Volltext Seite (XML)
Erscheint täglich nachm, mit Ausu-i'me der Scan-u. Festtage. Bezugspreis: Vierteljahr!. 1 Mk. SV Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 6858. Bei autzerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 10 Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit. vircbamclrerrl. HeHakilon mul LescdäMrieller Dresden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Nhr. Fernsprecher: Amt I. Nr. 1566. Sir. 114. Katholiken: Bcrnardin. Mittwoch, den 20. Mai 1903. Protestanten: Anastasus. 2. Jahrgang. (sine englische Drohung und ihre wahr scheinlichen Holgen. Minister Ehamberlain hat, wie wir gestern mitteilten, in seiner Vaterstadt Birmingham wieder einmal eine bemerkenswerte Rede gehalten, die mit Recht diesseits nnd jenseits des Kanals allgemeine Beachtung findet. Kein Wunder, denn seine Rede bedendet: Krieg! Krieg den verstockten Freihändlern in England selbst, Krieg aber auch allen Staaten, die nicht anerkennen »vollen, daß Old Eng land mit seinen Kolonien auf ihre Kosten sich verständigt und ans dem Handel Europas insbesondere Riemen schneidet, nm damit das britische Gesamtimpcrinn» fester zu verknüpfen. Diese letztere Drohung, die anf einen großen Zoll krieg hinanslänft, richtet sich zunächst gegen Deutschland, das von Ehamberlain auch ausdrücklich genannt wurde; und sie ist verursacht durch den Zollstrcit des Deutschen Reiches mit Kanada, der großen nordamerikanischen Koloine Englands. Es scheint also, daß »vir »»ach Eham- berlains Airsicht die Differential- oder Kampfzölle, die Kanada auf deutsche Waren gelegt hat, uns ruhig nnd ohne Gegenwehr gefallen lassen müßten. Ehamberlain geberdet sich, als hätte Deutschland Kanada angegriffen und dadurch das englische Mutterland vor die Frage gestellt, ob es seine Kolonie „verteidige»»" könne nnd solle oder nicht. Diese „Verteidigung" kam» nach Lage der Tinge mir darin bestehen, daß auch das englische Mutter land die deutsche Einfuhr mit Zöllen belegt, die so hoch sind, daß sie einer Ausschließung der deutschen Waren vom englischen Markte gleichkommen. Wäre nun England in einen» solche»» Zollkriege »m Recht? Handelt es sich bei den Vorzugszöllen zwischen England und seinen Kolonien, durch welche die vertrags mäßige Meistbegünstigung Deutschlands verletzt, dieses also zu Gegenmaßrcgeln gezwungen winde, wirklich nur um „eine Familienabkommen", wie Ehamberlain meinte, „welches Niemand etwas angeht?" O nein, die Kolonien sind nach der geltenden völkerrechtlichen Anschauung als wirtschaftlich selbstständige Länder anznsehen, welche ihre eigene Zollgesetzgebung haben, wie es ja auch tatsächlich der Fall ist. Dentschland behandelt daher auch seine eigenen Kolonien, obwohl diese doch viel weniger entwükelt sind, als alle hier in Betracht kommenden englische»» Kolonien, als Zoll-Ausland. England kam» um» nicht plötzlich einseitige Grundsätze einführen. Auch die eng lischen Kolonien habe»» ans ihrem Verhältnis der Meist begünstigung zn Dentschland die größten Vorteile gezogen und haben daher kein Recht, mm plötzlich Dentschland, wo auch dieses einmal Gebrauch machen kann von dieser Meist begünstigung, dieselbe vorznenthalten. Aber England »vird nicht viel darnach fragen, ob cs im Rechte ist, wem» es nur die Macht hat. Nun ist England ja gewiß einer der besten Abnehmer dentscher Waren, aber auch Deutschland kann den Engländern nnd nnd besonders auch ihren Kolonie»» als Abnehmer keines wegs gleichgiltig sei»», nnd zwar sowohl als Abnehmer indnstrieller wie landwirtschaftlicher Erzeugnisse. ;Ein Zollkrieg wäre ohne Frage für beide Parteien verderblich, und es ist schwer zn sagen, wer dabei an» meisten zn ver lieren hat. Dentschland befindet sich aber, von anderen günstigen Umständen abgesehen, schon insofern in einer besseren Lage, als es bereits die notwendigen scharfen Waffen für den Zollkampf besitzt und sie, getragen von einer starken schntzzöllnerischen Mehrheit, bei Bedarf sofort und mit allen» Nachdruck in Anwendung bringen kann, während Herr Ehamberlain erst den Beweis zn liefern hat, daß das englische Volk geneigt ist, ihm anf den neuen Bahnen einer imperialistischen Schutz- nnd sogar Kamps- zollpolitik zn folgen. Vorläufig hat er aber nicht mir die liberale Opposition bis anf eine kleinere, der Führung Lord Noseberhs folgende Gruppe, sondern auch denjenigen Teil der Regierungspartei gegen sich, als dessen Sprecher kein Geringerer als der Premierminister Balfonr zur selben Zeit, wo Ehamberlain Vorzugszölle forderte, England als das Land des Freihandels pries. Gerade deshalb sagten »vir im Eingänge, Ehamberlains Rede bedeute Krieg auch den Freihändlern in England selbst. Sein Programm kann nicht dnrchgeführt werden obne Zerstörung des Bandes, welches die Anhänger des Freihandels und des Schutzzolles in der Regierungspartei jetzt noch vereinigt. Allerdings würde vermutlich ancb die jetzige Opposition sich spalten, sodaß eine vollständige Um wälznng aller Parteiverhältnisse die nächste Folge des imperialistischen Schutzzollprogrammes wäre. Wie bei »ms. so würde sich dann auch in England das Volk in zwei Heerlager, Schutzzöllner nnd Freihändler, gruppieren. Welchen» dieser beide»» Lager die Mehrheit znfiele, läßt sich heute noch nicht sagen. Jedenfalls aber müßte England noch durch schwere innere Kämpfe hindnrchgehen, bevor es in der Lage wäre, in einem Zollkriege mit Dentschland »ms mit gleichwertigen Waffen gegenüber zn treten. Bis dahin »vird vermutlich noch viel Wasser die Themse herab fließen. Die Vorteile des netten Araiiken- versicher mittSfteseüeS. Der Bnndesrat hat der Krankenversichernngsnovelle in der im Reichstag am 30. April angenommenen Fassung seine Zustimmung erteilt; sie tritt mit l. Januar l OO-l in Kraft. Hiermit ist wieder ein Fortschritt in der sozialen Gesetzgebung zn verzeichnen. Tie Novelle bedeutet zwar nur eine Zufriedenstellung der dringendsten Wünsche. Von der Negierung selbst wurde sie als vorläufige Abschlagszahlung bezeichnet »md eine durchgreifende, organische Reform des ganzen Krankenversichermigsgesetzes, die schon seit Jahren von allen Parteien dringend gefordert »vird, in nabe Aus sicht gestellt. Mil Recht nannte aber der Abg. Roesicke schon die jetzt geschaffenen Verbesserungen einen Sieg des sozialen Fortschritts. Worin besteht mm der durch die Kranlenkassennovelle erreichte Forrschritt? Znnächst ist der Kreis der Versicherten aus gedehnt, indem jetzt dem Versichernngszwange auch die H andlnngsge h ülfe n n ndLehrling e unterworfen sind. Tie Haiidlnngsgehilfenschast begrüßt das anfs freudigste. Ter künftigen Reform bleibt es Vorbehalten, den Versichernngskreis auch anf die Hausindustrie, die land nnd forstwirtschaftlichen Arbeiter nnd die Dienstboten ansznweiten. Ein lang empfundenes Bedürfnis ist dadurch befriedigt, daß die Dauer der K r a n k e n n n 1 e r st ü tz n n g von 13 Wochen auf 2«! Wochen verlängert ist. Es greifen also jetzt die Krankenversicherung und die Invalidenversicherung, die erst nach 20 Krankheitswochen einsetzt, unmittelbar in einander. Zn bedauern ist mir, das; zwischen Kranken- nnd Invalidenversicherung noch die verschiedene Formulierung des Begriffes: „Erwerbsunfähigkeit" besteht. Sehr zn begrüßen ist der erhöhte Schutz der Wöchnerinnen. Die Kassennnterslütznng dauert fortan statt ! Wochen 0 Woche». Damit ist zwar eine befriedigende Unterstützung für die Zeit-n a ch der Entbindung geschaffen; für die Zeit kurz vor der Entbindung ist j>»doch noch in keiner Weise vorgesorgt. Eine von der Kommission und dem Plenum des Reichstages ins Auge gefaßte 12wöchige Unterstützung — 0 Wochen vor nnd 0 Wochen nach der Entbindung — scheiterte diesmal noch an finanziellen Schwierigkeiten. Hoffentlich werden diese bei der nächsten Reform gehoben. Ein nmfassenderer Schutz der Wöchner innen speziell vor der Entbindung »miß eine der ersten Forderungen bleiben. Ferner hat die Krankenkassennovelle die Bestimmung beseitigt, nach der geschlechtskranken Kassenmitgliedern das Krankengeld entzogen werden konnte. Die Negierung drängte auf die Beseitigung dieser Ansnahmebestimmnng ans schwerwiegenden Rücksichten anf die allg e m e i n e V o I ks- g e s n n dhei t. Von kleineren Vorteilen der Novelle, die immerhin einen bemerkenswerten Fortschritt darstellen, führen wir nur an, daß über die F e st s e tz n n g d e s o r tsübIi ch e n Tagelohnes fürderhin nicht allein mehr die Gemeinde behörde zn entscheiden hat, sondern auch die Arbeitgeber nnd Arbeitnehmer gehört werden müssen. Die ganze Novelle wäre beinahe gescheitert an dem F 12 nnd einem Znsatzantrage des Abg. v. Savigiih. Der bisherige ts 13 war in der Regierungsvorlage dahin er weitert worden, daß die Aufsichtsbehörde Beamte, die sich ,,grobe Pflichtverletzung" zn schulden kommen ließen, ab- setzcn könne. Gegen diese Fassung erhob die Linke s ch ä r f st e n Eins p r n ch. Sie befürchtete, daß die Regie rung den Begriff „grobe Pflichtverletzung" auch ans das politische Verhalten der Beamten ansdehnen könne. Es Der australische Erbe. Roman von Edgar Picke ring. Deutsch von Franz Paul. <5,8. gvrlsctzu»,»,) (Nachdruck verboten.) „Aber wie sonderbar, daß sie znrückkehrt," erwiderte Marco, „daß sie in Bastia anftancht, wo jeder sie er kennen kann. Und dann ist sie nicht allein, eine Englän derin ist mit ihr von einer Aacht, die im Sturm schwer gelitten hat." „Mir ist die Sache widerlich, Marco," erklärte Nasone. „Ter Kuckuck möge Celesta Doria holen. Nur, daß mein Weib nicht von ihr hört. Weiber werden nie alt genug, um nicht eifersüchtig zn sein!" „Auf diese alte Celesta?" rief Marco ans. „Nein, das ist nicht möglich, höchstens anf ihre Begleiterin, die Engländerin, die ist schön. Sie haben Quartier genommen in der Rne des Morts bei Susanna." „Das ist ein würdiges Quartier," lachte Nasone höh nisch. „Susannes Haus ist ja eine Gruft." „Wer ist diese Engländerin, lieber Marco?" fragte Teresa. „Sprich mir von ihr; beschreibe sie mir." „Sie scheint die süßeste Blume," erwiderte Marco Poetisch. „Wenn man sie sieht, »miß man sie lieben. Wie Tn ärgerlich drein siehst, Teresa! Nim, es gibt ja noch andere Blumen, als Lilien." Nasone sah anf, vergnügt über den Scherz lachend. Aergerlich rief Teresa: „Nein, mein lieber Marco, es gibt Leute, die nie eifersüchtig werden! Aber diese Eng länderin. was tut sie bei Celesta?" „Das weiß ich nicht", erwiderte Marco. „Sie kommen beide von der ?)acht, und es schien mir, als ob Celesta eine gewisse Macht über sie ansübe. Sie sprach zn ihr in einem Tone, als ob sie ihr zu befehlen hätte!" „Wie heißt sie?" „Ich hörte den Namen, ein sonderbarer, warte mir. wie war er gleich? Tel . . Sei . . Selbi oder so ähnlich." Therese entfiel die Schale, die sie in der Hand hielt. „Alle Heilige»» mögen Dich vor Serafina bewahren", lachte Nasone, „»venu sie die Trümmer dieser Schale findet, Theresa." Er bückte sich, nm die SpliUer anfznheben, denn Theresa schien vor Schrecken über den Schaden, den sie verursacht hatte, wie gelähmt. „Selbi?" wiederholte sie. „Ich glaube wenigstens so." „Und sie ist in Celestas Macht?" fuhr Theresa fort. Im selben Augenblick unterbrach Mere Serafina. die vom Markte kam, das Gespräch, überlaut Marco begrüßend, der ihr mitteilte, er sei gekommen, nm mal mit Nasone znm Fischen hinansznfahren. Dabei zwinkte er diesem zn. der plötzlich ganz stumm nnd nachdenklich geworden war. „Selbi!" Mehreremale während des Frühstücks flüsterte Theresa diesen Namen vor sich hin. Es war derselbe, den der englische Doktor in seinen Fiebertränmen wiederholt gerufen hatte. Einigemale hatte er auch den Namen Madge zngesotzt. Und die Liebe, die er zn der Person dieses Namens trug, sprach ans dem Tone und manchen AiiS- rnfen, die zn hören Theresa nicht hatte umhin tonnen. Dieses Mädchen war in Bastia; sie war mit Celesta Doria in dem häßlich vergitterten Hanse in der Rne des Morts in diesem Augenblicke, nm vielleicht Bastia zn verlassen, bevor der Doktor von Eorti znrückkehrte, wohin er gestern gefahren war. So batte Teresa wenigstens am Abend vorher zufällig von Panlina gehört. Sie entschloß sich, sofort Snsannas Hans ailfznsnchcn. ck ch ch Auf Madame Dnvals Klingeln an der Haustür in der Rne des Morts war eine dunkle Frau mit zerrauftem Haar erschienen, die ärgerlich die Tür öffnete, mit brnm- miger Stimme fragend, warum man sie störe. Beim Anblick ihres Besuches jedoch änderte sie sofort ihren Ton. „Celesta!" rief sie ans, „das Gerücht ging. Tn seiest tot!" „Verderben anf die Schwätzer." erwiderte Madame in hastigem Französisch. „Ich bedarf Deiner Hilfe, Sn- sanna. In Erinncrnng an die alten Tage bitte ich Dich, gib mir Wohnnng. mir und diesem Mädchen hier, die mit mir ist. Ich kann Dir gut bezahlen," nnd sie zeigte ihr Gold. „Aber erinnere Dich —" „Jcli erinnere mich auf gar nichts," unterbrach sie Madame. „Ich werde nur einen Tag nnd eine Nacht vier bleiben. Kommen Sie, folgen Tie mir." sagte sie zn Madge, sie bei der Hand fassend. Susanna machte weiter keine Einwendungen. Und nachdem sie die Türe verschlossen und sorgfältig verriegelt hatte, ging sie voraus über die enge Wendeltreppe, deren Schmutz und Staub selbst in dem schwachen Licht der Lampe zn erblicken war, die sie über ihrem Kopfe hielt. Tann gelangten sie an eine Tür, die Susanna öffnete. „Hier wirst Tn sicher sein. Eelasta," sagte sie. „Du wirst Hunger haben, ich will etwas einkanfen." „Sicher." stieß die Andere zgrnig hervor. „Ich fürchte nichts und niemand. Ja, hole »ms etwas zn Essen." Sie ließ ein Geldstück in Snsannas runzlige Hand fallen. Dann blieb sie und Madge allein, nnd Madame warf sich auf's Bett, in ihr höhnisches Lachen ansbrechend. Mit einem raschen Blick ringsnin betrachtete Madge das Zimmer. Der Raum war sehr niedrig und düster, die Einrichtung so ärmlich, daß nur das unbedingt Not wendigste vorhanden war, ein wackeliges Bett, anf dem Madame sich streckte, ein Tisch, zwei Stühle, ein Stück blindes Spiegelglas, offenbar ans einem großen Spiegel heransgebrochen, an einem Nagel an der schmutzigen Wand hängend, und ein verstaubter, verblichener Teppich, das war ^ alles. Draußen vor dem Fenster, durch welches das Tages- ! licht in das Zimmer zn dringen begann, war ei» Eisen- > gitter angebracht. „Sie bewundern diesen Salon, was?" fragte Madame, > deren Laune offenbar durch alles, was sie in der letzten Zeit ansstehen mußte, entschieden gelitten hatte. „Ja. er ist wimderschön, man könnte sich gar nichts besseres wünschen, nicht »vahr? Und doch ist er besser, als dieses unglück selige Schiff; hier kann man wenigstens anf seinen Füßen stehen." (Fortsetzung folgt.)