von Koks ausgenommen »oben, stehen seit acht Tagen ungezählte Vaggons, welche die Franzosen von allen möglichen Zechen der Umgebung herbeigeschafft haben. Die Wagen versperren alle Aus- Aür die Befriedung Europas. London, 9. Januar. Tie Rede Ramsay Macdonalds am Diens- tag, die wir gestern schon auszugsweise mitgeteilt haben, bildete insofern eine große Überraschung, als man allgemein angenommen hatte, daß er sich über die Politik der kommenden Arbeiterregierung nicht ausführlich äußern werde. Die Rede hat, wie man feststellen kann, überall, auch in konser vativen Kreisen, Aufmerksamkeit erregt. Sie zer fiel in drei Teile: 1. Auswärtige Politik, 2. Arbeitslosigkeit, 3. Wohnungsfrage, über die Außenpolitik äußerte sich Macdonald etwa folgendermaßen: Die Arbeiterpartei habe Ptä«e, Vorschläge und Anregung««, die zur Wiederherstellung des Frieden» beitragen sollen. Ma« sage, daß der Krieg beendet sei. ES gebe aber keineHaupistadt in Europa, i« der , es nicht glühende Asche geb«, die durch einen plötzlich«« Wmd da» h«lle Ferrer wieder entzünden könne. Er und seine Kol legen würden in die Regierung eiutrete» mit dem feste« Vorsatz, die glühende Asch« überall auszutreten. Und, ganz gleich, ob dieArbeiterregierung sechs Mo- nate oder sechs Jahre im Amte bleiben werde, in keiner Ecke Europas soll «S mehr Feuerherde geben, die zu einer großen Flamm« ent facht werden können. Es würde etwas Große« sein, wenn England mit Frankreich, Italien, Rußland, Deutschland und alle« anderen Völkern zu einer Verständigung gelangen könne, z« eia,r Verständigung der Männer und Frauen, dt« keinen An laß zu Lritgen und Feindschaften haben. Hiermit im Zusammenhang« werde die Ar- dkiterregierung ihr Bestes tu«, um de» Völkerbund zu «i»«m wirklichen Werkzeug des Frieden» zu mache». Von Rußland könne sich England nicht mehr fernhalte«. Es müsse eine Rege lung von den Küsten Japan» bis zu den Küste« Sngla«d» geschasst« werden. In der Arbeitslosenfrage habe die bis- herige Regierung nichts getan; um sie zu beheben, müsse die Kaufkraft des großen Teils der eng lischen Bevölkerung gehoben werden. Die ganze Frage müsse vom menschlichen und nicht vom Lohnstandpunkt aus betrachtet werden. Was die Arbeiterregierung in der Arbeits- losenfrage tun wolle, sagte Macdonald nicht. Er erklärte, ein wesentlicher Teil der Lösung liege in der Wohnungsfrage. Um diese zu regeln, würden die preisverteuernden Truste und Monopole niedergebrochen werden müssen. * Macdonald? Rede ist durch ihren reichen In halt ausgezeichnet. Was ihr hinreißenden Schwung selbst beim Lesen der ersten dürftigen Berichte gibt, ist der andere Ton, der hier erklingt, ist, daß sie sich tragen läßt von sittlichem Ernst und hohem Idealismus. „Die Arbeiterpartei ist eine Partei von Idealisten, die an eine bessere und vollendetere Organisation denkt, auf die sie lang sam wie ein Pilger zuwandern werde. Die Ar beiterpartei hat sich nicht danach gesehnt, al» Erbin einer fürchterlichen Katastrophenpolilik die fuhrmüglichkeiten, sodaß die Verwaltung eine große Zahl von Feierschichten hat einlegen müssen. Alle Bemühungen bei den Franzosen, die Ausfuhrgleise freizugeben, sind gescheitert. Soziales Elend. Las Ergeb« s von Rundfragen in deutschen Großstädten. Berlin, 10. Januar. Da« v. T. veröffentlicht ans dem Ergeb- «ts der Rundfrage« bei den Ober bürgermeistern deutscherGroßstädte Angaben, a»S den«« hervorgeht, daß von der Macht zu übernehmen. Aber ihr Verantwor tungsgefühl zwingt sie dazu, um Schritt für Schritt an der Beseitigung der Übel, die die Mafien Englands und der Welt heute bedrücken, arbeiten zu können." Tas klingt nun freilich anders als das Jnteressengerede, das Feilschen und Handeln, das, hinter den verlogenen Phrasen kaum versteckt, in den üblichen Reden der Staals- männer und Politiker zum Vorschein kommt. Es ist die große Idee des sozialen Fortschritts und Aufstiegs, verbunden mit einer Verbesserung der internationalen Organisation der Beziehungen der Völker, die Macdonald proklamiert, nicht al- fernes Ideal, sondern als praktischen Inhalt der Politik des mächtigsten Reiches, dessen Geschick der Redner in wenigen Wochen bestimmen wird. Macdonald vertritt keine Politik derFeind- schaft gegen Frankreich. Er appelliert an die demokratischen Kräfte dieses Landes, um die Gegensätze zu beseitigen und zu einem Einver nehmen zu gelangen. Einvernehmen mit den früheren Verbündeten, mit den Staaten der Kleinen Entente, aber ebenso Verständigung mit Rußland, mit Deutschland und allen anderen Völkern. Als ein Mittel der Friedens politik soll der Völkerbund, vervollständigt durch den Eintritt Deutschlands, Rußlands und der Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Be- dingungen für den internationalen Frieden und für die Beseitigung des Wettrüstens schaffen helfen. Macdonald richtet deshalb einen er greifenden Aufruf an alle moralisch mutigen, demokratischen und fortschrittlichen Kräfte, die Fredenspolitik der englischen Arbeiterpartei zu unterstützen. In diesen außenpolitischen Dar legungen verbindet sich realistischer Taisachensinn mit dem idealen Streben aufs glücklichste. Ter englische Arbeiterführer will inmitten der Gegen sätze der europäischen Machlpolitik natürlich nicht England allein seiner Macht entkleiden, aber er will die Macht des Weltreichs in den Dienst einer Befriedun g Europas stellen. G Wichtiger als die Eröffnung deS Unterhauses. Die Rede Macdonalds ist erst spät abends den Zeitungen bekannt geworden, sodaß nur drei Morgenblätter einen Kommentar bringen. Tie „Times" bezeichnen sie als ein sehr ab- gestimmtes Gemisch von politischer Mäßigung und wahrer Herzlichkeit. „Morningpost" findet, daß Macdonalds Zukunflsstaat verzweifelte Ähnlichkeit habe mit jener Welt, die Lloyd George früher seinen Zuhörern so oft ge schildert habe. Am wichtigsten sind wohl die Ausführungen der liberalen „Westminster-Ga- zette", di« sich mit dem Aktionsprogramm der Arbeiterpartei einverstanden erkläre. Wenn es Macdonald gelinge den Frieden zu bringen, indem er die wichtigsten Punkte seiner Politik durchführe, so würde das Experiment, eine Arbeiterregierung als Minderheitsregierung zu schaffen, politisch ge- rechtfertigt sein. Die Pariser Blätter ver- spotten Macdonald» Programm und be zeichnen e» als „Ideen unreifer Menschen". Macdonald wolle das Paradies auf Erden schaffen. Trotz dieses Spottes geben einige Blätter zu, daß die Rede wichtiger sei als die Eröffnung de» Unterhauses. Not besonders die Kinder trotz der gerade für sie im In- und Ausland« durchgesührte« Hilfs- wrrk« am schwerste» betroffen würde». Ja Dresden hatten von de« Kinder«, die früh zur Schule kamen, gege« 700 überhaupt «och nicht» gegessen. Ta» zweite Frühstück fehlte bet den meiste« vollstäudig. Bei einer ärztliche« Untersuchung in einer VolkSühnle, die »och zu de» beste» Dresdens gehört, ergab sich, daß von 1200 Linde»« 28L an hoch gradiger Rückgratsverkrümmuug litten. In Nürnberg waren von 7850 Kinder« «000 schwer »»tereruihrt. In Leipzig müsse« 0 Prozent aller Schulkinder de« ganzen Tag ohne «armes Essen ans kommen. In München halte« im Jahre 10l2 von 711 untersuchte« Schulki«der» 2« Proze«l a« Tuberkulose gelitten. Im Jahre 102» betrug der Prozentsatz 78. In ganz Teutschland sind die Tuberkulosehrimr für Kinder und Erwachsene überfüllt. In Ham burg tonnte schon seit Mvnaten lange nicht allen Patienten rin eigenes Bett zur Versügnng gestellt werde«. I« Ehe «- »itz hatte« vo« 1288 Schulkindern 7 86 lei« eigenes Bett. I« 6Z Schlafzimmer» schlafe» je sechs Personell, in SO Schlafzimmer» je siebe», in zehn je acht, in fünf je »eun, in einem sogar zehn Personen. I« einem Fall« hanstrn sogar «lf Personen in zwei Schlafzimmer« mit vier Bette«, i« ei«em andrre» Kalle siebe« P«rfo«e« i« zwei Schlafzimmer» mit zwei Belle«. Gegen die Ausnützung der Wirtschastsmacht. Sine warnende Llimme. Berlin, 9. Januar. Ter Generalsekretär des Gesamtoerbandes der christlichen Gewerkschaften Bernhard Otte wendet sich in einem Artikel in dem Ss^er- waldschen Blatt „Ter Deutsche" mit ernsten Wonen gegen die zunehmende Neigung indu strieller Arbeitgeberkreise, die augenblickliche Schwächung der Gewerkschaften im Sinne des sozialpolitischen Rückschritts auszunützen. Wir entnehmen dem Aufsatz folgende Sätze: „Wir wollen gewiß nicht verallgemeinern und behaupten, daß alle Arbeitgeber einem unsozialen Geist »eriallen sind. Jedoch hat sich leider i« letzter Zeit in Arbeitgeberkreij«» immer mehr ei« extremer Anhang gebildet, der »ach dem Grundgedaike» handelt Wir wolle« allei« herrschen und diktiere«! Welche» werden die Folgen sei«, wenn dieses Extrem zu stärkerer praktischer Auswirkung gelangt? Wir lebe« jetzt i« einer Zeit der Not und i» einer Periode — auch das soll zugegeben werde» —, wo die Arbeitnehmer iofolge der Entwicklung, die «»besondere da» letzte Jahr genommen hat, stark geschwächt si»d. Infolge dessen braucht es auch nicht wnuderzunehme», wen» sich schließlich weite Ardeiluehmer- kreise einem auf sie ausgeüdte» Zwange füge». Diese» Sich-ASgen beruht aber «icht auf iu»erlicher Erk«»»tttiS »»d Bereit willigkeit. viele werde» eine Kaust in der Tasche macheu, ja Schwächlinge werde» sich i» der Not sogar »och i» ä»ßerer Liebedienerei ergehe». Aber die so i» Ardrittiehmerkreise» »»»gelöste Stimmung »ad Einstellung kau» keine« Bode» abgebe«, auf dem die Wirtschaft u»d das Volt-ganze gtdeih«« könne». Kerli»gkrte Arbeitszeit i» der Ä«lii»d»ßrie. Berlin, 9. Januar. Die Kaliindustrie versucht, ebenso wie die Kohlenindustrie, eine verlängerte Arbeitszeit für die Belegschaften durcbzusetzen. Turch Schieds spruch der Schlichtungskammer ist die reine Ar beitszeit unter Tage, abzüglich einer halb stündigen Pause, ohne Ein- und Ausfahrt, jetzt auf 8 Stunden festgesetzt worden. In durchgehenden Betrieben soll in zwei Schicht«« ge arbeitet werden. Die Unternehmer haben ver sprochen, die Löhn« „angemessen" zu erhöhe«, wenn eine Steigerung der Förderung eintritt. Turch die Verlängerung der Arbeitszeit wird ei»e Entlassung von Arbeitern notwendig werden. Macdonalds Programm.