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Freitag. Erscheint Dienstagsund Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Nr. 98. 18. November 1870. Preis Weißer rtz-Zertung M Amts- vad Anzeige-Matt der Königlichen Gerichts-Ämter und Itadtrathe zu Dippoldiswalde und /rauenfleiu. ÜrrMtwortlicher «edmteur: Lari Zrhne in Vippoldiswatdk. Die orientalische Frage. Bei Beginn des deutsch-französischen Krieges war es bereits eine sehr verbreitete Ansicht, daß Rußland die orientalische Frage in die Hand nehmen werde. Wiederholt war in den Zeitungen von russischen Rü stungen die Rede, doch wurde diesen Gerüchten stets widersprochen. Da bringen plötzlich die neuern Wiener Blätter die Nachricht, daß Fürst Gortschakoff in einer Note vom 9. d. M. den Mächten angezeigt habe, daß Rußland sich an den Pariser Vertrag von 1856 nicht weiter für gebunden halte. Durch diesen, von Eng land, Frankreich, Preußen, Oesterreich, Italien, die Türkei und Rußland unterzeichneten Vertrag, und insbesondere durch Art. XIV. desselben, wurde das schwarze Meer für neutral erklärt und dadurch Ruß land gehindert, Kriegsschiffe im schwarzen Meere zu halten. Diese durch Frankreichs Einfluß in den Ver trag gebrachte demüthigende Bestimmung mußte natür lich Rußland tief verletzen, und man kann es an sich dem Fürsten Gortschakoff nicht verdenken, daß er den jetzigen Augenblick, wo Frankreich zu Boden geschlagen und Deutschland mit seiner Militärkraft dort engagirt ist, benutzt, uni sich von diesem, Rußlands Interessen verletzenden Vertrage loszumachen. In Wien scheint besonders die drastische Art und Weise, in welcher man sich russischer Seits von dem Vertrage losgesagt hat, verletzt zu haben; an der Wiener Börse trat eine be deutende Panik ein; die Papiere fielen um 20—30 Procent, jedenfalls weil man den Krieg zwischen Ruß land und der Türkei, und die Betheiligung Oester reichs hierbei für eine ausgemachte Sache hält. Ein Correspondent der Wiener neuen freien Presse spricht sich dahin aus, daß Oesterreich auf Seite der Türkei treten müßte, wenn es nicht aus Europa hinausge worfen sein wolle, wie es 1866 aus Deutschland hin ausgeworfen worden sei. Es mag von österreichischem Standpunkte jedenfalls Manches für sich haben, daß das schwarze Meer und die Dardanellen im türkischen und nicht im russischen Besitze sich befinden. Allein ob es Oesterreich in Verbindung mit der Türkei ge lingen wird, das Vordringen Rußlands nach Kon stantinopel, wenn solches überhaupt beabsichtigt sein soll, aufzuhalten, ist doch fraglich; und im Falle des Unterliegens hätte dann Oesterreich die Wucht des Siegers zu fühlen. Auf die Mithülfe Englands und Italiens wird kaum zu rechnen sein. Es scheint uns daher für Oesterreich doch der Erwägung zu bedürfen, ob es nicht politisch klüger wäre, im Falle eines wirk lich ausbrechenden Conflictes entweder eine wohl wollende Neutralität zu beobachten, oder mit Rußland sich zu verbünden. Im letzteren Falle könnte der Er ¬ folg kaum zweifelhaft sein, und für Oesterreich, als Verbündeten des Siegers, müßten manche Vortheile abfallen. Jndeß wir sind nicht eingeweiht genug in dem Studium der orientalischen Frage, um beurtheilen zu können, ob und welche zwingende Gründe für Oesterreich vorliegen, dem Vordringen Rußlands unter allen Umständen entgegen zu treten. Möglich, daß die kommenden Ereignisse im Osten unseres Erdtheils die öffentliche Aufmerksamkeit für die nächste Zeit weit mehr in Anspruch nehmen, als die letzten Akte des Kampfes, welcher sich seit drei Monaten im Westen abgesponnen hat und offenbar mit Riesenschritten seinem Ende entgegengeht; — möglich auch, daß der vom Osten gefürchtete „Weltbrand" sich in ein friedliches Nordlicht auflöst. —r. Tages geschichte. Dippoldiswalde. Der Grenadier P. G. Schulz, Sohn des Hrn. Schullehrer Schulz in Falkenhain, ist wegen seiner, bei der Erstürmung von St. Privat bewiesenen Bravour mit dem eisernen Kreuz und der silbernen Medaille des Heinrichs-Ordens decorirt worden. — Der nächste patriotische Unterhaltungs abend muß auf Sonnabend verlegt werden, da an Bußtagen öffentliche Versammlungen nicht stattfinden dürfen. — Wie wir hören, verlohnt sich ein Besuch des im hiesigenSchießhauSsaale ausgestellten Panorama'- und der zugleich producirten vissolvinA-vitzvs und Chromatropen recht wohl. Am Mittwoch wurde der hiesigen Schuljugend da- Vergnügen zu Theil, die erwähnte Schaustellung für ermäßigte Preise in Augen schein zu nehmen, und verließen Lehrer und Schüler dieselbe mit wahrhafter Befriedigung. Dippoldiswalde, den 17. Novbr. Auf Freitag, den 25. Novbr., steht bei uns die Wahl neuer Stadt verordneten in Aussicht. Dieselbe ist eine directe, d. h. es werden jetzt durch die Wähler nicht erst Wahl männer bezeichnet, welche dann unter sich, aus ihrer Mitte, die Stadtverordneten zu wählen haben, sondern diejenigen, welchen auf den auszugebenden Stimmzetteln die meisten Stimmen zufallen, sind als Stadtver ordnete zu betrachten. Es ist dieser Modus gegen die frühere indirecte Wahl unbedingt als ein Fortschritt zu bezeichnen; nur muß das damit neu gewonnene Recht auch gehörig benutzt werden. Dies geschieht zunächst durch allseitige Betheiligung der ganzen Bürger schaft, dann aber auch durch die Wahl geeigneter Persönlichkeiten. Wir stehen in einer Zeit großer