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Ottendorfer Zeitung. Die „Dttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich 1 Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, vormittag I» Uhr. Inserate werden mit 10 Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 99. Mittwoch, den 19. August 1903. 2. Jahrgang. Nus der Woche. „Kronrat" sollte schon am Donnerstag statt finden; er ist auf Freitag verschoben worden, nachdem sich am Donnerstag Graf Bülow mit einzelnen Ministern besprochen und dann dem Kaiser Vortrag gehalten hatte. Darauf wurde er vom Kaiser zu Tische geladen und Herr v. LukanuS ebenfalls. Man wollte darin ein übles Vorzeichen für den einen und den andern Minister erblicken; in Wirklichkeit hat sich auch Herr v. Lukanus noch am Donners tag abend die Stiefel wichsen lassen; am nächsten Tage hätte er mehrere Wege zu machen. Wahr scheinlich doch solcher Art, wie sie Freiligrath dem Obereunuchen andichtet, der vom Sultan geschickt, dem Pascha „grinsend reicht die seidne Schnur". Bei uns macht es ein blauer Brief und wenn der Abschied genommen ist, winkt immer noch in der Ferne ein Oberpräfidenten- posten. Man weiß ja, daß die große Mehrzahl von den wegen ihrer Abstimmung in dec Kanal frage ihres Amtes entsetzten Landräten nach einiger Zeit wieder im Staatsdienst angestellt wurden, allerdings in höheren Stellen. Also allzuschlimm ist es mit der Entlassung eines Ministers nicht, wenngleich im ersten Moment der Schmerz, eine so gute und einflußreiche Stellung verlassen zu müßen, nicht gering sein Mag und nicht jeder von den Herren so leichten Herzens darüber hinwegkommt wie jener eine, der sich „nich mit den Lausekanal vor'n Bauch stoßen lassen", dagegen „nach de Heuernte Verduften" will- Die Kaiserin war in schlesi schen und posenschen Überschwemmungsgebieten und wenn die hohe Frau auch nicht imstande ist, die traurigen Folgen schwerer Unterlassungs sünden von anderer Seite her auch nur an nähernd gut zu machen, so legt die immerhin nicht unbeschwerliche Reise durch die ver wüsteten Gebiete doch Zeugnis ab von dem Mitgefühl für die Ärmsten der Armen, denen eine tückische Hochflut all ihr Hab und Gut zerstört und geraubt hat. Und jeder der Un glücklichen, der auch nur mit einem Trostwort bedacht wurde, wird der hohen Frau für ihre Teilnahme dankbar sein. Der Gesamteindruck ist ein vorzüglicher: Eine teilnehmende Landes- lNutter und ein erkenntliches Volk. Nun kommen aber Liebediener daher und verwischen das schöne Bild bis zur unkenntlichen Verzerrung. Da giebt es leider eine ganze Reihe von Blättern, die sich in Byzantinismus überschlagen und die Reise der Kaiserin in einer Art feiern, die unserer Zeit unwürdig ist. Da kommen Wendungen vor, bei denen man sich fragt, ob der Verfasser recht bei Sinnen ist. Hier eine Probe: „Die Kaiserin betrachtete das Werk der Zerstörung voll tiefen Mitleids, aber doch fand sie Kraft, auch hier Mut zuzusprechen" rc. Solche würdelose hohle Pathetik kann nur ein verächtliches Lächeln Hervorrufen und schadet der Sache empfindlich, der sie scheinbar dienen soll. — In Paris waren dieser Tage Menschen leiber feil, Swick für Stück um zehn Pfennige. Wir wollen beileibe nicht angesichts dec furcht baren Katastrophe Scherz treiben, aber es steht sest, wenn ein unvernünftiges Publikum nicht die drei Sous Fahrgeld stürmisch an der Kasse zurückvcrlangt hätte, sodaß dadurch die Aus gänge versperrt wurden, so hätte wohl ein gfoßec Tei: der 85 Erstickten gerettet werden können. Um weniger Groschen willen mußten 80 Familien in Trauer versetzt, teilweise ihrer Ernährer beraubt werden. Dec Gedanke ist lchrecklich, und die Tragödie ereignete sich in der „ersten Stadt der Welt", mitten in der Hauptstadt des Volkes, das an der Spitze der Zivilisation marschiert. Und in derselben Stadt ipielt sich gegenwärtig ein Prozeß ab, dessen Tatbestand vor einem Jahre die größte Sen sation hervorrief: der Humbertschwindel. Aber Therese Humbert entspricht den Erwartungen bicht, die sich an ihr Auftreten vor Gericht knüpften. Eine geniale Schwindlerin ist sie, d»S muß ihr der Neid lasten. Aber eine be ¬ deutende Lügnerin ist sie nicht. Ihre Aussagen und Ausreden sind von einer Hilflosigkeit, die fast Mitleid erregen muß! Aber alles in allem behauptet sie jetzt noch steif und fest: die Millionen sind da, niemand wird um einen Frank geschädigt werden, und die Crawfords existieren, wenn auch unter anderem Namen. Ihr zur Seite steht als Anwalt Labori, der auch Dreyfus in Rennes verteidigt hat und sich damals einen Namen machte. Aus dem ganzen Humbsrtprozeß wird nicht vnl herauskommen; die große Therese wird auf einige Zeit ins Kittchen wandern und wenn sie entlasten wird, dann kann sie ihren Schwindel aufs neue be ginnen. Denn die Zeugenaussagen ergeben, daß es noch eine ganze Anzahl von Leuten giebt, die an Therese glauben und sie als das Opfer einer . . . politischen Verschwörung halten. — Rußland hat in der abgelaufenen Woche ein verblüffend tüchtiges Stück Politik geliefert. Bekanntlich will und soll es die Mandschurei räumen. Der Zar hat jetzt da selbst einen Statthalter eingesetzt! Unbekümmert um die eigenen Versprechungen und die drängen den Forderungen Englands, Amerikas und Japans! — Auch in Mazedonien wirds wieder lebendiger, wenngleich die Ermordung des an maßenden russischen Konsuls Nostowsky durch einen türkischen Soldaten damit in nur äußer lichem Zusammenhänge steht. Ob nun auch ein türkischer Sühneprinz in Petersburg den Kotau machen soll? — König Peter soll be reits die Königswürde satt bekommen haben. Die Königsmörder sind jetzt in Serbien die eigentlichen Herrscher, gegen die der neue Peter nichts auszurichten vermag, denn . . . Blut ist ein ganz besonderer Saft. Als Düngemittel erzeugt er Frechheit, wenn man ihm nicht mit scharf beizenden Mitteln entgegenarbeitet. OerLliches und Sächsisches. Dttendorf-Dkrilla, ,s. August 1903. — Es ist Pflicht eines jeden Obstbaum besitzers, besonders in der jetzigen Jahreszeit die Ob st bäume fleißig zu düngen und zu gießen, denn jetzt bilden dieselben die Blüten knospen für das nächste Jahr vor und wollen deshalb schon kräftig genährt sein. — Über die Höhe des Finderlohneö herrschen im Publikum irrige Anschauungen. Früher betrug der Finderlohn gesetzlich 10 pZt. des gefundenen Wertes. Das Bürgerliche Ge setzbuch hat aber darin Wandel geschaffen. Der Finderlohn beträgt bei Werten bis zu 300 M. 5 vom Hundert, bei größeren Werten 1 vom Hundert. Der Anspruch auf Finderlohn ist ausgeschlossen, wenn der Finder die Anzeige pflicht unterläßt oder den Fund verheimlicht. Auch kann strafrechtliche Verfolgung wegen Zunddiebstahls oder Unterschlagung eintreten. Lomnitz. Am vergangenen Donnerstag entwendeten, wie jetzt ermittelt worden ist, zwei aus Radeberg stammende Schulmädchen der Gutsbesitzerin Kotte hier aus einem Schranke zwei Portemonnaies mit 23 M. und bezahlten Anweisungen für das Proviantamt Dresden im Werte von 150 M. Die Diebinnen sind zur Anzeige gebracht und sehen jetzt ihrer Bestraf ung entgegen. Radeburg. Am vergangenen Sonntag wurde hierselbst der 25. Verbandstag der Schneider-Innungen Sachsens, der sächsischen Herzogtümer und Thüringens mit einer Vor versammlung im Schießhaussaale eröffnet. Radeburg. Schwer verletzt wurde gestern vormittag der Sohn des Besitzers vom „Deutschen Haus" Herr Klotzsche. Derselbe wurde durch einen wildgeworden Bullen so heftig an die Wand gedrückt, daß er innere Verletzungen er litt und sich sofort in ärztliche Behandlung be geben mußte. Dresden. Am Sonnabend nachmittag stürzte auf der Reinickstraße ein Dachdecker vom Dachgeschoß, beziehentlich einem darauf befind lichen Turme auf die Straße herab. Der Un glückliche fiel mit dem Kopfe auf einen Ziegel- jaufen. Der Verunglückte blutete stark. In dem herbeigerufenen Krankenwagen wurde er nach dem Johannstädter Krankenhause gebracht. Der Mann ist verheiratet und hat Familie. Er ist noch am Abend verstorben. — Das dritte Bataillon des hiesigen Grenadier-Regiments Nr. 101 begab sich gestern behufs Abhaltung von Übungen von Klotzsche aus nach Königsbrück. Das erste Bataillon dieses Regiments kehrte zu gleicher Zeit ebenfalls mit Sonderzug, von Königsbrück nach seiner Garnison zurück. Üllersdorf. In der Nacht von Sonntag zum Montag brach hier ein großes Feuer aus, )aß das Gut des Herrn Henker bis zum Grund zerstört hat. Von dem Gebäudekomplex von 6 Häusern ist fast nichts mehr übrig ge ilieben, da alles aus Holz und Fachwerk be- tand. Fünf Minuten vor 12 Uhr ging der Feuerruf durch das Dorf und in wenigen Minuten sprang die Flamme von der kleinen Scheune, wo sie ausgekommen war, nach der großen über, um bald die Ställe und Wohn häuser zu verzehren. Elf auswärtige Spritzen waren auf der Brandstelle erschienen. Menschen eben sind nicht zu beklagen, der Material- chaden aber ist bedeutend. Allgemein geht die Meinung dahin, daß das Feuer angelegt sein müße und laß irgend welcher Racheakt vorliege, es fehlt aber jede Spur. Großenhain. Mit dem Fahrrade des Gerichtsvollziehers, „der beim Meister im Hause wohnte", durchgebrannt ist der Lehrling eines hiesigen Stellmachermeisters. Hoffentlich ge- ingl es, den törichten Jungen bald festzuhalten, damit er nicht noch dümmere Streiche macht. — Beim Neubau der Realschule ereignete ich am Sonnabend ein Unfall insofern, als beim Aufziehen eines ca- 10 Zentner schweren, zur Bekrönung eines Erkervorbaues dienenden Sandsteinblocks, der die Jahreszahl 1903 ein gemeißelt trägt, ein Haken am Flaschenzug brach und der Steinkoloß in die Tiefe stürzte. Glücklicherweise ging der Unfall ohne Beschädig ung von Menschen ab. Der Stein fiel auf lockeren Boden, und erlitt so ebenfalls keine Beschädigung. Großröhrsdorf. Die hiesige Gemeinde ist mit einer Stiftung bedacht worden. Die am 8. Juni dss. Jahres verstorbene Rentnerin Frau Karoline Wilhelmine verw. Nitsche geb. Philipp hat der Gemeinde in hochherziger Weise 3000 Mark mit der Bestimmung übergeben taffen, daß die jährlichen Zinsen an ihrem Todestage an 8—10 Arme verteilt werden. Lausigk. Auf hiesigem Bahnhof sind am Sonnabend beim Ümsetzen der von Leipzig ein getroffenen Personenwagen des Zuges Nr. 1612 in der Geithainer Einfahrtsweiche zwei Per sonenwagen dritter Klaffe entgleist. Verletzt wurde dabei niemand, jedoch wurde der Ver kehr über die genannte Weiche längere Zeit ge sperrt. Leipzig. Die Rachsucht eines Brauers wurde vom hiesigen Landgericht mit einer Strafe belegt, welche die vollste Zustimmung aller an ständigen Leute finden wird. Am 28. März dieses Jahres wurde in der Vorstadt Lindenau ein 2'/g jähriges Kind durch Überfahren sofort getötet. Auf dem betreffenden Wagen befand sich außer dem Führer auch der Brauer Geb hardt, welcher dann an Amtsstelle bekundete, daß den Wagenführer nicht das geringste Ver schulden treffe. Später ward Gebhardt aus seiner Stellung entlassen und war er der Mein ung, daß der Geschirrführer die Ursache dieser Maßregel sei. Jetzt trat er plötzlich mit der Behauptung auf, daß der Geschirrführer ganz allein die Schuld an obigem Unglück trage; das Resultat seiner Bemühungen war indessen, daß er wegen wissentlich falscher Anschuldigung mit vier Monaten Gefängnis belegt wurde. ,-Wilkau. Die amtliche Meldung über das am Sonntag abend zwischen Rothenkirchen und Obercrinitz stattgefundenen Eisenbahnunglücks lautet: „Der Sonn- und Festtags verkehrende Personenzug 3153 ist am 16. d. M. abends halb 10 Uhr zwischen Rothenkirchen und Ober crinitz mit Maschine und 12 Personenwagen entgleist, von denen 10 umgeworfen und 8 zer trümmert wurden, während die Lokomotive vom Damme abstürzte. Getötet sind 3 Personen: August Höhlig: Bergarbeiter, Emma Pampel, Bergarbeitersehefrau, und Bergarbeiter Wenzel aus Niederplanitz. Verletzt sind etwa 30 Per- onen. Der Materialschaden ist bedeutend. Der Personenverkehr wird durch Umsteigen aufrecht erhalten. Die Ursache der Entgleisung ist noch nicht bekannt; das Gleis wurde in vorschrifts mäßigem Zustande befunden. Der General direktor und ein Oberbaurat der Staatseisen bahnen begaben sich am Freitag früh von hier aus sofort an die Unfallstelle." Von anderer Seite wird dem „D. A." noch gemeldet: Der Eisenbahnunfall erfolgte an einer sehr starken Kurve. Der Lokomotivführer des verunglückten Zuges, namens Lohse aus Kirchberg, soll nach Angabe der unverletzten Pasiagiere übermäßig schnell gefahren sein, sodaß die Wagen während der Fahrt hin und her geworfen worden sind und die Passagiere den Schaffnern meldeten, daß sie ängstlich seien und auf der nächsten Station aussteigen würden. Der eine der Schaffner vertröstete sie. Einige Augenblicke darnach trat das Unglück ein. Der Zug führte 18 Wagen und war vollbesetzt mit Sonntags- ausflüglern. Die Entgleisung geschah unter einem starken Krach. Die Wagen fuhren in einander. Eine entsetzliche Panik entstand. Schaurig waren die Szenen, die sich den über lebenden Paffagieren boten,herzzerreißend klangen die Hilferufe aus den zertrümmerten Wagen heraus. Die Toten waren furchtbar verstümmelt. Die Räder der entgleisten Wagen stehen nach oben, die Wagen selbst sind arg zertrümmert. Der getötete Bergarbeiter Wenzel hinterläßt eine Frau mit 4, der Bergarbeiter Höhlig eine Frau mit 8 Kindern im Alter von 10 bis 16 Jahren. Der Name eines getöteten Kindes konnte noch nicht festgestellt werden. (Im amtlichen Bericht verlautet nichts von einem getöteten Kinde.) 50 Personen mußten verbunden werden, unter diesen befinden sich viel Schwerverletzte. Diese wurden in die Krankenhäuser der Umgegend überführt, die Toten kamen in die Leichenhalle zu Bärenwalde. Weiter wird noch gemeldet: Die Lokomotive ist 36 Meter weit in ein Hafer feld hineingefahren. Der Zug wurde zerrissen, wodurch 12 Wagen ohne die Maschine teils nach links, teils nach rechts umfielen. Entsetz liche Hilferufe ertönten aus den Fenstern. Be herzte Personen schlugen die Fenster ein und brachten so den Ünglücklichen die erste Hilfe. In dem Zuge befanden sich unter anderen ein 74 Mann starker Gesangverein aus Nieder planitz und ein 44 Mann starker Verein aus Saubersdorf. Das Unglück konnte nicht rasch weiter gemeldet werden, da die Telegraphen stangen umgerissen und die Leitungsdrähte zer rissen worden waren. Schwer verwundet sind 20, leicht verwundet 25 Personen. Von den Verletzten ist noch einer im Krankenhause Kirch berg gestorben, vier sind in Bärenwalde, einer im Kreiskrankenstifte zu Zwickau, die übrigen sämtlich in ihren Behausungen untergebracht. Aerztliche Hilfe war sofort zur Stelle. Der Lokomotivführer Lohse sprang von der Maschine ab, ihm wurde bei dem Unglück ein Ohr ab- gerissen, er fiel vor Schreck in Ohnmacht und konnte bisher noch nicht vernommen werden. Die Toten sind bis zur Unkenntlichkeit ver stümmelt. In den umgestürzten Wagen sieht es furchtbar aus, sie sind über und über mit Blut befleckt. Die Leichtverwundeten haben meist Quetschungen erlitten, den meisten waren die Augen stark verschwollen. Als Vertreter der Staatsanwaltschaft ist Herr Staatsanwalt Klüber an der Unsallstelle eingetroffen; die Wagen sind 1 Nieter tief den Bahndamm herabgestürzt. Das Gleis ist vollständig unbe schädigt. — Der Verkehr konnte Montag nach mittag wieder ausgenommen werden.