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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021105021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902110502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902110502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-11
- Tag 1902-11-05
-
Monat
1902-11
-
Jahr
1902
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Aber welch einen trüb seligen Anblick bot der Sitzungssaal! Kaum 60 Reichs- boten batten sich zur Eröffnung der Debatte eingesunden und am Ende mußte die Beschlußunfähigkeit seslgestellt werden. Und dabei waren e» nicht einmal die Sozial demokraten, die dieses klägliche Endresultat herbeisührten; die Mehrheit würde sich die Blamage der Feststellung der Beschlußunfähigkeit erspart haben, wenn sie den Ber- tagungSantrag deS Abg. Or. Barth, über den nickt nament lich abgestimmt wurde, angenommen hätte. Aber sie stimmte dagegen und deshalb kam es zum Krach. Warum dieser herbeigesübrt wurde, darüber gehen die Ansichten weit aus einander. Jedensall» wäre die Absicht der gestrigen Mehr heit, die große Zahl der Abwesenden an ihre Pflicht zu er innern, noch die verzeihlichste, wenn auck nicht geleugnet werden kann, daß es noch andere, die Würde des Hauses weniger beeinträchtigende Mittel gibt, die Säumigen berbei- zuführen. Jedenfalls hat der gestrige SitzungStag bewirten, daß die Verständigungsversuche über die umstrittenen Zollfragea noch nicht von Erfolg gewesen sind. Ein parla mentarischer Berichterstatter weiß denn auch zu melden: „ES kann mit Bestimmtheit versichert werden, daß es bis zur Stunde in Sachen des Zolltarifs zu einer Verständigung zwischen den Mehrheitsparteien des Reichstags und der Regierung nicht gekommen ist. Die Verhandlungen werden noch immer weitergeführt, aber die Hoffnung auf eine Einigung scheint heute in den agrarischen Kreilen tiefer gesunken zu sein, als in der vorigen Woche. Die Agrarier sind, wie es heißt, unter sich noch ebenso uneins, wie früher; einen Generalplan zur Bekämpfung der Opposition hat man noch nicht entworfen. Ohne Aenderung der Geschäftsordnung würde ein solcher Generalplan auch wenig nützen, und für die Aenderung der Geschäftsordnung ist vorläufig keine Mehrheit vorhanden, da man im Zentrum rin solches ge- waltsameS Vorgehen nach wie vor für bedenklich hält. Die ganze Hoffnung der Konservativen und Zentrumsagrarier baut sich auf Las Zusammenfassen acht großer Gruppe» von Torifpositionen für die Diskussion auf. Für die Abstimmungen aber ist damit nichts gewonnen, denn diese dürfen nach der Geschäftsordnung nicht zu- sammengesaßt werten. In konservativen Kreisen soll die Absicht vorherrschen, Dutzende von Abstimmungen auf gewisse Tage zu verschieben und sie dann eventuell mit Hülse von Nachtsitzungeu zu erledigen. Für die Ausführung dieser Ideen würde es aber er forderlich sei», daß die Mehrheit für sich präsent wäre. Der hierzu notwendige Grad von Beschlußfähigkeit wird jedenfalls sehr schwer zu erreichen sein. Somit stehen der Ausführung auch dieses Planes fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen." AehnlickeS ist freilich schon wiederholt geschrieben worden, und doch gestalteten sich die Aussichten am Ende voriger Woche wieder erheblich besser. Wenn freilich die Verständi gung über die sachlichen Differenzen nicht nur, sondern auck über einen Plan zur Bekämpfung der Opposition nicht bald erfolgt, so stehen wir am Beginn der Versumpfung der Zollvebatten. Ter Wechsel in der Wiener Lentschen Botschaft. An die Stelle des sckwer erkrankten Fürsten Pbilivp Eulenburg, der seit dem 2l. Mai 1891 als deutscher Bot schafter am Wiener Hofe accrediliert war, wird vo-auSsickt- lich der bisbcrige Vertreter Deutschlands beim Qnirinal, Graf Karl Wedel, treten. Es steht noch nicht fest, wann Fürst Eulenburg sein Abberufungsschreiben in Wien wird überreichen iönnen; infolgedessen läßt sick nock nicht sagen, wann Graf Wedel seinen neuen Poften in Wien antrelen wird, wo er eine überaus gern gesehene Persönlichkeit ist. lieber seinen LebcnSganz ist Folgendes mitzuteilen: Karl Graf Wedel ist als der Sohn eines oldenburgischen General leutnants am 5- Februar 1842 geboren, schlug die militärische Earritzre ein und trat nach 1866 in preußische Dienste. Ende der siebziger Jahre kam er als Militärattachö nach Wien, wurde aber kurz nach seiner Ankunst abkommandiert, um den serbisch bulgarischen Feldzug mitzumachen. Nach Beendigung dieses Krieges kehrte er in seine Wiener Stellung zurück, die er zehn Jahre bekleidete nnd in der er eine dem Hose sympathiiche Persönlichkeit war. Inzwischen zum Oberst und Flügeladjutanten des Deutschen Kaisers aufgerückt, erhielt er das Kommando des 2. Garde- lUauenregiments in Berlin, dann trat er auf einige Zeit ins Ber liner Auswärtige Amt ein, um sich ans den diplomatischen Dienst vorzubereiten. Er ging darauf 1892 als Gesandter nach Stockholm. Im Jahre 1894 verheiratete sich Gras Wedel mit der ver- wittwrten Gräfin Stefanie Platen, geborenen Gräfin Hamilton, einer gebürtigen Schwedin, und erhielt 1895 die Stellung eines Gouverneurs von Berlin. Vor drei Jahren kam Gras Wedel als deutscher Botschafter nach Nom. In der italienischen Hauptstadt sieht man den Botschafter ungern scheiden. Die offiziöse „Tribuns- hebt die streng loyale Fürsorge, die Graf Wedel stets in Rom der Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zwischen Deutschland und Italien gewidmet hat, hervor Die Nachricht von seinem Scheiden erfülle jedermann, der Leu Grafen und seine Tätigkeit schätzen gelernt, mit aufrichtigem Bedauern. Dieses Bedauern könne nur durch die Neberzeugung gemildert werden, daß Wedel auch in Wien an dem unveränderten Fortbestehen des Dreibundes Mit arbeiten werde. Zu dem Botschafterwecksel wird dem neuen Wiener Blatte „Die Zeit" aus Rom geschrieben: Graf Wedel hatte den Kaiser Wilhelm wiederholt um Enthebung von dem Bot- sckasterposten in Rom gebeten, da seine Gattin, eine geborene Schwedin, das römische Klima nicht gut verträgt. Kaiser Wilhelm drückte dem Grasen zu Anfang Oktober in Potsdam das Bedauern darüber aus, daß er sich vom diplomatischen Dienste zurückziehen wolle, und ersuchte ihn gleichzeitig, bis nach dem für den April l903 in Aussicht genommenen Besuch deS Kaisers in Nom im Amte zu bleiben. Mit der Absicht, diesem Wunsche seines Monarchen zu entsprechen, kehrte Graf Webel nach Rom zurück. Das Scheiden des Fürsten Eulenburg aus dem Amte gab jedoch dem Kaiser Gelegenheit, dem Grasen Wedel, der sick im Sommer nächsten Jahre« gänzlich auf die schwedischen Güter zurückziehen wollte, das Verbleiben im aktiven Dienste durch Berufung auf den Wiener Botschafterpollen zu ermöglichen. Kaisers Geburtstag in China. AuS Peking, Mitte September, wird uns geschrieben: DaS Geburtstags fest des Kaisers Kuanghsü, der vor einigen Wocken sein 3l. Lebensjahr vollendete, ist im chinesischen Reiche mit wenigen Ausnahmen ziemlich unbe achtet voiüber gegangen. Die Feier dieses TageS ist ein vom AuSlande importierter Gebrauch, der nock nicht recht Wurrel geschlagen und auck wenig Aussicht hat, größere Verbreitung zu finden,da das Ansehen des mandschurischen Herrscher hauses bei dem chinesischen Volke immer mehr schwindet. In Peking wurde die Geburtstagsfeier in üblicher Weise nur durch den kaiserlichen Hof begangen; das diplo matische Korps beteiligte sick daran nur durch Flagzenhissen und Kartcnabgabe. In den Hasenorlen beschränkte sich die Feier im allgemeinen darauf, daß die anwesenden Kriegs schiffe aller Nationen und die Dampfer der Ehina Merchants Eompany über die Toppen flaggten. In Shanghai halte der Taotai, wie in früheren Jahren, ein Festessen veranstaltet, zu dem er das Konsularko>ps cingeladcn hatte. Neu und bc- 'onders glänrend war die Feier, die der bekannte Vizekönig Chang Cblh Tung in Hankau veranstaltete. Der Vize- tönig, der übrigens seinen jetzt 20jäbrigen Sohn demnächst für mehrere Jabre nach Deutschland zu schicken beabsichtigt, hatte hierzu alle konsularischen Vertreter der Ver- tragsmäckte, die im Dienste der chinesischen Regierung stehenden chinesischen Beamten und die Spitzen der chinesischen Zivil- und Militärbehörden eingeladen und führte ihnen eine Parade der Elite seiner Truppen vor, wobei die Kom mandos zum Teil deutsch abgegeben wurden. Bei rem sich daran schließenden Festessen hielt Chang Cdih Tung zwei Ansprachen, in deren erster er seiner Freude über die guten Beziehungen zwischen den fremden Mächten und China Ausdruck gab, während die zweite der deutschen Armee galt, die von jeher das Vorbild Chinas gewesen sei und der die chinesische Armee schon so viel zu verdanken habe. Den deutschen Ver treter Halle der Vicetönig noch besonders gebeten, mit Rück sicht auf die „besonders innigen" Beziehungen zwischen Deutschland und China doch ja die Teilnahme der Offiziere eines deutschen Kriegsschiffes an dem Feste zu ermöglichen, doch konnte der Bitte leider nickt ent sprochen werden, da kein deutsches Kriegsschiff im Hafen von Hankau anwesend war. Auch dieses Beispiel lehrt, wie wichtig für Deutschlands Interessen die ver mehrte Stationierung deutscher Kanonenboote auf dem Jangtse wäre. Los von Rom in England. „Die Auflösung des Protestantismus in Schottland schreitet rasch voran", so verkündele vor kurzem aller Welt der „Bayerische Kurier". Auck m England haben, wie andere ultramoutane Blätter zu melden wissen, die romanisierenden Elemente die Oberhand gewonnen. Pfarrer Bourrierist als Schwindler entlarvt, da er keinen angeblich übergetretenen französischen Priester nennen kann, sonst hätte er sick w 'kl gerne die ausgesetzte Prämie verdient. Ueberall ist die streitbare Papstkirche im siegreichen Vordringen begriffen und mit dem Protestantismus ist es zu Ende. Ein solches Bild bekommt ein katholischer Leser aus seinen Blättern. In Wutüchkeit verhält es sich jedoch etwas anders. Bourrier darf aus leicht begreiflichen Gründen die Namen der 800 übergeiretenen Romprrester nicht nennen, wenn er ihnen nicht unberechenbaren Schaden zusügen will. Frankreich ist eben noch immer ein katholisches Land. Dagegen veröffentlicht Pfarrer Bacon-Philipps aus Crowhurst in Sussex eure lange Liste erst in neuester Zeil übergetreteoer katholischer Geist licher. Wie groß gerade in England ihre Zahl sein muß, geht wobl daraus hervor, daß ein ganzes Verzeichnis vor handen ist, zu dem die weiter unten angeführten Namen nur die Ergänzung deS Jahres 1902 vorstellen. Die Liste ist, wie der „Converted Calholic" mitteilt, nicht einmal voll ständig, da sie nur einen Teil der protestantischen Bekennt nisse umfaßt. Es sind überzetreten folgende Herren: Anton Leopold Becker, Auguste Beller, Josef Francis Bossy, Robert Charles Aylmer Boye, Michael Brougbam, Michael Angelo Camilleri, John Cbapman, John Croß, Richard Clark, John Philipp Dalton, James Taafe Finn, Arthur Howard Galton, John Francis Joseph Grandjean, Daniel Kerrin, Philipp Richard Joiepb Limerick. John Bernard Mc Govern, Aloysius Cajetan Lobo, Jeremiah Percy Neville, Thaddeus O'Callaghan, Constant Prosper Marie Porrier, Domenico Autonio Rocca, John Joseph Scully, Jeremiay, Murphy, Louis Napoleon Seichan, Charles Frederick Godbold Turner, James Waring, Jules Xavier Willemar. So sieht also die „Auflösung des Protestantismus" in England in Wirklichkeit aus. Es besteht auch hier wie überall er» Sehnen: Lo» von Rom! Deutsches Reich. Berlin, 4. November. tZvllauskunfts- stellen.) Die Zolltarifkommission hat bekanntlich be antragt, und der Reichstag in zweiter Lesung der Vorlage beschlossen, in 8 1 des Zolltarifgesetzes einen neuen Para graphen einzufügen, wonach in jedem Steuerdirektions bezirk eine Behörde zu errichten sei, die aus Verlangen über die Zolltarifsätze Auskunft zu geben habe, zu welchen, bestimmte Waren oder Gegenstände im deutschen Zoll gebiete zugelasseu werden. — In der Kommission wurde bereits erklärt, daß man mit der Auskunstserteiluug der auf dem Verwaltungswege bereits eingerichteten Aus kunftsstellen vollkommen zufrieden sei und daß ein Bedürf nis, den gegenwärtigen Zustand gesetzlich festzulegen, nicht bestehe. Tatsächlich erfüllen die.von den Landesregie rungen eingesetzten AuSknnftsstellen der Zolldirektiv- behörden ihren Berus sehr gut. Seit ihrem Bestehen ist jeder Importeur in der Lage, sich, bevor er den Eingangs zoll entrichtet, bei der Auskunftsstelle der Direktivbehörde, zu deren Machtbereich die betreffende Einsuhrstelle gehört, genau darüber zu unterrichten, wie der betreffende Artikel zoll- und steuertechnisch zu behandeln sei. Die Auskunft, welche ihm erteilt wird, bleibt bindend für die Behörde, selbst in dem Falle, daß infolge von Reklamation von an derer Seite eine Korrektur derselbe» eintritt. Wie wir zuverlässig erfahren, sind die nächstbetciligten Kreise mit dieser neuen Ordnung der Tinge fast durchgängig zu frieden. Früher 'amen an den Reichstag und an den Bundesrat unzählige Beschwerden über vermeintlich un gerechtfertigte Art der Behandlung von zu verzollenden Waren. Und sehr ost sah sich ein Importeur noch Jahr und Tag zur Nachzahlung von Eingangszoll gezwungen, dessen Betrag bisweilen in die Tausende ging. Bon alle dem ist jetzt kaum noch, selbst in Ausnahmefällen, die Rede. Im Bundesrat wird der Segen der neuen Einrichtung be sonders angenehm empfunden. Die Beschäftigung mit den Reklamationen belastete einen Teil der Arbeitskräfte oft über Gebühr. H- Berlin, 1. November. DieLöhnederimBerg- ban beschäftigten Ar beiter waren in dem Jahr- Feuilleton. Das Findelkind. Roman von Ernst Georgh. Nachdruck verböte». „Aber, lieber Mann, die alten Hennigs wissen doch die Sache! Jetzt, wo Kelir da ist, repräsentiert sie nicht mehr unsere Firma!" „Gleichviel, gerade in den letzten Tagen fing er wieder so viel von Eduard an. Ich bin überzeugt, er hat ihn so plötzlich kommen lasten, damit Werner ihm das Mädchen nicht wegschnappt. Er fragte mich sogar, ob die beiden Leutchen schon einig wären, sie hätten sich im Theater so vertraulich unterhalten. Ich nahm ihm den Wahn, denn im Prinzip ist mir ein solider Kaufmann, also Eduard, iveit lieber als das bunte Tuch! — Jedenfalls werden wir sehen, daß die Sache zu einem Abschluß kommt. Weih nachten ist dafür sehr geeignet. Wenn der alte Hennig noch einmal von der Geschichte anfängt, mache ich klaren Handel. Dem imponieren nur Zahlen, und die können wir geben, ohne dem Jungen Abbruch zu tun. Sieh, Adelheid, wir sind nicht mehr jung, und das Kind ist klein. Wenn uns etwas Menschliches zustößt, steht er ganz allein da. Mit solchen Möglichkeiten müssen wir rechnen. Darum liegt mir daran, Erna an uns zu fesseln, damit sie Felix stets schwesterlich zur Seite steht! Sie darf nie die Wahrheit erfahren, nie! Auch in unserem Benehmen soll ihr gegenüber keine Veränderung cintreten. Des halb nimm dich zusammen, Adelheid, und lehre sie, das Kind recht lieben!" „Wie recht hast dn! Daran habe ich noch nie gedacht, Bvlmann!" meinte die Gattin nnd sah ihn bewundernd an. „Aber du mußt mich auch nicht mißverstehen! Ich liebe Erna innig. Ich hielt cö gar nicht für denkbar, daß ich irgend etwas in der Welt mehr lieben könne, als das Mädchen! — Seit aber Felix geboren, seit ich in seinem Gesichtchen dich und mich so unverfälscht wiederfinde, siehst du, Alter, seither weiß ich erst, was für eine unsagbare Wonne echte Miüterliebe ist!" Sic erhob sich leise nnd schritt auf Zehenspitzen vorsichtig zu dem kleinen Schläfer. Nach wenigen Minuten erschien der Gatte gleichfalls neben dem Bcttchen. Er umschlang sein Weib, und beide schauten in tiefer, seliger Rührung auf dieses späte Glück in der Wiege. Am folgenden Abend vereinigte sich der Hennigsche Verwandten- und Bekanntenkreis in Hennigs Billa an der Esplanade. Grete hielt sich immer in der Nähe ihres Lieblingsbruders auf, über dessen Heimkehr sie hoch erfreut war. Nebenbei verfehlte daö schlaue kleine Ding nicht, Herrn Friedrich WörSmann beständig an ihre Seite zu fesseln und ihn durch allerhand kceine Künste zu er muntern. Sie mochte ihre» ruhigen Anbeter aufrichtig gern; aber vor allem trieb sie der geheime Ehrgeiz, von den Freundinnen zuerst Braut zu werden. ES schien ihr ein Triumph, die gefeierte Schönheit Ernas in dieser Be ziehung zu überflügeln. „Well, Babh, wo bleiben die Bolmänner?" fragte Eduard ungeduldig. „Ich bin auf Erna sehr neugierig, sie versprach ein hübsches Mädel zu werden!" „Ehe die von dem Kleinen Abschied nehmen, dauert cs immer eine gute Weile!" erwiderte Grete. „Siehst du, so lange Werner mit schwermütigem Gesicht in der Nähe der Tür hcrumlungert, hast du mit ihm geteilten Schmerz! Er verehrt sic riesig!" „Soo — ?" stieß Eduard aufhvrchend hervor. Er blickte zu dem Vetter hin. In sein hübsches Eugländergesicht trat ein unangenehmer Ausdruck, halb 'Neid, halb Zorn. Er statte Werner stets um die militärische Earriere beneidet, war aber an seines Vaters energischem Widerstand mit diesen Wünschen gescheitert: darum trug er einen gewissen, wenn auch nnberechtigten Haß gegen den Offizier mit sich herum. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, nnd hinter den Portiörcn tauchte daö Bolmannsche Ehepaar auf. Nach ihnen trat, sic weit überragend, in ihrer gewohnten, anmutig-stolzen Haltung, Erna ein. Eduard eilte, den Onkel und die Tante höflich zu begrüßen. Aber über sie fort schweifte sein Blick zu dem jungen Mädchen. Ein überraschendes Pfeifen und ein leises „voar wo!" entrang sich ihm. Er nahm ihre Hand nnd sprach mit tstr. Sie lächelte ihm liebenswürdig zu. Bei ihrem Eintritt schien ihre tödliche Blässe durch das tiefe Hellrot ihres Krepp- kleideö gemildert. Die Farbe ihrer Wangen war genau so weiß und zart wie die weihen Maiglückchenblüten nm den Ausschnitt. Jetzt, unter seiner unverhohlenen Be wunderung. wurde sic rot nnd warm, was ihre Schönheit noch mehr steigerte. Eduard wich nicht von ihrer Seite. Mit geheimem Grimm sah er, daß auch der Leutnant neben ihr b'icb. Es beruhigte ihn nur, daß Erna ihm heute -en Haupt teil der Unterhaltung zuschob und seinem interessanten Geplauder anscheinend aufmerksam lauschte. Werner von Reckenburg entging es nicht, daß sie innerlich be schäftigt mar und mit abwesendem Lächeln zuhörte. Er brachte ihre Verstimmung mit der Schilderung in Zu sammenhang, die seine Schwester Anna ihm von dem gestrigen Vorfall in der Kinderstube gegeben. Mit Be dauern beobachtete er das geliebte Mädchen und beschloß, mit seinen und ihren Eltern über ihre eventuelle Ver heiratung Rücksprache zu nehmen. Werner hatte ungefähr das Richtige getroffen. Die Mutter hatte sich heute beherrscht und sich Erna gegen über so herzlich und zärtlich gezeigt, daß dieser der plötz liche Umschwung verdächtig wurde. Sie fühlte, daß die Mutter sich zu ihren LicbcSbcwciscn zwang, und dieses verletzte sie noch mehr. Unwillkürlich hatte sich Erna bei einem Versuche der Mutter, ihre Wange zn streicheln, zur Seite gebeugt, worauf wieder harte Worte gefallen waren. Noch einmal war von „Neid, Mißgunst, Undankbarkeit und Lieblosigkeit" die Rede gewesen. Im Innersten ge kränkt, war das verbitterte Mädchen auf ihr Zimmer ge flohen. Und dort hatte sie einen Brief aus Parts vor gefunden. Mit Herzklopfen hatte sie die fremden Schrift- zcichcn betrachtet und das große, durch Pappdeckel ge schützte Couvert geöffnet. — Eine Photographie siel ilir entgegen. Mit einem aus Freude und Wehmut gemischten Gefühle statte sie darauf ein wohlgclungencs Bild der „Kain und Abel"-Gruppe erkannt. Ter Bildhauer teilte ihr in höflichen Worten mit, daß sein Werk für den „Salon" von der Iur>> angenommen war. Ein Herr der Kommission, der eö gesehen, habe bei ihm ein Grab denkmal und einen Brunnen für seinen Wintergarten in Marmorausführnng bestellt. Er sei darüber sehr glück lich und erlaube sich, es ihr anzuzeigen, weil sic seine erste große Arbeit sehr freundlich kritisiert habe. Dann be stellte er Grüße von Hannes Vollrted und empfahl sich ihrem liebenswürdigen Gedenken. In einem impulsiven Gefühl hatte Erna sofort für die Uebersendung des „herrlichen Bildes" gedankt. Ta ihr dieser Brief gerade in jenem Moment so überaus wohl getan, war ihre Antwort weit herzlicher ausgefallen, als sic es beabsichtigt hatte. Sic konnte nicht ermessen, welchen Aufruhr ihr Schreiben tu Ludwig Antoks Brust ent fesselte. — Jetzt storchte sie Eduards Schilderungen von London. Dabei stand ihr die Gruppe und das kleine Atelierhaus in -cm Kastanienhain immer vor Augen. Sie sah be sungen Hennig forschende Blicke und gedachte fortwähren des bleichen Künstlerkopfcs mit den braunen Locken und den leuchtenden grauen Augensternen, wie er sie damals in seinem Bann gestalten, wie er dann so brüsk das Zimmer verlosten, und wie sie erst durch den Anruf -er Frau Schmidt aus dem Zauber erwacht war! Paris! Wie sie sich nach Paris, nach der Freiheit dort sehnte! Denn Ludwig Autok war ihr, wie sie glaubte, gleich gültig. Er war ja „nur" ein Künstler! In halbwachem Zustande weilte sie heute in dem wohl bekannten Kreise. Die gesellschaftlichen Zusammenkünfte verliefen, wenn nicht gerade getanzt wurde, stets in der gleichen langweiligen Art und Weise. Das gute Esten und Trinken bildete die Hauptsache. Tann spielten die Aeltcrcn Karten, die Tamcn besprachen Wirtschaft nnd Kinder. Tie jungen Leute plauderten. Und doch war gerade heute ein wichtiges Ereignis ciugctrctcn: Tie kleine Grete Hennig hatte ihren Ver ehrer doch noch zum Sprechen gebracht. Erst erklärte er sich ihr, dann verschwand er mit ihrem Datei, und zuletzt verkündete dieser die Verlobung, die aber erst Weih nachten veröffentlicht werden sollte. „Hoffentlich können wir beim Feste dann gleich »och ein zweites Liebes pärchen beglückwünschen!" meinte Vater Henntg mit einem nicht mißniverstestenden Blick auf Erna, neben der sein jüngster Sohn stand. — Bolmann lächelte auch und nickte ihr zu. Sie wandte sich plötzlich >un: da stand Eduard. Der junge Mann blickte sic so sonderbar lächelnd an, daß sic zurücktrat. Ein eisiges Entsetzen überkam sie. Ihr war, als hätte sie sich plötzlich beschmutzt. Sein glattes Gesicht schien ihr in diesem Augenblick wie eine Faun- maSke. Als er ihren Blick bemerkte, veränderte er den Ausdruck und sah wieder so harmlos drein wie zuvor. Erblaßt drehte sic sich Werner von Reckenburg zu, der bleich und verdüstert zu ihr hinüberschaute. Unwillkürlich atmete sic erleichtert auf und nickte ihm zu. Sie liebte keinen der beiden jungen Männer, aber besten war sic sich vollbewußt: ehe sie Eduard Hennig wählte, würde sie tausendmal lieber Werner ihre Hand reichen! l Fortsetzung folgt.)
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