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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22 j Silbergr. ss Tblr.) vierteljährlich, Z Thü. für dar ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. für die Man prönmnerirt auf dieses Literatur- Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichS- Straße Nr. 72); in der Provinz s» wie im Auslande bei den Wvhlläbl. Posi-Aemtern. Literatur des Auslandes. 64. Berlin, Montag den 30. Mai 1^42. Italien. Sicilianische Skizzen. I. Palermo, das Glückliche. Palermo verdient noch jetzt den Ramen, der ihm vor zwei Jahrtausenden beigelegt wurde; jetzt, wie vor zwei Jahrtausenden, ist es das glückliche Palermo. Wenn es eine Stadt in der Welt giebt, welche alle Bedingungen des Glücks in sich vereinigt, so ist cS die sorglose Tochter der Phönizier, keliee, welche die Alten, in einer Secmuschel sitzend, wie die Göttin der Liebe, darstcllten. Gelegen zwischen dem Monte Pellegrino, der die Stadt vor der Tramontana schirmt, und der Bergkette der Bagherie, die sie gegen den Sirocco schützt, hingestreckt am Ufer eincs^Golfs, der nur den von'Neapel als Nebenbuhler fürchtet, umkränzt von einem grünen Gürtel von Orangcn- und Granatbäumen, von Ccdcrn, Mprthen, Aloe's und Lorbecrrosen; im Besitze der Erbschaft der Sarazenen, die ihr die Paläste, der Normannen, die ihr die Kirchen, der Spanier, die ihr die Serenaden hinterlassen haben, ist die Stadt poetisch wie eine Sultanin, anmuthig wie eine Französin, liebe- glühend wie eine Andalusierin. Ihr Glück ist eine Gunst der Götter, welche die Menschen nicht zerstören können. Die Römer haben sie in Besitz genom men, die Sarazenen sie erobert, die Normannen sich in ihr festgesetzt, die Spanier sie nur eben verlassen, und allen diesen Herren, die sie zu ihren An betern machte, hat sie mit demselben Lächeln zugclächelt; sic ist eine Courtisane, welcher nur die Kraft immer verlangender Wollust gegeben ist. Die Liebe ist die Hauptbeschäftigung in Palermo; an allen anderen Orten lebt man, arbeitet man, denkt man, handelt man, spckulirt man, kämpft man; in Palermo liebt man. Die Stadt bedurfte eines himmlischen Beschützers; man denkt nicht immer an Gott und hat also eines Bevollmächtigten nöthig, der statt unserer an ihn denkt. Man glaube aber ja nicht, daß sie sich einen strengen, mürrischen, tadclsüchtigen Heiligen auserwählt habe. Nichts weniger als das-, sie hat sich eine junge, schöne, gütige Jungfrau auserkoren- Denn ein Weib, wie keusch und heilig es auch sehn mag, hat immer etwas von der Natur der Magdalena an sich; einem Weibe, wäre cs auch als Jungfrau ge storben, ist immer eine Ahnung der Liebe aufgegangcn. Als wir daher nach einem anstrengenden Marsche, der uns durch ver brannte und von Erdbeben durchwühlte Wüsteneien geführt hatte, von einer Anhöhe hcrab Palermo gewahr wurden, das sich in den bläulichen Meercs- wellen spiegelte, stießen wir einen Freudenschrei aus; beim Anblicke Palermo's vergißt man Alles; Palermo ist ein Ziel; cs ist der Frühling, der auf den Winter folgt, die Ruhe nach der Anstrengung, der Tag nach der Nacht, der Schatten nach der Sonne, die Oasis nach der Wüste. Beim Anblicke Palermo's verging uns alle Müdigkeit; wir vergaßen die harttrabendcn Maulesel und die Flüsse mit den tausend Krümmungen; wir vergaßen die Gasthäuser, deren geringster Uebelstand noch der ist, daß der Reisende in ihnen nichts zu essen und zu trinken findet ; wir vergaßen die Wege, die in jedem Winkel, hinter jedem Felsenvorsprunge einen lauernden Banditen bergen; wir vergaßen Alles, um nur Palermo zu sehen und den frischen Meereshauch einzuathmen. Wir stiegen auf einem Wege hernieder, der einerseits von hohem Schilf- rohr eingefaßt war, andererseits vom Mcerc bespült wurde. Der Hafen war voller Schiffe, die vor Anker lagen, der Golf voller kleiner Segelschiffe. Eine Meile vor Palermo zeigten sich schon die weinumrankten Landhäuser, die von Palmen beschatteten Paläste. Alles hatte einen wunderbar festlichen Anstrich, und in der That trafen wir gerade zum Feste der heil. Rosalie ein. Je näher wir der Stadt kamen, desto schneller schritten wir zu, denn Palermo zog uns an wie der Magnetbcrg in Tausend und einer Nacht. Nachdem es uns von weitem seine Dome, seine Thürmc, seine Kuppeln gezeigt, eröffnete es uns seine Vorstädte. Wir durchwanderten eine am Meere gelegene Promenade und kamen dann an ein Thor von Normannischer Bauart; die Schildwache, anstatt uns anzuhalten, grüßte uns, als ob sie uns hätte sagen wollen, daß wir willkommen wären. Ganz Palermo hatte einen festlichen Anblick; Fahnen wehten aus allen Fenstern, große Bandstreifen hingen von allen Balkons hcrab; Säulcngänge und hölzerne Pyramiden, behängt mit Blumenkränzen, dehnten sich in der ganzen Länge der Straßen aus. Vor dem bischöflichen Palaste stand ein §5 bis 8V Fuß hohes Gerüst, in der Form der Porzellan-Pyramiden, auf welchen die Bonbons zum Dessert scrvirt werden; es war mit blauem Taffet überzogen und mit silbernen Frangen geschmückt; auf der Spitze erhob sich eine Frauen gestalt, die ein Kreuz hielt und von Engeln umgeben war; es war der Wagen der heiligen Rosalie. Um 3 Uhr besuchten wir die Promenade der Marine; es ist dies die Promenade sür die Wagen und Reiter, wie die Flora für die Fußgänger. Hier, wie in Florenz und Messina, machen alle Wagen um 0 oder 7 Uhr Abends ihren xiro. Es läßt sich nichts Entzückenderes henken als diese Pro menade, die von einer Reihe von Palästen begränzt wird und vom Golfe aus die Aussicht auf das Meer eröffnet, so wie aus die Höhenzüge, die sie um schließen und beschützen. Bon 0 Uhr Abends bis 2 Uhr Morgens weht der xreoo, ein frischer Nordostwind. Das ist die Stunde, wo Palermo erwacht, aufathmet und lebendig wird. Fast die ganze Stadt versammelt sich auf diesem schönen Quai im bunten Gemisch der Wagen, Fußgänger und Reiter, und Alles schwatzt, spricht, singt und lärmt durch einander wie ein Schwarm munterer Vögel, tauscht Blumen, Rendezvous und Kliffe aus. Alle streben nach ihrem Ziele, die Einen nach der Liebe, die Anderen nach dem Vergnügen. Alle trinken aus den» schäumenden Kelche des Lebens und fragen gleich wenig nach der einen Hälfte Europa's, welche sie beneidet, wie nach der anderen, die sie bedauert. Neapel tyrannisirt Palermo, vielleicht, weil es eifersüchtig ist. Was fragt aber Palermo nach der Tyrannei Neapels? Neapel mag ihm sein Geld nehmen, seine Ländereien zur Unfruchtbarkeit verdammen, seine Mauern Nieder reißen, seine Marine wird cs ihm doch nicht nehmen, auch nicht seinen xreco, der es am Abend erfrischt, nicht seine Palmenbäumc, die es am Morgen be schatten, nicht seine Orangenbäume, die beständige Düfte streuen, nicht den Licbcsdrang, der es in süße Träume wiegt. Man sagt: Neapel scheu und sterben. Ma» müßte sagen: Palermo sehen und leben. Um 9 Uhr stieg eine Rakete in die Luft; sie gab das Signal zum Feuer werke, welches vor dem Palast Buttcra veranstaltet wurde. Als dies zu Ende war, vertheilten sich die Spaziergänger; ein Theil blieb, ein anderer begab sich nach der Flora. Wir schlossen uns diesen an, und nach 10 Minuten waren wir am Thore dieses Spazierganges angelangt, der als einer der schönsten botanischen Gärten Europa's bekannt ist. Er war glänzend erleuchtet; an den Zweigen hingen buntfarbige Lampen, und auf den freien Plätzen hatten sich Musik-CorpS ausgestellt, welche den Bürgern und dem Volke zum Tanz auf spielten. Wir blieben hier bis 10 Uhr. Um diese Zeit öffnen sich die Thürcn der Kathedrale und lassen die Brüderschaften, die Corporationen, die Hciligen- kästchen und die Reliquien herauSströmcn. Wir begaben uns also nach der Kathedrale. Diese ist ein herrliches Gebäude aus dem I2ten Jahrhundert, von halb Normannischer, halb Sarazenischer Bauart und ungemein zierlich bis in die kleinsten Theile ausgeführt. Die Thüren standen offen und der Chor strahlte ein blendendes Licht von sich. Wir durchwanderten den inneren Raum drei- oder viermal nach seinem ganzen Umfange und blieben nur dann und wann stehen, um die 80 Säulen von orientalischem Granit zu zählen, welche die Decke tragen, und um die Marmor- und Porphyr-Grabmäler zu betrachten, in denen einige der früheren Herrscher schlafen. Als Mitternacht hcrannahte, ließen wir uns nach dem Corso fahren, der um diese Stunde beginnt und dessen Schauplatz die Straße Cassero ist. Diese ist die längste Straße, und sie durchschneidet die Stadt in ihrer ganzen Länge. Als die Emire sich in Palermo festsetztcn, wählten sie zu ihrer Residenz ein altes Schloß, das am Ostende gelegen ist; dies befestigten sie und nannten cs el Cassacr; daher der Name Cassero. Auch heißt sie, wie die fashionable Straße von Neapel, die Straße von Toledo. Nun denke man sich diese lange Straße von einem Ende zum anderen er- leuchtet, nicht bloß die Fenster, sondern auch die erwähnten Säulengängc und Pyramiden; man denke sic sich gefüllt von einem Ende zum anderen von den Wagen der vielen Fürsten, Herzoge, Marquis, Grafen und Barone, in diesen Wagen die schönsten Frauen in den prächtigsten Festkleidern, sodann ans beiden Seiten die dichten VolkSreihen, welche ihre gewöhnlichen Lumpen unter einer Sonntags-Toilette verbergen, und man wird eine Vorstellung von dem nächtlichem Corso des St. Rosalien-Tages haben. An einem solchen Festtage brach die Revolution des Jahres >826 aus. Der Fürst de la Cattolica wollte sie unterdrücken und ließ einige Ncapolita- nische Regimenter verrücken. Aber das Volk stürzte sich auf sie, und ehe sie zum Angriff schreiten konnten, hatte es sie über den Haufen geworfen, ent- waffnet und zerstreut Nun durchflogen die Insurgenten die Stadt, indem sic dem Fürsten den Tod schworen. Der Fürst flüchtete zu einem seiner