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DMuffeftundenH iMochentreilage des «Leipziger Tageblattes". — .... - — . ---> I. Jahrgang. SS Februar «SOI. Nr. 4. ?Fßn welchem Lage? sollen die „Mußestunden" dem Leipziger Tageblatt" beigelegt werden- Diese Frage soll nicht von der Redaktion, sondern von den Lesern beant wortet werden. Zahlreiche Zuschriften aus dem Leserkreis bezeugen uns, daß die „Mußestunden" ein dankbares Publikum gefunden haben. Den Wünschen Einzelner, betreffend die Organisation dieser Beilage, werden wir nach Möglichkeit nachzukommen suchen Ursprünglich bestand die Absicht, die Wochenbeilage an dem mit redaktionellem Stoff erfahrungsgemäß am wenigsten belasteten Montag der Gesamtauflage beizulegeu. Doch haben sich Stimmen von Lesern geltend gemacht, welche die „Mußestunden" schon am Sonntag in ihren Händen wissen möchten. » Wir wünschen die Entscheidungin dieser Frage durchaus den Lesern zu überlasten und richten au jeden Einzelnen hiermit die Anfrage: wann sollen die „Mußestunden" erscheinen, . — Sonnlagr stier Msnlagr? Wir bitten um recht zahlreiche Einsendung von Meinungsäußerungen. DaS Resultat unserer Enquete werden wir demnächst bekannt geben. Die Redaktion des „Leipziger Tageblattes". Inhalt: Schillers „Wilhelm Tell". Ein hundertjähriges Jubiläum. Kraftvergeudung. Eine scherzhaft-ernste Betrachtung von K. v. Oppeln. Der moderne Reklamemensch. Bon Willy Widmann. Dle goldene Ghrmeste. Eine Skizze aus -em Leben. Bon Peter Rosegger. Schillers „Wilhelm Tell". Ein hun-ertjährigeS Jubiläum. Nachdruck verboten. Fast alle deutschen Bühnen rüsten sich zur Jubelfeier «des popu lärsten und meistgegebenen Schillerdramas, das nach langen un mühsamen Vorarbeiten am 18. Februar 1804 vom Dichter vollendet und am 17. März 1804 von -er Weimarer Hofibtthne ins scenische Leber« ein g eführt worden ist. ,Milhelm Teil", das dramatische Evangelium -er Vater landsliebe, -er Hochgesang -er Freiheit und der Menschenrechte, ist das letzte große und abgeschlossene Werk, das Schiller uns hinterließ. Die Anregung zu dieser herrlichen Schöpfung hatte er von Goethe empfangen. Als dieser im Jahre 1707 -um dritten Male den Vier waldstätter See besuchte, reiste in ihm -er Plan, „die Fabel vom Tell" episch zu behandeln. Schiller, dem er den Gedanken brieflich mit teilte, suchte ihn darin zu bestärken; -er erste Blick, -en er auf den Gegenstand warf, war entscheidend für seine eigene spätere Behand lung desselben. ,Mus -er bedeutenden Enge -es gegebenen Stoffes", schrieb er an Goethe, „wird da alles geistreiche Leben hervorgehen. Es wird darin liegen, daß man durch die Macht des Poeten sehr be ¬ schränkt und in dieser Beschränkung innig und intensiv gerührt und beschäftigt wird. Zugleich eröffnet sich aus diesem schönen Stoffe wieder ein Blick in eine gewisse Weite -es Menschengeschlechts, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsicht in freie Fernen sich auftut. Mit anderen Arbeiten beschäftigt, schob Goethe -ie Ausführung seines Planes hinaus; schließlich überließ er Schiller den Stoff, Ser ihn mit Freuden aufgriff. ,Hch hatte mit Schiller diese Angelegenheit oft besprochen", schreibt Goethe 1804 in den ,/Annalen", „und ihn mit meiner lebhaften Schilderung jener Felswände und gedrängten Zu stände ost genug unterhalten, dergestalt, -aß sich bei ihm dieses Thema nach seiner Weise zurechtstellen un- formen mußte ... Ich entbehrte nichts an einem Stoff, der bei mir -en Reiz -er Neuheit und -es un mittelbaren Anschauens verloren chatte, un- überließ ihm daher den selben gern un- förmlich." Goethe bemerkt noch ausdrücklich, daß Schiller -en Stoff ganz selbständig gestaltete und ihm nichts weiter schuldig sei, ,^rls -ie Anregung und eine lebendigere Anschauung, als ihm -ie einfache Legende hätte gewähren können." 1801 begann Schiller seine Vorstudien Wer Natur und Geschichte -er Schweiz. Im Januar 1802 entschied er sich für Ausführung des Tellstoffes. Im März teilte er seine Absicht zunächst Cotta mit, -en er um eine Karte -es Vierwaldstätter Sees ersuchte. Im September nahm er die unterbrochenen Vorstudien, historische, naturgeschichtliche und ethnographische, wieder auf. Im Mai 1803 begann er dann die eigent liche dramatische Arbeit, zu -er er sich gründlicher denn je vorbereitet Hatte. Mit unermüdlichem Fleiß un- Eifer «hatte er alles studiert, was er Wer das Land seines Helden erreichen konnte. Ehe er an die poetische Gestaltung ging, hatte er sich schon vollständig vertraut ge macht mit dem Schweizerlande und -en Sitten und Gebräuchen seiner Die goldene Ehrmeffe. Eine Skizze aus -em Leben. Bon Peter Rosegger. Nachdruck verboten. Das Gewühl der Straße. Die Fußgänger heben hoch ihre Beine, ihre Kleider, um vom spritzenden Schmutz nicht zu sehr ver unreinigt zu werden. Die Regenschirme über den Häuptern sind so dicht, daß sie sich ineinander verwirren, verhäkeln und doch dringt das Raffe, halb Regen, halb Schnee, überall durch un- legt sich an -ie Kleider. Trotz -es Lärmgemenges kommt von -er Höhe gleichsam mit -en Flocken herab ein Helles Klingen. Vom Turme der Stadt kirche, -er in -en Nebel hineinsteigt, so -atz sein Helm nicht mehr zu sehen ist, von -ort herab kommt das festliche Glockengeläuts. Ist nicht Werktag heute? Was sagen sie? Wozu rufen sie? Merkwürdig, daß man's den Glocken anhört, ob sie zu einer Trauer oder zu einer Freude läuten. Geht vom Menschenarm eine Seele aus, durch den Strang, durch das Metall, durch -ie Luft, ins Ohr -es geschäftigen Weltkindes auf der Straße? Du warst schon lange in keiner Kirche mehr. Deine glückselige Welt einst — in längst ver gangenen Tagen. Und jeyt, wenn du es versuchst und hineingehst, verscheucht -ich immer etwas aus dem heiligen Haufe. Betrübt gehst du hinaus und denkst: Es ist vorbei. Es ist ein Abgrund dazwischen und wie Liebe un- Sehnsucht auch Brücken darüber wollen bauen, ein hartes, kaltes Eifern reißt alles wieder ein. Willst du es nicht doch wieder einmal versuchen? Aus diesem Unwetter, aus diesem schmutzigen Jagen -er Straße — flüchte -ich in -ie Kirche. So bin ich hineingegangen. Die große Kirche war voll von Menschen, -ie in feierlicher Stille auf etwas warteten. Zahllose Lichter erhellten schon -en Raum bis hoch hinaus Mischen -en schlanken Pfeilern ins dunkle gotisch ge rippte Gewölbe. Auf allen Altären, auf allen Kronleuchtern, an allen Bildnissen Lichter, von denen ein warmer, heimlicher Hauch ausging. Einen weißbärtigen Küster im roten Chorrock, der eben mit dem An zünden -es letzten Kronleuchters fertig geworden war und nun sein Wachsluntchen auslöschte, fragte ich flüsternd, was es für ein Fest sei. „Die goldene Ehrmeffe -es alten Herrn", antwortete der Alte Vernehmlich, so -aß mehrere umschauten und sich vielleicht darüber wunderten, wie einer da war, der es noch nicht gewußt hatte. Die goldene Ehrmeffe, das ist gleichsam die goldene Hochzeit des Priesters, die Jubelmefse fünfzig Jahre nach der Primiz. Das war nrir nun gerade recht, denn so was hatte ich noch nie geschaut. Ein lehrhaftes Krauchen, das neben mir stand und mit meiner Unwissenheit Mit leid hatte, winkte, ich möge das Haupt zu ihm niederbeugen und dann flüsterte es mir ins Ohr. Der alte Herr, das sei ein Landpfarrer aus dem Gebirge, der seine alten Tage nun in der Stadt als armer Messepriester zubringe. Weil er gerade fünfzig Jahre lang Priester sei, so habe der hochwürdige Herr Propst ihm diesen Ehrentag ver anstaltet. — Da schellte auch schon das Sakristeiglöcklein und die Orgel entlud ihren klingender« Strom durch die Hallen. Die Menge wurde von Ordnern zurückgestaut, daß sich durch die Kirche eine Gaffe bildete, und nun erschien der Zug. Weißgekleidete Jungfrauen mit Lilien in -en Händen und priesterliche Embleme auf Samtkissen tragend. Sie hatten Schleier über -en Gesichtern, die noch rosig durchschimmerten. Der Paare sechs zählte ich. Dann kamen etliche Bauernleutchen, ein paar gebückte Greise in Gebirgstracht, einige alte Weiblein und mehrere schmucke Burschen, das Haar glatt über -ie Stirn herabgestrählt und mit befangen gesenkten Augen, als schämten sie sich ein wenig der Ehre, die auch ihnen heute in dieser herrlichen Stadtkirche zu teil wurde. Das waren die Verwandten des Jubilars. Nach diesen käme«« die Priester in weißen Chorröcken und mit Lichtern in der« Händen. Sie gingen zu Paar und Paar und die Reihe wollte nicht enden. Nun kamen ältere Herren im Ornat und mitten unter ihnen, der kleinste von allen, eine gebückte