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Sonntag. KeiHzia Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr auS- gegrben. Preis für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Nr. 228. — 28. September 18SS. Deutsche Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Erseh!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpeditio» in Leipzig (Querstraße Nr. 8). InsertionSgebükr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. Preußen, ^Berlin, 26. Sept. Wie aus Paris hierhergemel- det wird, ist die Abreise des Kuriers oder Attache, welcher das für die neapolitanische Negierung bestimmte Ultimatum nach Neapel überbrin. gen soll, verschoben worden, und war dieselbe vorgestern Mittag noch nicht erfolgt. WaS der Grund davon ist, wissen wir nicht; doch werden die näch sten Tage wol Aufschluß darüber geben. Daß- man den Abgang des be reits beschlossen und ausgefertigt gewesenen Ultimatums gänzlich inhibiren werde, ist, wenn nicht ein besonderer Zwischenfall und namentlich keine Wen dung in der Haltung der neapolitanischen Negierung eintritt, wol nicht an- zunehmen. Unwahrscheinlich wäre es nicht, daß Oesterreich um die Unter lassung deS letzten Schritts, bis Hr. v. Hübner von Neapel abgereist sein und das Resultat seiner Bemühungen in bcstimmlcr Weise vorlicgen würde, dringend nachgesucht hätte. Es ist nun recht drollig, daß unsere Börsen- ZeitlMüstch bereits vorgestern, wo also Z^-S Ultimatum noch gar nicht ab- gegangen war, in der Lage befand, -Mpofitiver Weise" mittheilen zu kön nen, daß die neapolitanische Regierun'g „einfach und entschieden ablehnend" geantwortet habe. Es scheint in der That, als ob die Berliner Börsen- Zcitung einen eigenen Tatar in ihrem Dienste hätte. — Wie wir verneh men/sollen Frankreich, Oesterreich und England sich bereits damit einver- standen erklärt haben, daß die Neuenburger Frage bei dem ersten Wie- dcrzusammentritt der Pariser Conferenz in diplomatische Verhandlung gezo gen werde und zwar mit JnauSsichtnahme einer definitiven Regulirung der selben. Von Rußland, welches das Londoner Protokoll von 1852 bekannt lich ebenfalls mitunterzeichnet hat, soll eine Antwort noch nicht eingetroffen sein; doch ist eS wol keine Frage, daß man von dieser Seite auf die kräf tigste Beihülfe wird rechnen können. Hiermit dürfte die Sache vorläufig also, d. h. bis zum Wiedcrzusammentritt der Pariser Conferenz, auf sich beruhen. Der Zwischenraum an Zeit, welcher hierdurch gewonnen wird, dürfte zur Herbeiführung einer angemessenen Negulirung des Gegenstandes wol wesentlich mit beitragen. Was das kriegerische Heißblut gewisser nicht- preußischer Blätter betrifft, die sich plötzlich in ganz gewaltiger Weise mit der Wahrung der „Ehre" Preußens abgeben, so haben wir schon früher bemerkt, was davon zu halten sei. Setzen diese Blatter nun gleichwol noch immer ihre curiosen Tiraden fort, so muß man sie eben in Gottes Namen schwatzen lassen. — Aus der Kölnischen Zeitung Wörden Sie ersehen ha- den, daß der Redactcur der in Minden erscheinenden Patriotischen Zeitung, Hr. Emil Lindenberg, Anfangs dieser Woche von Minden nach Pots dam „unter Begleitung" geführt worden ist. (Nr. 225.) Der gegen ihn schwebende Proceß hängt bekanntlich mit der Potsdamer Depeschendiebstahls- geschichte zusammen, und soll sich die gegen Hrn. Lindenberg erhobene An- klage auf einen, schwere Beleidigungen gegen den Prinzen von Preußen ent- haltenden Brief gründen, den Hr. Lindenberg bei Gelegenheit einer Anwe senheit des Prinzen von Preußen in Minden an den Gcneraladjutanten v. Gerlach geschrieben hatte. Vom Criminalgericht zu Potsdam war zur Verhandlung des Protestes auf den 8. Sept. Termin angesctzt; Hr. Lin- denberg erschien indessen nicht, angeblich krankheitshalber, und die Ver handlung des Processes mußte demnach ausfallen. Das Attest, welches dem Gericht über das Befinden des Hrn. Lindenberg vorgelegt wurde, soll, wie es heißt, von einem Physikus ausgestellt gewesen sein. Es scheint nun, daß der Oberstaatsanwalt Schmark, welcher, wie in dem Proccffc gegen Techen, auch in diesem Prscesse das öffentliche Ministerium selbst vertritt, dem Attest keinen sonderlichen Glauben geschenkt und deshalb, zur Sicherung deS Erscheinens des Angeklagten im nächsten Termine, es vorgezogcn habe, ihn verhaften zu lassen. Infolge dessen ist Hr. Lindenberg am vergangenen Montag Abend in das Gefängniß des Kreisgcrichts zu Potsdam eingelie fert worden. Wann der neue Termin stattfindet, ist noch nicht bekannt; doch dürfte die Verhandlung des Processes wol schon ganz demnächst zu erwarten sein. Wie eS heißt, soll diesmal die Oeffentlichkeit nicht auSge- schldsseir werden; es wäre zu wünschen, daß dies sich bestätigt. Wird Hr. Lindenberg schuldig befunden, so dürfte der h. 77 des Strafgesetzbuchs gegen ihn' kn Anwendung kommen, welcher lautet: „Wer durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung die Königin, den Thron- folger, rin anderes Mitglied deS königlichen Hauses oder den Regenten des preußischen Staats beleidigt, wird mit Gefängniß von einem Monat bis zu drei Jähren böstraft. Auch kann gegen denselben zugleich auf zeitige Unfersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden." Es ist bieser'M^ unstreitig vom höchsten Interesse- Die Patriotische Ztzithng ist bekanntlich eine Filiale der hiesigen Kreuzzeitung, und es dürfte darum über bas Spionirshstem, welches von einer gewissen Seite gegen den Pttn^rn vüit Preußin, nach dem bekannten Pamphlet über den Potsdamer Depeschendiebstahl, ausgeübt worden sein soll, bei dieser Gelegenheit wol «in Näheres aN das Tageslicht kommen, wenn anderSDa-, was der Pam ¬ phletist sagt, nicht ganz auf Erfindung beruht. Vielleicht dürfte es ange messen sein, hier noch eine Stelle aus der Patriotischen Zeitung vom 27. Marz d. I. über den fraglichen Brief deS Hrn. Lindenberg an den Gene raladjutanten v. Gerlach folgen zu lassen. Dieselbe lautet: „Der Brief, den der Nedacteur dieser (der Patriotischen) Zeitung im Sommer v. I. an den General v. Gerlach geschrieben, enthielt eine Mittheilung über die An wesenheit Sr, k. H. deS Prinzen von Preußen hier in Minden und Das, was Sr. k. H. bei dieser Gelegenheit vor vielen Personen gesprochen hatte. Dieser Brief enthielt keinerlei Unwahrheiten, noch weniger «Verleum dungen« gegen des Prinzen k. H., wie aus seinem, gewiß mehrfältig conservirten Inhalt leicht zu constatiren ist. Der General v. Gerlach aber hatte dem Schreiber des Briefs weder zu dieser, noch zu irgend einer andern Mittheilung jemals einen Auftrag oder eine Anregung gegeben. Ersterer hatte den Brief ganz aus eigener Veranlassung geschrieben und hat außerdem nur einige Gesuche in Betreff der Patriotischen Zeitung, sonst aber gar kein Schreiben an den General v. Gerlach gerichtet. Es sind mithin alle aus dem Bekanntwerden des Briefs gezogenen Folgerungen un wahr und erlogen." Diesen Versicherungen gegenüber ist es nun höchlich sonderbar, daß die Staatsanwaltschaft sich gleichwol veranlaßt gesehen hat, eine Anklage gegen Hrn. Lindenberg zu erheben und ihn obendrein, wenn auch nur vorläufig und zunächst bloS zur Sicherung seines Erscheinens im nächsten Termin, auch gefänglich einzichcn zu lassen. Wir müßten unS sehr wundern, wenn bei dieser Gelegenheit nicht einige sonderbare Dinge an den Tag kommen sollten. Warten wir das Weitere jedoch ab. — Die Gattin und Familie des Muchli-Pascha verweilen seil einigen Ta gen hier und erregen viele Aufmerksamkeit Muchli-Pascha ist bekanntlich der frühere preußische Oberstlieutenant o. Kuczkowski, welcher seinerzeit als Instrukteur der Artillerie nach der Türkei gegangen ist und nunmehr die Stelle eines Generals der türkischen Artillerie bekleidet.— Viel lacht man hier über folgenden Vorfall. Am 24. Sept, hielt der hiesige Evange lische Verein eine erbauliche Versammlung. Während das zahlreiche, meist aus Weibern bestehende Auditorium einem geistlichen Vorträge mit Spannung folgte, schrie plötzlich eine Frau, wie verzückt, laut auf: „Seid gerecht, er kommt, er komnrt, der Herr ist am Altar!" Diese, von un mittelbarer Inspiration hervorgerufene Exclamation erzeugte natürlich eine große Bewegung und mit der Andacht war eS zu Ende. Es stellte sich später heraus, daß die betreffende Frau häufig den Versammlungen berJr- vingianer beiwohnt, bei welchen dergleichen Jnsrirationcn und Ausrufungen sehr häufig vorzukommen pflegen. Hr. Wagener, der vormalige Redactenr der Kreuzzeitung und nunmehriger Mitführer der äußersten Rechten, gehört bekanntlich ebenfalls zu den Jrvingiancrn, worin seine Redensarten vom er sten Adam und vom zweiten Adam ihre Erklärung finden. Hr. Wagener steht bei seiner Sekte in großem Ansehen, und er bekleidet, wenn wir nicht ganz irren, die Würde eines ViceerzengelS von der siebenten Stufe. — Wie man der Hamburger Börscn-Halle auS Berlin schreibt, sind von Seiten der preußischen Negierung nunmehr mit sämmtlichcn Großmächten in Bezug auf die Neuenburger Frage Unterhandlungen ««geknüpft wor den Wie verlautet, wird in den Weisungen, welche den Vertretern Preu ßens bei den europäischen Höfen zugegangen, im Hinblick auf die diesseiti gen Rechtsverwahrungen und auf das Londoner Protokoll vom 24. Mai 1852 sowie unter Hinweis auf die vom Ministerpräsidenten v. Manteuffel in der Pariser Conferenzsitzung vom 8. April d. I. abgegebene Erklärung die zuversichtliche Erwartung an den Tag gelegt, daß die Mächte zur Er ledigung der Sache im Sinne der wiederholt für begründet erkannten Rechts ansprüche des preußischen Königshauses ihre guten Dienste eintretcn lassen- Gleichzeitig spricht Preußen dir Hoffnung auS, cs werde gelingen, die An gelegenheit auf dem gütlichen Wege der diplomatischen Vermittelung zum befriedigenden Austrag zu bringen. Die Neue Preußische Zeitung sagt: „Der brüsseler Nord läßt sich von einem berliner Correspondcntcn schreiben, die preußische Regierung beab sichtige, daS Furstenthum Neuenburg an Frankreich abzutreten gegen eine Terrilerialentschädigung bei Saarbrück. Allerdings sagt der Nord, daß ec diese Nachricht nur mit jeder Reserve verbreite; aber cs gibt denn doch Gerüchte, die man besser ungcdruckt läßt, als sie, in welcher Weise auch, wtiterzutragen. Mehr gegen dies Gerede zu sagen, wird unsererseits nicht nöthig sein, zumal ja dem Nord selbst in einer andern Korrespondenz derselben Nummer klar auSeinandergcfetzl wird, daß Preußen sich zunächst mit den Garanten de« Londoner Protokolls ins Vernehmen zu setzen habe. Daß dies geschieht, haben wir schon neulich gcmrldet." — Die National-Acitung schreibt untcrm 25. Sept.: „Das von PH. Na- thüsius in Neinstedt herausgegebene «Bolksblalt für Stadt und Land», be kanntlich das Organ der Hengstenberg-Leo'schcn Partei, Hal in der neuern Zeit besondevs die'Freimaurerei zum Gegenstand seiner Anfeindung ge-