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für Reichenvmnd, Siegmar, Neustadt und Rabenstein. Dieses Blatt wird an jede Haushaltung der obigen Gemeinden unentgeltlich vertheilt. ^2 16. Sonnabend, den 25. April 1903. Erscheint jeden Sonnabend Nachmittags. Anzeigen werden in der Expedition Meichenbrand, Pelzmühlenstraße 47 v), sowie von den Herren Barbier Bast in Reichenbrand, Buchhändler Clemens Bahner in Siegmar und Kaufmann Emil Winter in Rabenstein entgegengenommen und pro Ispaltige Corpuszeile mit 10 Pfg. berechnet. Für Inserate größeren Umfangs und bei öfteren Wiederholungen wird entsprechender Rabatt, jedoch nur nach vorheriger Vereinbarung, bewilligt. Gefunden wurde L Geldtäschchen mit Inhalt. Zum Zwecke der Ermittelung des rechtmäßigen Eigentümers wird solches hiermit zur öffentlichen Kenntnis gebracht. Reichenbrand, am 24. April 1903. Der Gömeindevorstaud. Möget. Bekanntmachung. Für die Neuwahlen zum Reichstage ist der hiesige Ort mit Rittergütern in zwei getrennte Wahlbezirke einzuteileu, und es sind für jeden Bezirk getrennte Wahllisten aufzustellen. Zu diesem Zwecke werden alle diejenigen Einwohner, welche ihre Wohnung gewechselt und bisher eine Ummeldung noch nicht bewirkt haben, aufgefordert, das Versäumte nunmehr sofort im Rathause zur Vermeidung von Nachteilen, ev. Bestrafungen nachzuholen. Rabenstein, den 23. April 1903. Der Gemeindevorstand. Wilsdorf. Bekanntmachung. Die im Vorjahre ausgeaebenen Erlaubniskarten zum Leseholzsammeln für das Staatsforstrevier Rabenstein sind bis 5. Mai anher zurückzugeben. Bis zu gleichem Zeitpunkte haben sich diejenigen Personen, welche solche Karten für die neue Periode vom 1. Juli 1903 bis 15. April 1904 wünschen, bei dem unterzeichneten Gemeindevorstand zu melden. Rabenstein, am 23. April 1903. Der Gemeindevorstand. Wilsdorf. Lori. (Nachdruck Original-Roman von Irene v. Hellmuth. (Schluß). Berneck nickte trübe. „Und den Brief, hast Du ihu noch?" „Jawohl, hier ist er, ich habe ihn gut aufbewahrt (»Ak? haben koMie. Wäre er nicht zufällig da drinnen gelegen, so wäre er wahrscheinlich auch mit verbrannt." Berneck nahm den Brief, den der Freund ihm reichte, aber kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, als er auch schon höchst erregt von seinem Stuhl in die Höhe fuhr. „Gott, — wo habe ich doch diese Handschrift gesehen — richtig — kein Zweifel, es ist die Helenens! — Und doch, wie käme gerade sie, der ich nichts als Wohltaten erwies, dazu, solche abscheuliche, wissentliche Unwahr heiten gegen mich auszusprechend Ich muß der Sache auf den Grund kommen." Noch an diesem Tage schrieb Berneck an Helene und beschuldigte diese ohne Umschweife als die Brief schreiberin. „Wenn mein Kind stirbt — trifft Dich die Schuld, — Dich allein, Du elendes, undankbares Geschöpf, sieh' zu, wie Du es vermagst, das alles zu ertragen." Helene leugnete nicht. Sie bat de- und wehmütig um Verzeihung. Sie legte in einem langen Briefe den Grund ihres Handelns — die Liebe zu Johannes — dar, und schrieb dann weiter: „Verzeihe mir, liebster, bester Onkel, ich bin ohne dies gestraft genug für mein abscheuliches Tun. Ich bin unglücklicher als Du, glaube mir! Mein Mann ist ein Egoist, der mich schon jetzt bei Seite schiebt, wie ein abgetragenes Kleid. Er spielt und ver geudet das Geld in unglaublicher Weise, so daß, wenn es so weiter geht, in nicht zu ferner Zeit nichts mehr da sein wird. Denn Tante Kathinka in ihrer Schwäche vermag Theo so wenig Einhalt zu tun, wie ich. Er fordert ungeheure Summen und erhält sie auch. Dazu kommt noch, daß ich mich mit Kathinka absolut nicht vertragen kann; es ist das Schrecklichste, so ganz und gar von diesem herrschsüchtigen Weibe abhängig zu sein. Das Wenige, das ich für mich verbrauche, erscheint Kathinka immer noch zu viel. An mir will sie sparen, was Theo unnütz verbraucht. Ach, und ich bin so genügsam geworden, — die Zukunft aber erfüllt mich mit Angst und Grauen, — Du siehst also, — das Schicksal hat Dich gerächt, — was willst Du noch?" Da der Winter mit ungewöhnlicher Strenge auf trat, und täglich neue Schneemaffen vom grauen Himmel herabfielen, auch Loris Zustand sich immer mehr verschlimmerte, so wurde es Berneck schwer, den Freund täglich zu besuchen, und er bat ihn deshalb, ganz auf den Gutshof zu ziehen, um bis zum Wieder aufbau der abgebrannten Häuser und Speicher da zu wohnen. Nach längerem Widerstreben willigte Linde mann ein. Lori konnte man nun die Sache nicht mehr verschweigen, auch versprach sich der Arzt, den man endlich in alles eingeweiht hatte, Besserung für seine Patientin, wenn diese von der Versöhnung erfuhr. Lindemann war kaum im Stande, seine Bewegung zu verbergen, als er zum erstenmal in die matten, glanzlosen Augen Loris sah, und ihre abgezehrten stand Lori als ein lachendes, jauchzendes, blondlockiges Kind, das in ungestümer Jugendlust mit Johannes im Garten herumtollte, mit roten Wangen, mit blitzenden blauen Augen. War es möglich, daß dies bleiche Köpfchen hier und das von Gesundheit trotzende Kind von einst ein und dasselbe Wesen war? Ein sanftes Lächeln flog um den kleinen Mund Loris, als sie von der Wandlung erfuhr, die sich ungeahnt vollzogen hatte. Keiner aber wagte ihr zu sagen, daß ihnen der Aufenthalt von Johannes noch immer un bekannt war, und wenn Lori mit rührender Stimme und nimmermüder Geduld immer vou neuem fragte: „Nicht wahr, jetzt kommt Johannes bald?" da wurde sie stets getröstet: „Ja, gewiß, liebes Kind, sehr bald, er ist nur recht weit fort, und hat eine lange Reise zu mache»." Sie fragte uicht einmal, wo er denn sei. Er würde komnien, daran hielt sie fest, die Hoffnung auf ein Wiedersehen war vou neuem erwacht, und wehrte dem Todesengel, der schon die Hand nach seiner Beute ausstreckte. So saßen die beiden Freunde an den langen Winter abenden am Bett der Kranken und sprachen von allem Möglichen, um diese zu zerstreuen. Lindemann erzählte gern und viel von Lorchens Mutter, die er geliebt hatte als Jüngling, „doch," fügte er, sich an Berneck wendend, hinzu: „als wir eingesehen hatten, daß wir uns trennen mußten, weil es die Verhältnisse so mit sich brachten, als Klärchens Herz so nach und nach Dir zuwandte, da trat ich frei willig zurück, und niemals, das schwöre ich Dir, ist in späteren Jahren ein Wort zwischen uns gewechselt worden, das unrecht gewesen wäre, und das sich nicht mit Deiner Ehre vertragen hätte. Unser Verkehr war ein harmloser, rein freundschaftlicher, und wenn Deine Frau eine Verbindung unserer Kinder wünschte, so entsprang dies nur der Freundschaft, die uns verband. Klärchen liebte Dich und war glücklich an Deiner Seite, dessen bin ich gewiß. Wenn wir damals, nachdem Deine Frau gestorben war, beide die Erfahrungen hinter uns gehabt hätten, wie heute, so hätten wir uns sicher leichter verständigt. Wir waren beide hitzig und starr köpfig, ich glaubte im Gefühle meiner vollständigen Unschuld Deine Anschuldigungen nicht energisch genug zurückweisen.zu können." Berneck fand eine große Beruhigung in des Freundes Worten, bannten sic doch die letzten Zweifel über die Reinheit seiner Frau aus seiner Seele. Die fortgesetzten Aufrufe iu den Zeitungen fielen dem Chef eines der größten Elektrizitätswerke Süd deutschlands in die Hände, und erregte seine Aufmerk samkeit. Er rief einen nebenan arbeitenden Mann mit grauen Haaren herbei und fragte: „Sagen Sie mir, Matthieu, hieß denn der junge Mann, den wir zugleich mit Ingenieur Baumgart zur Errichtung einer elektrischen Zentrale nach Kairo sandten, nicht Johannes Lindemann?" „Hm, — es könnte sein, daß es ein und derselbe wäre." Der alte Mann stand in devoter Haltung vor seinem Chef, und dieser fuhr fort: „Gehen Sie doch einmal gleich und benachrichtigen Sie telegraphisch die Angehörigen Lindemanns von allem, was Sie über ihn wissen, hier — die Adresse — aber gehen Sie so fort, Matthieu." Der Alte entfernte sich. Depeschen flogen hin und her und noch am selben Tage ging ein Telegramm an Johannes ab: „Komme sofort zurück, Lori totkrank, sehnt sich nach Dir!" Nachdem Johannes in jenen schwersten Stunden seines Lebens die Bischosseiche verlassen, und eine stürmische Unterredung mit seinem Vater gehabt hatte, wandte er mit tiefem Schmerz im Herzen der Heimat den Rücken, ohne einer Menschenseele zu verraten, wohin er seine Schritte lenkte. In verhältnismäßig kurzer Zeit fand er eine Stelle, und es war ihm gerade recht, daß man ihu bald darauf ins Ausland sandte, wo es Arbeit, viel Arbeit für ihn gab und er am ehesten hoffen durste, seinen Schmerz vergessen zu können. Zwar wollte ihm das nicht gelingen, immer und immer wieder stand das Bild der Geliebten vor seiner Seele, er konnte es nicht bannen. Da traf eines Tages das Telegramm ein, und stürzte ihn in ein Meer von Zweifeln, Hoffnung und Angst. Er konnte sich zwar nicht erklären, wie dies alles zusammenhiug, beschloß aber sofort, dem Ruse zu folgen. Doch mußte er erst das Eintreffen seines Vertreters abwarteu, ehe er daran denken durfte, seinen Posten zu verlassen. Die Ungeduld verzehrte ihn fast, — endlich, endlich durfte er reisen, er gönnte sich keine Ruhe, ohne Unterbrechung legte er die ihm endlos dünkende Fahrt zurück, immer seinen quälenden Gedanken hin gegeben. Er hatte kein Auge für die Reize der Land schaft da draußen, nur vorwärts strebte er, immer vorwärts. In Genua, wo er längeren Aufenthalt hatte be schloß er, einige Geschenke für Lori einzukaufen. Als er sinnend dahin wanderte und nicht wußte, was er wählen sollte, kam ihm plötzlich ein schrecklicher Gedanke. „Wie, wenn er die Teure uicht mehr antras?" „Totkrank," so hat es auf der Depesche geheißen. Wenn sie gar schon tot war, und er zu spät kam, die Geliebte aus Herz zu drücken? Was dann? Er fühlte einen heftigen Schmerz bei dieser Vorstellung und lief,