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Ar. 68. Sonnabend, den 11. Juni 1887. 49. Jahrgang. »« ll r, r- tb m S. ! i. l. i« r- t l. ) i r a » i. Polittschk Weltschau. Deutsches Reich. Jüngst wurde in Berlin ein socialiftischeS Flugblatt vertheilt, welches von den Führern der sccialdemokratischen Partei, nemlich den Herren Gullenberger, Hasenclever, Liebknecht und Linger, unterzeichnet war. Jene Partei hatte sich seit den Reichstagswahlen vethältnißmäßig still verhalten. Ihre Anhänger wurden an verschiedenen Orten scharf bedrängt durch die Precesse wegen geheimer Verbindung und gleichzeitig gewann im Inneren der Partei eine dem Anarchismus zuneigende Richtung an Boden. Alles dies macht ,S erklärlich, wenn die Parteileitung nunmehr Veranlassung nimmt, sich „an die Wähler Deutschlands" zu wenden. DaS Flugblatt ist nicht un geschickt geschrieben und bemüht sich ersichtlich, gegen unser Strafgesetz nicht zu verstoßen. Viele- könnte wörtlich auch in Blättern anderer Parteien abgedruckt sein. Das Wachsthum der sccialistischen Stimmen um eine Viertelmillion wird trotz der Verminderung der Anzahl der socialistischen Abgeordneten von 25 auf 11 als ein großer Erfolg der Socialdemokratie hingestellt. Am Schlüsse weift die Flugschrift auf Rußland, den Musterstaat der Polizeiwirthschaft und deS Militarismus, hin und sucht zu beweisen, daß dieser Militarismus, „diese Schraube ohne Ende", alS daö Verderben der Völker anzusehen ist. Eingehender alS dieö in letzter Zeit bei socialisti schen Kundgebungen der Fall war, spricht sich daS Flug blatt über die letzt« o Ziele der Socialdemokratie auS. Darin hat der Verfass« recht, daß daS socialistische Programm Weibergtmeinschaft, freie Liebe und der gleichen nicht in sich schließt. Dagegen vermag daS Flugblatt die Schwächen deö wirthschaftlichen Pro grammes nur für den oberflächlichen Leser zu verhüllen. Die Socialdemokratie, heißt eS, wolle nicht daS Privat- eigenthum überhaupt, sondern nur daS Privateigenthum an Arbeitsinstrumenten abschaffen. Aber Grund und Boden, Gebäude, Vorräthe aller Art einschließlich deS baaren Geldes seien ebenfalls Arbeitsinstrumente. Daß daS Privateigenthum im sccialistischen Sinne sich danach nur beschränken kann auf Hausgeräth und Kleidungsstücke zum persönlichen Gebrauche und aufMund- vorräthe für etliche Tage, wird sorgfältig verschwiegen. DaS, „was der Mensch sich durch seine eigene Arbeit erwirbt, ist von RechtS wegen sein Eigenthum", heißt ,S. Aber waS nützt denn dem Arbeiter „der volle Arbeitsertrag", wenn er ihn immer nur in der angegebenen beschränkten Weise nutzbar machen und sich keine „Arbeitsinstrumente" dafür kaufen kann? Abschaffung der Theilung deS Arbeitsertrages soll daS Ziel der Socialdemokratie sein. AlS ob nicht auch der social- demokratische Staat mit dem Arbeiter den Arbeitsertrag Feuilleton. All Nthnmcr Mission. Novell» aus den letzten Zelten der französischen Direktorial»Regierung. (15. Fortsetzung.) Einer der Direktoren erhob sich, schritt auf die Thür deS benachbarten Gemaches zu und rief, dieselbe nur halb öffnend zu der Spalte hinein: „Trete» Sie wieder «in, Herr Kapitän!" An seiner Statt schwebte mit einem graciösen Lächeln die junge bezaubernde Eoraly über die Schwelle. In der Rechten trug sie einen Säbel und ein zusammen- gewickelteS breite- Schärpenband. Ein wilder Aufschrei der Enttäuschung und blinder Wuth hallte durch den Salon; FouchS zeigte sich im ersten Augenblicke unwillig und warf der jungen Dame ernsthafte Blicke zu. „Bürger Direktoren!" sprach Coraly die Ver sammelten an, während die anfangs bleichen Züge schnell in ein tiefeS Roth übergingen, „in meiner eigenen Be hausung darf sich Niemand, wer eS auch sei, daS Recht heravSnehmen, sich eineS Eingriffs in die Gastfreund schaft, »>ie ich meinen Gästen biete, zu ermächtigen. Der Kapitän stattete mir einen Besuch ab, ich selbst wüßte keinen Grund, der eine Abweisung seinerseits nöthig ge macht hätte uns eher hätte ich mir daS Leben nehmen lassen, alS meine Einwilligung gegeben, ihn hier wie einen gemeinen Verbrecher seiner Freiheit zu berauben." Mit einem so siege-stolzen Selbstbewugtsein und theilen müßte, denn wie will anders der Staat die nöthigen „Arbeitsinstrumente" erneuern, dem WachS- thume der Bevölkerung und den Bedürfnissen ent sprechend vermehren, verbessern, die Verluste decken rc. Beseitigung aller Einrichtungen, welche die persönliche Freiheit untergraben, soll daS Ziel der Socialdemokratie sein. Und doch ist im Sinne jener Partei der Staat als einziger Besitzer von „Arbeitsinstrumenten" auch einziger Arbeitgeber. Von der Regierung dieses Staates, bez. von der Mehrheit, welche diese Regie rung bestimmt, dürste also der Arbeiter in allen seinen LebenSbeziehungen ganz und gar abhängig sein. Eine schlimmere Knechtschaft deS VolkeS kann man sich kaum denken. DaS socialistische Programm gipfelt übrigens in dem Wahne, daß die einheitliche Leitung der Pro duktion durch die AllweiSheit einer socialistischen Staats behörde besser im Stande sei, daS Volk zu versorgen, alS die freie Konkurrenz seitens der durch daS Eigen- intereffe geleiteten Privatunternehmer. Je weniger daS wirthschaftliche Programm der Socialdemokratie — wenn der wahre Charakter desselben enthüllt wird — Anziehungskraft auSübt, desto mehr sucht jene Partei durch politischen Radikalismus zu wirken und von diesem Standpunkte auS ist eS erklärlich, wenn daS Centralkomitee sich bemüht, die übrigen Parteien mög lichst verächtlich darzustellen. WaS hat — so möchten wir dem gegenüber fragen — die Socialdemokratie in Deutschland zur Entwickelung deS einheitlichen Ge dankens beigetragen? DaS Bürgerthum ward gespalten und dadurch immer ohnmächtiger zum Widerstande gegen die Reaktion und daS Junkerthum. Gerade der Arbeiterstand hat die Folgen davon in der Vermehrung der indirekten Steuerlasten und in der Einschränkung der wirthschaftlichen Freiheiten am Schwersten zu tragen. Der jüngste UkaS deS russischen Czaren, welcher den Ausländern den Erwerb von Grund und Boden verbietet, wird seitens eines ossiciösen Petersburger BlatteS solgendermaaßen begründet: Dürfte Rußland im Falle eineS Krieges mit Deutschland nicht in eine äußerst kritische Lage gerathen, wenn eS der deutschen Ueberfluthung nicht bei Zeiten «inen Damm entgegen setzt? Die russischen Festungen an der Westgrenze, ja der ganze Kriegsschauplatz würde sich sofort in den Händen der Deutschen befinden, welche in nächster Nähe daS russische Leben und Kriegswesen kennen lernen und die strategischen und politischen Schwächen Rußlands erforschen können. Dazu bemerkt die „Nordd. Allg. Ztg.", daß weder die tatsächlichen Voraussetzungen, von denen daS Blatt auögeht, noch die Schlußfolgerungen, zu denen eS gelangt, zutreffend sind und fährt fort: „Wir sind der Ansicht, daß Deutschland eS mit Genugthuung be grüßen wird, wenn dem Abflüsse deutschen Kapitals, würdevoller Anmuth wandelte sie nach diesen Worten an den Mitgliedern deS Direktorium- vorüber, daß diese ihre Wuth vergaßen und ganz verblüfft dem zauberischen Eindruck«, d«n diese- Weib auf Alle auSübte, sich hin gegeben sahen. Barra- selbst wurde auf seine Kollegen eifersüchtig, er verwandt« k«in Auge von Coraly und schien noch einmal so vernarrt in die entzückende Künstlerin zu sein, alS vor diesem wahrhaft genialen Streiche seiner Schutzbefohlenen. Er machte den Vorschlag, die Berathung vorläufig zu suSpendiren und wenige Augenblicke später befanden sich die Bürger-Direktoren bereit- auf dem Rückwege. Fouchö war der Letzte, der daS Hau- Coraly'S ver ließ. Ehe er jedoch aufbrach, befestigte er einen kleinen Papierstreifen an einem der Leuchter und als die Sängerin den Salon wieder betrat, la- sie darauf zu ihrem nicht geringen Erstaunen die Worte: „Nehmen Sie meinen aufrichtigen Dank, da Ihr heroisches Unter nehmen mich auS einer höchst peinlichen Situation be freite." — Während dessen hatte unser Flüchtling, ganz unkennt lich gemacht durch den schwarzgrauen Ueberzieher und einen breitkrämpigen Hut, ohne avgehalten zu werden, die Vorstadt St. Honorü erreicht. AlS er bei dem Palaste sriner Väter anlangte, rief er Bernhard mit hastigem Ungestüme zu: „Vorwärts, mein alter Freund, führe mein Pferd auS dem Stalle und lege ihm Sattel und Zaum an. Die beiden Pistolen in die Halfter! Meine Zeit ist äußerst knapp bemessen, der morgige Tag wird Dir aus führlichere Nachricht von mir geben . . ." In schnellen Sprüngen ftürmte er sodann auf sein deutscher Intelligenz und deutscher Arbeitskraft, wie er bisher nach dem AuSlande stattfindet, Stillstand geboten wird." UnS scheint die Besorgniß deS russischen offi ciösen BlatteS, eS möchte der ganze Kriegsschauplatz sich „sofort" in den Händen der Deutschen befinden, höchst wunderlich. Im Jahre 1870 war der gesammte Kriegs schauplatz in den Händen der Franzosen. DaS hat aber die deutschen Heere nicht gehindert, von der Mosel bis . zur Loire wie im eigenen Hause zu schalten. Geradezu komisch klingt ,S, wenn daS officiöse russische Blatt das gewaltige FestungSnetz in Polen durch die deutschen Landwirthe und Fabrikanten für bedroht erklärt. Das Befinden deS deutschen Kronprinzen scheint in erfreulicher Besserung begriffen zu sein. vr. Mackenzie, der sich seit Dienstag in Potsdam befindet, wurde am Mittwoch vom Kronprinzen empfangen und unterzog denselben einer eingehenden laryngoskopischen Unter suchung. Der englische Arzt soll sich sehr befriedigt über den Zustand d,S hohen Patienten ausgesprochen haben. Ein definitives Urtheil über daS Leiden deS hohen Patienten seitens der behandelnden Aerzte ist jedockr noch nicht abgegeben worden. Die „Deutsche medicinische Wochenschrift" bringt in ihrer neuesten Nummer über die klimatischen Ver hältnisse Neu-Guinea s beachtenSwerthe Aufschlüsse, welche sich auf sorgfältige Beobachtungen eineS deutschen ArzteS, nemlich deS vc. O. Schellong, stützen. Der selbe faßt daS Ergebniß seiner Untersuchungen wie folgt zusammen: Alle- in Allem genommen, möchte ich mich einstweilen dahin aussprechen, daß man mit dem Malaria- Fieber in Kaiser-WilhelmSland als mit einer durck> klimatische Einflüsse bedingten häufigen Erkrankung wohl auch weiterhin zu rechnen haben wird, daß man aber in Rücksicht auf die verhältnißmäßig leichte Form, in welcher die Krankheit meist aufzutreten pflegt, ernstliche Bedenken gegen die Akklimatisationsmöglichkeit des Europäer- nicht hegen, vielmehr der zuversichtlichen Hoffnung Raum geben darf, daß mit der festeren Kon solidation der kolonisatorischen Grundlage auch in dieser Hinsicht günstigere Verhältnisse eintreten werden. Die ungleich wichtigere Frage ist die, waS sich dem neuen Lande sonst sür eine Zukunft erschließt; mit der vor schreitend,n Lösung dieser Frage wird sich diejenige der Akklimatisationsfähigkeit von selbst lösen. Die Festung Ingolstadt wird immer mehr und mehr zu einem befestigten Lager erweitert Obwohl Ingolstadt bereits von 12 mächtigen FortS, von denen einige bis auf 3 Wegstunden von der Stadt entfernt liegen, umgeben ist, soll noch ein neues, 13. Fort, in der Nähe der Donau gebaut werden. In der Festung, selbst wird jetzt eine Militärbrieftaubenstation errichtet, während bereits eine großartig angelegte Militärtele- Echlafzimmer, nahm mehrere Papiere an sich und steckte fünfzig Goldrollen, welche die eiserne Kiste noch als letzten Rest barg, in die weiten Taschen feine- Mantel- sackeS. Wenige Augenblicke später war er wieder im Hofe, half seinen Araber reisefertig machen und drückte dann seinem alten Diener die Hand. „Hier . . . habe für Alles Dank, guter Alter und steck« die geringe Summe zu Dir. welche ich für Dich aufhob, damit Du Deinem Alter sorgenfrei entgegen sehen kannst. Nimm nur, nimm . . . keine Ziererei erst . . . lebe wohl . . ." Der alte Bernhard, als er plötzlich fünfundzwanzig Rollen mit schweren Goldstücken in seinen abgenommenen Hut fallen sah, war einen Moment vor Ueberraschuvg und Schreck ganz außer Besinnung gekommen. AlS «r sich in etwas von seinem Erstaunen erholt hatte, begab er sich schnellen Schritte- an da- Thor, durch welches der Kapitän galoppirt war. Er mußte sich sagen, daß eS eine hirnverbrannt« Ide« wär«, dem wie ein Pfeil dahinfliegenden Araber nachsprenge« zu wollen. Vcn bangen Ahnungen ergriffen, stand er sinnend da, während der Reiter und sein Roß dem sehnsüchtig Nachblickendcn in der Ferne verschwanden. Der Monat September hatte seine erste Hälft« hint«r sich. Di« Mitglied» d,S Direktoriums hatten eine außer ordentliche Sitzung anberaumt und waren erst spät in der Nacht mit der Bewältigung ihreS Berathungs- materialS fertig geworden. Die öffentlichen Zuftände in Pari- wurden von Tage zu Tage bedenkenerregender. Im Volke war man überzeugt, daß, obwohl die