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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000706026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900070602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900070602
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-07
- Tag 1900-07-06
-
Monat
1900-07
-
Jahr
1900
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Die geretteten amerikanischen Missionare und andere Gerettete, im Ganzen 85 Personen, trafen am 3. Juli in Tsingtau ein. In Peking sollen am 27. Juni die dort befindlichen auf ständischen Soldaten sich auf mehr al« 100 000 Mann be laufen haben. Zugleich wird gemeldet, daß der Kaiser Kuangsü am 19. Juni von dem Prinzen Tuan ge zwungen wurde, sich durch Opium da« Leben zu nehmen. Die Kaiserin-Regentin folgte seinem Beispiele, lebt aber noch, soll jedoch infolge der Wirkung des Opium« geisteskrank sein. Weiter wird gemeldet, daß der britische Consul, „um ein letzte« RettungSmittel zu versuchen", an den General JuawkuSkai telegraphirt und ihn dringend gebeten hat, seinen Beistand zur Rettung der Europäer in Peking zu leihen. Man muß annehmen, daß diese Depesche leider Wohl ihren Zweck nicht erreicht hat. Wa« die Stellung Deutschland« zur Chinasrage anbetrifft, so führt ein gestern in einem Theile der Auflage abgedruckter Berliner Brief an die officiöse Wiener „Pol. Corresp." aus: „Wie sich die auswärtige Politik Deutsch land« den ostasiatischen Ereignissen gegenüber bisher stets mit Rußland in Fühlung hielt, so wird e« auch weiter geschehen. Auch in der Haltung England gegenüber wird keine Aende- rung eintreten; ebensowenig werden die Interessen der anderen betheiligten Mächte, wie Japan und der Vereinigten Staaten, deutscherseits unbeachtet gelassen werden. Da« deutsche Reich werde eS nicht daran fehlen lassen, zu Gunsten der Fortdauer der Eintracht der Mächte mit allen Kräften mitzuwirken. DaS bedeute freilich nicht, daß sich die deutsche Politik bereit finden könnte, die Ausführung der ihr in China gewordenen ^Aufgabe in fremde Hände zu legen und die Wahrnehmung der ureigensten Interessen und nationalen Pflicht anderen zu überlassen. Die auswärtige Politik de« deutschen Reiche« werde mit allen zulässigen Mitteln auf Wiederherstellung der Ordnung in den betreffenden chinesischen LandeStheilen hinwirken, aber thunlich Alle« unter lassen, was eine dauernde Erschütterung der Grundlagen de« chinesischen Reiches herbeiführrn würde." Wegen der Ermordung de« Gesandten von Ketteler hat auch der österreichisch - ungarische Botschafter in Berlin, v. Szögyöny-Marich, im Namen seiner Regierung der deutschen Regierung die tiefste Entrüstung und schmerzlichstes Beileid anläßlich deS unerhörten Vorfälle« ausgedrückt, welche Condolenzkundgebung mit warmemDanke beantwortet wurde.— Ebenso ließ König Alexander von Serbien dem deutschen Gesandten Baron v. Waecker-Gotter gegenüber sein Beileid auSdrücken. Namen« der Regierung erschien Finanzminister Petrowitsch auf der Gesandtschaft. * London, 5. Juli. (Unterhaus.) Unterstaatssekretär Brodr ick «klärt, «S seien keine neueren Nachrichten al« die bereits mit- getheilten aus Peking eingetroffen; auch habe die Regierung keine Bestätigung der Gerüchte betreffs der allgemeinen Niedrrmetze- lung der Europäer. Bezüglich der Frage des Vormarsches sei die Ansicht der Befehlshaber, daß ein weiterer Vormarsch nicht möglich sei, bi- die Truppenmacht etwas verstärkt worden sei. In dieser Beziehung müsse die Antwort der japanischen Regierung auf eine an sie gerichtete Mittheilung abgewartrt werden. Die britische Regierung habe dem chinesischen Gesandten bedeutet, daß dir Behörden in Peking persönlich für schuldig gehalten würden, falls Mitglieder europäischer Gesandtschaften oder andere Ausländer in Peking Ver letzungen erlitten. Der chinesische Gesandte sei aufgesordert worden, diese Botschaft in solcher Weise zu befördern, daß ihre Ablieferung an die Behörden in Peking gesichert sei; der Inhalt der Botschaft werde den Bicekönigen im ganzen chinesischen Reiche bekannt ge macht werden. Dtllon fragt an, ob die Regierung darüber tnfor- mirt sei, daß der amerikanische Admiral Kempfs den Angriff auf die Forts von Taku deshalb beanstandete, weil durch denselben die regulären chinesischen Truppen gezwungen worden seien, mit den Boxern gemeinsame Sache zu machen. Dillon wünscht zu wissen, wie sich jetzt die amerikanischen Streitkräfte verhielten. Unter staatssekretär Brodrick antwortet, er sei darüber nicht informirt. Der englische Admiral habe telegraphisch ge meldet, sämmtliche verbündeten Admirale wirkten in Taku in vollkommenem Einvernehmen. In Erwiderung aus eine ander« Frage erklärt Brodrick, es sei zweiselhaft, ob eine organisirte Regierung in China vorhanden sei, mit der England sich als im Kriege befindlich betrachten könne. Die ersten Angriffe auf das Personal der englischen Gesandtschaft seien am 9. und 10. Juni erfolgt. Die Sommerresidenz der englischen Gesandt schaft, welche außerhalb Pekings liege, sei an letztgenanntem Tage zerstört worden. Der Vormarsch gegen Peking sei am 10. Juni aus Verlangen der englischen Gesandten Macdonald unternommen worden. (Wiederholt.) * London, 5. Juli. Die Abendblätter veröffentlichen eine Depesche aus Hongkong vom 4. d. MtS., welche besagt: Der Gouverneur Blake ist heute vom Norden zurückgekehrt und hat das Anerbieten deutscher Freiwilliger, sich an der Vertheidigun g der Colonie zu be- »heiligen, welches in seiner Abwesenheit angenommen worden war, abgelehnt. Fall« sich Gelegenheit geben sollte, sei er bereit, sie als besondere Polizeimannschaft zu verwenden. Tu» Eorps hat sich daher aufgelöst. Die Mitglieder derselben erklärten sich nach einer Zusammenkunft bereit, auf jede Weise der Ver- theidigung der Colonie zu dienen, wenn die- nothwendig sei. In Folge dieser Ablehnung wurden die Anerbieten der übrigen fremden CorpS zurückgezogen. W. v. Hanneken, der lange Jahre Instructeur der chinesischen Truppen in Tientsin war und der die Chinesen genau kennt, schreibt im „B. L.-A." u. A. folgende ernste Worte: Es war (er knüpft an frühere Mitthellungen an) wenig Erfreu liches, wa» ich dem Leser im Hinblick aus die sogenannte gelbe Gefahr erzählen konnte. Düstere Prophezeiungen mußte ich aus sprechen, die leider größtcntheils bereit» Wahrheit geworden sind. Ich muß gestehen, daß, obwohl ich jedes meiner Worte aus das Gcwissenhasleste prüfte, ich immer noch den geheimen Gedanken hegte: „Möge ich doch zu schwarz gesehen haben, möge sich doch Alles noch in der zwölften Stunde zum Besten wenden." Meine geheime Hoffnung ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Wie ein Schlag ins Gesicht wirkte für jeden Angehörigen eines civilisirten Staates die Kunde von der entsetzlichen Mordthat an unserem Gesandten Frhrn. v. Ketteler. Fast möchte man das Ohr verschließen, um nichts mehr hören zu müssen von den weiteren Greuel- thaten,die sich bcreils in Peking abgespielt haben werden. Nur derjenige. der schon Gelegenheit hatte, den Chinesen in seiner ganzen Bestialität kennen zu lernen, kann sich rin Bild machen von den Scenen, die sich in der Koijerstadt deS Reiches der Mitte abgespielt haben. Die euro päischen Bewohner Tientsins sind, wenn nicht rasche Hilfe naht, einem ähnlichen Schicksal verfallen. Hoffentlich gelingt es den ver einten Anstrengungen der Mächte, das Schlimmste von den Tient- sinern feruzuhalten, indem man sie noch den Klauen der Chinesen entreißt. Die neuesten Nachrichten lassen wenig Hoffnung zu, Tientsin für die Europäer zu erhalten. Ist die Sicherung der Einwohner be werkstelligt, d. h. sind dieselben aus Tientsin glücklich ent kommen, so müssen sich die Mächte vorläufig mit diesem Erfolge begnügen. DaS nahe liegende Taku muß der Zufluchts ort für olle Europäer der Provinz Petschili werden, ferner wird es der Stützpunkt für die vereinigten Streitkräfte der Mächte sein. Um aber Taku zu einem solchen Platze zu gestalten, bedarf es größerer fortificatorischer Arbeiten, denn Taku ist nur nach der Seeseite mit Schutzmitteln versehen und hat landein wärts keinerlei Befestigungsanlagen. Mit den momentan vor handenen Truppe» sollte es möglich sein, die fehlenden Befestigungs werke bei der 'leichten Bearbeitung des dortigen Bodens innerhalb dreimal 24 Stunden herzustellen. Es kann sich natürlich dabei nur um sogenannte Feldbatterien, Geschützeinschnitte, verbunden durch Schützengräben, handeln. Bermuthlich sind alle Wohnhäuser in Taku bei dcr Bejäneßung zerstört worden, insbesondere gilt dies von den Cairrnements der chinesischen Truppen, welche dicht hinter den Umwallungen ihren Platz hatten. Im Weitere» macht er Vor schläge wegen Unterbringung der Europäer. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Juli. Wie unser Berliner L-Correspondent schon telegraphisch ge meldet hat, ist ihm von bestunterrichteter Seite mitgetheilt wor den, daß Deutschland gegenüber dem Wunsche, Iapandie Execution in China zu übertragen, sich zunächst neutral ver halten, dann aber angesichts der ablehnenden Haltung Ruß lands erklärt hat, es könne in dieser Beziehung keinen Druck auf Rußland ausüben, weil das seinem guten Verhältniß zu Rußland nicht entspreche. Dieser Standpunkt der deutschen Regierung wird in den weitesten Kreisen unseres Bolkes rückhaltlose Zustimmung finden, denn cr entspricht zweifellos dem Gesammtinteresse Deutschlands ebenso, wie er in Bezug auf die chinesische Frage sich als der Weg Heraus stellen dürfte, durch dessen Beschreiten Deutschland sein ost asiatisches Interesse am zweckdienlichsten wahren wird. Daß in England die Bemühung, Deutschland vermittels der ostasiatischen Wirren in einen Gegensatz zu Rußland zu bringen, als gescheitert angesehen wird, geht aus der Meldung der „Daily News " hervor: Deutschland denke wegen der ablehnenden Haltung Ruß lands nicht daran, die Execution durch Japan nochmals zu be fürworten. Eine derartige Befürwortung hat in Wirklichkeit nicht stattgefunden, vielmehr hat sich Deutschland, wie gesagt, dem fraglichen Projekte gegenüber zunächst neutral verhalten. Man wird kaum irren, wenn man der Stellungnahme Deutsch lands in Bezug auf die Gruppirung der Mächte in Ostasien — Rußland auf der einen Seite, England und Japan auf der anderen Seite — eine grundsätzliche Bedeutung beimißt. Ist das richtig, dann haben sich die in letzter Zeit an manchen Stellen ausgesprochenen Befürchtungen, Deutschland werde sich, falls die Lösung des chinesischen Problems zu einem Weltbrande führen sollte, auf die Seite Englands schlagen, als gegenstandslos er wiesen. Wenn gegenwärtig die Unklarheit der diplomatischen Lage wenigstens zum Theil durch die in Rede stehende Stellung nahme Deutschlands aufgehellt wurde, so ist das auch insofern dankenswerth, als die bekannten englischen Wünsche auch in der österreichisch-ungarischen Presse gefördert zu werden begannen. Hierher gehört eine Nachricht des „Pester Lloyd", die wissen wollte, Rußland habe gegen die Ueber- tragung eines Executiv-Mandats an Japan nichts einzuwenden; eine Nachricht, die mit den Thatsachen schlechterdings nicht in Einklang gebracht werden kann. Daß die Mächte sich nicht als im Kriege mit China befindlich betrachten, ist bekannt, wird heute aber mit besonderer Lebhaftigkeit von den Vereinigten Staaten betont. Nach zuverlässigster In formation ist auch der Standpunkt Deutschlands auch in dieser Hinsicht nach wie vor unverändert: auch Deutschland hält daran fest, daß von einem Kriegszustände mit China so lange nicht die Rede sein kann, als die Existenz einer einheitlichen Centralgewalt in China ebenso unbekannt ist, wie ihr Antheil an der augenblicklichen Anarchie. Ueber die Nordlandsreise des Kaisers ist Bestimmtes nicht zu erfahren. Es muß daher dahingestellt bleiben, ob sie gänzlich unterbleiben wird oder nicht. Das sockaldemokra tische Centralorgan läßt es sich angelegen sein, in seinem Leserkreise Beunruhigung in Bezug auf die für China bestimmte Tivision des ersten PanzergcschwaöcrS zu erwecken. Der „Vorwärts" nennt die Seereise dieser Schiffe „ein bisher rn der Marine für diesen Schiffstyp noch nicht zu verzeichnendes Unternehmen", und fährt alsdann fort: „Die Seeeigenschaften der Schiffe sind nicht sehr günstige. Der Bericht der derzeitigen Schiffsprüfungs commission über die Seeeigenschaften dieser Schiffe sagte, daß bei der Fahrt gegen hohe See der vordere Thurm der Schiffe nicht zu bedienen sei, da das Schiff zu viel Wasser übernehme und auch aus gleichem Grunde die Schnellfeuerkanonen in der Batterie nur zum Theil verwandt werden können." — Unser Berliner -Corresondent hat auf Grund genauer Informationen diese Behauptung des „Vorwärts" trotz dessen Berufung auf einen angeblichen Bericht der Schiffsprüfungscommission bereits tele graphisch als unwahr bezeichnet. Brieflich fügt er dieser tele graphischen Erklärung heute Folgendes hinzu: „Daß auch die Schiffe dieses Typs bei hoher See Wasser übernehmen und daß die Bedienung der Schiffsgeschütze dadurch erschwert wird, ist allerdings richtig. Daraus aber Schlüsse auf ungünstige See eigenschaften der Schiffe zu ziehen, ist vollkommen falsch. Gerade Schiffe dieses Typs sind in den seiner Stürme wegen bekannten Golf von BiScaya bald nach ihrer Indien st st ellung geschickt wor den und haben sich dort im schweren Wetter bei Windstärke8sehrgutbewährt. Die Behauptung deS „Vorwärts" erweist sich demnach als eine grundlose, in tenden ziöser Absicht erfolgende Ausstreuung." In Mülhausen im Elsaß hat gestern eine in mehr facher Hinsicht wichtige ReichStagScrsatzwahl stattgefunden. Der socialdemokratische Abg. Bueb hatte dort unter dem Drucke der Parteileitung, mit der er in Differenzen gerathen, sein Mandat niedergelegt. Die oberelsässische Fabrikstadt, die mit ihren weit ausgedehnten, von den Fabrikanten geschaffenen Arbeiterwobnungen schon vor Jahrzehnten wegen dieser Arbeiterfürsorge sich eine« besonderen RufeS erfreute, war doch nach und nach der Socialdemokratie verfallen. Seit zehn Iabren war daS ReichStagSmandat in socialdemokra tischen Händen. 1898 wurde Bueb im ersten Wahlgange mit 13 610 Stimmen bezw. 1846 Stimmen Mehrheit ge wählt. Jetzt standen die Aussichten für die Ordnungs parteien au« verschiedenen Gründen von vornherein günstiger. Bueb war al« Einheimischer in den Arbeiter- Fririlletsn. Liana. Roman von Martan Comyn. Nachdruck vkrbotni. So war denn die Angelegenheit geordnet, und als Diana nach kurzer Zeit in ihr Zimmer hinaufging, glänzte ein schöner Saphirring an ihrer Hand, daS Zeichen ihrer Verlobung. Nancy, welche sich in ungewöhnlich gedrückter Stimmung befand, beobachtete Diana auf daS Gespannteste, und mit einem Takt, den man bei ihr gar nicht gewohnt war, wußte sie sich jeder Aeußerung über die bevorstehende Vermählung Diana's zu ent halten. Mit keiner noch so geringfügigen Andeutung unter brach sie das Stillschweigen, welches Diana darüber bewahrte. In ihrem Innern war sie davon überzeugt, daß Diana sich glücklich schätzen könne, einen so schönen und liebenswürdigen Mann, wie Antonius Beauchamp war, zum Gatten zu be kommen. Natürlicher Weise würde Nancy eine große Hochzeit, bei welcher sie Gelegenheit gehabt hätte, zu glänzen, vorgezogen haben; sie unterließ eS auch nicht, mit AntoniuS deswegen eine vertrauliche Rücksprache zu nehmen, doch als sie auch hier auf ganz entschiedenen Widerspruch stieß, ließ sie sich endlich dazu herbei, die getroffenen Anordnungen zu genehmigen, indem sie sich mit dem Gedanken tröstete, daß sie ja nach Diana's Ver- heirathung alleinige Herrin in Crowhurfi sein würde und dann nach eigenem Ermessen schalten und walten könne, WaS ihr unter diesem „nach eigenem Ermessen handele" vorfchwebte, Warrn große Gesellschaften, Gartenfeste und ein ununterbrochener gesellschaftlicher Verkehr; sie wollt« in jeder Woche ihren SmpfangStag haben, den sie so verlockend und an ziehend zu gestalten dachte, daß sich die ganze Nachbarschaft von Crowhurst dazu drängen würde. Die Gewächshäuser sollten ihre au«erl»sensten Früchte und Blumen dazu liefern, und Nancy selbst wollte eine musterhafte Wirthin sein, welche durch tbrr Pariser Toiletten die Bewunderung der Herren und den Neid der Damen erregen würde. Dieser Gedankt tröstete sie vollständig über den Verlust ihrer Schwester, denn wa» die selbstsüchtige kleine Person überhaupt an Zuneigung für Jemanden besaß, gehörte ihrer Schwester Diana. Aber da kamen Nachrichten, welch« diese herrlichen vor nahmen gründlich durchkreuzen zu wollen schienen. Erich schrieb aus Irland, daß das Befinden Pauline's mit jedem Tage besser würde, und daß Lady Drummond und er mit der Kranken, so bald diese genügend gekräftigt sein würde, um reisen zu können, nach Crowhurst kommen würden. Man hoffte, daß die Luft veränderung günstig auf das junge Mädchen einwirken würde. Erich hatte sich mit Pauline in aller Stille verlobt, Lady Drummond hatte schließlich, als sie die Nutzlosigkeit ihrer fort gesetzten Feindseligkeiten erkannt hatte, ihren Widerstand auf gegeben. Sie war klug genug, einzusehen, daß Pauline sich nie mals entschließen würde, ihren Sohn Wilfried zu heirathen, und daß sie ebensowenig einen Theil ihres Vermögens aufs Spiel setzen würde, indem sie ohne die Einwilligung ihrer Tante einen Andern heirathete. Ueberdies war die Krankheit ihrer Nichte nicht ohne Eindruck auf Lady Drummond geblieben, dieselbe hatte sie in den größten Schrecken versetzt und sie sagte sich, daß man sie von Tadel nicht hätte freisprechen können, wenn dem jungen Mädchen etwas Ernstes zugestoßen, das heißt, wenn sie der Krankheit erlegen wäre. AntoniuS amiisirte sich über den Aerger Nancy's, als Diana beim Frühstück den Brief Erich's, welcher all' diese Neuigkeiten enthielt, mittheilte. Nancy war durchaus nicht erfreut darüber gewesen, als sie vernommen hatte, daß Erich Pauline heirathen wolle. Daß ihr Bruder daran denken konnte, überhaupt heirathen zu wollen, war ihr als der Gipfel der Selbstsucht erschienen. Und als nun dieser Brief Erich's eintraf, vermochte sie ihr Mißfallen nicht länger zu unterdrücken. „Ich werde gar nicht im Hause bleiben!" rief sie aus. „Pauline soll hier in meinem eigenen Heim nicht Königin über mich sein! Nein, das ertrage ich nicht! An dem Tage, wo sie hier rintrifft, reis« ich ab!" „Und wohin werden Sie gehen?" fragte AntoniuS, um dessen Lippen bei diesen Worten ein versteckte» Lächeln spielte. Die junge Dame warf ihm einen entrüsteten Blick zu. „Nach London oder nach Paris vielleicht — ich weiß es jetzt noch nicht, aber jedenfalls werde ich nicht hier bleiben!" „Armer Erich, da» werden ja sehr betrübende Nachrichten für ihn sein, wenn er hrimkommt!" murmelte Antoniu», sie ganz ernsthaft ansehend. „Kann nicht» Sie in Ihren Entschlüssen wankend machen?" Nancy wußte nicht recht, ob er im Ernst sprach, oder sich nur über sie lustig mache. Sie blickte ihn forschend an, aber er erwiderte den Blick mit dem unschuldigsten Gesichte von der Welt. Diana dagegen war zum ersten Male seit Erich's Abreise wieder in froherer Stimmung. Der Gedanke, daß Erich wieder zurück sein würde, beglückte sie unaussprechlich, und die Ueberzeugung, daß sein und Pauline's Glück gesichert war, söhnte sic beinahe mit ihrem eigenen Schicksal aus. „Ich glaube, wir bekommen einen prächtigen Tag für unser Picknick", bemerkte Antonius, indem er aufstand und zum Fenster hinausblickte. „Ich werde einmal nach dem Stall gehen und nachsehen, ob Petropolis heute wohl genug ist, um uns zu fahren. Wenn dies nicht der Fall ist, so müssen wir di« Grauen nehmen. Lassen Sie nicht allzu lange auf sich warten", fügte er zu Nancy gewendet hinzu, da er schon mehr als einmal die Er fahrung gemacht hatte, daß sie niemals zur rechten Zeit fertig werden konnte. Die junge Dame zuckte bei dieser Mahnung mit den Achseln und warf trotzig den Kopf zurück, während Diana nach ihrem Zimmer hinaufging, um noch, ehe sie zu dem beabsichtigten Picknick aufbrachen, einige Zeilen an Erich zu schreiben. Die Thür zu ihrem Zimmer war nur angelehnt, und der weiche Teppich, der den Boden desselben in seiner ganzen Aus dehnung bedeckte, dämpfte den Schall ihrer Schritte, so daß die gegenwärtige Inhaberin deS Zimmers da» Eintreten Diana'» nicht wahrnahm. An einem der beiden Fenster stand Keziah, in der einen Hand einen Staubwedel haltend und in der anderen ein Zeitungsblatt, in welchem sie la». Sie war so in ihre Beschäftigung vertieft, daß einige S«cundrn ver gingen, ehe sie sich der Anwesenheit Diana's bewußt wurde, und al» die» geschah, verbarg sie hastig da» ZeitungSblatt in ihrer Tasche und blickte Diana mit einem bleichen, verstörten Antlitz an. „Was fehlt Ihnen, Keziah?" fragte ihre junge Herrin teil nehmend. „Sie sehen ja so bleich und angegriffen au»." Keziah holte tief Athem und bemühte sich, ihre Selbst beherrschung wieder zu erlangen. Nach Verlauf einiger weiteren Sekunden sagt« sie in ihrem gewöhnlichen ruhigen Tone: „Ich glaub«, ich bin in der letzten Zeit nicht ganz wohl ge wesen, gnädige» Fräulein; ich habe rigenthümliche Krampfanfälle gehabt, und da» Unbedeutendste von der Welt kann mich in den größten Schrecken versetzen — gerade wie r» in diesem Augenblick durch Ihren Eintritt hier geschah. Beabsichtigen Sie, in Ihrem Zimmer zu bleiben, gnädige» Fraulein? Wenn dem so ist, so will ich später wiederkommen — ich bin noch nicht mit dem Ordnen de» Zimmer» fertig." Obgleich sie ihre Stimme vollkommen beherrschte, hatte sie doch nicht dieselbe Macht über ihr Antlitz. Ein nervöses Zucken umspielte ihre Mundwinkel, und sie sah noch immer fast geister haft bleich aus. „Ich danke, Sie werden am besten thun, einem der Hilfs mädchen Ihre Arbeit für heute zu übertragen, während Sie sich niederlegen und ruhen", bemerkte Diana. „Ich werde Doctor Collins kommen lassen, vielleicht kann er Ihnen ein Mittel geben, was Sie wieder herstellt." . „O, bitte, nein, gnädiges Fräulein, thun Sie nichts Der artiges!" sagte Keziah hastig. „Es ist nur ein vorübergehender Anfall, mir wird von selbst besser werden. Der Grund meines schlechten Befindens ist, daß ich in der letzten Zeit zu viel im Zimmer gewesen bin; ich denke, ein wenig frische Luft wird mir gut thun. Wenn Sie gestatten, gehe ich nachher eine Stunde in den Park. Ich habe schon öfter solche Anfälle gehabt und frische Luft hat mir stets geholfen." Diana war außerordentlich rücksichtsvoll gegen die Dienst boten und machte sich fast Borwürfe darüber, daß sie Keziah's Unpäßlichkeit nicht schon vordem bemerkt hatte. Unter diesem Einflüsse stand sie, als sie jetzt sagte: „Sie können heute mit uns nach Fernie Glen kommen. Thompson hat für die Wagenkörbe zu sorgen und Sie können ihm dabei ein wenig zur Hand gehen. Die Fahrt wird Ihnen vielleicht gut thun." Keziah murnielte einige unverständliche Worte des Dankes und zog sich dann zurück — von Diana's Verfügung durchaus nicht gerade angenehm berührt, obgleich sie nicht gewagt hatte, ihrem Mißfallen darüber Ausdruck zu geben. Einige Augenblicke später traf sie Mr. Viponj, und Uber diesen ergoß sich nun ihre schlechte Laune. „Ich wünschte wohl, Miß Beauchamp kümmerte sich um ihre eigenen Angelegenheiten!" erklärte sie, al» der Detectiv stehen blieb, um rin paar Worte mit ihr zu wechseln. „Sie bildet sich alles Mögliche ein, und weil ich heute zufällig ein wenig blaß auSsehe, muß ich gleich krank sein, und damit ich frische Luft genieße, zwingt sie mich, zu dem Picknick mitzugehen, was sie heut« veranstaltet haben. Als ob mir da- etwas helfen würde!" „Sie sehen wirklich schlecht auS", sagt« Mr. Vtpont, sie auf merksam anblickend. „WaS fehlt Ihnen?" „Gar nichts — nur ein wenig Kopfschmerzen habe ich. Aber wa» da» Picknick anbetrifft, so wünschte ich, sie ließe mich damit ungeschoren!" fuhr sie, noch immer erregt, fort. „Eine hübsche Fahrt für mich, den ganzen Weg neben Thompson sitzen zu müssen." ES war bekannt, daß Thompson und Keziah ewig im Streit mit einander lagen.
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