Volltext Seite (XML)
Ein illustrirtes Fachjournal für die Wollen-, Baumwollen-, Seiden-, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie sowie für den Textil-Maschinenbau; Spinnerei, Redaktion, Expedition u. Verlag: Leipzig, Brommestrasse 9, Ecke Johannis»Allee. Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur. — Fsmsprech-Anschluss: No. 1058. Chefredakteur und Eigenthümer: Theodor Martin. fcXZXuS» Organ der Organ der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft. Norddeutschen Textil-Berufsgenossenschaft. —='■" Organ der Vereinigung Sächsischer Spinnerei-Besitzer. — N°- 6. XIX. Jahrgang. Nachdruck, soweit nicht untersagt, ist nur mit vollständiger Quellenangabe gestattet. Leipzig, Redaktionsschluss: 30. Juni 1904. jNeue Jahnen für öie deutsche Seiöen-Dnöustrie. (Nachdruck verboten.) Seit einigen Jahren befinden sich die Seiden- waaren-Fabriken in keiner günstigen Lage. Es ist ein schwacher Trost für die deutsche Seiden industrie, dass es den übrigen Hauptplätzen in Europa, wie Zürich, Como, Wien, nicht besser, theilweise sogar noch schlechter ergeht Nur Lyon macht eine Ausnahme. Dort wird zwar auch über die Abnahme der Nachfrage nach den reichen seidenen Qualitäten geklagt, Lyon bleibt aber immer unter allen europäischen, Seidenstoffe producirenden Plätzen am besten beschäftigt. Woher kommt das? Die grössere Beweglichkeit der franzö sischen Fabrik sichert ihr die Ueberlegenheit über alle anderen. Einem Wechsel der Mode passt sie sich schneller an als die deutsche; Lyon stellt zudem eine viel grössere Anzahl verschiedener Gewebe her als der Niederrhein. Geht ein Artikel nicht mehr, flugs wird ein anderer auf den Schild gehoben, in dem schnellen Wechsel beruht mit das Geheimniss des Erfolgs. Es ist bekannt, dass jährlich noch grosse Summen aus Deutschland nach der Schweiz, nach Frankreich und Italien, sowie nach Ost- asien für Seidengewebe wandern Die deut schen Grossisten sind eben gezwungen, sich wegen einer Reihe ganzseidener Artikel nach dem Auslande zu wenden, weil diese in Deutsch land entweder gar nicht oder doch sehr un vollkommen hergestellt werden. Da in den letzten Jahren der Verbrauch in dünnen Seiden stoffen über alles Erwarten stark zugenommen hat, so wird die Frage jetzt um'so brennender, warum wir in Deutschland uns der Fabrikation dieser Artikel nicht intensiver zuwenden. Man führt dafür mehrere Gründe ins Feld, auf welche wir im Nachstehenden näher ein gehen wollen. Zunächst ist es die Lohnfrage, (Von B. L.). | die bei so leichten und billigen Artikeln natur- ; gemäss eine wesentliche Rolle spielt. Bei Seidenstoffen, die meist nur einen Verkaufs- • werth von 1,20—1,60 Mark per Meter in einer Breite von 50 cm haben, sind selbst kleine Lohn- | differenzen voneinigenPfennigenvonBedeutung. Ein grosser Theil der leichten Stoffe wurde früher, theilweise jetzt noch, auf Handstühlen in der Lyoner Umgebung hergestellt. Natur gemäss sind die Bedürfnisse dieser Weber, welche neben der Weberei noch Landwirth- schaft betreiben und während einiger Sommer- ; monate den Webstuhl vollständig still stellen, viel geringer als die der in der Stadt wohnenden Arbeiter, welche keine Nebenbeschäftigung haben. Dazu kommt, dass bei solchen Stoffen, welche eine geringe Schusszahl per Centimeter i bei sehr dünnem Schussmaterial aufweisen, I die Unterschiede zwischen mechanischer und Handweberei bezüglich der Produktion nicht | gross sind. Für diese Art Stoffe bietet der mechanische Webstuhl wegen der mangelnden Dichte wenig Vortheile, da diese Stoffe, z. B. Gaze, auf dem Kraftstuhle meist viel zu fest geschlagen werden. Wir haben bei uns in Deutschland auch ein Beispiel dieser Art, die für Cravatten viel gebrauchten Turquoises. Es sind dies Faille-Gewebe mit ziemlich dichter Kette, mitunter aber mit nur 13 — 15 Schuss per Centimeter. Sie werden aus diesem Grunde heute noch auf dem Handstuhle hergestellt, der bessere und nicht zu feste Waare ergiebt. Warum sollte es nun nicht möglich sein, statt dieser Turquoises andere dünne Gewebe herzustellen, wie z. B. Mousseline? Man be hauptet, dass unsere Weber mit dem ganz eigenthümlichen, zu diesem Gewebe nöthigen ’ Kett- und Schussmaterial, der sogenannten Torsion, nicht fertig würden. Torsion ist eine Mittelgattung zwischen Organsin und Trame, welche dadurch entsteht, dass man zwei Roh seidenfäden ohne vorherige Drehung stark zu sammenzwirnt. Zugegeben, dass der mit diesem j Material nicht vertraute Weber anfangs bei der Behandlung auf Schwierigkeiten stösst, ebenso dass er an seinem Webstuhl einige Veränderungen treffen muss, vielleicht sind I auch theilweise neue Stühle nöthig, um diese ' Gewebe herzustellen. Es wäre aber unseres I Erachtens wohl der Mühe werth, einen Ver such zu machen, diese Art Gewebe bei uns . einzuführen, umsomehr als wir uns bemühen, wenigstens dem Weber auf dem Lande seine Hausindustrie zu erhalten Die Versuche mit mechanischem Antrieb bei der Hausweberei, sei es durch Gas oder Elektrizität, haben sich in der Praxis nur bei einem kleinen Theil von Artikeln als vortheilhaft erwiesen. Gerade auf | dem Lande bietet der mechanische Einzelan trieb wegen der oft grossen Entfernung der 1 einzelnen Betriebsstätten voneinander mitunter bedeutende Schwierigkeiten Ein Versuch in der eben geschilderten Art würde sich im Ver- hältniss viel billiger stellen, selbst wenn ein neuer Webstuhl nöthig ist, als die Einrichtung \ von mechanischen Antrieben in den einzelnen Weberhäusern. Wir schätzen im Uebrigen die Intelligenz unserer deutschen Seidenweber ebenso hoch ein wie die der französischen. | Letztere, die bis vor einigen Jahren doch meist schwere Artikel herstellten, haben sich eben falls der Richtung der Mode anpassen müssen und weben heute mit demselben Geschick dünne und leichte Stoffe. Man wird mir vielleicht entgegenhalten, dass die Sache doch noch an dem zu hohen Kostpreise der Waaren scheitern würde. Aller dings gehört zur vortheilhaften Herstellung der