Volltext Seite (XML)
Nr. L4V Mittwoch den L8. Oktober LV«8. 7. Jahrgang. SchüscheVolkszettuns I NmbdiMMv Tagrdlatt für Mahrheir» Acht «.Freiheit > M (0. gescb.) seit labr- rebntea bev/3brt uns Erprobt, macbt riss Haar m — reisen veicb, jvoll uns lanrens, beseitigt prompt uns ricber staarsusssll uns Lvkuppen. länrense Otteste aus bücbrten Lreiren I Preis >/r ^>- 2 /V»k., »/^ ssl. 4 /^l<. Oiemiscbes tzaboratorium lln. M. Noker,»^«!, Dressen-ll. üeorg Xllkne f<ae1>f. Oassestraöe 1. Depots: Oermann stocb, Dressen, llitmarkt. Oeorge Laumann, Dressen, Prager 5traLe 40. ^ajvlii<a 'N-ch^E — c: > ^ ^ ß LH Q- 'o NI Q- L/ m o (_^ ^ o cx. H L o >» . <8? ^ oo ^ ^ LI ._ L o ^ O ^ ÜI Für die Monate November u. verember abonniert man aui die „Sächsische Bolkszei1,,ng"mitdertägIich.'nMoman. beilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise von 1 20 fohllk Skfttllgtldj durch den Boten ins Hans 1.40 INI«. Zur Wahlrechtsreform. Dresden, den 27. Oktober 1W8. Tie Mitglieder der Ständeversaminlnng treten am Mittwoch zu einer Nachsession zusammen, um wenigstens einen Teil der dringendsten Arbeit zu erledigen, der von der Hauptsession liegen geblieben ist. An der Spitze dieses Stoffes steht die Wahlrechtsreform. Seit Jahren ziehen sich nun die Beratungeil um diese hinaus; es ist ein Kampf um den Parteibesitzstand. Die „Dresdner Nachrichten" schreiben in der Sonntagsnummer sehr richtig, wie folgt: „Es sind zwei treibende Kräfte, welche die Stellungnahme der Abgeordneten im Sinne der Erzeugung von Gegen sätzen und Konflikten beeinflussen und dem höheren einigenden Moment des allgemeinen patriotischen Inter esses entgegenwirken: einmal die sich in den ausschlag gebenden Parteien gegeniiberstehenden, ans eine unter schiedliche Weltanschauung gegründeten Auffassungs differenzen, wie sie in den beiden politischen Hauptrich- tnngen des Konservatismus und Liberalis- m n s in die Erscheinung treten, und znm anderen der viel fach von persönlichen Motiven mitdiktierte partei politische Egoismus, der das Bestreben hat, sich durch die Neugestaltung des Wahlrechtes eine möglichst große Anzahl voll Mandaten und damit politische Macht, Allsehen und Einfluß zu sichern." Das konservative Blatt hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Die eigenen Interessen gehen den Parteien über das Gesamtwohl des Landes. Bei der Neugestaltung des Wahlrechtes sucht sich jede ei..e möglichst große Anzahl von Mandateil und damit politische Macht und Einfluß zu sichern; das patriotische Interesse und das Wohl des Volkes kommen erst in zweiter Linie. Mit dem Schlagworte „natio naler Schutz" wird Mißbrauch getrieben. Mail sehe doch nur die Deputationsverhandlungen an. Die kleinlichste Selbstsucht verhindert jedes ersprießliche Arbeiten. Durch fast Dreivierteljahr wird uun beraten, erst unter Ans halten, lind nun scheint man erst recht aufs tote Gleis gc- schluß der Oeffentlichkeit. und als diese endlich unwirsch wurde über diese Geheimnistuerei, in öffentlicher Sitzung. Fünfzig Sitzungen hat die Wahlrechtsdeputation abgc- haltcn, und nun scheint man ganz aufs tote Gleis ge- kommen zu sein. Die ursprüngliche Regierungsvorlage lehnten die Parteien ab und kochten einen besonderen Brei, das Langhammersche Kompromiß, zusammen. Aber dies lehnte wieder die Regierung ab und verlangte die Durchberatung ihres Entwurfes, dem sie einen Eventual- antrag anschloß. Graf Hohenthal erklärte dabei aber noch mals, daß die Regierung an ihrem Entwürfe festhalte und ibn auch im Plenum vertreten werde, und bezeichncte im übrigen durch ein schriftliches Expose ihre Stellung zu dem Wahlrechtskompromiß. Hiernach erklärte die König!. Staatsregierung von den von der Wahlrechtsdeputation aufgestellten Merkmalen der Differenzierung zu akzeptieren die binkommenshöhe, den Grundbesitz, die Zugehörigkeit zur Wählerschaft der Gewerbekammer, das Maß von Bil dung, das in dem Besitze der wissenschaftlichen Befähigung zum einjährigen Freiwilligendienst zum Ausdruck kommt, und endlich den Staats-, Kirchen-, Schul- und Gemeinde- dienst, soweit er dem Inhaber wenigstens 1800 Mark jähr lich einbringt. Dagegen lehnte sie ab, eine Zusahstimme wegen Alters zu geben, ferner den Begriff der Selbst ständigkeit aufzunehmen, einen ganz neuen Gedanken aber brachte sie hinein, indem sie jede Abstufung der Zusatz stimmen verwarf und jedem Wähler, welcher einer oder mehreren der privilegierten Kategorien angehört, die Zu sahstimme gab. Weiter erklärte sie, daß sie von den Ver hältniswahlen für das ganze Land absehen wolle, diese -och für die Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen und Zwickau und die zu ihren Wahlkreisen zugeschlagenen Ortschaften festhalten müsse. Im übrigen bebarrte die Ne gierung bei der Integral-Erneuerung des Landtages nach Ablauf von sechs Jahren, lehnte die zweijährige Seßhaftig keit, welche im Kompromißvorschlage eine Verschlechterung der Regierungsvorlage war, ab und legte keinen Wert auf die Festhaltung einer direkten Staatssteuer von 00 Mark für die passive Wahlfähigkeit. Tie Nationalliberalen in der Kommission lehnten den Regierungsvorschlag ab, »näh rend die Konservativen dafür einzutreten beschlossen. Gestern, Montag, fand die letzte Sitzung der Wahlrechts- deputation vor dem am Mittwoch erfolgenden Zusammen tritt des Landtages statt. Es ist wirklich nicht der Mühe wert, darüber zu berichten. Tie Beschlüsse des Plenums werden doch ganz anders aussehen als diese Vcrlegenheits- akte. Es wurde auch über die Wahlkreiseinteilung beraten. Ter Hettnersche Wahlkreiseinteilnngsentwurf wurde abge lehnt. Abg. Langhammer beantragte, nach Ablehnung des Hettnerschen Entwurfes über den von der Regierung aus gearbeiteten Wahlkreiseinteilungsentwurf ou l,I«e abzu stimmen. Staatsminister Dr. Graf v. Hohenthal stellte in Aussicht, in einem späteren Stadium der Verhandlungen noch Gelegenheit zu geben, daß verschiedene Wünsche in bezug auf Einzelheiten der Wahlkreiseinteilung Berück sichtigung finden können. Unter dieser ausdrücklichen Voraussetzung stimmte die Deputation hierauf der Wahl kreiseinteilung der Negierung mit 10 gegen 8 Stimmen zu. Hiermit war die Tagesordnung erledigt. Die nächste Sitzung der Wahlrechtsdeputation soll erst dann stattfinden, nachdem von der Regierung eine Zusammenstellung der bisher von der Deputation gefaßten Beschlüsse als Unter lage für eine dritte Lesung eingegangen sein wird. In der laufenden Woche findet diese Sitzung jedenfalls nicht mehr statt. Die Eventualvorlage der Regierung erregt verschiedene Bedenken. Wir haben jetzt ein Dreiklassenipstem, kur Eventualvorschlag birgt ein Zweiklass nsiMn'., Wähler, die nur eine Stimme haben und Wähler, die deren vier be- sitzen. Die Negierung schaltet als Eigenschaft der 2. Gruppe das Alter aus, und ließ nur den Jmmobilienbesitz und die Bildung gelten. In Bezug auf Besitz hat sich tue Regierung im wesentlchcn den Vorschlägen des Kompromisses angepaßt, nur daß sie die erforderliche Zahl der Steuereinheiten von 75 auf 100 erhöht hat, dafür aber auch eine absolute Fläche von 4 Hektar oder 1 Hektar bei Gärtnereien und Weinbau genügen läßt. Eine Ungereimtheit ist hiervei. daß zur Wahlberechtigung in den Landeskulturrat 120 Steuereinheiten gefordert werden, für den Landtag aber schon bei 10t) Steuereinheiten vier Stimmen gegebeir Wer dens Tic frühere Regierungsvorlage, die die Berufswahl vorschlug, hatte die Wahlberechtigung zum Landeskulturrat als Vorbedingung einer zweiten Stimme vorgesehen. Die Selbständigkeit fordert die Regierung nicht, sondern nur die Zugehörigkeit zur Wählerschaft der Gewerbekammer, Damit kommt man fast auf das Prinzip des Wahlgesetzes von 1890 zurück. Wahlberechtigt zur Gewcrbekammer ist, wer 600 Mark Mindesteinkommen hat. Das jetzt geltende Wahlgesetz wurde wegen der Niedrigkeit dieser Summe ge schaffen. Nun will man sie für die Gewerbetreibenden wieder einführen und sogar vier Stimmen daran knüpfen! Die Regierung täuscht sich, wenn sie in dieser Kategorie der Wähler die Sozialdemokratie schwach vertreten glaubt. Bei den Reichtstagswahlen von 1890, 1898 und 1900 war ein Viertel der für die sozialdemokratisch?» Kandidaten abgegebenen Stimmen aus bürgerlichen Kreisen. Wie es in Berlin aussieht, zeigte die letzte Laudlagswahl. N cht gering ist auch der Terrorismus einzuschätzen, dm die Sozialdemokraten auf die kleinen Gewerbetreibenden aus üben; je mehr Stimmen man ihnen gibt, desto wertvoller wird ihr Besitz für die Umsturzpartei. Die National liberalen haben 1800 Mk. gewerbliches Einkommen gefordert; die Deputation lehnte den Antrag ab. Ferner hat die Negierung aus dem Selbständigkeits absatz übernommen den „Staats-, Kirchen-, Schul- und Gc- meindedienst, soweit er dem Inhaber wenigstens 1800 Mark jährlich einbringt": weggelasscn war der Privatdienst, un klar bleibt die nähere Abgrenzung im Geistlichen und Lehrer, und nicht ausdrücklich erwähnt sind Aerzte und Rechtsanwälte, doch wird der letztere durch die Befähigung zum einjährigen freiwilligen Dienst gedeckt. Was den Privatdienst anlangt, so ist die Lücke, die in weiten .Kreisen sehr tief empfunden worden wäre, von der Deputation durch einen Antrag Kühlmorgen ergänzt worden. Die Re gierung begründet ihren Vorschlag, jedem Wähler, der auch nur eine Bedingung der Zuwachsstünme erfüllt, gleichzeitig vier Stimmen zu geben, folgendermaßen: „Es würde der richtige Grundgedanke, welcher der Deputation borge- schwebt hat, schon dann, und nach Ansicht der Negierung sogar besser zum Ausdruck kommen, wenn die Wähler nur in zwei Gruppen gesondert werden, nämlich erstens in solche, welche einer der numerisch schwachen, aber doch für das StaatSleben wertvollen Bevölkerungsschichten ange- hören, die eines besonderen Schutzes bedürfen, und zweitens in solche, welche den numerisch stärkeren BevölkerungS- schichteu angehören, die eben wegen dieser ihrer numerischen Stärke eines besonderen Schutzes ohne Nachteil cntratcn tonnen." Wie sieht es aber mit den öffentlichen oder pri vaten Angestellten aus, die weniger als 1800 Mark ver dienen? Entweder sind sie nicht numerisch schwach, ober ste gehören zu den Schutzbedürftigeu. Daß das letzte de» Fall ist. wird jeder zugeben müssen. Ter Leipziger Ober bürgermeister Dr. Georgi meint dazu irr den „Leipziger- Neuest. Nachr.": „Es gewinnt den Anschein, als ob man auf die Beamten und Privatangestellten, soweit sie nicht 1800 Mark Gehalt haben, keinen Wert für das Staatsleben zu legen hätte und sie also in der großen Menge ohrre die Möglichkeit eigener Durchsetzung verschwinden lassen könnte. , Die Negierung hat sich irr einer ihrer Kundgebungen darauf berufe» welchen hoben Prozentsatz unter den Wahl berechtigten die Arbeiter und Dienstboten cinnehmen; aber ist es recht, alle Arbeiter und Dienstboten der großen Menge zuzurechnen, die keines Schutzes bedürfe, »veil man also an nehme, daß sie mit der großen Menge der Sozialdemokratie wähle? Wir haben cs immer mit Recht der Sozialdemo kratie zum Vorwurfe gemacht, daß sie die ganze bürgerliche Gesellschaft als „reaktionäre Masse" bezeichnet, denselben Fehler von der anderen Seite begeht die Regierung, »venu sie den Privilegierten eine große ungegliederte Menge gegenüberzustellen scheint. Unsere Aufgabe der Gegenwart besteht eben darin, aus der großen Masse der Wähler einen möglichst großen Bruchteil auf den staatlichen und natio nalen Boden hinüberzuziehen, und es mehren sich die A:> Zeichen, daß wir nicht erfolglos nach diesem Ziele streben. Aber die von der Regierung vorgeschlagene Scheidung von Privilegierten und Nichtprivilegierten muß diesen Bestre bungen direkt entgegenwirken. Das Wahlrecht ist nun ein mal ein Ebrenrecht und soll es sein, und muß es nicht lähmend auf die Nichtprivilegierten wirken, wenn sie sich aus Gründen, wie sie die Negierung anführt, und denen sic jede innere logische Berechtigung absprechen müssen, zurück gesetzt sehen. Aus den Kreisen der Privatangestellten haben wir bisher die wertvollsten Hilfskräfte genommen bei unseren nationalen Festen, bei unseren sozialen Bestre bungen, bei unseren Wahlen, und nun soll der vielleicht größte Teil derselben in seinen Ehrenrechten zurückgesetzt werden? Noch dürfen wir aunehmen, daß die unteren Ele mente unserer Staats- und Reichsbcamten wenigstens überwiegend auf den» Boden der heutigen Gescllschafts ordnuug stehen, wiewohl sie von der Sozialdemokratie sehr umworben werden. Sollen »vir diese Werbearbeit er leichtern, indem wir durch unser Beamtentum einen dicken Strich zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten ziehen?" Wir Habei» nur einige Bedenken, die die Eventual vorlage erregt, hervorgehoben. Kaum wird die Regierung hierfür eine Mehrheit finden, da es auch unter den Konser vativen Gegner geben wird. Von allen Wahlrcchtsvor schlügen, die von der Regierung und den Parteien gemach: worden sind, muß der ursprüngliche Re gie r u n g s e n t w u r s trotz der entschiedenen Ablehnung, welche er durch die Mehrheitsparteien des Landtages vor Jahresfrist erfahren hat, nunmehr doch als der geeignetste angesehen werden für eine Grundlage der Wahlrechts reform, an dem neben der Regierung unentwegt die Kreise des sächsischen Mittelstandes trotz aller Widersprüche fest gehalten haben. Auch der Verband Sächsischer Industrieller hat sich soeben auf diesen Standpunkt gestellt und erklär: sich bereit, für die von ihm vertretenen sächsischen Industrie kreise ein Opfer zu bringen, wenn er dadurch dazu beitragen könnte. Ruhe und Zufriedenheit in» Lande zu verbreiten. Wenn diese Vorlage abgelehnt würde, so hat die national- liberale Partei die Verantwortung. Die Regicrungsvor läge trägt ihre»» Forderungen zu wenig Rechnung, wie sie selbst gesteht. Und doch wurde»» ihr bereits sehr wertvolle Zngeständissc gemacht. Allein diese Partei des großen Wortes und der kleinen Tat steht auf den» Standpunkte „Alles oder nichts!" — Der Regicrungsentwurf findet sicher die Mehrcit ii» der Kammer. Wenn er auf eine Acnde rung der Wahlkreiseinteilung verzichtet, so genügt die ein fache Mehrheit, um die Wahlrechtsänderung vorzunchmcn. Freilich haben sich vor Jahresfrist die konservative wie die nationalliberale Partei festgelegt. Allein »vir sehen in einer derartigen Stellungnahme kein Hindernis aus tak tischen Gründen „jetzt anzubcten, was sie damals ver brannt haben".