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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960625029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-06
- Tag 1896-06-25
-
Monat
1896-06
-
Jahr
1896
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Vorgestern bei der Fortsetzung der Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuches die das konservative Ansehen schwer schädigende Drohung, die Arbeit niederzulegen, wenn die Hasen, ohne daß die Jäger dafür aufkommen müssen, Kraut fressen dürfen, gestern zu einer Frage, die man als eine ideale aufzufassen vorgab, zwei Reden, von denen die eine mitleiderregend, die andere geradezu roh war, und beide von konservativen Rednern aus Gründen theils der Vernunft, theils des guten Geschmacks, theils der Wohlanständigkeit desavouirt werden mußten. Herr Schall, dessen Namen der Antrag auf Einführung der fakultativen Civilehe neben dem des Grafen Roon trug, und der ausdrücklich „im Namen seiner Freunde" gesprochen hatte, sah sich sogar genötbigt, nachträglich zu erklären, er habe seine Auslassungen allein zu verantworten. Die Deroute in der konser vativen Fraktion muß eine vollständige sein. Was Graf Roon über Conipromisse im Allgemeinen vorbrachte, war eine Verurtheilung der ganzen konservativen Ver gangenheit, indessen mit diesem Redner und Politiker wird Niemand rechten wollen. Nur Eins. Der Abgeordnete ver glich die Nationalliberalen und das Centrum mit einem jungen Ehepaar, von dem man nicht wisse, wer den männlichen und wer den weiblichen Theil vorstelle. Wenn der Herr Graf sich doch lieber erkundigt hätte, in welchem Verhältnis die Conservativen zu der Angelegenheit des Bürger lichen Gesetzbuchs ständen. Er würde von allen Seiten gehört haben, daß sie das Neutrum vorstellen. Der Antrag Roon-Schall erhielt nicht mehr als 33 Stimmen I Man darf nun neugierig sein, wie stark die Conservativen in den künftigen Sitzungen vertreten sein werden. Die Aus dauer der Abgeordneten wird auf eine etwas stärkere Probe gestellt, als noch vor einigen Tagen angenommen werden mußte. Von einer Beendigung der Arbeiten in dieser Woche kann keine Rede mehr sein. Die Ursache ist, daß die Mehrheit mit der größten Loyalität vorgeht. Gestern durfte auf die Berathung zweier Punkte die Zeit von 7r/4 Stunden verwendet werden. ES ist auch bereits eine Reihe von Abänderungsanträgen angenommen worden, von einer unwürdigen Hast kann also Jemand, der die Ver handlungen verfolgt, im guten Glauben nicht sprechen. Ossicivs wird angedeutet, daß der preußische Land- ag in seiner nächsten Session möglicherweise mit „Fragen von politischer Bedeutung", die zunächst das Ressort deS Ministers des Innern angingen, beschäftigt werden könnte. Wir hoffen, daß unter solchen Fragen die der Verbindung der politischen Vereine untereinander sich nicht befindet, diese vielmehr beim Zusammentreten des Landtags reichs gesetzlich dadurch geregelt sein wird, daß der Bundesrath dem vom Reichstag beschlossenen Vereinsgesetz zugestimmt hat. Der Reichstag hat sich bekanntlich darauf beschränkt, die Zulässigkeit der Verbindung der Vereine unter einander auszusprechen, und auf alle weiteren Aenderungen der Buntscheckigkeit der deutschen Vereinszesetzgebung ver zichtet. Daß er damit eine Angelegenheit zu ordnen ver sucht hat, die völlig spruchreif — überreif darf man angesichts des Processes gegen die socialdemokratische Organisation wohl sagen — geworden ist, haben die Regierungen durch den Mund des Staatssecretairs v. Boetticher anerkannt. Für die Bevorzugung der einzelstaatlichen Gesetzgebung au diesem Gebiete sind aber stichhaltige Gründe nickt erfindlich. Conservative Organe machen zwar geltend, die Regierungen müßten „Compensationen" für die Gewährung deS Rechts der Verbindung der Vereine verlangen. Dem ist jedoch entgegen zuhalten, daß die Verweigerung dieses Recht« für die Regierungen, insbesondere nach der Richtung der Bekämpfung der revolutionären Propaganda, gar keinen Werth besitzt. Im Gegentheil, es behindert die staatserhaltenden Parteien in der Abwehr der socialdemokratischen Agitation, die ihrerseits durch das Verbot der Verbindung sehr wenig „genirt" wird. Für das Verlassen einer der Verteidigung hinderlich ge wordenen Schanze eine Entschädigung zu verlangen, dazu liegt den Regierungen keine Verpflichtung ob. Haben sie den Wunsch nach gewissen vereinsgesetzlichen Hand haben gegen die socialdemokratische Unterwühlung, so können sie logischer Weise als Preis für die Gewährung derselben nicht ein Object bezeichnen, dessen Beseitigung sie ohnehin für geboten erachten. Zudem müßte man ganz genau wissen, was die einzelnen Regierungen wollen, um be- urtheileu zu können, ob sie dafür in den einzelstaatlichen Kammern, selbst in dem gegenwärtigen preußischen Abgeord netenhaus?, eine Mehrheit erlangen können. Wie dem aber sei, jedenfalls sollte gerade Preußen nicht daS Bedürfniß empfinden, eine von den Schöpfern der ReichSverfassung der ReicySgesetzgebung zugewiesene Materie für die Partikular gesetzgebung zu reclamiren. Es wäre zweifellos ein national politischer Rückschritt, wenn die deutsche Vormacht mit der Restaurirung von Grenzpfählen im Innern Deutschlands, zu deren wenigstens theilweisen Beseitigung sie Gelegen heit bat, den Anfang machen wollte und noch dazu in eklatanter Weise. Den Reichstag mit einem von einer drei Viertel seiner Mitgliederschaft repräsentirenden Mehrheit gestellten Verlangen an die Einzelstaaten zu ver weisen, das wäre ein im neuen Reiche in politischen Fragen bisher noch nicht beobachtetes Verfahren und würde sehr wenig in eine Zeit passen, wo der Reichstag dem Wunsche der Regierungen entspricht, ein Gesetzbuch für das ganze Reich durch entschlossenes Vorgehen vor Fährlichkeiten zu bewahren. Beiläufig bemerkt, ist es auch nicht ganz bedeutungslos, daß gerade die Partei, die sich bei der Vollendung des Bürgerlichen Gesetzbuches in den tiefsten Hintergrund zurückgezogen hat, fast die einzige ist, die der reichsgesetzlicken Beseitigung des Verbots der Verbindung der Vereine widerstrebt. In Oesterreich ist plötzlich der Erzherzog Otto dadurch in den Vordergrund des öffentlichen Interesses ge treten, daß er zu einem Theil der bisher von seinem älteren Bruder, dem präsumtiven Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, versehenen Geschäfte herangezogen worden ist, was seine Uebersiedelung nach Wien nölhig macht. Der Gesundheits zustand Franz Ferdinand'S ist bekanntlich kein sehr vertrauen erweckender, und wenn man sich auch augenblicklich keinen be- sonderenBefürchtungenhingebenmag,sonöthigtdochderUmstand, daßderkränkelnde Erzherzog unvermählt ist, beiZeitenaneineRe- servekraft zu denken. Erzherzog Otto gilt also mehr denn je für den kommenden Mann, und deshalb werden einige Andeutungen über ihn von Interesse sein. Der3l Jahre alte Erzherzog sieht seinem älteren Bruder äußerlich ziemlich ähnlich, in den Charak teren bestehl indessen verhällnißmäßig weniger Uebereinflimmung. Der ältere Bruder ist ernst, zurückhaltend, eher strenger ver anlagt, oder doch mindestens selbstbewußt. Erzherzog Otto ist heiterer und hat einen ausgesprochenen Sinn für die schönen Künste, die er persönlich pflegt. Gemeinsam mit seinem verstorbenen Vater besitzt er die Passion für das Kunstgewerbe in seinen verschiedenen Aus gestaltungen. Der Erzherzog ist ein vorzüglicher Reiter. Als ein besonders schöner Zug mag seine große Mild- thätigkeit hervorgehoben werden. Politisch ist er bisher in gar keiner Weise hervorgetreten. In der Presse des In- und Auslandes ist vielfach die Behauptung zu lesen gewesen, daß im Gegensätze zu dem verstorbenen Kronprinzen Rudolf die Erzherzöge Franz Ferdinand und Otto „klerikal" seien. Daß Kronprinz Rudolf nicht „klerikal" war, das weiß man allerdings. Was die beiden vorgenannten Erzherzöge betrifft, so soll es sich nach einer Wiener Cvrrespondenz der„Kr.-Ztg." mit denselben so ver halten, daß beide von religiösen Eltern religiös erzogen wurden und beide ihrer innersten Ueberzeugung nach auf positivem kirchlichen Boden stehen. Das möge man klerikal nennen, aber weder der verstorbene Erzherzog Karl Ludwig, noch die Erzherzöge Franz Ferdinand und Otto dürften geneigt sein, beziehungsweise geneigt gewesen sein, das zu machen, was man ultramontane Politik nennt. Religionslehrer der beiden Erzherzöge war der Wiener Dompropst vr. Gottfried Marschall, ein Mann, der von Eiferern häufig als „verkappter Josefiner" hingestellt wurde. Die Wahl dieses Mannes zum Religionslehrer spricht allerdings nicht für eine Vorliebe für dasjenige, was man „ullramontan" im politischen Sinne des Wortes zu nennen pflegt.Die österreichischen Erzherzöge beobachten eine traditionelle Zurückhaltung in politischen Dingen, aber man wird doch aus dem einen oder anderen Wort, oder aus einzelnen Handlungen des dereinltigen Thronfolgers, zu denen ihn seine jetzige repräsentative Stellung nöthigen wird, Anlaß zu annähernd sicheren Schlüssen auf sein politisches oroäo nehmen Uönnen. Der von der spanischen Regierung ausgearbeitete Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Anarchismus liegt jetzt im Wortlaut vor. Danach sollen künftig alle Vergehen gegen Personen oder Sachen, welche mittels Spreng- oder Zündstoffe begangen oder verflicht werden, von den Kriegsgerichten abgeurtheilt (Art. I), die Urheber solcher Vergehen mit dem Tode, die Hehler und Helfershelfer mit lebenslänglicher oder zeitweiliger Verbannung bestraft werden. (Art. 2.) Diejenigen, die, ohne unmittelbar zur Verübung der in Len vorstehenden Artikeln erwähnten Vergehen anzuregen, dazu mit Worten, Schriften, Drucksachen, Bildern nnd anderen Publi. citätsmitteln anreizen, sollen zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilt werden, wenn der Anreizung die Verübung nachgefolgt ist, und anderenfalls zu zeitweiliger Zwangsarbeit (Art. 3). Ferner wird die Regierung ermächtigt, sämmtliche Zeitungen, Ver sammlungslokale und Vergnügungslocale der Anarchisten, selbst wenn diese arglistig ihre Zwecke zu verdecken trachten, nach Einsicht nahme der von den betr. Provinzialbehördrn einaereichten Berichte, andernfalls, d. h. bei offenem anarchistischen Bekenntniß, ohne vorherige Berathung der Provinzialbehörden auszuhcben (Art. 4) und jedwede Person, von der nachgewiesen werden kann, daß sie sich zu anarchistischen Ideen bekennt, lebenslänglich des Landes zu verweisen, unter Androhung der Deportation nach einer Strafcolonie im Falle der Rückkehr (Art. 5). Dieses Gesetz soll zunächst vier Jahre in Kraft bleiben und nach Ablauf dieses Zeitraumes den Cortes zur weiteren Ratificirung unterbreitet werden. Wir glauben nicht, daß die spanische Regierung diesen Wortlaut von den Kammern votirt bekommt. Schon jetzt wird der Gesetzentwurf von den verschiedensten Seiten — und nicht ganz mit Unrecht — auf das Heftigste bekämpft. Die Organe der liberalen Partei betonen, daß Sagasta und seine Anhänger unmöglich einen Gesetzentwurf acceptiren können, welcher die anarchistischen Vergehen der Jurisdiction der Civilgerichte entziehe, und daß sie namentlich nie und nimmer dem Artikel 5 des Gesetzes ihre Zustimmung Heben werden, welcher der Negierung die Befugniß einraumt, die des Anarchismus Verdächtigen ohne gerichtliche Entscheidung auszuweisen. Die Republikaner sprechen sich natürlich noch heftiger auS, und selbst das Blatt des Herrn Silvela und der Neuconservativen nimmt gegen den Artikel 5 Stellung und erklärt, daß man im Hinblick auf die jetzigen Machthaber bei Ausnahmegesetzen wie dem vorliegenden nicht genug Vorsichtsmaßregeln gegen Willkürakte der Regier»«: ergreifen könne; habe doch Kammerpräsident Pidal zwischen drei Arten von Anarchismus: k) dem Anarchismus der Dynamitbolde, 2) dem kubanischen Anarchismus und 3) dem „zahmen" Anarchismus, unterschieden, ohne zu erklären, was er unter dem letzten eigentlich verstehe. Jedenfalls sind in der Kammer heftige Debatten zu erwarten, aus denen hoffent lich etwas Brauchbares hervorgeht, denn die öffentliche Meinung verlangt dringend, daß etwas geschieht. lieber den gegenwärtigen Stand des cnatisch-venczolanischen Grenzstreites war zuletzt vom „Reuter'schen Bureau" gemeldet worden, daß auf Befehl der venezolanische» Re zierung die Verhaftung eines englischen Beamten erfolgt sei und zwar auf streitigem, d. h. bis zur Beilegung der Grenzsrage neutralem Gebiet. Diese Meldung bezog sich nickt auf einen neuen Vorgang, sondern enthielt die Richtig- tellung der am letzten Donnerstag und Freitag von der englischen Regierung auf Grund ihrer damaligen Kcnntniß im lknterhause gegebenen beruhigenden Darstellung. Der Fall ist sonach ernster, als anfänglich angenommen worden war. Während die Engländer fortfahren, auf dem streitigen Gebiet Straßen anzulcgen und dergleichen, beansprucht die venezolanische Regiermlg für sich das Recht, nach ihrem Gut dünken auf dem linken Ufer des Kujuni, also auf ebensolchem Gebiete, sich zeigende Fremde festnehmen zu lassen. Das „Daily Chronicle", welches schon in der südafrikanischen Frage, an läßlich der jüngsten kategorischen, fast den Charakter eines Ultimatums tragenden Depeschen des Staatssecretairs Leyds an die englische Regierung merklich nach der Seite der Organe der Chartered Company hinübergerückt ist, schlägt jetzt auch in der venezolanischen Angelegenheit einen ganz anderen Ton au, als früher, und betrachtet die Lage als sehr ernst ; Ge- walttbätigkeiten könne England nicht ruhig hiunehmen; beein trächtige Venezuela durch solche die Gerechtigkeit seiner Sache, so besorge es nur die Geschäfte Derer in Europa, welche die englisch-venezolanische Grenzfrage gern auf die Bahnen der Leidenschaften und Vorurtheile lenken wollen. Es sind damit wohl die englischen Jingos gemeint; Laß deren Stimmen indessen bei der Regierung maßgebenden Einfluß erhallen sollten, ist angesichts der Gefahr, welche dadurch von Seite derVereinigtenStaaten beraufbeschworen werden würde, trotz deS kürzlichen venezolanischen Vorgehens nicht wahr scheinlich. Man wird annehmen dürfen, daß England fick nicht aufs hohe Pferd setzen, sondern einen gütlichen Aus gleich anstreben wird; denn die Vereinigten Staaten sind seine einzige Hoffnung im internationalen Concurreuzkampf, und mit ihnen wird man es daher um keinen Preis ver derben. Deutsches Reich. Berlin, 24. Juni. Die „Nordd. Mg- Ztg." schreibt: „Da die Frage der Ausbesserung der Richtergchältcr mit dem Scheitern der diesmaligen Vorlage nicht abgethan ist, wird in irgendeiner Fassung auch ter Asscssorcn- paragrapb wiederkehren, und es ist nur zu wünschen, daß man sich dann den freien Blick nickt wieder durch Zeitungs lärm trüben läßt, der in der Hauptsache mir Entstellungen und Verdächtigungen arbeitet." Wir halten es für überflüssig, die in den Schlußworten liegende Ungezogenheit gegen ausgezeich nete Parlamentsmitglieder ausdrücklich zurückzuweisen, und wollen nur den Rath ertheilen, dem in Aussicht gestellten neuen Assessorenparagraphen eine geschicktere Empfehlung bei zugeben, als sie der alte nachträglich in der „Nordd. Allgem. Ztg." findet. Das Blatt schreibt: „Erst durch das Ans »ührungsgesetz zum preußischen Gerickts-Verfassungsgesetz ist die Bestimmung geschaffen, daß jeder Assessor einem Gerichte zur unentgeltlichen Beschäftigung Überwiesen werden muß, Feuilleton. Im kleinen Hause. Novelle von E. Reinhold. Naibtrnck verkoten. In der vornehmsten Straße der großen Stadt, die stolze Reihe moderner, gigantischer Bauten mit anspruchsvollen Fronten jäh unterbrechend, steht ein altmodisches kleines HauS, einstöckig, mit hohem Giebeldach von Ziegeln und grünen Außenladen an den Fenstern. Bescheiden und freundlich schaut eS zwischen den hohen Bäumen des geräumigen Vorgartens, der es von der Straße trennt, hervor, ein Rest aus der alten Zeit, die die gute genannt wird. Wie ein Stückchen Gottesfrieden liegt es da zwischen seinen stolzen Nachbarn, einladend zur Rast, weniger für die rasche Jugend, die sich noch tummeln oll im Leben, im Kampfe Aller gegen Alle, als für das be chauliche Alter, das seinen Frieden genießen will, — wenn eS ihn gefunden hat. — „So ein kleine« Ding ist ihr Wittwensitz? Mein Fall wäre das nicht." — Vor der schlichten Gartenthür von Holz, durch die man von der Straße in das Gebiet deS kleinen Hauses tritt, stand ein elegant gekleideter Herr von aristokratischem Aussehen und schaute nachdenklich auf das im Golde der Abendsonne schimmernde kleine Anwesen. Da blieb sein Blick plötzlich auf einem kleinen weißen Zettel haften, den er bisher übersehen. „Möblirte Zimmer zu vermiethen", stand darauf. Betroffen fuhr er zurück. „Ei, wie kommt sie darauf? Sie kann doch unmöglich in Noth sein?" Rasch öffnete er die Gartenthür und schritt über den breiten Kiesweg dem Hause zu. Vor demselben trat ihm eine bejahrte, aber robuste Frauensperson entgegen, ihrem Aeußeren nach eine Dienerin des Hauses. Ihr Gesicht ließ auf ehr liche Grobheit als hervorstechende Charaktereigenthümlichkeit schließen. „Die Frau Pastor ist nicht zu Hause, was wollen Sie? Kommen Sie etwa wegen der Wohnung?" fragte sie mürrisch den Fremdling. Doch dieser ließ sich durch den schroffen Ton nicht verblüffen; mit der überlegenen Höflichkeit und Ruhe, die der formen sichere Mann von Welt auch der kollernden Feindseligkeit seiner gesellschaftlichen Antipoden entgegensetzt, ant wortete er: „Nein, der Wohnung wegen komme ich nicht; doch," setzte er nach kurzem Zögern hinzu, „beantworten Sie mir eine Frage. Das Vermiethen ist doch keine Nothwendigkeit?" „Und wenn es Nothwendigkeit wäre, was ginge das den Herrn an?" Der Fremde lächelte. DaS derbe Wesen der Dienerin schien ihn zu belustigen. „Nun, meine Gute", erklärte er, „daS ginge den Herrn doch wohl etwas an. Ich kenne Ihre Herrin von Kindes beinen an, sie ist im Hause meiner Eltern mit mir aus gewachsen wie mein kleines Schwesterchen. Ich bin der Professor —" „So?" unterbrach da den Professor, ehe er noch seinen Namen nennen konnte, die Alte, „da sind Sir wohl der Herr Vetter aus Amerika? Sprechen habe ich von Ihnen kören, aber ich bin nu an die zwanzig Jahre bei der Frau Pastor in Diensten und seit der Zeit haben Sie sich nicht ein einzig Mal um sie gekümmert. Ist e« so lange ohne Sie gegangen, kann's auch noch weiter gehen. Und wegen des Permiethens, wenn Sie'S beruhigt, nöthig haben wir's nicht, Gott sei Dank! 'S ist un« nur zu einsam geworden, seit die Kinder aus dem Hause sind." „Die Kinder aus dem Hause?" „Na ja, das Mädel ist doch verheirathet, und der Junge ist aus'S Schiff gegangen, und die Mutter haben sie hier allein gelassen. Da ist ihr nun banHe. Gott, sie könnt' ja auch noch mal heirathen, kriegen that sie schon einen, aber sie will nicht; so einen, wie den seligen Herrn Pastor findet sie doch nicht wieder. So, nun wissen Sie aber Alles." Damit drehte die brave Alte sich um und ging in das Haus, die Thüre kräftig hinter sich i»S Schloß fallen lassend, daß die alte Hausklingel noch lange in leisen Schwingungen nachzitterte. Ein wenig verblüfft blieb der Fremde, der sich als Vetter aus Amerika entpuppt hatte, auf dem Platze. Die Vor würfe der Magd und ihre klotzige Grobheit hatten seine vor nehme Ruhe erschüttert. „Das ist ja ein reizender Drache," murmelte er. „Ob meine kleine Base mir auch so einen herzlichen Empfang bereiten wird? Da müßte sie sich allerdings sehr geändert haben, denn sie war sonst immer recht zahm. Aber zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Ob ich nicht besser wieder fortgehe?" Doch er ging nicht, sondern ließ sich auf der Weißen Gartenbank nieder, die vor dem Hause unter einer mächtigen, gerade mit Blüthen bedeckten Kastanie stand. Dort wartete er auf die Gefährtin seiner Kinderzeit, und, wie natürlich, schweiften seine Gedanken rückwärts. Er war in seinen besten Flegeljahren gewesen, als daS verwaiste Cousinchen in sein Elternhaus gekommen war. Sie war ein freundlich bescheidenes Kind mit stellenweis herrorbrechender Schalkhaftigkeit, in ihrem Aeußeren nicht ohne Anmuth, aber keineswegs von besonderer Schönheit. Er hatte sich aus dem schlichten Mädchen nicht viel gemacht, schon deswegen nicht, weil Alle eS liebten, ihn mit dem kleinen Bäschen zu necken, insonderheit die gute Mutter, und die letztere ersichtlich nicht ohne geheime Wünsche für die Zukunft. Ihm aber war die Cousine viel zu simpel gewesen, denn er war ein stolzer Bursche, der hoch hinaus wollte. Wenn er als junger Fant an seine Zukunft dachte, da träumte er sich immer in den allerglänzendsten Verhält nissen, geehrt, bewundert, beneidet. Und da« hatte das Schicksal ihm ja so ziemlich erfüllt. Auf einer Studienreise, die er, der junge Naturwissen schaftler, bald nach seiner Promotion nach Südamerika unter nommen, hatte er sich in den Netzen einer pikanten, gluth- äugigen, natürlich auch vornehmen und reichen Südländerin gefangen, und er batte sich losgelöst von der Heimath und war im fernen Lande geblieben. Dort führte er als Grandseigneur ein Leben rm großen Stile, ganz wie er eS sich immer gewünscht, und auch an Ehre und Auszeichnung fehlte es ihm nicht, denn seine wissenschaftlichen Arbeiten hatten ih;n sogar jetzt einen Ruf als Professor an die hcimathliche Universität eingetragen. Das Glück der Liebe allerdings versagte das Schicksal dem Professor, denn seine Ehe mit der Tochter des Südens war keine glückliche gewesen. Er sowohl wie sie batten für Liebe gehalten, was nur ein augenblickliches Auf flammen leidenschaftlichen Verlangens gewesen war, die Grundbedingung eines harmonischen Zusammen lebens hatte gefehlt. Der Deutsche und die Spanierin, sie verstanden einander nicht, und als vor drei Jahren ihr Tod daS unerquickliche Verhältniß gelöst hatte, da war aus ihm, dem früheren, leicht entzündlichen Enthusiasten dem weiblichen Geschlecht gegenüber ein Skeptiker geworden, der an ein Glück, das die Liebe gewährt, nicht mehr glauben mochte. Er ver meinte, mit der.Licbe ein für alle Mal abgeschlossen zu haben. Von der kleinen simplen Base hatte er im fernen Lande, namentlich seit seine Eltern gestorben waren, wenig gehört. Man batte ihm wohl geschrieben, daß sie einen fast zwanzig Jahre älteren Pfarrer geheirathet hatte, und er batte fick mit einem leichten Lächeln der mütterlichen Zukunftspläne, ihn und die Cousine betreffend, erinnert und fick gesagt, daß ein würdiger Gottesmann jedenfalls der passendste Lebens geführte für das fromme Kind wäre. Auch daß sie Wittwe geworden, hatte er erfahren, aber er hatte keine Notiz davon genommen. Was hatte er noch mit der kleine» Base zu schaffen? Lag doch der Ocean zwischen ihr und ihm! Aber jetzt, da das Schicksal ihn in'S Vaterland zurück geführt, wollte er nicht an dem Hause seiner Verwandten vorübergehen, ohne ihr einen Besuch abzustatten, einen pflicht schuldigen Höflichkeitsbesuch, für den man eine freundliche Aufnahme erwarten darf. DaS Letztere schien ihm allerdings nach der Begrüßung durch die Magd mindestens zweifelhaft. Eine unbequeme Stimme in seinem Inneren sagte ihm, daß der Vorwurf der Vernachlässigung nicht unbegründet wäre, und daß seine Cousine nicht viel Ursache hätte, ihm besonders freundlich zu begegnen. DaS Resultat dieser Betrachtungen war, daß er der Ankunft seiner Anverwandten, di« er zeitlebens von oben
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