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Ein illustrirtes Fachjournal für die Wollen-, Baumwollen-, Seiden-, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie sowie für den Textil-Maschinenbau; Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur. Femspr ech-Anschluss : Nr. 1058. Telegramm-Adresse : Redakteur Martin, Leipzig. Herausgeber und Chefredakteur: Theodor Martin. Redaktion, Expedition u, Verlag: Leipzig, Turnerstr. 17. Organ des Vorstandes des Vereins der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner. N°- 11. 1890. Nachdruck, soweit nicht untersagt, ist nur mit vollständiger Quellenangabe gestattet. V. Jahrgang. Alte und neue Textilkunst. Von Friedrich Fischbach. (Schluss.) [Nachdruck untersagt.) och kehren wir wieder zur Geschichte der Entfaltung der Weberei zurück. Die schönen Messgewänder, welche der heil. Willigis nach Mainz und der heil. Bernward nach Hildesheim von Rom im 10. bis 11. Jahrhundert brachten, kamen von Byzanz über Amalfi. Nach und nach hatte sich — zumal durch die Saracenen — die feinere Seidenweberei in allen Städten Klein asiens und Griechenlands entwickelt. Die Kor saren nahmen nicht nur die Schätze, welche sie fanden, sondern auch die geschicktesten Weber als Beute mit. So kam es, dass auch auf Sicilien, als normännische Fürsten dieses herrliche Land eroberten, dort eine blühende Weberei sich befand. Unter der Herrschaft von König Roger und Wilhelm I. und II. ist eine grossartige Entwickelung zu verzeichnen. Palermo wurde im 12. Jahrhundert die ton ¬ angebende Stadt für das Abendland. Als ich den in Regensburg aufbewahrten I Kaisermantel von Heinrich VI. publicirte, über- [ setzte mir Prof. Karabacek die eingewebten I Schriftzeichen: „Abdul Aziz webte dieses Fest- | kleid für Wilhelm II.“ Es stammt also aus | den Jahren 1166—1187. — Unter den Anjou’s erlosch diese herrliche Industrie. Nach einander lösen in Italien die Städte Amalfi, Palermo, | Lucca, Genua, Florenz und Venedig sich im Vorrang ab, bis endlich Lyon das absolute Uebergewicht durch die französische Staats kunst erhält. Lucca blieb noch halb und halb saracenisch. | Man merkt vielfach, wie die gewebten In- ; Schriften nur decoratives Beiwerk und, weil un- ■ verstanden, verstümmelt worden sind. Auf den | Bildern Perugino’s und Rafael’s schauen wir feine Borten oft mit solchen sog. Naski-Buchstaben | verziert, die nichts weiter als seltsame Schnörkel | und Nachklänge der saracenischen Gewebe- ( inschriften sind. — Eine neue Richtung ent faltet sich in Florenz und Venedig. Der Hauch der Renaissance mildert das Phantastische des Orientes, das Heraldische des Mittelalters und das Streng-Symbolische der sacralen Kunst. Es tritt in edelster Weise der Umschwung wie in der klassisch-griechischen Zeit ein, dass wieder die Persönlichkeit und nicht das Kleid derselben Hauptsache ist. Vergegenwärtigen wir uns, wie einschneidend diese Principien die Ornamentik berühren: Die Chalifen gaben keine Orden, wohl aber amtliche Ehrenkleider, die gleichsam Orden bedeuteten. Sie enthielten die eingewebten Sym bole des Glückes und vielfach die Widmungs worte „Ehre, Glück und Freude“. Der Träger eines solchen Kleides musste ebenso geehrt werden wie unsere Bischöfe, Generäle etc., die ja ebenfalls die Abzeichen ihres Ranges haben. Die katholische Kirche hat für ihre Feste, Würdenträger, Heilige und speciell für den Madonnenkultus besondere Farben und Sym bole. So sind z. B. vom Granatapfelmuster, welcher auch der Liebesapfel der Madonna heisst, viele tausend Variationen gewebt worden. Die Ritter trugen Goldbrokate, mit Burgen und Jagdscenen verziert und wetteiferten in solchem Luxus auf den Turnieren etc. Der Norden war darin vielleicht dem Süden noch überlegen, denn das Kostbarste entstand in Flandern. Dort galt der Hof Karls des Kühnen als der reichste. Was Maria von Burgund als Gemahlin Maxi milians nach Wien brachte, und was in Bern als Beute von den Schlachtfeldern aufbewahrt wird, giebt Kunde von dieser kaum zu steigernden Pracht. Auch die Medicäer liebten den künst lerisch verklärten Prunk. Italien entfaltet grossen Reichthum an Goldbrokaten, Spitzen, Perlen und Goldstickereien etc., aber die technische Materialschönheit und das Spiel schöner Farben und Formen wurden vorwiegend. Der Granat apfel wird vielfach durch eine Vase ersetzt, aus welcher Ranken und Blumen spriessen. Die heraldischen Thiere werden immer seltener. Um reichere Farbeneffecte zu erzielen wird in der Stickerei die Application, d. h. die Unterlage verschiedenfarbiger Gewebe eingeführt, ferner kommt die Reliefstickerei auf. Spanien hatte j schon unter maurischer Herrschaft in Almeria, Valencia, Granada etc. grossartige Seidenmanu- facturen, die später nach Tanger und Marocco verpflanzt wurden. Unter Karl V. und den folgenden Regenten entfaltete sich ein so grosser Prunk, dass die spanische Tracht sprüchwörtlich als der Inbegriff kostbarer Goldstickereien galt. Studiren wir die Burgundischen Gewänder in der Wiener Schatzkammer, so müssen wir denselben den höchsten Preis zugestehen, denn nie ist Aehnliches irgendwo gewebt und gestickt worden, das an Schönheit und Kostbarkeit gleich kommt. Die Figuren wetteifern mit den Com- positionen von Dürer und Holbein, jedoch überstrahlt die Technik bei weitem die der Oelmalerei. Goldfäden werden mit farbiger Seide nur so umwickelt, dass das Gold als Licht mitwirkt. Ebenso müssen wir sagen, dass die von Raphael componirten und in Arras aus geführten herrlichen Gobelins, welche in der Rotunde des königl. Berliner Museums hängen, I das Beste sind, was auf diesem Gebiete je ge leistet wurde. Italienische Fürsten liessen aus Arras und Brüssel die Lehrmeister für ihre Gobelin-Manufacturen kommen. Selbst für die einfachere Weberei verschrieb sich Florenz Mönche aus Regensburg. Leider hat mangelnde Kenntniss der flan drischen Kunstindustrie Dr. Bock und auch mich verführt, viele Muster als italienische früher zu bezeichnen, die wir nunmehr nach ihrem Cha rakter für unsere alte deutsche Industrie in Anspruch nehmen dürfen. Die niederrheinische Bortenwirkerei des 14. und 15. Jahrhunderts, die sehr kostbare Stücke uns überliefert hat, musste uns auf den Gedanken bringen, dass noch andere Webereien, die minder schwierig sind, damals in Blüthe waren. In Braunschweig besichtigte ich jüngst den Kaisermantel von Otto IV., der Palermo zu geschrieben wird. Dieses Gewebe ist nach dem Charakter der Figuren unstreitig deutsche Ar beit und zeigt eine bewunderungswürdige Stickerei, die einzig in ihrer Art ist. Roth- seidener Atlas ist mit einem Leinenstoff durch den Weberstich verbunden. Auf der Oberfläche ist der Stickfaden mit einem Goldhäutchen um-