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28. Mai 1886 Deutsche Allgemeine Zeitung Wahrheit und Recht, Freiheit und Geschl» Zu beziehen durch alle Postämter de» 3n- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Preist für da« Vierteljahr 1'/, Nhlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. JnsertionSgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Mittwoch. Leipzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme ve« Montag- täglich und wird Nachmittag« 4 Uhr aUS- gegeben. Deutschland. Preußen, ^Berlin, 26. Mai. Das Journal des Dibats ver sucht in mehren Artikeln den Nachweis zu führen, daß der Vertrag vom 15. April nicht sowol gegen Rußland als vielmehr gegen daS mitunter- zeichnete Oesterreich abgeschlossen worden sei. Wenn dem so wäre, so müß ten die Antecedentien Oesterreichs eine solche Vorsichtspolitik zum Schuhe der Türkei doch auch wol als nothwendig erscheinen lassen. Wer aber ist «S, der Rußland angegriffen und die Absicht offen kundgegeden hat, über den Nachlaß des „kranken Manneö" die schließliche Disposition zu treffen, ist »S Oesterreich oder Rußland? Wir haben übrigens über die eigentliche Bedeutung des Vertrags vom 15. April bereits früher das Nöthige gesagt, und wenn wir seht auf die Sache nochmal- zurückkommen, so ist eS nicht, weil wir dem noch etwas hinzuzusetzen oder gar die Absicht hätten, den Absurditäten deS Journal des DAaks weiter entgcgenzutreten, sondern le diglich um die Bemerkung auszusprechen, daß das Journal d«S De'batS vor dem Kriege sehr ost mit russische« Tendenzen angefüllt war, daß jetzt, wo der Krieg beendigt ist, gar kein Grund vorzuliegen scheint, warum daS Journal d«S Dibats nicht wieder mit russischen Tendenzen angefüllt sein könnte, und daß wir glauben, in jener merkwürdigen Interpretation des Verträgst vom 15. April eine solche russische Tendenz handgreiflich zu finden. Und dann wollen wir noch an einen Punkt erinnern, der so ziem- lich vergessen zu sein scheint, dessen geeignete Vergegenwärtigung jedoch einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung des Beitritts Oesterreichs zum Ver trage vom 15. April sowie der Stellung Oesterreichs während des orien talischen Kriegs überhaupt bildet. Aus den dem englischen Parlament sei- nerzeit vorgelegten Aktenstücken, ist bekannt, daß der Kaiser Nikolaus in einer seiner Unterredungen mit Lord Seymour sagte, daß er hinsichtlich der Verwirklichung seiner Plane in Bezug auf die Türkei sich der Zustimmung Preußens und Oesterreichs versichert hallen zu dürfen glaube. Wir haben den Wortlaut der fraglichen Unterredungen augenblicklich nicht zur Hand und wir citiren daher aus dem Gedächtniß. Möglich ist eS, daß die be treffenden Aeußerungen deS Kaisers Nikolaus noch etwas schärfer und ver letzender gewesen. ES hat aber zwischen Rußland einer- und Oesterreich und Preußen andererseits gar keine Unterredung , geschweige denn eine Ver ständigung über die betreffende wichtige Frage stattgefunden gehabt, und der eigentliche Kem jener Aeußerungen war daher der, daß Rußland über Preußen und Oesterreich hinsichtlich der Türkei einfach zur Tagesordnung übergehen werde. Preußen konnte, wegen seiner geographischen Lage, von dem betreffenden Verhättniß nur entfernter berührt werden; was aber Oester reich betrifft, so hätte eine Ausführung der russischen Absichten es in sei nem innersttn LebenSkerne verletzt. Die Stellung Rußland» war also Oester reich gegenüber von vornherein eine feindliche, und zwar, was viel sagen will und der Sache erst ihre wahre und rechte Bedeutung gibt, ehe Oesterreich von dieser heimlich hinter seinem Rücken genommenen Stel lung etwas geivußt hat. Denn auch in Wien hat man erst aus den dem Parlament seinerzeit vorgelegten Actenstücken von den fraglichen Ab sichten Rußland- die erste Kunde erhalten. Und gleichwol sagt man in ruffenfreundlichen Kreisen, die Politik Oesterreichs während der orien talischen Krisis sei eine Politik der Perfidie gewesen! Die Stellung, welche Oesterreich während der orientalischen Krisis Rußland gegenüber einge nommen hat, war nichts als ein Au der einfachsten Nolhwehr, und an diesen vorhergegangenen Act schließt sich jetzt die Mitunterzeichnung des Ver trags vom 15. April in nothwendiger Consequenz an. Aber, sagt man, der Kaiser Nikolaus ist ja todt und folglich können die Absichten, die ihn bewegten, uns nicht mehr beunruhigen. Wir möchten indessen diese Folge rung doch nicht so ohne weiteres gelten lassen. Ein Thronwechsel hat stattgefunden, daS ist richtig; aber Rußland ist Rußland geblieben, und die russische Diplomatie, die nicht von heute oder gestern, ist auch noch da. Friede ist inzwischen geschlossen worden, das ist nicht minder richtig; aber dieser Friede ist nur von den momentanen russischen Verhältnissen bedingt worden, und er enthält auch nicht die entfernteste Gewähr dafür, daß Ruß- land von seinen alten Planen im Princip etwas aufgegeben hätte. Das Weitere bleibt also jedenfalls noch abzuwarten. Wir meinen daher, daß, neben dem Schutze für die Türkei, für Oesterreich auch noch ein ganz be sondere- specielleS Interesse bei dem Abschluss« des Vertrags vom 15. April obgewaltet haben dürfte. Die Politik Oesterreich» während der orientali schen Krisis hat nicht unsern vollen Beifall gehabt, und zwar darum nicht, weil sie auf halbem Wege stehen geblieben ist; jedenfalls aber war diese Po litik eine Politik der Unabhängigkeit, der Emancipation von dem alten Hin- neigen zu Rußland, und darum können wir eine russische Tendenzreiterei gegen diese Politik und gegen di« eigentliche Bedeutung de- Vertrags vom 15. April, um die öffentliche Meinung darüber irrezusühren, nicht dulden. ' — Aus B«rlin vom 26. Mai berichtet die Berliner Börsen-Zeitung: „Die Gerüchte über eine im Laufe dieses Sommers zu erwartende Zu sammenkunft mehrer Monarchen treten jetzt hier in bestimmterer Ge- stalt auf und scheinen nicht ganz der Realität zu entbehren. Man ging bi<h«r wol nur insofern fehl, als man ein« der europäischen Hauptstädte al» Ort der Zusammenkunft bezeichnete und der letztern damit gewifferma- ßen den Charakter eines MonarchencongresseS beilegte. An einen solchen ist allem Anschein nach nicht zu denken. Dagegen scheint es ziemlich ge- wiß, daß ein Zusammentreffen des Kaisers von Oesterreich und deS Kaisers der Franzosen bereits verabredet ist, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch andere europäische Monarchen diese Gelegenheit zu einer persönlichen Annäherung der großen Souveräne Europas benutzen werden. — Wir er fahren, daß ein Besuch des Kaisers von Rußland am hiesigen Hofe sicher bevorsteht. Es hängt lediglich von den Berichten ab, welche ein auS Weimar hier angekommener, nach Warschau bestimmter Kurier von hier über den Gesundheitszustand der Kaiserin nach Warschau mitnimmt, ob der Besuch deS Kaisers sogleich erfolgen wird." — Gestern Abend ist die Kaiserin von Rußland, von dem König und ihrem Sohne, dem Großfürsten Michael, geleitet, auf dem Stettiner Bahnhofe anselangt und hat sich nach kurzem Verweilen nach Potsdam begeben. Zum Empfange hatten sich der Prinz Adalbert, der Minister präsident v. Manteuffel, der General der Cavalerie v. Wrangel, der Stahr- commandant Generalmajor v. Schlichting, der Polizeipräsident Frhr. y. Zedlitz- Neukirch und mehre Offizier« dasrlbst eingefunven. Nur «in geringer Lhril des Gefolges und der Dienerschaft, welche im Ganzen aus 163 Personen bestanden, blieb in Berlin zurück- Die Kaiserin sah sehr leidend au». Um jede Belästigung fernzuhalten, war eS dem Publicum nicht gestattet, sich den Wagen und den Perrons zu nähern. — Sichern» Vernehmen nach beabsichtigt die Regierung, da- Gesetz wegen Beschränkung der Zahlungsleistungen in fremdem Papiergeld auch auf die Appoints von 10 Thlrn. auszudehnen. Eine Circularverfügung des HandrlsministerS ist bereits ergangen, um gutachtliche Aeußerungen der kaufmännischen Korporationen über diesen Gegenstand zu veranlassen. — Aus Hamburg theilt man uns mit, daß einige für die preußische Regie rung in Amerika gekaufte No ggcnla düngen in der verflossene» Woche dort bereits eingetroffen und in die preußischen Militärmagazine weiter be fördert worden sind. — Auf der bevorstehenden Aollvereinsconferenz wird auch die Frage wegen der Getreidezölle von Preußen wiederholt zur Discussion gestellt werden. (B. B.-Z.) — Lie Verhandlungen des russischen Hofbankiers Baron Stieglitz mit dem pariser Credit mobilier wegen Errichtung von Credit- und indu striellen Instituten in Rußland sind, wie wir auS verläßlicher Quelle erfahren, vollständig ohne Resultat geblieben, und Hr. v. Stieglitz hat viel mehr nach seiner vor wenigen Tagen erfolgten Rückkehr Verhandlungen mit rheinischen Häusern eingeleitet, welche bessere Erfolge versprechen. Es be- geben sich dem Vernehmen nach mehre der betheiligten rheinischen Hand- lungschcfs in dieser Angelegenheit in nächster Zeit nach Petersburg. Wahr scheinlich wird die Darmstädter Bank, an welcher jene rheinischen Ban- kiers nahe betheiligt sind, an diesen Ncgociationen gleichfalls ihren Antheil haben. (C.-B.) — Dem Publicist wird folgender Vorfall aus Schubin (Posen) mitge- gethcilt: „Der katholische Propst Kentzer hat den katholischen Dienst leuten, welche bei Juden in Brot und Lohn stehen, die Beichte versagt und sie genöthigt, den Dienst ihrer Herrschaft zu verlassen. Als die jüdl- schen Brotherren sich natürlich weigerten, ihre Dienstleute auf Befehl deS Propstes zu entlassen, ertheilte er denselben folgenden Entlassungsschein: «Ich bescheinige hiermit von Amtswegen, daß nach den Gesetzen, resp. Vor schriften der katholischen Kirche einem Katholiken verboten ist, bei einem Ju den zu dienen oder in einem Dienstverhältniß im strengen Sinn de-WortS bei demselben zu stehen. Thut dies ein Katholik, so macht er sich d«r Un gehorsams gegen die Gesetze seiner Kirche schuldig. Schubin, 10. April 1856. Kentzer, Ortspropst.»" ^Breslau, 26. Mai. Vorigen Sonnabend hatte ein Attentat auf einen hiesigen Kleiderhändler, Plaßmann, statt- Plahmann halte einen Schneidergesellen ein für all« mal abgelohnt, weil er-angeblich mit seiner Arbeit nicht zuftirden war. Der Gesell, 40 Jahre alt, verhcirathet und Vater mehrer Kinder, ging in ein Gasthaus, trank daselbst stark, darauf kaufte er ein Terzerol, lud es mit Pulver und kleinen Kiescssttinen, suchte seinen ehemaligen Principal irr seinem Contor auf und legte hier die Mord waffe auf ihn an. Glücklicherweise versagte da- Zündhütchen. Man er griff den Attentäter und führte ihn ins Gefängniß. Derselbe, Namens Kitty, ein excentrischer Mensch, sagt nun aus: cs sei ein Misverständniß;