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Freitag. Nr. 43. 3. Juni 1870. Erscheint Dienstagsund Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Weißerih-Zeitung. H. Ms- und Anzeige-Matt der Königlichen Gerichts-Ämter vnd Itadtrüthe zu Dippoldiswalde und /raueustei«. Dersntworilicher Nrdsrtrur: Lari Lehne in Dippoldiswalde. Pfingsten. Die Pfingstensonne strahlt vom Himmel Und ob dem All schwebt Gottes Geist. Der Wesen fröhliches Gewimmel Den Quell deS Lichts und Lebens preist. Er wird auss Neue auSgegoffen Heut' über alle Creatur, Und abertausend Keime sprossen Und marken dieses Geistes Spur. Es tönet sein allmächtig „Werde!" Sein Schöpferruf an jeglich Ohr. Im Blüthenschmucke prangt die Erde, Den Wald durchschweift der Vögel Chor. Selbst in des Meeres tiefsten Gründen, Wie auf der Berge steilsten Höh n, DeS Geistes Lebensströme münden, Des Geistes Oriflammen weh'n. Der Menschengeist, deS Ew'gen Odem, Vernimmt zuerst den Pfingstengruß, Und mit ihm drücken Himmelsboten Auf seine Stirn den Weiheruß. ES braust der Sturm, der Donner brüllet, Und Blitze zücken durch das HauS — Der Tag der Pfingsten ist erfüllet, Der Geist »heilt seine Gaben au». Wie mannichfach find diese Spenden! Der misst deS Himmels weiten Raum, Der dringt bis an der Erde Enden, Der pflügt daS Feld und pflanzt den Baum, Der malt mit Farben oder Tönen, Der wölbt auS Stein den hohen Dom, Der singt vom Göttlichen und Schönen — So einen Bäche sich zum Strom. Und dieser Strom schafft uns ein Eden, Wie giftig auch die Schlange zischt. Den Geist aus Geist kann nimmer tödten Der Bosheit und deS Wahnes Gischt. — Wohlan, so laßt uns Pfingsten halten In rechter Geisteseinigkeit, Vergeistigt Formen und Gestalten — Der Geist ist's, der den Sieg verleiht! Monats-Bericht. Während des abgelanfenen Monats wendete sich das allgemeine Interesse wieder den vaterländischen Angelegenheiten zu. Zu Anfang des Monats tagte das Zoll Parlament und brachte zwar einer seits eine Erhöhung des Kaffeezolls, andrerseits aber auch die so lange gewünschte Tarifreform. Auf das Zollparlament folgte die Wiedereröffnung des Reichs tages, und hier war es in erster Linie die fort gesetzte Berathung und schließliche Annahme des Straf gesetzbuches für den norddeutschen Bund, welche die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ein besonders lebhafter Kampf entspann sich über die Frage der Beibehaltung oder Beseitigung der Todes strafe. Es ist dies keine politische Parteifrage, sondern eine Frage der Cultur, der Humanität, des Gewissens, und darum finden sich unter den Anhängern und Gegnern der Todesstrafe die ehrenwerthesten Männer aus allen Parteien. Von besonderem Interesse war es, unter den rückhaltlosen Gegnem der Todesstrafe auch --den katholischen Pfarrer Dünger zu finden, während seine Amtsbrüder in der bayerischen Kammer insgesammt für Beibehaltung der Todesstrafe gestimmt haben. Gelang es auch schließlich, für die Todes strafe in beschränkter Weise, eine kleine Majorität von 8 Stimmen zu gewinnen und damit die Annahme des Gesetzes herbeizuführen, so ist doch die Ueber- zeugung allgemein, daß der Todesstrafe das Tod es - urtheil gesprochen ist und ihre Existenz unter den Culturvölkern kein Jahrzehnt mehr währen wird. Abgesehen vo>l dieser nicht in unserem Sinne ent schiedenen Frage, begrüßen wir das Strafgesetz als einen wesentlichen Fortschritt im Gebiete der nationalen Rechtseinheit, und können dabei den Wunsch nicht unterdrücken, daß schon der nächste Reichstag uns den Abschluß der noch weit dringlicheren Civilproceß- ordnung bringen möge. Wenden wir uns den übrigen europäischen Staaten zu, so waren es wiederum Frankreich und Oester reich, mit denen sich die öffentliche Meinung vielfach beschäftigte. In Frankreich fand zu Anfänge des Monats Mai die Volksabstimmung statt, welche, wie be kannt, zu Gunsten des Kaiserreichs ausfiel. Nur in den großen Städten, welche allerdings die Sammel-